Mittwoch, 16. Juli 2014

Diskussionstext Antideutsch 1 - Autonome aus dem Ruhrgebiet/Bergischen Land: Bomben auf Kabul

Kritische Fragen an die antideutschen RealpolitikerInnen Vor dem Hintergrund beginnender militärischer Aktionen im globalen Anti-Terror- Kampf propagieren auch antideutsche Realpolitiker den rücksichtslosen Krieg der westlichen Zivilisation gegen die islamistische Barbarei. Die erfahrenen Geostrategen der Bahamas-Redaktion fordern die kategorische Unterstützung "US- amerikanischer Militärschläge gegen islamische Zentren" überall auf der Welt und einen US-Gegenschlag gegen Afghanistan, der "so konsequent wie möglich" erfolgen solle. Auch die antideutsche Gruppe Wuppertal begrüßt in ihrem Kampf "für die Zivilisation und den Kommunismus" US-Militärschläge. Antifaschistische Gruppen aus NRW propagieren in ihrem Flugblatt "die Verteidigung der westlichen Zivilisation und des ihr immanenten Glücksversprechens von Emanzipation und Wohlstand" und fordern das "klerikalfaschistische Terrorregime der Taliban zu beseitigen". Warum werfen auf einmal deutsche Linksradikale sämtliche Ansätze kritischer Theorie über Bord und werden zu begeisterten Anhängern des von Samuel Huntington u.a. ausgerufenen "Kampfes der Kulturen"? Müssen wir uns im "Kampf der Zivilisation gegen das Böse" tatsächlich gemeinsam mit George Bush in vorderster Front am "Kreuzzug gegen den Terrorismus" beteiligen? Einen wichtigen Schlüssel für das Verständnis des antideutschen Amoklaufes liefert die Interpretation der Attentate in den USA als "ein faschistisches Massaker eliminatorischer Antisemiten" (Flugblatt antifaschistischer Gruppen aus NRW). Ohne das bisher irgendein eindeutiges Bekenntnis zu Motivation und Zielen des Anschlages vorliegt, ist es für die Antideutschen völlig klar, dass das World Trade Center und das Pentagon als "Hort der zionistischen Weltverschwörung"(ebd.) angegriffen wurden. Die Einschränkung der möglichen Tatmotive auf den Antisemitismus, ist also zumindest spekulativ und beinhaltet wahrscheinlich eine unzulässige Reduktion der Komplexität der tatsächlichen Konfliktlage. Der Angriff auf das Pentagon und der wahrscheinlich geplante Angriff auf das Weiße Haus zielte jedenfalls auf das politische und militärische Machtzentrum der USA. Ob die USA also unmittelbar in ihrer Rolle als politische und militärische Weltmacht oder primär in ihrer Rolle als Schutzmacht Israels angegriffen wurden, ist keineswegs ausgemacht. Die Politik der USA in der arabischen Region beschränkt sich zudem nicht auf eine Unterstützung Israels. Der Konflikt mit Bin Ladens Netzwerk 'Al Queda' begann z.B. nach der Stationierung amerikanischer Truppen in Saudi-Arabien im Zusammenhang mit dem zweiten Golfkrieg. Bin Laden sah damals die heiligen Stätten der Moslems in Mekka und Medina entweiht und entzweite sich darüber mit der amerikatreuen korrupten Feudaloligarchie in Saudi-Arabien. Auch der islamistische Kulturkampf gegen den 'american way of life' und die amerikanische Kultur als Inkarnation westlicher Dekadenz dürfte bei den ideologischen Hintergründen der Attentate eine gewisse Rolle spielen. Der Aspekt des Glaubenskrieges gegen die USA als Hauptmacht der Ungläubigen muß ebenfalls ernst genommen werden. Der Angriff auf die USA ist in diesem Kontext wohl in erster Linie als ein Kampf gegen das Christentum zu verstehen. Der Antisemitismus ist also nur eine Komponente im Konglomerat der fundamentalistisch-islamistischen Ideologie und keineswegs das einzige denkbare Motiv. Eine vorschnelle Reduktion der Analyse auf das Motiv des "eliminatorischen Antisemitismus" läuft Gefahr, analog zum antisemitischen Wahnbild einer "zionistischen Weltverschwörung", eine ebenso halluzinatorische "antisemitische Weltverschwörung" zu konstruieren. In Verbindung mit dem Begriff des "faschistischen Massakers" beinhaltet die Rede vom "eliminatorischen Antisemitismus" im übrigen eine gefährliche Relativierung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Auch wenn die Angriffe auf die USA verheerende Folgen hatten, handelt es sich bei ihnen keinesfalls um einen Genozid. Mit der systematischen Ausrottung der europäischen Juden durch die Nazis sind die Attentate auf keinen Fall vergleichbar. Wenn nun die Bahamas den Koran mit Hitlers 'Mein Kampf' gleichsetzt und die palästinensischen Attentate gegen Israelis "auch auf qualitativer Ebene mit dem nationalsozialistischen Vorbild" für vergleichbar hält, dann begeben sich ausgerechnet Antideutsche, die bisher jede Relativierung des Nationalsozialismus politisch bekämpft haben, auf das Terrain eines üblen Geschichtsrevisionismus. Durch diese unhaltbaren historischen Analogien wird suggeriert, dass gegen diesen fürchterlichen und mächtigen Feind jedes Mittel zu seiner Bekämpfung gerechtfertigt sei. Letzlich wird der Nationalsozialismus auf diese Weise für tagespolitische Zwecke instrumentalisiert. Als Konsequenz aus der Schmalspuranalyse und als antideutsche Realpolitik wird dann die bedingungslose Solidarisierung mit den konservativsten und aggressivsten Kräften der US-amerikanischen und israelischen Politik eingefordert. Innergesellschaftliche Widersprüche in diesen Ländern werden genauso wenig wahrgenommen, wie unterschiedliche politische Strömungen und Strategien. Regierungen, Parteien und Bevölkerungen werden zu einem einheitlichen Block homogenisiert. Die konkreten politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen bei den Adressaten ihrer Solidarität scheinen die antideutschen Globalstrategen wenig zu interessieren. Fragen nach möglichen Ursachen des in den Ländern des Südens weit verbreiteten Hasses gegenüber der weltpolitischen Rolle der USA, werden als Antiamerikanismus tabuisiert. Letztlich wird das alte antiimperialistische Frontdenken unter umgekehrten Vorzeichen reproduziert. Aus der bedingungslosen und unkritischen Solidarisierung mit allen "Feinden des Imperialismus" in den 70er und 80er Jahren, wird - bei z.T. denselben Akteuren - eine genauso bedingungslose und unkritische Solidarisierung mit der staatlichen Politik westlicher Groß- oder Regionalmächte. Um diese Apologie herrschender Politik dann noch als antideutsche Radikalität verkaufen zu können, muß krampfhaft ein unversöhnlicher Antagonismus zwischen der aktuellen bundesdeutschen Politik und den Interessen der USA oder Israels behauptet werden. Dabei ist den antideutschen Politstrategen keine noch so absurde Verschwörungstheorie zu blöd. Bei diesen Feststellungen geht es keineswegs um eine Rationalisierung oder gar Rechtfertigung einer Politik der Selbstmordattentate. Diese Attentate beinhalten keinerlei emanzipatorische Dimension. Die Täter handeln menschenverachtend gegenüber den wahllos produzierten Opfern und frönen einem widerlichen Märtyrerkult. Auch die Opfer von Ausbeutung, Verelendung und Unterdrückung haben in der Tat eine Verantwortung für ihr Handeln und keinen Freibrief zum Amoklauf. Allerdings ist es infam, die offene Freude eines Horst Mahlers über die Attentate mit der linken Nachfrage nach möglichen Hintergründen und Ursachen der Anschläge gleichzusetzen. Hier geht es nicht mehr um eine kritische Auseinandersetzung, sondern um pure Diffamierung und das Festklopfen von Diskursverboten. Das Aufzeigen von möglichen Ursachen und Zusammenhängen beinhaltet nicht automatisch eine Rechtfertigung der Attentate. Das Erstarken des Islamismus in Teilen der sog. 'Dritten Welt' ist jedenfalls nicht zu begreifen, ohne eine Analyse der sozialen Misere und der Gründe des Scheiterns bisheriger emanzipatorischer Entwicklungsperspektiven in den Ländern des Südens. Auch wenn die Kader der islamistischen Gruppen in der Regel aus der Ober- und Mittelschicht stammen, haben sie ihre soziale Basis doch in der verarmten städtischen und ländlichen Unterklassen. Wird dieser Kontext ausgeblendet, dann impliziert das auch den Verzicht auf jegliche linke Kritik an den ungerechten Machtverhältnissen in der Weltpolitik und den ausbeuterischen Austauschverhältnissen auf dem Weltmarkt. Die Gleichsetzung jeglicher Antikriegsposition mit den "expliziten Apologeten des islamistischen Terrors" in der antideutschen Polemik ist entweder dumm oder zynisch. Nach wie vor gibt es gute Gründe für eine Antikriegsposition. Bereits die Beantwortung von Terror durch Krieg ist äußerst fragwürdig. Schon die Kriegsvorbereitungen gegen Afghanistan führten zu unermesslichem Leid in der Zivilbevölkerung. Bereits vor Kriegsbeginn waren 1,5 Millionen Menschen auf der Flucht und mehrere Hunderttausend akut vom Hungertod bedroht. Auch dieser Krieg trifft also zuerst die Menschen, die schon bisher am meisten unter dem Taliban-Regime und dem jahrelangen Bürgerkrieg zu leiden hatten. Das von den Antideutschen beschworene "Glücksversprechen von Emanzipation und Wohlstand der westlichen Zivilisation" hat sich nie auf diese Menschen bezogen. In ihren Ohren muß eine solche Argumentation als blanker Hohn erscheinen. Die von Bahamas empfohlene "direkte Unterwerfung unter den kapitalistischen Warenfetisch" rettet diese Menschen keineswegs vor dem Hungertod. Auch wenn ein Ende des Taliban-Regimes aus emanzipatorischer Perspektive natürlich zu begrüßen wäre, muß die Frage nach den adäquaten Mitteln, den möglichen Opfern und der politischen Perspektive einer solchen Strategie erlaubt sein. Die jetzt von den USA und anderen Staaten aufgerüstete 'Nordallianz' - die z.T. von berüchtigten Kriegsverbrechern befehligt wird - ist für die Menschen in Afghanistan jedenfalls keine Alternative. Wenn man allerdings Taliban-Regime und Bevökerung in Afghanistan zu einer fanatischen Volksgemeinschaft homogenisiert, erscheinen einem solche Einwände natürlich unerheblich. Die antideutsche Interpretation der weltpolitischen Lage als Kulturkonflikt zwischen westlicher Zivilisation und islamischer Barbarei, transportiert die Kulturkampfthesen eines Huntington in den linken Diskurs. Eine sehr gefährliche Debatte: denn das Szenario vom 'Kampf der Kulturen' ist die Hauptursache für die aktuelle Verschärfung des rassistischen Klimas in nahezu allen westlichen Ländern. Eine Linke, die derartigen Thesen auf den Leim geht, entwaffnet sich selbst im Kampf gegen die rassistische Formierung und das verschärfte repressive Klima im eigenen Land. Und auch für die Antideutschen stand hier doch einmal ihr Hauptfeind. Originaltext: http://www.zakk.de/kok/hintergrund/disco_kabul.htm

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