Mittwoch, 30. Juli 2014
Mexico: Wachstum, bis der Vulkan explodiert?
Von Philipp Gerber
Ein "ökologischer" Flughafen mitten in einem künstlichen See? Eine Gaspipeline am Fusse des aktiven Vulkans Popocatepetl? Eine Goldmine unter einem AKW? Staudämme in Erdbebenzonen? Für mexikanische Behörden prioritäre Entwicklungsprojekte. Für die Schweizer Wirtschaft eine Chance. Für die Bevölkerung ein Kampf um Leben und Territorium. Ein Blick von unten auf den Wachstumswahnsinn in Mexiko.
Die Wirtschaft brummt nicht in Mexiko. Ganz entgegen der Lobhudeleien am WEF, wo die Strukturreformen des neuen Präsidenten Enrique Peña Nieto als "mexikanischer Moment" gefeiert wurden, wächst das mexikanische Bruttoinlandprodukt in diesem Jahr voraussichtlich um schwache 2 Prozent. Und dies, obwohl die Regierung nichts unversucht lässt, um Ressourcen und Schlüsselbereiche, insbesondere den Energiesektor, in den Ausverkauf zu geben. Wie weit dies geht, und welche sozialen Konflikte sich dabei auftun, zeigt sich am eindrücklichsten auf einer kleinen Tour durch den indigen geprägten Süden des Landes.
Nie werden wir unser Land verkaufen
In der nahe Mexiko-Stadt gelegenen Texcoco-Ebene soll ein Flughafenneubau entstehen. In Sichtweite der östlich davon gelegenen legendenumworbenen Vulkane Popocatepetl und Iztaccihuatl hat die Gemeinde Atenco im Jahre 2001 einen erbitterten Widerstand gegen ein solches Flughafenprojekt gewonnen, und dafür einen hohen Preis bezahlt, in Form von Verhaftungen, sexueller Folter bis hin zu Mord. Nun soll ein "Ciudad Futura" genanntes "ökologisches" Grossprojekt den ehemaligen Texcoco-See wiederentstehen lassen, der in den letzten Jahrhunderten ausgetrocknet wurde. Und mitten drin hats dann praktischerweise Platz für den neuen Flughafen. Dabei geht es "um nicht weniger als ein Luftfahrtdrehkreuz für Nord- und Südamerika", warnen die Stadtforscherinnen Anke Schwarz und Monika Streule in ihrem Freitag-Artikel "Von wegen biologisch". Der Kampf der BäuerInnen von Texcoco um ihr Territorium geht in eine neue, noch schwierigere Runde. Einige haben das Handtuch geworfen und stimmen den Regierungsplänen zu. Für andere undenkbar: "Nie werden wir
unser Land verkaufen", bekräftigt die lokale Widerstandsfront FPDT.
Auf der anderen Seite des aktiven Vulkans Popocatepetel, in den Dörfern am Fusse des 5426 Meter hohen Berges mit seiner ständigen Rauchwolke, ist ein ähnlicher Kampf im Gange. Eine 160 Kilometer lange Gaspipeline soll durch drei Bundesstaaten von Tlaxcala über Puebla bis nach Morelos führen. Dort im Dorf Huexca, in einem gegen den Willen der Bevölkerung gebauten Thermoelektrizitätswerk angekommen, wird das Gas dann zur Stromerzeugung genutzt. Dafür wird auch eine grosse Menge Wasser benötigt, das dann verunreinigt durch verschiedene Substanzen wie Stickstoff und Phosphor wieder in einen Fluss geleitet wird. Dieses Megaprojekt zur Stromerzeugung unter den Namen "Projekt Integral Morelos" (PIM) betrifft 80 Gemeinden in den drei Bundesstaaten, die nicht vorgängig über das Projekt informiert wurden. Die spanischen Unternehmen Abengoa, Enagás und Elencor sowie die italienische Firma Bonatti sind am Bau beteiligt. Das hohe Risiko einer Gaspipeline auf vulkanischem Gebiet wird ignoriert. Zudem würde die Pipeline im Falle eines grossen Vulkanausbruchs wichtige Fluchtwege der Bevölkerung versperren.
Repressionswelle gegen die sozialen Bewegungen
Die protestierenden Gemeinden am Fusse des Vulkans schlossen sich in der BürgerInnenbewegung "Frente de Pueblos en Defensa de la Tierra y Agua Morelos, Puebla y Tlaxcala" (FDPT) zusammen, sie jagten, teilweise handgreiflich, Firmenvertreter zum Teufel und organisierten Proteste und juristische Schritte gegen das Projekt. Seit April 2014 hat der Staat zum Gegenangriff geblasen. Ein Dutzend der AktivistInnen wurde verhaftet, auch drei Anführer des Widerstands in Puebla, denen langjährige Gefängnisstrafen drohen, darunter die 60-jährige Enedina Rosas Vélez, Gemeindelandvorsteherin von San Felipe Xonacayucan. Bei einem Gefängnisbesuch der Zeitung "La Jornada" erklärte die einfache Bäuerin, dass die Vertreter der Energiebehörden Haus für Haus besuchten, um die Leute mit Bestechung oder Bedrohung zur Hergabe ihrer Ländereien für den Gaspipeline-Bau zu zwingen: "Sie sagten mir viele Male: im Guten oder im Schlechten werdet ihr unterzeichnenmüssen." Die Pipeline wird inzwischen unter der Bewachung der mexikanischen Armee vorangetrieben. Auf die Verhaftungen reagierte die soziale Bewegung mit Demonstrationen von bis zu 60.000 Personen und mit neuen juristischen Strategien.
Die Repressions-Offensive gegen die Bewegungen zur Verteidigung der Territorien erreicht auch die Vernetzung der StaudammgegnerInnen. Jüngstes Beispiel ist die Verhaftung von Marco Antonio Suástegui, Sprecher des "Consejo de Ejidos y Comunidades Opositoras a la Presa La Parota" (Cecop) nahe Acapulco, Guerrero. Der Cecop wehrt sich seit zehn Jahren gegen den geplanten Megastaudamm La Parota im Papagayo-Fluss. Der Widerstand gegen La Parota ist ein emblematischer Fall für die Opposition der mexikanischen Landbevölkerung gegen Megaprojekte auf ihrem Territorium. Die Verhaftung vollzog ein Grossaufgebot von Polizisten am 17. Juni 2014, Suástegui wurde geschlagen und innerhalb von wenigen Stunden in das Hochsicherheitsgefängnis im Bundesstaat Nayarit befördert, wo sein Anwalt bei einem ersten Besuch die Spuren der Folter konstatieren konnte. Gegen allfällige Aktionen des Cecop hat sich schon mal das Militär in unmittelbarer Nähe der Gemeinden in Stellung gebracht. Der Staudamm oberhalb von Acapulco wäre wie andere geplante Wasserkraftwerke ein sogenanntes ökologisches Projekt, das auch im Rahmen der internationalen Klimawandel-Mitigation zu günstigen Krediten käme. In Guerrero und Oaxaca finden zudem oft häufige und heftige Erdbeben statt. Die Konstruktion von Staudämmen setzt die Bevölkerung zusätzlichen Risiken aus.
Angriff des "grünen" Kapitalismus
Auch im benachbarten Oaxaca sind solche "grünen" Projekte im Aufwind: Innert wenigen Jahren bauten europäische Firmen 14 Windparks mit über 1500 Windrädern, ohne dass ein Konsultationsprozess der indigenen Gemeinden stattgefunden hätte. Nur eines dieser Projekte konnte erfolgreich verhindert werden. Es hätte das Lagunensystem vor der Stadt Juchitan beeinträchtigt. Im Zuge des Widerstands gegen die Windkraftprojekte kam es zu mehreren Auseinandersetzungen mit der Polizei, welche die Investitionen gewaltsam vorantreiben wollte. Doch die grösste Gefahr geht von den Pistoleros aus, Sicherheitspersonal der Firmen, das auch mal die Schmutzarbeit erledigt: Am 21. Juli 2013 wurde Héctor Regalado Jiménez, Fischer und Aktivist der lokalen Widerstandsgruppe APPJ gegen das Windkraftprojekt der spanischen Gas Natural Fenosa, von Pistoleros angegriffen, sechs Kugeln trafen ihn. Nach zehn Tagen Agonie verstarb er am 1. August. Eine Mordklage ist hängig, eine Verurteilung unrealistisch. Die spanische Firma hat alle Verantwortung von sich gewiesen.
Einige Hoffnung schöpft die territoriale Verteidigung gegen die Angriffe des "grünen" Kapitalismus im Bereich des Bergbaus. Zwar ist inzwischen sage und schreibe ein Viertel des riesigen Landes an Bergbaufirmen konzessioniert. Aber die ökologischen Folgen sind zu katastrophal, und die negativen Beispiele machen Schule, so dass sich die Gemeinden, die von neuen Projekten betroffen sind, massiv zur Wehr setzen. In Oaxaca konnten von 35 Projekten erst zwei realisiert werden. Wobei das Damoklesschwert "Konzession" weiterschwebt. Eine Konzession ist 50 Jahre gültig und kann dann ohne grossen Aufwand um weitere 50 Jahre verlängert werden. Ein Jahrhundert lang müssen die Gemeinden auf der Hut sein! Deshalb suchen die Vernetzungen im Bergbauwiderstand neue Strategien der Verteidigung. Mehrere Gemeinden erklären sich inzwischen zum "Bergbaufreien Territorium". In einem historischen Gerichtsentscheid erreichte die Nahua-Indigena-Gemeinde Zacaulpan im Bundesstaat Colima, dass eine solche Deklaration des "Begrbaufreien Territoriums" vom Agrargericht anerkannt wurde. Und auch das eingangs erwähnte Goldminenprojekt in unmittelbarer Nachbarschaft zum einzigen AKW Mexikos, an der Golfküste in Veracruz gelegen, konnte dank BürgerInnenprotesten beerdigt werden. Zu absurd das Risiko von unterirdischen Dynamitexplosionen wenige hundert Meter neben dem Atommeiler.
Schweizer Botschaft, Schweizer (Schmier-)Geld
Die Strukturreformen im Energiebereich sind noch nicht auf Gesetzesebene durch. Die grossen Parteien hoffen, während der Fussball-WM den Schacher um den Ausverkauf von Erdöl, Strom und Land widerstandslos durchbringen zu können. Wer sich schon mal die Lippen leckt, ist der neue Schweizer Botschafter Louis-José Touron. Kaum im Amt, gab Touron im März 2014 bekannt, dass ein "Swiss Business Hub" der helvetischen Botschaft für neue Investitionen im Aztekenland sorgen werde. Vollmundig kündigte er diese Investitionen für ein Staudammprojekt an. Dies ohne zu berücksichtigen, dass der Gesetzesprozess für den Energiesektor noch im Gange ist, wie die Tageszeitung "La Jornada" kritisch anmerkte. Und Schweizer Firmen sind in Mexiko nicht erst seit gestern im Geschäft. So hat die schweizerisch-schwedische ABB um die Jahrtausendwende mexikanische Grossaufträge in der Höhe von mehreren hundert Millionen Franken "an Land gezogen", wie damals die NZZ stolz vermeldete, unter anderem für Arbeiten an einem Wasserkraftprojekt in Chiapas und an Windkraftprojekten in Oaxaca. Der Energie- und Automationstechnik-Konzern "gewann" die Ausschreibungen jedoch mit unlauteren Mitteln. Im 2010 räumte ABB in drei Fällen ein, dass sie an BehördenvertreterInnen Schmiergeld bezahlt und Anlagen teilweise zum Dreifachen ihres Marktwerts geliefert haben.
Ähnlich wie die EU will auch die Schweiz ihren Freihandelsvertrag mit Mexiko neu verhandeln. Der aktuelle Vertrag trat am 1. Juli 2001 in Kraft und nützte, man ahnts, in erster Linie den Schweizer Interessen. Mexiko war das erste Trikont-Land, mit dem die Schweiz (im Rahmen der EFTA) ein solches Freihandelsabkommen abschloss. Menschenrechtliche Bedenken wurden im Parlament geäussert, aber eine griffige Klausel dazu von der Mehrheit abgeblockt. Inzwischen gewann der Diskurs der Menschenrechte und ihrer VerteidigerInnen an Gewicht. Das EDA veröffentlichte gar Ende 2013 sogenannte "Leitlinien zum Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen". Ob die auch Beachtung finden werden, wenn mexikanische Gemeinden sich gegen Grossprojekte mit Schweizer Beteiligung zur Wehr setzen?
Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 25/26 - 70. Jahrgang - 4. Juli 2014, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2014
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/vorw1030.html
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