Was bisher bunt und fröhlich war an Brasilien, steht an diesem Sonntag auf dem Spiel: Gewinnt der rechtsradikale Jair Messias Bolsonaro die Stichwahl, wird es für die vielfältigen sozialen Bewegungen - die feministischen, indigenen, afrobrasilianischen, gewerkschaftlichen, queeren und anderen - eng. Schon jetzt müssen sie sich zunehmender Gewalt erwehren. Die Stadträtin Marielle Franco fiel ihr zum Opfer. Sie wurde am 14. März in ihrem Auto erschossen. Sie war schwarz und lesbisch, sie hatte Untersuchungsausschüsse über Polizeigewalt in die Wege geleitet und sich gegen den Rassismus und Sexismus in der Gesellschaft engagiert. Das stieß beim Establishment des weißen Brasilien ganz und gar nicht auf Gegenliebe.
Das bunte Brasilien lebt aber auch. Das zeigte sich am 29. September. Dem Aufruf der Frauenbewegung zu öffentlichen Demonstrationen gegen Bolsonaro unter dem Motto »Ele não« (auf Deutsch: »Er nicht«) folgten Hunderttausende in 114 Städten. Nicht nur die Frauenbewegung, sondern eine breite Allianz der sozialen Bewegungen hatte sich eingefunden mit dem Ziel, das Schlimmste zu verhindern: die Wahl eines offen rassistischen, frauenfeindlichen und homophoben weißen Brasilianers zum nächsten Präsidenten.
Verfangen hat die Demonstration nicht wirklich: Bolsonaro gewann die erste Runde am 7. Oktober mit 46 Prozent der Stimmen. Sein Gegner in der Stichwahl, Fernando Haddad, der für die Arbeiterpartei PT ins Rennen geht, holt zwar in Umfragen auf, doch sein Sieg käme einem Wunder gleich. Das brasilianische Kapital steht dem Kandidaten Bolsonaro positiv gegenüber, vor allem der agro-industrielle Sektor, der im Parlament die stärkste informelle »Fraktion« mit den meisten Abgeordneten stellt.
Bolsonaro bekräftigte nach dem Attentat auf ihn am 6. September seine Pläne: »Als Präsident werde ich mehr Militär auf die Straßen schicken. Wer dagegen ist, soll mir sagen, wie wir die Probleme lösen, ohne zu schießen.« Sein designierter Vizepräsident ist folgerichtig ein General: Der 65-jährige Antônio Hamilton Martins Mourão gehört zur Reserve des Heeres.
In Brasilien steht am Sonntag mehr auf dem Spiel als bei allen Wahlen seit dem Ende der Militärdiktatur 1985. »Ich bin für Folter, das weißt du« und »Der einzige Fehler der Diktatur war, dass sie nur gefoltert und nicht getötet hat«, sagt Bolsonaro über diese vergangene Epoche. Man will sich nicht ausmalen, was seine Machtübernahme bedeuten würde.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen