Mittwoch, 23. Juli 2014

Absturz über der Ostukraine

Wer konnte es, wem nützte es? Von Rainer Rupp Quelle: jungewelt vom 19.07.2014 Über den umkämpften Ostregionen der Ukraine stürzte am Donnerstag eine malaysische Passagiermaschine ab. Alle 298 Menschen an Bord kamen ums Leben. Die Gerüchteküche arbeitet auf Hochtouren, aber unabhängig davon lassen sich die Fragen nach dem »Wer konnte es?« und »Wer profitiert davon?« analytisch einigermaßen eingrenzen. Systematisches Vorgehen hat zu berücksichtigen: Das Flugzeug befand sich auf seiner für Langstreckenflüge optimalen Flughöhe von 10000 Metern. Schultergestützte Flugabwehrraketen, sogenannte Manpads, erreichen diese Höhe nicht, ihre Obergrenze liegt zwischen 4000 und neuerdings maximal 6000 Metern. Auf den ersten Blick schließt das die Aufständischen in der Ostukraine als Täter aus. Aber während der katastrophal fehlgeschlagenen Großoffensive der von Faschisten durchsetzten Kiewer Regierung im Osten des Landes ist den Aufständischen auch ein in große Höhen reichendes, mobiles Buk-Raketensystem vom Typ 9K37 in die Hände gefallen. Das besagt nicht, daß sie die Täter waren. Es läßt sich nur nicht völlig ausschließen, daß sie bei einem Versuch, eine ukrainische Militärmaschine abzuschießen, die Passagiermaschine getroffen haben. Viel spricht aber gegen ihre Täterschaft, insbesondere die Tatsache, daß sich das Buk-System nicht so einfach wie ein Manpad handhaben läßt. Das System besteht aus drei großen gepanzerten Fahrzeugen mit unterschiedlichen, hochkomplexen Anlagen wie Radar, Zielerfassung etc., die beim Einsatz zusammenwirken müssen. Für die Bedienung ist ein eingespieltes Team von Spezialisten notwendig. Es ist schwer vorstellbar, daß die sogenannten Neurussen wenige Tage, nachdem ihnen die Raketen in die Hände gefallen sind, über ein solches Team verfügten. Zudem kann davon ausgegangen werden, daß das Buk-System gegen unbefugten Gebrauch von den ukrainischen Soldaten elektronisch gesichert war. Die Aufständischen hätten einen Spezialisten zur Stelle haben müssen, der imstande war, den Sicherheitscode des Systems zu knacken, ohne dessen Funk­tionsfähigkeit zu zerstören. Das läßt sich ebensowenig im Vorübergehen erledigen wie die Ausbildung eines Buk-Spezialistenteams. Da nur wenige Tage zwischen Eroberung des Systems und dem Abschuß der Passagiermaschine vergingen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß es nicht die »Neurussen« waren. Solange sie aber nicht glaubhaft darlegen können, daß ihre Raketen inoperabel waren oder noch in dem Hangar liegen, wo sie gefunden wurden, bleiben sie auf der Liste der Verdächtigen. Zur russischen Seite. Die Wahrscheinlichkeit eines unbeabsichtigten Abschusses von Flug MH17 von dort ist extrem klein. Die Russen haben insbesondere an ihrer Westgrenze ein voll integriertes, mehrschichtiges, hochmodernes Luftverteidigungssystem, das von disziplinierten Spezialisten besetzt ist. Es ist davon auszugehen, daß es aufgrund der Krise in der Ukraine derzeit auf Hochtouren arbeitet. Problemlos kann damit festgestellt werden, um welches Flugzeug es sich jeweils handelt. Der Transponder von Passagiermaschinen sendet zwecks eigener Identifizierung ständig entsprechende Signale aus. Bleibt die Möglichkeit eines absichtlichen Abschusses. Aber abgesehen davon, daß keine Motive genannt werden können, warum Rußland eine malaysische Passagiermaschine vom Himmel holen sollte, dürften die Russen nicht daran interessiert sein, dem ständig mit Lügenkonstrukten auf sie einprügelnden Westen einen echten Grund zur Empörung zu liefern. Das Fazit bis hierher lautet daher: Die Russen haben zwar die technischen Möglichkeiten, aber kein Motiv. Dagegen hat die Kiewer Regierung ein altes, heruntergekommenes, nicht-integriertes »Luftverteidigungssystem«, das von unterbezahlten, demoralisierten und schlecht ausgebildeten Soldaten gelenkt wird. Unter sie mischen sich zunehmend Vertreter des Rechten Sektors und anderer faschistischer Gruppen. Zudem: Es wäre nicht das erste Mal, daß die Ukrainer aus Inkompetenz ein Passagierflugzeug abgeschossen hätten: Am 4. Oktober 2001 trafen sie über dem Schwarzen Meer eine Maschine der russischen Siberia Airlines, Flug 1812, mit 66 Passagieren auf dem Rückweg aus Israel. Angesichts des undurchsichtigen organisatorischen Hintergrunds ist denkbar, daß ukrainische Extremisten in der Luftverteidigung den Befehl zum Abschuß von Flug MH17 gegeben haben, in der irrtümlichen Annahme, daß es sich um ein russisches Flugzeug handelte. Das Motiv könnte Rache sein. Erst am Donnerstag hatte die ukrainische Regierung Rußland beschuldigt, einen ukrainischen Jagdbomber vom Typ SU-25 am Mittwoch bei einem Einsatz gegen ostukrainische Dörfer abgeschossen zu haben. Das bedeutet: Bei der Antwort auf die Frage nach dem »Cui bono?« steht Kiew an erster Stelle. Sie kann so von den Greueltaten ihrer faschistischen Soldateska in der Ostukraine ablenken und erneut Rußland als unberechenbaren Aggressor darstellen, gegen den sie dringend Hilfe der NATO benötigt. Das vorläufige Fazit lautet: Die Täterschaft liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit bei den Verantwortlichen in Kiew. Ein Großteil der westlichen »Experten« hat aber die Schuldigen bereits woanders gefunden. Die Fakten, die bei der Auswertung der russischen Luftüberwachung zutage kommen, dürften kaum mehr eine Rolle spielen.

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