Freitag, 11. Juli 2014

Newsletter zu Polizei, Justiz, Knast, Zwangspsychiatrie und die kreative Gegenwehr (Antirepression) (Juli 2014)

Hallo, dies ist die erste Ausgabe des um die Kritik an der Zwangspsychiatrie erweiterten Newsletters. Und mit dem neuen Thema soll es auch losgehen – mit einer neuen Einladung zur fünften Demonstration an der Vitos-Klinik in Gießen: Samstag, 19.7.2014 ab 16 Uhr in Gießen, Licher Straße Demo unter dem Motto „Zwangspsychiatrie abschaffen!“ Beginn: 16 Uhr in der Einfahrt zum Gelände der Vitos Klinik (Gießen, Licher Straße nahe Abfahrt auf der A485) Über das Gelände der Vitosklinik (wie bei den vorherigen Versammlungen auch) Zurück zum Eingang der Vitosklinik an der Licherstraße (Endkundgebung) Ich hoffe, wir sehen uns dort wieder zahlreich und vor allem laut, bunt und einfallsreich. Bringt Ideen mit, Texte usw. Wir sind wieder mit unserem Soundsystem-Fahrradhänger da. Berichte der letzten Demo am 7.6.2014 in Gießen Es gibt einen Text und einen Video: www.youtube.com/embed/nFm2s-7_Ta4 http://forensikwhistle.blog.de/2014/06/09/immer-mehr-psychiatriegegner-demos-dr-ruediger-mueller-isberners-vitos-klinik-18619002/ Nächste Demo danach: In Marburg!!! Es gibt mehrere Zwangspsychiatrien in Hessen und wir wollen auch andere besuchen. In Marburg ist eine Jugend-Forensik auf dem riesigen Vitos-Gelände untergebracht. Noch stehen genauer Ort und Zeit nicht fest. Wir geben das auf der Demo in Gießen bekannt. Wahrscheinlich gibt es in den Tagen danach noch weitere Demos – haltet Euch die Tage frei. Kurz vor den Sommerferien in Hessen wollen wir uns nochmal zeigen!!! Viel Spaß beim Lesen und herzliche Grüße aus der Projektwerkstatt in Saasen, Jörg B. P.S.: Weiterhin offen … wer betreut die Antirepressionsregale in der Projektwerkstatts-Bibliothek (www.projektwerkstatt.de/kabrack)? ******************************** AKTIVITÄTEN GEGEN KNÄSTE UND ZWANGSPSYCHIATRIE Laien- und Selbstverteidigung vor Gericht Es kommt zu immer groteskeren Situation, wenn die arroganten Robenträger_innen auf Menschen treffen, die sich selbst bzw. gegenseitig verteidigen. Richter_innen sind es gewöhnt, Menschen einfach niederzumachen, ihre Bedürfnisse zu übergeben und am Fließband im Schnellverfahren abzuurteilen. Lehnt sich jemand dagegen auf, entstehen die absurdesten Situation. Höhepunkte setzte das Amtsgericht Kerpen jetzt zweimal. Im ersten beschloss das Gericht, dass die (fraglos anwesende) Angeklagte nur körperlich da sei und deshalb als abwesend zu werten wäre. Daraufhin wurde ihr Einspruch gegen den Strafbefehl verworfen und die Verurteilung gültig. Im zweiten verwehrte ein übler Macho-Richter der Angeklagten alle Rechte: Weder Akteneinsicht noch Beweisanträge während der Beweisaufnahme noch eigene Erklärungen waren erlaubt. Das Plädoyer wurde einfach mal ausgelassen, ein Befangenheitsantrag vom befangenen Richter selbst als unzulässig verworfen und dann sofort das Urteil zu verlesen begonnen. Die Angeklagte monierte, sie hätte kein „letztes Wort“ gehabt. Das stimmte, musste selbst der Richter anerkennen, der sein Urteil schon vorzulesen bekommen hatte. Also durfte die Angeklagte was sagen (nachdem das Urteil schon teilverlesen war, also schon beschlossen war!). Die Angeklagte wollte eine Pausen dafür haben, sich das letzte Wort zu überlegen. Die bekam sie nicht und so gab es dann das komplette Urteil ohne letztes Wort. Das Ganze zeigt: Nirgendwo ist soviel und so dreister Rechtsbruch wie durch Richter_innen. Und das beweist wieder, dass sich das Gute nicht von oben schaffen lässt. Wer die Macht hat, Recht zu sprechen, wird verleitet, Recht zu brechen. Mal sehen, was die Folgeinstanzen mit den Ausrastern der Kerpener Richter_innen machen. Auf jeden Fall zeigt sich auch, dass dort Angst herrscht vor Menschen, die sich nicht einfach aburteilen lassen. Mehr: www.prozesstipps.de.vu und www.laienverteidigung.de.vu. Schwerpunktausgabe zu Zwangspsychiatrie von „grünes blatt“ geplant Das „grüne blatt“ ist eine Vierteljahreszeitschrift für emanzipatorischen Umweltschutz, Herrschaftskritik und direkte Aktion. Die nächste Ausgabe soll den Schwerpunkt „Zwangspsychiatrie“ haben. Gesammelt und layoutet werden die Texte in der Projektwerkstatt – Ideen, Vorschläge, Bilder und Texte (Berichte, Interviews usw.) bitte an saasen@projektwerkstatt.de. Seminar vom 14. bis 16. November in der Projektwerkstatt: Anti-Knast und Anti-Psychiatrie Knast und Zwangspsychiatrie sind die härtesten Unterdrückungsformen des Staates und die letzte Drohung der Verhaltensnormierung. Daher ist die Auseinandersetzung mit ihren Strukturen, Wirkungsweisen und Zielen ein wichtiges Feld der Kritik von Herrschaft. ++ Anmelde- und Infoseite: www.projektwerkstatt.de/termine Auf dem Seminar soll es um folgende Themen gehen: Berichte und Innenansichten durch Betroffene, aus Dokumenten und als Film Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Gefängnissen und Psychiatrie sowie deren Fusion (Forensik) Was sollen Strafe und Normierung? Was sagen "kriminell" und "geisteskrank" aus? Was bewirken sie tatsächlich? Kritik an konkreten Verhältnissen und das Problem, damit das System zu legitimieren Nachdenken über eine Welt ohne Psychiatrie und Knäste Schutz vor und Aktionen gegen die Zwangseinrichtungen Hintergrundtext: In der Schulbüchern oder Regierungsbroschüren klingt es toll: Das Einsperren von Menschen soll gewaltförmiges Verhalten stoppen. Tatsächlich tut es genau das Gegenteil. Wie bei jeder anderen autoritären Struktur treten unter Kontrolle, Strafjustiz und Knast deutlich mehr Gewalttätigkeiten auf. Gerichten, Polizei und psychiatrische Kliniken ist das egal. Sie wissen, dass sie zu Kriminalisierung und Unterdrückung selbst beitragen. Seit vielen Jahren wird immer härter bestraft, mehr Überwachung und mehr Kontrolle eingeführt. Menschen bleiben länger in Gefängnissen, immer mehr kommen in die geschlossene Psychiatrie. Grundsätzliche Kritik ist selten. Wenn es um Nazis oder Vergewaltiger geht, stimmen sogar linke Gruppen verblendet in den Chor des Bestrafungs-„Fanblocks“ ein. Das Thema hat es in sich: Der Wegfall von Atomkraft ist für viele noch vorstellbar, ohne grundsätzlich an den Rahmenbedingungen dieser Republik zu rütteln. In der Forderung nach Abschaffung von Strafe und psychiatrischer Diagnose wird hingegen unmittelbar die grundsätzliche Herrschaftsfrage gestellt. Denn ohne Zwangsstrukturen ist kein Staat zu machen. Mit dieser Veranstaltung ist daher die Hoffnung verknüpft, spannende Debatten über eine Welt ohne Herrschaft zu führen, ohne Widersprüche auszublenden. Was sind die Alternativen zu Strafe, Zwangspsychiatrie und Kontrolle? Wie gehen Menschen in einer herrschaftsfreien Gesellschaft mit unerwünschtem Verhalten um? Zum Programm: Neben den Workshops, Kurzvorträgen und Diskussionen Samstag und Sonntag tagsüber gibt es einige feste Zeiten mit Filmen (offen auch für Menschen, die nur zu diesen Phasen kommen wollen). Das Programm (im Rahmen der "Globale Mittelhessen"): Freitag ab 18 Uhr: Buffet und Gespräche ab 20 Uhr: Impressionen in Texten, Geschichten und Gedichten aus Knast und Zwangspsychiatrie 21 Uhr: Fiese Tricks der Justiz - Impressionen an Fallbespielen (Ton-Bilder-Schau mit Jörg Bergstedt) Samstag 18 Uhr: Film "Thorberg" ca. 20 Uhr: Pause mit Buffet, Gesprächen und mehr in der Projektwerkstatt ab 21 Uhr: Wunschfilm-Abend (Open End) mit freier Auswahl von Filmen zu den Themen Knast und Psychiatrie Sonntag 16 Uhr: Kreativ-Café zum Überlegen und Planen von Aktivitäten Ab 18 Uhr: Wunschfilm-Abend (Open End) mit freier Auswahl von Filmen zu den Themen Knast und Psychiatrie Neu: Direct Action Kalender 2015 Im SeitenHieb-Verlag wird demnächst wieder ein direct-action-Taschenkalender erscheinen – diesmal für 2015 (logisch …). Im handlichen A6-Format enthält er neben Kalendarium, Monatsübersichten, Menstruationskalender, Stundenplaner und vielen praktischen Dingen mehr auch Tipps, Tricks und Ideen für kreative politische Intervention von unten. Wem Latschdemos, Onlinepetitonen und Co. zu lahm, zu hierarchisch organisiert oder einfach zu wirkungslos sind, oder wer in netten Dosen über das Jahr verteilt seinen politischen Handlungsrahmen erweitern will liegt mit diesem Kalender genau richtig. Etliche Tipps ranken sich um den Schutz vor Repression, offensive Aktionen und Anti-Knast-Arbeit. Bestellung über www.aktionsversand.de.vu. Kritik der Kritik: Bitte Populismen und Vereinfachungen vermeiden … Komplett absurd ist zum Beispiel die Form des Antiamerikanismus, bei der behauptet wird, die deutsche Sprache werde von US-Wörtern und -Redewendungen überzogen. "Denke auch an den Verrat der deutschen Kultur und der deutschen Sprache durch freiwilliger Aufnahme von allem was amerikanisch ist incl. der Sprache", heißt es zum Beispiel auf einem Antipsychiatrie-Blog wie selbstverständlich. Doch die Annahme ist völlig unsinnig: Es gibt gar kein "amerikanisch". Die Sprache heißt "englisch" und ist eine europäische Sprache. Noch mehr: Unstrittig ist, dass in der Geschichte die Europäer_innen schon einmal Amerika überfallen, ihre Sprache(n) aufgedrückt und große Teile der Bevölkerung abgeschlachtet haben. (Quelle war http://igelin.blog.de/2014/06/12/deutsch-18652954/) Infoseite gegen vereinfachte Welterklärungen: www.kopfentlastung.de.vu Wieder Akteneinsichtsrecht per Gericht durchgesetzt Die „Donautal Geflügelspezialisten-Zweigniederlassung der Lohmann & Co. AG“ (zuvor unter Wiesenhof firmierend) verlor am 20.02.2014 vor Gericht gegen das Landratsamt Straubing-Bogen in Sachen „Informationsgewährung“ nach dem Verbraucherinformationsgesetz. Schon im Herbst 2012 hatte Thomas Meyer-Falk (aus dem Gefängnis heraus) beim Landratsamt Straubing-Bogen nach Informationen zu der zum Konzern der Lohmann & Co. AG gehörenden Zweigniederlassung in Bogen gefragt, d.h. welche Informationen über etwaige Verstöße gegen das Lebensmittelrecht dort bekannt seien. Das Amt hatte mit Bescheid vom 06.11.2012 Zugang zu Unterlagen gewährt, wogegen die Firma vor Gericht zog - und nun in der zweiten Instanz verlor. Mit der Klage sollte verhindert werden, dass ein Verbraucher Zugang zu Feststellungen über irreführende Bezeichnungen von Produkten, Kontrollberichten mit Feststellungen von Mängeln in Bezug auf die Betriebshygiene, Anordnungen wegen der Feststellungen von Mängeln und anderen Unterlagen mehr erhält. Die Eindeutigkeit des Urteils ist erfreulich und stärkt die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich bei den zuständigen Behörden über Verstöße im Bereich des Lebensmittelrechts informieren wollen. Allerdings zeigt die Verfahrensdauer auch, dass ein zeitnaher Informationszugang kaum zu erlangen ist, wenn die betroffene Firma von den ihr zustehenden Rechtsbehelfen umfassend Gebrauch macht. Die Absicht von EU und Bundesgesetzgeber, der mündige/die mündige Verbraucher_in solle sich durch Einholung von Informationen bei den Behörden selbst ein Bild machen können, wird so in der Praxis nur schwer umsetzbar. (Umfangreicherer Text: http://de.indymedia.org/2014/04/353657.shtml) Kleine Korrekturen an den „12 Sofortforderungen gegen Zwangspsychiatrie“ Es hat ja einige Kritiken gegeben und vieles davon ist auch berechtigt. Allerdings bleibt für praktische Widerstandsformen auch sinnvoll, mehr als ein „Alles muss weg“ benennen zu können. Jedenfalls wollen viele daran festhalten, so dass es wohl keine gemeinsame Forderungsliste wird. Das ist nicht schlimm – Widerstand ist halt bunt. Aus den eingegangen Kritik an konkreten Formulierungen haben wir jetzt eine Neufassung gemacht. Die Präambeln bleiben bestehen, an einigen Sätzen ist was verändert worden. Die aktuelle Fassung ist als Datei angehängt. Rückmeldungen sind weiterhin erwünscht. NACHRICHTEN UND INFORS ZUR ZWANGS-PSYCHIATRIE Mollath-Prozess neu gestartet Heute war in Regensburg der erste Prozesstag. Alles, was ich weiß, weiß ich aus den Medien. Daher schreibe ich hier nichts Zusätzliches. Es gibt in den kommenden zwei Monaten fast jeden Werktag eine Verhandlung – ein echter Marathon, in dem die Justiz zu retten versucht, was eigentlich nicht gerettet werden kann (und auch nicht sollte): Ihren guten Ruf und ihre Handlungsfähigkeit, um in Zukunft weiter Leute nach Belieben hinter Gitter (welcher Art auch immer) bringen zu können. Videos zum Thema „Zwangspsychiatrie“ Ich hatte da mal rumgefragt und einige Antworten bekommen – vielen Dank dafür. Da das wahrscheinlich ja für alle nützlich ist, leite ich mal weiter, was gekommen ist: Neuere Videos (auf englisch) finden sich auch auf deren Blog, zum Inhalt kann ich aber nicht sagen: http://freakoutcrazy.com/ Die menschenverachtende Ideologie der Psychiatrie: https://www.youtube.com/watch?v=87Bxbp-HwQI Arte-Doku "Alltag in der Psychiatrie": http://vimeo.com/89846466 Filmesammlung zu Psychiatriekritik bei "Gedankenverbrecher84": http://www.youtube.com/channel/UCY_TWrs2LMxK1I3K5mgyecg Bericht vom 1. Treffen des HU-Arbeitskreises Psychiatrie am 5. Juli 2014 in Marburg Anbei ein Bericht vom Gründungstreffen des Arbeitskreises Psychiatrie. Das nächste Treffen soll am Samstag (22. November) von 12.30 bis 18 Uhr in Marburg stattfinden. Der Raum wird noch bekanntgegeben. Themen sollen der §63 StGB, der in dieser Legislaturperiode reformiert werden soll, und das Therapiekonzept "Ex-In" sein. Nun der Bericht: „ Die Praxis der Zwangseinweisung in die Forensische Psychiatrie steht oft in krassem Gegensatz zu den gesetzlichen Regelungen. Etwa so könnte man die Ausführungen des Rechtsanwalt Ulrich Fuchs aus Miesbach bei der Tagung "Psychiatrie und Menschenrechte" der Humanistischen Union (HU) zusammenfassen. In vier Referaten befassten sich Fachleute am Samstag (5. Juli) im Käte-Dinnebier-Saal des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) mit den Rechtsgrundlagen von Zwangsbehandlung und Begutachtung sowie dem Krankheitsbegriff und dem Umgang mit Psychischen Erkrankungen. Nach der Rechtslage ist eine Zwangsmaßnahme immer das letzte mögliche Mittel. Sie darf ein Gericht nur verfügen, wenn kein milderes Mittel mehr besteht, das die Situation bewältigen könnte. Für eine Einweisung in die Forensische Psychiatrie muss eine Straftat vorliegen. Der Täter muss schuldunfähig oder zumindest vermindert schuldfähig sein. Im Zweifel muss das Gericht immer für die Freiheit des Betroffenen entscheiden, erläuterte Fuchs. Tatsächlich werde aber häufig im Zweifel für das Wegsperren entschieden. Ein Problem sei auch die Gefahrenprognose. Auch hier werde oft zu Lasten des Betroffenen entschieden, sodass er im Zweifel in der Geschlossenen Einrichtung bleiben müsse. Dabei sei jedem klar, wie schwer eine begründete Prognose ist. Dennoch gebe es immer mehr Insassen in den Forensischen Anstalten, obwohl die Zahl der Ersteinweisungen sinke. Diese Diskrepanz entstehe durch die immer längere Verweildauer der Patienten in den Anstalten. Auf ein weiteres Problem wies der Gießener Rechtsanwalt Tronje Döhmer hin. Für die Begutachtung fehlten klare rechtliche Regeln, für die der Gesetzgeber seines Erachtens umgehend sorgen müsse. Die Bestellung von Gutachtern stützt sich in fast allen Rechtsbereichen auf eine Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Sie enthalte jedoch keine Vorschriften zum Verfahren, mit dem der Gutachter ausgewählt wird. Somit sei die Gutachterauswahl im Revisionsverfahren auch nicht so leicht rechtlich angreifbar. Ergebnis dieser mangelnden Rechtsgrundlage seien Kungelei bei der Gutachterauswahl und die ergebnisorientierte Gutachterbestellung. Auch gebe es Fachleute, die ausschließlich von Gerichtsgutachten leben. Döhmer berichtete von mehreren Fällen, in denen der Leiter einer Psychiatrischen Einrichtung "psychiatrisch-psychologische" Gutachten erstattet habe, ohne die jeweiligen patienten jemals gesehen zu haben. Allerdings seien die Betroffenen Patienten seiner Einrichtung gewesen oder nach dem Gerichtsverfahren geworden. Auf ein weiteres Problem machte der Marburger Arzt Christian Zimmermann aufmerksam. Während die meisten somatischen Krankheiten anhand von Substrat wie Blut oder Schweiß sowie durch Messungen diagnostizierbar sind, ist die Diagnose psychischer Erkrankungen sehr viel schwieriger. Viele Erkrankungen seien sehr vage definiert und ebenso unklar zu bestimmen. Als einen Grund nannte der Präsident des Allgemeinen Patienten-Verbands auch die Geschichte des Umgangs mit Psychisch Kranken. Er verwies auf die Massenmorde zur Zeit des Hitler-Faschismus und die ungebrochenen Karrieren der daran beteiligten Ärzte und Juristen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Alternativen zur klassischen Psychiatrie behandelte der Abschlussvortrag von Franz-Josef Hanke. Er beschrieb den Ansatz des italienischen Arztes Franco Vasaria, der 1978 die Schließung der Psychiatrischen Anstalten in seinem Heimatland zugunsten kleiner gemeindenaher Wohngruppen erreicht hatte. Eine ausführliche Debatte drehte sich anschließend um die Notwendigkeit einer psychiatrischen Unterbringung und der Gabe von Psychopharmaka. Hier waren sich die Anwesenden nicht einig. Eine Mehrheit hielt eine kurzzeitige Einweisung unter streng kontrollierten Bedingungen des Persönlichkeitsschutzes für notwendig, während eine Minderheit diese Maßnahmen generell anzweifelte. Am Ende stand die Bereitschaft, die Debatte im Rahmen des Arbeitskreises Psychiatrie der Humanistischen Union weiter zu vertiefen. Dazu soll es am Samstag (22. November) ein erneutes Treffen in Marburg geben. Thema soll dann der Paragraph 63 des Strafgesetzbuchs (StGB) und das Konzept "Ex-In" zur Betreuung Psychisch Kranker durch ehemalige Psychiatrie-Patienten sein. Kontakt: Humanistische Union Marburg, Internet: www.hu-marburg.de. Bündnis gegen Folter in der Psychiatrie Unter http://www.folter-abschaffen.de/ gibt es eine Erklärung zur Zwangspsychiatrie, die vielleicht auch ganz gut verwendbar ist für die öffentliche Auseinandersetzung. Zitat: „Die unterzeichnenden Organisationen haben zur Kenntnis genommen, dass der Sonderberichterstatter über Folter des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Juan E. Méndez, in der 22. Sitzung des "Human Rights Council" am 4. März 2013 Zwangsbehandlung in der Psychiatrie zu Folter, bzw. grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung erklärt hat. unterstützen die Forderung des Sonderberichterstatters, dass "alle Staaten ein absolutes Verbot aller medizinischen nicht einvernehmlichen bzw. Zwangsbehandlungen von Personen mit Behinderungen verhängen sollten, einschließlich nicht-einvernehmlicher Psychochirurgie, Elektroschocks und Verabreichung bewusstseinsverändernder Drogen, sowohl in lang- wie kurzfristiger Anwendung. Die Verpflichtung, erzwungene psychiatrische Behandlung wegen einer Behinderung zu beenden, ist sofort zu verwirklichen und auch knappe finanzielle Ressourcen können keinen Aufschub der Umsetzung rechtfertigen." Deshalb fordern wir alle Landes- und den Bundesgesetzgeber auf, alle Sondergesetze, die psychiatrische Zwangsbehandlung legalisieren, sofort für ungültig zu erklären.** Nur so kann kurzfristig die Forderung nach einem absoluten Folterverbot in Deutschland verwirklicht werden. "Das Verbot der Folter ist eines der wenigen absoluten und unveräußerlichen Menschenrechte, ein ius cogens, also eine zwingende Norm des internationalen Rechts." Verharmlosende Presse Der HR machte inmitten der Auseinandersetzungen um die illegale Zwangspsychiatrisierung von Dennis Stephan eine Werbesendung für Psychiatrien ( 13.2.2014 auf HR1). Dort gab es nur Lob. Der HR selbst kommentiert die Psychiatrien in unjournalistischer Euphorie und Einseitigkeit als "Super-Arbeit". Zu Wort kamen passend nur Befürworter_innen. Im Beitrag wurde die Behauptung, dass alles freiwillig sei und die Behandlungsprogramme sehr spezifisch. Die Zwangspsychiatrie werde ganz verschwiegen (O-Ton des Gefälligkeitsjournalismusses unterhttp://www.hr-online.de/website/radio/hr1/index.jsp?rubrik=67249&key=standard_document_50828807). NACHRICHTEN AUS JUSTIZ UND POLIZEI Versammlungsrecht bricht Polizeirecht Bislang haben sich Stuttgarter Polizei und Strafgerichte um das Versammlungsrecht wenig bis nicht gekümmert. Das könnte jetzt anders werden, denn das Verwaltungsgericht hat klargestellt, dass bei politischen Aktionen sehr wohl darauf zu achten ist. Was eigentlich eine Binsenweisheit ist, können Uniform- und Robenträger_innen jetzt sogar beim Frühstück in der Stuttgarter Zeitung lesen: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.s21-blockadefruehstueck-platzverweise-waren-rechtswidrig.8c2d279b-09a3-4862-b8b7-d4d45ef40cf5.html. Sammlung von Urteilen und Kommentaren zur Frage des Erschleichens beim „Schwarzfahren“ Eine schöne Sammlung hat ein Betroffener mehrere Strafverfahren zusammengestellt. Es geht um die Frage, ob „Schwarzfahren“ auch dann eine Straftat ist, wenn sie nicht erschlichen, also versteckt erfolgt, sondern offen gekennzeichnet. Die Sammlung hilft gegen Staatswillkür, auch wenn sie an Beispielen zeigt, dass die Staatsschergen sich um den Wortlaut von Gesetzen einen feuchten Kehricht scheren, wenn er ihnen nicht passt. Beispiel für ein verwertbares Zitat: „Zum Merkmal der Absicht iS des StGB § 265a. Das Merkmal des Erschleichens wird nicht schon durch die bloße unbefugte unentgeltliche Sichverschaffen erfüllt. Auf die Errichtung eines gewissen Scheins kann dafür nicht völlig verzichtet werden. Wer die Unentgeltlichkeit der Leistung dem Berechtigten oder dessen Beauftragten gegenüber ausdrücklich und offen in Anspruch nimmt, erschleicht nicht. (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Entscheidung vom 21. Februar 1969 - RReg 3a St 16/69). Die ganze Sammlung findet sic hunter www.projektwerkstatt.de/antirepression/ Und: Wer es sich geben will, kann am Di, 15.7., 9.30 Uhr im Amtsgericht Gießen (Gutfleischstr. 1, Raum 204 im Gebäude A) dabei sein … es geht um „Schwarzfahren“, aber mit Kennzeichnung. Angeklagter bin … ich. Seit vielen Jahren Pause kreuzen sich also wieder direkt die Wege von Gießener Robenträger_innen und mir. Mal sehen, wie das jetzt geht – in Jahr 8 nach dem Federballspiel, das alles änderte … Stuttgarter Landrecht? Sie ist zu Ende, die erste Instanz eines atemberaubenden Strafprozesses. Dabei ging es um wenig: Wenige Stunde hatten einige Handvoll Menschen ein Treffen des Ratschlages zu Stuttgart 21 überzogen, um im (eigentlich „offenen“) Rathaus gegen bürger_innenferne Politik und die Stadtzerstörung zu protestieren. Dann verließen sie nach Aufmarsch von Polizei in Räumungsabsicht das Gebäude. Ein Komglomerat von grünem Bürgermeister bis Polizeichef steuerte damals die staatliche Gegenwehr von höchster Ebene aus. Der zivile Mini-Ungehorsam beschäftigte die Stuttgarter Justiz. Sie teilte die Angeklagten in zwei Gruppen. Eine verteidigte sich klassisch-gewaltfrei (zu den eigenen Tagen stehen und dafür werben), die andere in offensiver Prozessführung (www.prozesstipps.de.vu). Während erstere nach wenigen Stunden verurteilt war, lieferte die offensive Gruppe dem völlig überforderten Gericht und der angriffslustigen Staatsanwältin einen Kampf über sieben Verhandlungstage. Beide staatlichen Robenträger_innen zeigten dabei erhebliche Schwächen in Rechtsfragen. Zum Urteil kam es erst, als beide ganz auf die Einhaltung von Verfahrensregeln verzichten. Ob das zulässig ist oder von höheren Gerichten gedeckt wird, dürfte die nächste Instanz zeigen. Rechtsfreier Raum: Gerichtssaal Ich habe ein interessantes Verfahren verloren. Beim Dennis-Stephan-Prozess wurde mit das Filmen verboten – trotz Presseausweis. Dagegen habe ich geklagt. Aber das Verwaltungsgericht fällte kein Urteil und konnte dabei auf ein Verfassungsgerichtsurteil verweisen. Das hatte klargestellt, dass richterliche Maßnahmen gegen Menschen in Gerichtssälen keine Rechtsbeschwerde kennen. Die Robenträger_innen könnten tun, was sie wollen. Auf erstaunte Nachfrage wies der Verwaltungsrichter selbst darauf hin, dass das Gerichtsverfassungsgesetz halt aus dem Kaiserreich stamme. Also: Der offiziellste aller rechtsfreien Räume ist das Gericht selbst! STAATSMACHT IM ALLTAG Brutaler Abschiebungsversuch in Göttingen Am 10.4. versuchten Polizeieinheiten in Göttingen, eine Abschiebung gegen den Widerstand etlicher Unterstützer_innen der Abzuschiebenden durchzusetzen. In einem Bericht heißt es: "Die Göttinger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) wurde beauftragt, eine Abschiebung durchzusetzen. Die vom Corpsgeist offensichtlich durchsetzten, hochgradig aggressiven BeamtInnen, taten alles was möglich war, um diese Amtshilfe zu ermöglichen. [...] Auf der Rückseite drangen jedoch schließlich die PolizeibeamtInnen über ein, im Parterre gelegenes, Kinderzimmer in das Haus ein. In diesem Zimmer saß ein Kind auf seinem Bett, welches von dort aus die gesamte Situation beobachten musste. Die im Haus versammelten AntirassistInnen wurden, im Schutz vor der Öffentlichkeit, von den PolizeibeamtInnen systematisch zusammengeschlagen und danach durch das Kinderzimmer nach draußen geprügelt. Diverse Personen zogen sich Platzwunden, blaue Augen sowie diverse andere Verletzungen zu. Mindestens zwei Personen kollabierten. Der Einsatz von Notärzten war erforderlich. [...] Trotz all dem ließen sich die AntirassistInnen und betroffenen Personen in ihrem Protest nicht beirren und so gaben die PolizeibeamtInnen schließlich gegen 8:30 Uhr auf. Die Abschiebung konnte (zumindest für diesen Tag) verhindert werden." KNAST UND STRAFE Sicherungsverwahrung bis zum Tod? Der Vorwurf klingt hart. Aber vergegenwärtigt man sich, dass in der JVA Freiburg binnen eines Jahres zwar zwei Verwahrte verstarben, aber keiner auf Bewährung entlassen worden ist, erscheint vielleicht der etwas reißerisch klingende Vorwurf des „todesstrafenähnlichen Verwahrvollzugs“ nicht mehr ganz so abseitig. Wahr ist, hier wird keine Guillotine, kein Galgen aufgestellt, um Menschen hinzurichten; auch ist der Vollzugsalltag nicht gerade von physischer Härte geprägt. Trotzdem werfen immer wieder Verwahrte den JustizmitarbeiterInnen vor: „Ihr wollt uns alle umbringen“. Und zwar, indem die Betroffenen durchweg pathologisiert werden; da wird die meist etwas dunkle Zelle des Herrn J. zur „Räucherhöhle“ und dient als Beleg für die schwere psychische Störung des Verwahrten. Sein Argument, er könne nach über 10 Jahren SV das Gitter einfach nicht mehr sehen, das zählt dabei nicht. Durch die Wertung fast jeder Lebensäußerung als Symptom für eine (zu behandelnde) psychische Störung, sichert die Justiz die dauerhafte Einsperrung der Betroffenen ab. So dass tatsächlich ein Großteil der Verwahrten sich darauf einstellen muss, hier auch zu sterben. Allenfalls kurz vor dem Tod in ein Gefängniskrankenhaus verlegt zu werden (Quelle). Gibt es „Schuld“ bei Straftaten? Seit etlichen Jahren verschärft sich die Debatte um die Frage, ob es Schuld im strafrechtlichen Sinne überhaupt geben kann. Schon die Soziologie hatte hier einige Kritik anzumerken mit der Vermutung, dass Taten aus sozialen Kontexten heraus entstehen und begangen werden. Schuld wäre also das soziale Geflecht und nicht die Einzelperson. Die moderne Hirnforschung hat weitere Irritationen bewirkt. Die traditionell rückwärts gewandte, viele Jahrzehnte hinterher hinkende Justiz ist noch weit entfernt, hier wirklich zu reagieren. Doch die Debatte läuft. Eine aktuelle Veröffentlichung entwickelt dazu einen Vorschlag: Die Strafjustiz solle in Zukunft Abweichung von der Norm bestrafen, ohne Schuld festzustellen. Das wäre auf jeden Fall ehrlicher, weil es auch jetzt schon so ist, aber hinter dem Schuldbegriff und der Sühneidee verschleiert wird: Der Staat bestraft die Missachtung seiner Normen, nicht die eigentliche Tat. Wer den Vorschlag nachlesen will, findet das Buch von Tatjana Hörnle unter dem Titel „Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf“ (2013, Nomos in Baden-Baden, 83 S.). Bedauerlich ist der hohe Preis von 24 € für das doch eher kleine Werk. TERMINE Neben der Demo am 19.7. in Gießen, am Mittwoch drauf in Marburg sowie dem Seminar zu Knast und Antipsychiatrie gibt es etliche Seminare in der Projektwerkstatt zu politischen Themen. Genauere Infos und mehr Termine unter www.projektwerkstatt.de/termin.html. Zum Thema passen könnten vor allem: 19. bis 21. Dezember: Sich einmischen – Akten und Pläne studieren, mitreden und protestieren vor Ort Kreativer und widerständiger Protest ist gut. Das dürfte inkompatibel sein mit dem Versuch, sich ständig mit den Herrschenden und Privilegierten zu verbinden, um kleine Vorteile zu ergattern, aber damit das Ganze selbst zu unterstützen. Es bedeutet aber nicht, zu den Strukturen des herrschenden Systems ohnmächtigen Abstand zu halten. Ganz im Gegenteil: In den Kochtöpfen der Macht herumrühren, genau hinzugucken, Interessen zu demaskieren, Vorhaben frühzeitig und genau zu kennen, verbessert die Handlungsmöglichkeiten. Darum soll es gehen: Die vorhandenen Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten im Rahmen des bestehenden Systems kennenzulernen, um sie – neben der direkten Aktion – optimal nutzen zu können, z.B. Akteneinsichtsrecht, Verwaltungsklagen gegen Planungen und Behördenentscheidungen, Bürger_innenbeteiligung bei Bauvorhaben, nach Immissionsschutzrecht usw. 26. bis 28. Dezember: Den Kopf entlasten - Kritik anti-emanzipatorischer Positionen in politischen Bewegungen Monsanto ist schuld. Nein, die Bilderberger. Quatsch, das Finanzkapital macht alles kaputt. Hinter allem stecken zwei Bankierfamilien. Europa _______________________________________________ Mailingliste von Hoppetosse - Netzwerk für kreativen Widerstand. Alle Infos und Formular für Aus-/Eintragen sowie Archiv: www.projektwerkstatt.de/hoppetosse.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen