Da gibt es eine Orchidee, die
verströmt Duftstoffe, die jenen der weiblichen Wespe ähneln. Auf die
Verlockung fallen vorbeifliegende Männchen natürlich herein: Sie machen
sich an die Blüten heran, fliegen von einer zur anderen und tragen
absichtslos Pollen zur Bestäubung weiter. Die Autoren Michael Hardt und Antonio Negri
sind von der "Pseudokopulation" nicht etwa wegen deren Frivolität so
angetan. Sie fasziniert, dass dabei einander fremde, gänzlich
verschiedene Wesen zusammenkommen, und beide haben etwas davon: die
Wespe Sex – die Orchidee Nachwuchs. In der Fabel finden Insekt und
Pflanze zum "Gemeinsamen".
Genau davon handelt
das neue Buch der eingespielten Schreibkooperative Hardt/Negri: von der –
mithilfe der Liebe – politischen Vereinigung verschiedener
Lebensformen, von der Überwindung des kapitalistischen Eigentums und vom
Reichtum, den die gemeinschaftliche Produktion hervorbringen kann. Vom
Common Wealth also, so der Titel des Buches, mit dem die Autoren erneut Witterung für aufkeimende Debatten zeigen.
Über den Stellenwert der commons
machen sich ja derzeit viele ihre Gedanken, weil die Politik der
Liberalisierung und Privatisierung die Gemeingüter seit drei Jahrzehnten
strapaziert. Raubbau zerstört natürliche Ressourcen wie Wasser und
Boden; immaterielle Gemeingüter wie Wissen, Bildung oder Codes drohen
kontrolliert, eingehegt, ungerecht verteilt zu werden. Von der
Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom bis zur Piratenpartei suchen
daher immer mehr Menschen nach Räumen für gemeinschaftliches
Wirtschaften, über Wikipedia- oder Saatgut-Communities hinaus. Gegen, neben oder mit Markt und Staat.
Auch deshalb wird das neue Buch der Starintellektuellen mit Spannung erwartet, die im Jahr 2000 mit Empire,
ihrer neo-neomarxistischen Theorie des globalisierten
Kapitalismus, Furore machten. Darin analysierten Hardt/Negri eine neue
Form der weltweiten Herrschaft, die kein Außen mehr kennt und auch keine
Zentrale mehr wie Rom oder Washington. Allgegenwärtig, durchdringt ihre
– Foucault entlehnte – "Biomacht" das gesamte Leben der Menge: der
"Multitude".
In
dieser Vielheit aus Arbeitern, Arbeitslosen, Migranten, Bauern,
Wissenschaftlern oder Callcenterbeschäftigten, für die sich Privatheit
und Arbeit, Lokales und Globales vermischt haben, erkannten sich viele
linke Globalisierungskritiker wieder. Die Multitude, der Hardt/Negri
2004 auch noch ein eigenes Buch widmeten, spielt im Empire die Rolle
eines gewandelten Proletariats.
Die einen zelebrierten das Buch als "Kommunistisches Manifest
für das 21. Jahrhundert", andere konnten darin nur
"pseudowissenschaftliches Gedröhne" entdecken. Jedenfalls wurden die
beiden von der Rosa-Luxemburg-Stiftung bis zur Deutschen Bank
durchgereicht: Michael Hardt, der postmodern durchdrungene amerikanische
Literaturprofessor von der Duke University. Und Antonio Negri,
marxistischer Soziologe und Philosoph aus Padua, der allerdings, da
Freigänger, nur virtuell präsent sein konnte: Verurteilt wegen
Unterstützung der Roten Brigaden, saß er nach jahrelangem französischem
Exil noch die letzten Jahre ab.
Seither ist nicht nur die
Sorge um die Gemeingüter gewachsen. Die Finanzkrise hat das
kapitalistische Modell selbst in der Finanzwelt in Verruf gebracht,
Manager lesen verstohlen Marx (das Original) und fragen im Gleichklang
mit der Multitude ratlos nach einer Utopie. Genau die wollen Hardt/Negri
mit ihrem Common Wealth nun liefern – einschließlich der Wegbeschreibung.
Ihr
Kommunistisches Manifest 2.0 strengt jedoch nicht nur mit langen
Passagen an, die sich lesen wie Empire Reloaded: Multitude, vereinige
dich! Es ist, um es mit dem Politologen John Gray zu sagen, eine
aufgeblasene "radikale Theorie im Monty-Python-Jargon".
Zwar gibt es auf der
fast 400 Seiten langen Anleitung für die Transformation von der
"Republik des Eigentums" zur "Altermoderne", zu einer anderen Moderne,
einige gedankliche Köstlichkeiten; die These zum Beispiel, dass die neue
"biopolitische" Arbeit der Multitude, ihre dezentrale Produktion von
Software, Energie, Gemüse und Gedanken, zu produktiv sei für die
alternden kapitalistischen Strukturen.
Doch insgesamt ist
das Kompott aus postmodern gemischten Lesefrüchten, marxistischen
Dickungsmitteln und revolutionärem Kitsch ziemlich schwer verdaulich.
Die Begriffe sind hermetisch, viele Analysen grob. Die "Republik des
Eigentums" etwa, die die Autoren zugunsten des Common Wealth entsorgen
möchten: In ihr zählt keine Genossenschaft, kein regulierender Staat,
keine in der Verfassung verankerte Sozialverpflichtung. Gegen die wird
zwar gewiss häufig verstoßen, aber wer soll ihre Normen einklagen, wenn
die Parlamente gleich mit abgeschafft werden?
Nein, keine Dilemmata
des Politischen und auch sonst kein Gegenwind sollen diesen
theoretischen Höhenflug stören. Damit das so bleibt, muss dort oben
alles raus: Nation, Unternehmen, Familie, alle "korrumpierten Formen des
Gemeinsamen". Deren Doppelgesichtigkeit ist zwar scharfsinnig
analysiert – aber nicht, warum sich zum Beispiel die mehrfach totgesagte
Familie selbst in der Multitude hartnäckig hält. Oder: Warum eigentlich
sollte sie mit anderen Gemeinschaften unvereinbar sein?
Und
Empirie? Die geht in diesem Buch über die Sache mit den Wespen und die
x-te Beschwörung der mexikanischen Zapatisten oder des lange vergangenen
Wasseraufstands im bolivianischen Cochabamba nicht hinaus. Der neue
Slogan der Revolution: "Armut und Liebe", doch trotz Liebe bleibt das
Verhältnis zur Gewalt unangenehm entspannt. Die kann es in der
Revolution ruhig geben. Zuvor aber arbeitet man schon mal an neuen
Infrastrukturen, einer offenen Staatsbürgerschaft, mehr Bildung,
Mindesteinkommen und an direkter Demokratie.
Diese Vorhaben stehen
allerdings auch in den Papieren vieler angeblich eigentumskorrumpierter
Demokraten, und die kommen ganz ohne marxistische Schnulzen aus wie der
von der Kreativität der Armut oder jener von der "neuen Menschheit",
die so verdächtig nach dem "neuen Menschen" klingt.
Hardt und Negri enden
mit Widerstandspathos: "Während wir das Glück instituieren, ist unser
Gelächter so klar wie Wasser." Der Satz ist nur ein Beispiel für
reichlich unterschwelligen Totalitarismus. Da bleibt das Lachen eher im
Halse stecken. Das hat die Gemeinschaft, haben die Gemeinschaften nicht
verdient.
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