Mittwoch, 30. Juli 2014

Polizei & Nazis

Die Bochumer Rechtsanwältin Anne Mayer hat an der Sitzung des Innenausschusses teilgenommen, auf der der Nazi-Überfall auf das Dortmunder Rathaus am Abend der Europa- und Kommunalwahl zur Diskussion stand. Vor diesem Hintergrund hat sie einen Offen Brief an den Polizeipräsidenten in Dortmund geschrieben, in dem sie thematisiert, wie die Dortmunder Polizei Nazi-Aktivitäten verharmlost, rechtfertigt oder verschweigt. Sie stellt dar, mit welcher unglaublichen Dreistigkeit die Polizei den NazigegnerInnen Gewaltbereitschaft unterstellt, indem sie sich auf ein obsoletes Urteil beruft, das das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig qualifiziert hat. Der Offene Brief im Wortlaut: Bericht des Innenministers zum Überfall auf das Rathaus Dortmund am 25.5.2014 Sitzung des Innenausschusses am 26.6.2014 Sehr geehrter Herr Polizeipräsident Lange, die o.g. Sitzung habe ich besucht und die Diskussion um den Bericht des Innenministers verfolgt. Neben dem Herrn Innenminister standen auch der Inspekteur der Polizei NRW und ein Vertreter des Polizeipräsidiums Dortmund für Erläuterungen und zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung. Der Bericht des Innenministeriums beruht ausschließlich auf Angaben der Polizei. Er läßt sich dahin zusammenfassen: Zwei politisch gegensätzliche Gruppen trafen aufeinander. Beide Seiten waren aggressiv, die Attacken aus der bürgerlich/linken Gruppe gingen auch dann noch „fortwährend“ weiter, als die Lage bereits beruhigt war und heizte dadurch die Emotionen unter den Rechten immer wieder an (S.8). Video-Aufnahmen, so die Kritik im Innenausschuß, geben einen anderen Sachverhalt wieder. Es hätte auch keine Vermummung im strafrechtlichen Sinne gegeben, sondern mit Reizgas angegriffene Menschen hätten sich geschützt. Angreifer war die Neo-Nazi-Gruppe um Herrn Borchardt, was in den Videos deutlich zu sehen sei. Ein Parlamentarier, der sämtliche Videos gesichtet hat, konnte darauf nur einen Fußtritt Richtung Neonazis ausmachen. Das Verhalten der rechten Gruppierung wird nicht konkret benannt und heruntergespielt. Die Maßnahmen der Polizei ließen die Rechten „ohne größeren Widerstand über sich ergehen“ (S.8). Welch kleinerer Widerstand vorgefallen ist, wird nicht erwähnt. Tatsachen statt Wertungen sind von einem solchen Bericht zu verlangen. Selbst daß ausländerfeindliche Parolen gebrüllt wurden, wird noch zu entschärfen versucht. Es sei nicht die gesamte Gruppe gewesen, die solches tat. Diese Darstellung ist sprachlich und von ihrer Intention durchsichtig: es wird nicht beschrieben, was an Bemerkenswertem oder gar Strafbarem passiert ist, sondern es wird dargestellt, was sozusagen positiv war und für die Neonazis spricht: es waren nicht alle aus der Gruppe daran beteiligt. Das Skandieren volksverhetzender Parolen ist auch strafbar, wenn ein Einzelner sie ausspricht und nicht nur dann, wenn alle aus einer Gruppe gleichzeitig solche Parolen rufen. Mit dieser Begründung durch den Innenminister sollte erklärt werden, warum die Polizei Dortmund in den Bericht aufnahm, es habe zu keinem Zeitpunkt entsprechende Rufe durch die gesamte Gruppe der rechten Szene gegeben. Juristisch falsche Aussagen können keine Erklärung dafür bieten, Verhalten zu beschönigen. Sie können – und sollen? – aber verwirren. Zehn Personen wurden leicht verletzt, wer zu den Verletzten gehörte, bleibt unbenannt. Den Medien war zu entnehmen, daß es Menschen waren, die sich der Neonazi-Gruppe in den Weg gestellt hatten. Einem der Betroffenen wurde eine Flasche gegen den Kopf geworfen, dies führte zu einer Platzwunde direkt neben seinem Auge (WAZ v. 27.5.2014). Der Alkoholisierungsgrad von Politikern wurde thematisiert. Welche sachliche Bedeutung dies haben könnte, wurde schon deshalb nicht ersichtlich, weil der Alkoholisierungsgrad der angreifenden Neonazis keiner Erwähnung wert war. Der Bericht wirft Fragen auf. Nur noch ein Punkt sei angeschnitten, eines der peinlichsten Beispiele, die Anfrage des Staatsschutzes bei den Rechtsextremen, wo sie den Abend zu verbringen gedenken. Schon die Frage an Neonazis zu stellen bedeutet, auf deren Antwort könne irgendetwas gestützt werden, deren Gespräche mit der Polizei seien wahrhaftig. Mit diesen Anmerkungen zum Polizeibericht will ich mich begnügen. Erstaunlich war, welche juristische Behauptung seitens der Polizei aufgestellt wurden. Der Vertreter der Polizei erklärte dem Ausschuß, das Verhalten der Gruppe aus dem linken bürgerlichen Spektrum auf der Rathaustreppe sei strafbar gewesen, es erfülle den Tatbestand einer Nötigung. Eine Nötigung werde auch dann verwirklicht, wenn psychische Gewalt ausgeübt werde, das ergebe sich aus dem sog. Läpple-Urteil. Es ist kaum zu glauben, daß eine solche Auffassung im Jahr 2014 ernsthaft vertreten wird. Das Läpple-Urteil erging im Jahr 1969. Psychischer Zwang sollte nach der damaligen Auffassung des BGH den Tatbestand einer Nötigung in der Variante Gewaltausübung erfüllen. Nicht nur am Rande sei bemerkt, daß dieses Urteil unter dem Vorsitz eines Richters erging, Herrn Paulheinz Baldus, der juristischer Mitarbeiter in der Präsidialkanzlei Hitlers war und im Krieg als Feldkriegsgerichtsrat gewirkt hatte ( Ingo Müller, „Furchtbare Juristen“ S. 274/275, Neu-Auflage 2014). Diese uferlose Ausweitung des Nötigungstatbestandes entgegen des Wortsinns und Zweck des Gesetzes war von Anfang an umstritten. Am 10.1.1995 erging dann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, die diese Auslegung als verfassungswidrig qualifzierte. Damit kann die Auslegung des Gewaltbegriffs nicht mehr erfolgen wie im sog. Läpple-Urteil, dies wäre verfassungswidrig. Die BGH- Entscheidung wurde vor bald 20 Jahre aufgehoben, sie hat aktuell keinerlei rechtliche Bedeutung mehr, sie ist rechtshistorisch noch interessant – dennoch beruft sich ein Vertreter der Polizei Dortmund noch heute auf eine obsolete, wegen Verfassungswidrigkeit aufgehobene Entscheidung. Der Vertreter der Polizei, der gerade auch zum Einsatz am 25.5.2014 in Dortmund Angaben machen sollte, begründete damit die Strafbarkeit derjenigen, die sich der Neonazi-Gruppe entgegenstellten. Dieser Auslegung soll gefolgt werden, um damit das Vorgehen gegen die protestierende Gruppe aus dem linken/bürgerlichen Spektrum zu rechtfertigen. Ermittlungsverfahren wegen Nötigung anzustrengen ist dann logische Folge. Zwar aufbauend auf einer falschen Prämisse, weil damit eine verfassungswidrige Rechtsauffassung weiter angewandt werden soll, deshalb auch als Folge nicht haltbar ist. Sollte die Dortmunder Polizei eine solch grundlegende gerichtliche Entscheidung wie das Blockade-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht kennen, wäre das äußerst bedenklich. Genauso bedenklich wäre es, die Polizei kennt dieses Urteil, verbreitet aber öffentlich die überholte Rechtsprechung als geltendes Recht und stützt darauf polizeiliche Maßnahmen. Mit nachdenklichen Grüßen Mayer Rechtsanwältin

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