Montag, 16. April 2018

Die Stunde des H. M. (Ralph Dobrawa)


Das im Herbst 1952 geschaffene Bundesverwaltungsgericht, welches für »öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art« zuständig ist, hatte viele Jahrzehnte seinen Sitz in Berlin. Es war wegen des besonderen politischen Status von Westberlin bis 1990 deshalb nicht unumstritten. Seit 2002 residiert es im Gebäude des früheren Reichsgerichts in Leipzig. Bereits kurz nach seiner Gründung musste es sich mit dem Verbot der FDJ beschäftigen. In den folgenden Jahrzehnten gab es immer wieder bedeutungsvolle Entscheidungen, die die Entwicklung der Bundesrepublik beeinflussten.

Auch Hans Modrow, vorletzter Ministerpräsident der DDR, hat vor einiger Zeit Klage zum höchsten deutschen Verwaltungsgericht erhoben (s. Ossietzky 4/2018). Hierüber wurde am 28. Februar in öffentlicher Sitzung mündlich verhandelt. In demselben Gerichtssaal hatte Georgi Dimitroff fast 85 Jahre zuvor seine flammende Verteidigungsrede gehalten, die zur Anklage gegen den nazistischen Staat wurde.

Modrow begehrt Einsicht in die ihn betreffenden Akten, welche vom Bundesnachrichtendienst geführt wurden und zwischenzeitlich an das Bundesarchiv abgegeben worden sind. Der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts muss sich nunmehr mit dieser Sache befassen. Der Kläger erhielt bereits vor fünf Jahren vom damaligen Bundesinnenminister Friedrichs die Bestätigung, dass solche Akten über ihn geführt worden sind. Sein Auskunftsbegehren führte aber nur dazu, dass ihm ganz wenige Unterlagen zur Verfügung gestellt wurden. Ihm war klar, dass dies nicht alles gewesen sein konnte angesichts der Tatsache, dass bereits seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre solche Akten über ihn angelegt wurden. Pauschal wurde auf das Bundesarchivgesetz verwiesen. Danach müssen die betreffenden Akten älter als 30 Jahre sein und dürfen die BRD nicht gefährden und den Schutz der Quellen nicht verletzen.

Diese Rechtsposition wird auch vom Vorsitzenden des verhandelnden Senats deutlich gemacht. Geht man allein vom Zeitablauf der Aktenführung aus, dann wären mindestens die Unterlagen bis einschließlich 1987 einsehbar. Aber für Akten mit Geheimhaltungspflicht gilt eine Frist von 60 Jahren. Im Übrigen sollen Unterlagen über Modrow noch bis in das Jahr 2012 hinein existieren. Auch das Ministerium für Staatssicherheit hat Modrow über viele Jahre überwacht. Diese Unterlagen sind nach Modrows eigenen Erkenntnissen zur Wendezeit in die Hände der Dresdner Residenz des KGB gelangt. Der weitere Verbleib ist ungeklärt. Modrow verlangt zu Recht eine Gleichbehandlung und Offenlegung seiner Unterlagen, die beim westdeutschen Geheimdienst über ihn geführt wurden. Seine Überwachung dort stand offensichtlich im Zusammenhang mit seinen Kontakten zur westdeutschen FDJ. Im Jahr 1958 war er sogar Kandidat der SED für die Wahl zum Abgeordnetenhaus von Westberlin. Auch das dürfte die Aufmerksamkeit westlicher Geheimdienste auf ihn gezogen haben. Dennoch will das Gericht anscheinend jegliche politische Polemik vermeiden.

Die mündliche Verhandlung am 28. Februar endete mit einer vorläufigen Einigung. Zu den von Hans Modrow mitgeteilten Themenkomplexen soll der BND jetzt weitergehende Informationen und Auskünfte zusammenstellen. Dies zumindest für den Zeitraum bis 1988. Modrows Gegenseite hat hierfür zwei Monate Zeit. Reicht Modrow das spätestens dann zu übergebende Material nicht aus, wird das Verfahren vor dem Gericht fortgeführt. Man darf gespannt sein – wie Modrow selbst –, was ihm dann vorgelegt wird.

Auch das Bundesverwaltungsgericht will die Erfüllung dieser Verpflichtung und deren Ergebnis im Auge behalten. Die Causa Modrow scheint also noch nicht zu Ende zu sein. Der von ihm erzielte Teilerfolg zeigt aber, wie wichtig es war, den Gerichtsweg zu beschreiten, auch wenn für alle Beteiligten einschließlich des Verwaltungsgerichts die Materie neu war. Bisher hat noch kein ehemaliger DDR-Bürger auf Einsichtnahme in vom BND oder Verfassungsschutz über ihn geführte Akten geklagt. Nach inoffiziellen Angaben sollen etwa 70.000 frühere DDR-Bürger auch von westlicher Seite überwacht worden sein. Der bisherige Verlauf des Verfahrens stimmt hoffnungsvoll, dass Hans Modrow noch weitere Kläger folgen könnten.


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