Tote und Verhaftungen: Ohne Rücksicht auf Beschäftigte wird der Bau des dritten Istanbuler Flughafens weiter vorangetrieben
Von Nick Brauns
Machtdemonstration gegen Streikende: Polizisten vor der Istanbuler Flughafenbaustelle (15. September)
Foto: Emrah Gurel/AP Photo/dpa
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Als »Ort, an dem Träume wahr werden«, bewirbt das Firmenkonsortium Istanbul Grand Airport AS (IGA) den dritten, im Bau befindlichen, Istanbuler Flughafen. Nach dem Willen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan soll der Airport mit sechs Landebahnen und einer Kapazität von 200 Millionen Reisenden pro Jahr bereits in weniger als einem Monat am 29. Oktober – dem 95. Jahrestag der Gründung der Türkischen Republik – eröffnet werden. Für Zehntausende Arbeiter, die in einer Rekordzeit von nur viereinhalb Jahren dieses zentrale Prestigeprojekt der AKP-Regierung errichten, wird dagegen ein täglicher Alptraum wahr.
Es handele sich um den »Prototyp ausbeuterischer Baustellen der AKP, die sich zu regelrechten Konzentrationslagern gewandet haben«, beklagt die linke Demokratische Partei der Völker (HDP) in einem Ende letzter Woche von mehreren Abgeordneten vorgestellten Bericht systematische Verletzungen von Arbeiterrechten beim Bau des Flughafens in der Region Arnavutköy im Nordwesten der Metropole. So betrage die durchschnittliche Arbeitszeit zwölf Stunden, aufgrund unzureichender Transportmöglichkeiten zu den Containerlagern seien auch 14 Stunden keine Seltenheit. Dokumentiert wurden 37 tödliche Arbeitsunfälle in Folge fehlender Arbeitsschutzmaßnahmen. Die Dunkelziffer liegt weit darüber. So meldete die renommierte Tageszeitung Cumhuriyet im Februar die Zahl von rund 400 Toten, von denen die Regierung gerade einmal 27 bestätigte. Den Familien der Verunglückten würden Schweigegelder gezahlt, erklärte der damalige Vorsitzende der Bauarbeitergewerkschaft Insaat-Is, Mustafa Akyol. Inzwischen schalteten die Ambulanzen nach Gewerkschaftsangaben ihre Sirenen nicht mehr an, um die anderen Arbeiter gar nicht erst auf Unfälle aufmerksam zu machen.
Aufgrund der katastrophalen Arbeitsbedingungen waren am 14. September mindestens 3.000 der mehr als 30.000 Arbeiter, die jeden Tag rund um die Uhr eingesetzt werden, in den Streik getreten. Auslöser der spontanen Arbeitsniederlegung war der Unfall eines Shuttlebusses, bei dem 17 Kollegen verletzt worden waren. Handschriftlich fassten die Streikenden 15 Forderungen zusammen, die unzureichende Sicherheitsbedingungen, teilweise seit sechs Monaten ausstehende Löhne, unhygienische Bedingungen in den Schlafcontainern, ungenießbares Essen und lange Wartezeiten bei den Bussen zur Baustelle, betrafen.
Die Militärpolizei attackierte die im Ausstand befindlichen Arbeiter mit Wasserwerfern und Reizgas. Bei einem nächtlichen Überfall auf die Containerlager wurden 561 Beschäftigte in Gewahrsam genommen. Gegen 24 vermeintliche Rädelsführer, die mehrheitlich den beiden Bauarbeitergewerkschaften Insaat-Is und Dev-Yapi-Is angehören, wurde anschließend Untersuchungshaft angeordnet.
Nachdem selbst der erste Polizeibericht keine strafbaren Handlungen der Protestierenden nennen konnte, diffamierten Manager des Baukonsortiums IGA und regierungsnahe Medien die Streikenden als »Provokateure« und »Terroristen« – sie machten sich dafür die Tatsache zunutze, dass überdurchschnittlich viele Bauarbeiter kurdischer Abstammung sind und damit sowieso unter Generalverdacht stehen. Militärpolizei und Antiterroreinheiten sind seit dem Streik mit Panzerwagen auf der Baustelle präsent, die – so der Dev-Yapi-Is-Vorsitzende Özgür Karabulut – nun einem »Arbeitslager« gleiche. Und die Repression geht weiter: Ende vergangener Woche wurden drei weitere Arbeiter in Untersuchungshaft genommen, nachdem rund 400 Beschäftigte mit Trillerpfeifen gegen den Ausfall von Transportern zu ihren Wohnheimen protestiert hatten.
»Bauarbeiter sind keine Sklaven«, heißt es in einem Brief der inhaftierten Gewerkschafter. »Es ist kein Verbrechen, für die eigenen Rechte einzutreten. Die wahren Schuldigen sind die Bosse von IGA, die uns Arbeiter zu unmenschlichen Arbeitsbedingungen verdammt haben.« Dem Baukonsortium gehören fünf Konzerne mit Nähe zur Regierungspartei AKP an. Unter den größten Investoren findet sich zudem die Deutsche Post AG, die bis 2019 ein großes DHL-Express-Sortierzentrum
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