Mittwoch, 23. Juli 2014
Kampfdrohnen-Debatte
IMI-Analyse 2014/023 - in: Zeitung gegen den Krieg (ZgK) Nr.38
Kampfdrohnen für die Bundeswehr: (K)eine Scheindebatte
http://www.imi-online.de/2014/07/21/kampfdrohnen-fuer-die-bundeswehr-keine-scheindebatte/
Christoph Marischka (21. Juli 2014)
Drohnen längst im Einsatz
Nach eher zaghaften Andeutungen des damaligen
Bundes”verteidigungs”ministers De Maizière im Jahr 2012 legte sich
dieser Anfang 2013 auf den Kauf bewaffneter Drohnen fest. Vorangegangen
waren zu diesem Zeitpunkt schon umfangreiche Vorarbeiten des
Ministeriums: Eine Studie zur Wirksamkeit von unbemannten
Luftangriffsflugzeugen, Konzeptionelle Grundvorstellungen zu ihrem
Einsatz und eine “Technikfolgenabschätzung”. Bereits seit 2004 forscht
die Universität der Bundeswehr in München an unbemannten Kampfflugzeugen
mit Tarnkappeneigenschaften und einem hohen Grad an Autonomie, die in
ganzen Schwärmen von einer einzelnen Person überwacht verschiedene Ziele
angreifen und gegnerischen Stellungen ausweichen können. Seit mehreren
Jahren wird außerdem die Entwicklung eines “Wirkmittels zur
abstandsfähigen Bekämpfung von Einzel- und Punktzielen” (Wabep) aus dem
Bundeshaushalt querfinanziert, das aus einem Verbund zwischen
Aufklärungsdrohne und Rakete bzw. Kamikazedrohne besteht.
Mit Unterstützung der Bundesregierung hat parallel die Europäische Union
verstärkt ab 2007 umfangreich die Entwicklung von unbemannten Flugzeugen
insbesondere für die Bekämpfung “illegaler Migration” und den
Katastrophenschutz finanziert und kam damit der Forderung der sich
formierenden EU-Rüstungsindustrie entgegen, die diesen Trend bis dahin
weitgehend “verschlafen” und dann um den Komplex Drohnen herum
intensiven Lobbyismus entwickelt hatte. Dass es dabei ganz konkret auch
um die Förderung militärischer Fähigkeiten und die Schaffung
entsprechender Industrieverbünde ging, hat die Europäische
Rüstungsagentur EDA offen eingeräumt, die zeitgleich konzeptionelle
Grundlagen für den gemeinsamen Einsatz militärischer Drohnen
erarbeitete. Gegenüber der NATO hat sich die Bundesregierung außerdem
verpflichtet, hochfliegende Drohnen von der Größe herkömmlicher
Passagierflugzeuge für die abbildende Aufklärung anzuschaffen und mit
dem US-Drohnenhersteller Northrop Grumman den später geplatzten Auftrag
über die Anschaffung des “Euro Hawk” zur signalerfassenden Aufklärung
abgeschlossen. Aufklärungsdrohnen mit kleinerer Größe und Reichweite
waren da bei der Bundeswehr jedoch schon seit über einem Jahrzehnt, u.a.
im Kosovo und Afghanistan im Einsatz.
Kampagne und Rahmenbedingungen
Trotzdem verursachte die Ankündigung der Anschaffung bewaffneter Drohnen
für die Bundeswehr große Aufregung und stieß eine intensive, überwiegend
von Ablehnung geprägte Debatte an. Die Gegner aus Friedensbewegung und
überwachungskritischer Bewegung organisierten sich u.a. in der “Kampagne
gegen die Etablierung von Drohnentechnologie für Krieg, Überwachung und
Unterdrückung” (drohnen-kampagne.de), die schnell über 150
Organisationen und 20.000 Unterschriften hinter ihrem Appell “Keine
Kampfdrohnen” versammeln konnte. Zwar wurde ihr bislang eher wenig
öffentliche Aufmerksamkeit zuteil, es gelang ihr jedoch u.a. mit ihren
“Wahlprüfsteinen”, die damaligen Oppositionsparteien im Wahlkampf auf
eher drohnenkritische Standpunkte zu verpflichten, außerdem sorgte sie
für einen hohen Grad an Informiertheit und Vernetzung zwischen
Kritiker_innen der Nutzung von Drohnen im In- und Ausland und zwischen
den entsprechenden Bewegungen weltweit.
Denn die internationale Dimension war und ist von größter Bedeutung:
Sowohl in den Einsatzgebieten (u.a. Jemen und Pakistan) als auch in den
USA selbst wuchs der Widerstand gegen die US-Drohnenkriegführung, die in
engem Zusammenhang mit den von Edward Snowden aufgedeckten Praktiken
westlicher Geheimdienste steht. Ein engagierter Jornalismus, wie er
zuvor Jahre lang gefehlt hatte, deckte zudem die Bedeutung der US-Basen
AfriCom und Rammstein in Deutschland für diese Kriegführung auf.
Ansonsten gegenüber der eigenen Regierung eher unkritische Thinktanks in
den USA warnten zugleich vor der Tendenz der wachsenden Autonomie von
Waffensystemen, wobei sie sich allerdings stark auf die Entkoppelung des
Einsatzes tödlicher Gewalt von menschlicher Entscheidung und
Verantwortung fokussierten. Trotzdem führten all diese Tendenzen
gemeinsam mit dem spektakulären, millionenschweren Scheitern der
Euro-Hawk-Anschaffung für eine belebte und im besten Sinne aufgeregte
Debatte in Deutschland.
Vom Schutz der Soldaten und der Ausweitung der Kampfzone
Entsprechend wurden für die Bundeswehr vor der Wahl im Herbst 2013 keine
bewaffneten Drohnen mehr gekauft und die neuen Verteidigungsministerin
Von der Leyen mied das Thema zunächst auffallend. Stattdessen überließ
sie es Vertretern der Rüstungsindustrie und der Bundeswehr selbst, auf
die Entscheidung zur Anschaffung zu drängen. Diese führten zwei weitere
Argumentationsstränge in die Diskussion ein. Das war einerseits – sehr
vehement und wirkmächtig – die vermeintliche Notwendigkeit bewaffneter
Drohnen für “den Schutz deutscher Soldatinnen und Soldaten” und
andererseits – mit deutlich weniger öffentlicher Relevanz – die
parlamentarische Kontrolle, der ja alle Auslandseinsätze und zukünftig
auch der Einsatz von Drohnen unterliegen sollten. Gemeinsam ergaben sie
(sicher nicht zufällig) die Vorlage für die Entscheidungsfindung für Von
der Leyen: Aus Verantwortung gegenüber den Soldaten müssen diese neuen
Waffen angeschafft werden, die Verantwortung für ihren Einsatz wird ja
dann im Einzelfall dem Parlament obliegen. Diese Entscheidung deutete
die Ministerin dann just einen Tag vor einer “öffentlichen”
(Journalist_innen waren zugelassen, eine Video-Übertragung nicht)
Anhörung des Verteidigungsausschusses mit Sachverständigen an. Diese von
Regierungsseite als Höhepunkt und Abschluss der Debatte gedachte,
tatsächlich kontroverse Anhörung entsprach weitgehend den genannten
Rahmenbedingungen: Vertreter des Militärs widerholten in
abwechslungsweise rührseliger (wenn es um die eigenen Soldaten ging) und
martialischer Sprache (wenn es um den zu neutralisierenden Feind ging)
das einzige Argument des Schutzes der Soldaten, wiesen alle Argumente
der Kritiker_innen pauschal zurück und wurden darin von den
Unionsfraktionen bestärkt. Diese Argumente waren jedoch durchaus
substanzhaltig. Marcel Dickow von der Stiftung Wissenschaft und Politik
(SWP) beschrieb ausführlich die längst entfaltete Dynamik hin zu mehr
Autonomie, Niklas Schörnig von der Hessischen Stiftung Friedens- und
Konfliktforschung (HSFK) betonte die drohende Entgrenzung und
Beschleunigung des Schlachtfeldes und die Transformation von Doktrin,
Strategie und Taktik (auch aufseiten der Gegner). In eine ähnliche
Richtung argumentierte ich als Mitglied der Drohnen-Kampagne und
Vertreter der Informationsstelle Militarisierung: Der Wunsch nach
bewaffneten Drohnen sei Ausdruck einer bereits stattgefundenen
Entgrenzung und Enthemmung bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen
der Bundeswehr ohne nennenswerte Risiken eigener Verluste, klare Ziele
und damit auch die Gefahr des Scheiterns. Über den konkreten Verlauf
dieser Missionen und etwa die Zahl getöteter Zivilisten werde das
Parlament nicht unterrichtet und es interessiere sich auch nicht
sonderlich dafür. Allein die Debatte um den Schutz der Soldat_innen und
die Sprache der Militärs offenbare außerdem eine zunehmend offensivere
taktische Ausrichtung, die sich alleine durch die Diskussion um
bewaffnete Drohnen entfalte. Erstaunlicher Weise knüpften insbesondere
die Abgeordneten der SPD hieran an und fragten mehrmals, in welcher der
aktuellen Missionen ein solches Waffensystem gebraucht werde und weshalb
die Militärs davon ausgingen, dass sich Szenarien wie in Afghanistan
wiederholen würden. Auch die Abgeordneten der Grünen und der LINKEN
brachten durch ihre Fragen ihre tendenzielle bis entschiedene Ablehnung
bewaffneter Drohnen zum Ausdruck.
Keine Scheindebatte
Mittlerweile ist klar, dass mittelfristig auf europäischer Ebene eine
bewaffnungsfähige Drohne entwickelt werden und kurzfristig durch
Deutschland eine bewaffnungsfähige Drohne für die Luftwaffe gemietet
werden soll. Die anderen Teilstreitkräfte werden nachziehen wollen und
die anstehende tatsächliche Bewaffnung und konkrete Einsätze die
Diskussion weiter am Laufen halten. Denn trotz umfangreicher und
strategischer Inszenierung handelt es sich hier um keine Scheindebatte.
Vielmehr entzündet sich an den Drohnen als expliziter Offensivwaffe eine
breite Diskussion um die Militarisierung der deutschen Außenpolitik, an
den Standorten der US- und der zukünftigen deutschen Drohnenkriegführung
formiert sich Protest. In ihrem Kommentar zur Anhörung schrieb etwa die
Südwestpresse: “Die Bundeswehr ist eine Verteidigungsarmee. Passen zu
diesem Auftrag bewaffnete Drohnen?”. Während die Eliten verstärkt eine
neue Großmachtrolle für Deutschland einfordern – für die die Anschaffung
von Kampfdrohnen folgerichtig wäre -, zeigt sich in der breiten
Ablehnung der Bevölkerung gegen Kampfdrohnen die Ablehnung der
aggressiven, militaristischen, teuren und gefährlichen Entgrenzung der
herrschenden Außenpolitik. Jedes neue Waffensystem ist Ausdruck und
befördert eine neue Strategie, aber wann wurde zuletzt so heftig um die
Einführung eines neuen Waffensystems gestritten?
--
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e. V.
Hechingerstrasse 203
72072 Tübingen
Telefon: +49 7071 49154
Telefax: +49 7071 49159
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