Montag, 1. Oktober 2018

Die Starintellektuellen Michael Hardt und Antonio Negri wollen mit ihrem Buch "Common Wealth" eine neue Utopie liefern.


Da gibt es eine Orchidee, die verströmt Duftstoffe, die jenen der weiblichen Wespe ähneln. Auf die Verlockung fallen vorbeifliegende Männchen natürlich herein: Sie machen sich an die Blüten heran, fliegen von einer zur anderen und tragen absichtslos Pollen zur Bestäubung weiter. Die Autoren Michael Hardt und Antonio Negri sind von der "Pseudokopulation" nicht etwa wegen deren Frivolität so angetan. Sie fasziniert, dass dabei einander fremde, gänzlich verschiedene Wesen zusammenkommen, und beide haben etwas davon: die Wespe Sex – die Orchidee Nachwuchs. In der Fabel finden Insekt und Pflanze zum "Gemeinsamen".
Genau davon handelt das neue Buch der eingespielten Schreibkooperative Hardt/Negri: von der – mithilfe der Liebe – politischen Vereinigung verschiedener Lebensformen, von der Überwindung des kapitalistischen Eigentums und vom Reichtum, den die gemeinschaftliche Produktion hervorbringen kann. Vom Common Wealth also, so der Titel des Buches, mit dem die Autoren erneut Witterung für aufkeimende Debatten zeigen.
Über den Stellenwert der commons machen sich ja derzeit viele ihre Gedanken, weil die Politik der Liberalisierung und Privatisierung die Gemeingüter seit drei Jahrzehnten strapaziert. Raubbau zerstört natürliche Ressourcen wie Wasser und Boden; immaterielle Gemeingüter wie Wissen, Bildung oder Codes drohen kontrolliert, eingehegt, ungerecht verteilt zu werden. Von der Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom bis zur Piratenpartei suchen daher immer mehr Menschen nach Räumen für gemeinschaftliches Wirtschaften, über Wikipedia- oder Saatgut-Communities hinaus. Gegen, neben oder mit Markt und Staat.
Auch deshalb wird das neue Buch der Starintellektuellen mit Spannung erwartet, die im Jahr 2000 mit Empire, ihrer neo-neomarxistischen Theorie des globalisierten Kapitalismus, Furore machten. Darin analysierten Hardt/Negri eine neue Form der weltweiten Herrschaft, die kein Außen mehr kennt und auch keine Zentrale mehr wie Rom oder Washington. Allgegenwärtig, durchdringt ihre – Foucault entlehnte – "Biomacht" das gesamte Leben der Menge: der "Multitude".

In dieser Vielheit aus Arbeitern, Arbeitslosen, Migranten, Bauern, Wissenschaftlern oder Callcenterbeschäftigten, für die sich Privatheit und Arbeit, Lokales und Globales vermischt haben, erkannten sich viele linke Globalisierungskritiker wieder. Die Multitude, der Hardt/Negri 2004 auch noch ein eigenes Buch widmeten, spielt im Empire die Rolle eines gewandelten Proletariats.
Die einen zelebrierten das Buch als "Kommunistisches Manifest für das 21. Jahrhundert", andere konnten darin nur "pseudowissenschaftliches Gedröhne" entdecken. Jedenfalls wurden die beiden von der Rosa-Luxemburg-Stiftung bis zur Deutschen Bank durchgereicht: Michael Hardt, der postmodern durchdrungene amerikanische Literaturprofessor von der Duke University. Und Antonio Negri, marxistischer Soziologe und Philosoph aus Padua, der allerdings, da Freigänger, nur virtuell präsent sein konnte: Verurteilt wegen Unterstützung der Roten Brigaden, saß er nach jahrelangem französischem Exil noch die letzten Jahre ab.

 

Seither ist nicht nur die Sorge um die Gemeingüter gewachsen. Die Finanzkrise hat das kapitalistische Modell selbst in der Finanzwelt in Verruf gebracht, Manager lesen verstohlen Marx (das Original) und fragen im Gleichklang mit der Multitude ratlos nach einer Utopie. Genau die wollen Hardt/Negri mit ihrem Common Wealth nun liefern – einschließlich der Wegbeschreibung.
Ihr Kommunistisches Manifest 2.0 strengt jedoch nicht nur mit langen Passagen an, die sich lesen wie Empire Reloaded: Multitude, vereinige dich! Es ist, um es mit dem Politologen John Gray zu sagen, eine aufgeblasene "radikale Theorie im Monty-Python-Jargon".
Zwar gibt es auf der fast 400 Seiten langen Anleitung für die Transformation von der "Republik des Eigentums" zur "Altermoderne", zu einer anderen Moderne, einige gedankliche Köstlichkeiten; die These zum Beispiel, dass die neue "biopolitische" Arbeit der Multitude, ihre dezentrale Produktion von Software, Energie, Gemüse und Gedanken, zu produktiv sei für die alternden kapitalistischen Strukturen.
Doch insgesamt ist das Kompott aus postmodern gemischten Lesefrüchten, marxistischen Dickungsmitteln und revolutionärem Kitsch ziemlich schwer verdaulich. Die Begriffe sind hermetisch, viele Analysen grob. Die "Republik des Eigentums" etwa, die die Autoren zugunsten des Common Wealth entsorgen möchten: In ihr zählt keine Genossenschaft, kein regulierender Staat, keine in der Verfassung verankerte Sozialverpflichtung. Gegen die wird zwar gewiss häufig verstoßen, aber wer soll ihre Normen einklagen, wenn die Parlamente gleich mit abgeschafft werden?
Nein, keine Dilemmata des Politischen und auch sonst kein Gegenwind sollen diesen theoretischen Höhenflug stören. Damit das so bleibt, muss dort oben alles raus: Nation, Unternehmen, Familie, alle "korrumpierten Formen des Gemeinsamen". Deren Doppelgesichtigkeit ist zwar scharfsinnig analysiert – aber nicht, warum sich zum Beispiel die mehrfach totgesagte Familie selbst in der Multitude hartnäckig hält. Oder: Warum eigentlich sollte sie mit anderen Gemeinschaften unvereinbar sein?
Und Empirie? Die geht in diesem Buch über die Sache mit den Wespen und die x-te Beschwörung der mexikanischen Zapatisten oder des lange vergangenen Wasseraufstands im bolivianischen Cochabamba nicht hinaus. Der neue Slogan der Revolution: "Armut und Liebe", doch trotz Liebe bleibt das Verhältnis zur Gewalt unangenehm entspannt. Die kann es in der Revolution ruhig geben. Zuvor aber arbeitet man schon mal an neuen Infrastrukturen, einer offenen Staatsbürgerschaft, mehr Bildung, Mindesteinkommen und an direkter Demokratie.
Diese Vorhaben stehen allerdings auch in den Papieren vieler angeblich eigentumskorrumpierter Demokraten, und die kommen ganz ohne marxistische Schnulzen aus wie der von der Kreativität der Armut oder jener von der "neuen Menschheit", die so verdächtig nach dem "neuen Menschen" klingt.
Hardt und Negri enden mit Widerstandspathos: "Während wir das Glück instituieren, ist unser Gelächter so klar wie Wasser." Der Satz ist nur ein Beispiel für reichlich unterschwelligen Totalitarismus. Da bleibt das Lachen eher im Halse stecken. Das hat die Gemeinschaft, haben die Gemeinschaften nicht verdient.

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