Freitag, 11. Juli 2014
Die schwierigen innerkurdischen Beziehungen
Von Memo Sahin und Andreas Buro
Wie viele der Kurden haben auch wir uns gefreut, als Mesud
Barzani (Präsident der Regionalregierung Kurdistans, KDP),
Celal Talabani (Präsident der Republik Irak und Vorsitzender der
Patriotischen Union Kurdistan, PUK) und Abdullah Öcalan
(Vorsitzender der Arbeiter Partei Kurdistan, PKK) im Sommer
2013 zur Gründung eines gesamtkurdischen Nationalkongresses
aufriefen.
Daraufhin wurden ein Vorbereitungskomitee und viele
Kommissionen gebildet und wochenlange und arbeitsintensive
Diskussionen geführt. Viele der strittigen Themen wurden aus
dem Weg geräumt. Es hakte schließlich bei der Verteilung der
Zahl der Delegierten aus vier Teilen Kurdistans und bei der
Repräsentanz des Nationalkongresses. Nach Willen der PKK
sollte der Nationalkongress durch zwei Personen, einen Mann
und eine Frau geführt werden. Es sollte neben Barzani, Leyla
Zana Platz nehmen. Auch bei der Vergabe der 600 Delegierten
kam es zwischen KDP und PKK zu Meinungsunterschiede. Ein
anderer Streitpunkt war Syrisch-Kurdistan – Rojava, wo die
Schwesterpartei der PKK, PYD (Partei der Demokratischen
Einheit) als führende Kraft hervorging.
Nachdem die konstituierende Sitzung des Nationalkongresses
zwei Mal verschoben wurde, musste das Vorhaben erneut
eingefroren werden. Beim Scheitern dieses Versuches haben
sowohl Ankara als auch Teheran ihren „Beitrag“ professionell
geleistet.
Seitdem sind die Beziehungen von KDP und PKK belastet. Tiefer
liegende Gegensätze mögen eine Rolle spielen, etwa die
Bestimmung kurdischer Politik. Es gibt aber in letzter Zeit
Bemühungen zur Normalisierung der Beziehungen.
Rojava
Der Hauptstreitpunkt war neben dem Nationalkongress
Kurdistans, die Haltung zur Revolution in Westkurdistan (Syrien)
– Rojava. Dort hat die Schwesterpartei der PKK, PYD durch den
zivilen und bewaffneten Widerstand gegen das syrische Baath-
Regime und gegen die islamistischen Djihadisten die Oberhand
gewonnen und die Basis unter der kurdischen Bevölkerung und
den ethnisch-religiösen Minderheiten, wie den christlichen
Assyrern, Armeniern und ortansässigen sunnitischen Arabern
erheblich ausgeweitet.
Die Schwesterparteien der irakischen KDP in Syrien haben im
Gegensatz dazu ihre Zelte in Fünfsterne-Hotels der kurdischen
Hauptstadt Hewlêr/Erbil in Irakisch-Kurdistan aufgeschlagen,
nachdem die kurdischen Gebiete in Syrien von islamistischen
Aggressoren der Al-Nusra-Front und ISIS (Islamischer Staat in
Irak und Syrien) angegriffen worden sind. Andererseits
versuchten sie vergeblich, Teil der syrischen Opposition zu
werden, die stark im Schatten der Türkei, Saudi-Arabiens und
Katars stand. Zu diesem Zweck reisten sie immer wieder nach
Istanbul, Kairo und Doha.
Seit Beginn dieses Jahres wurden drei kurdisch-syrische
Enklaven – Cizire, Kobanî und Efrin - zu Kantonen ausgerufen, in
denen auch andere Volksgruppen vertreten sind. Sie sind nun
dabei, die ersten Wahlen zu einer Regionalregierung
durchzuführen. Es wurde eine gesetzgeberische Versammlung
gebildet. Kurdisch, Arabisch und Aramäisch wurden als
Amtssprachen eingeführt. Das alltägliche Leben wird trotz des
Wirtschaftsembargos der Türkei, des Assad-Regimes und der
kurdischer Regierung im Irak von der gemeinsam gebildeten
Regionalregierung entfaltet.
Die Kommunen kümmern sich um das städtische Leben, die
Bauern bestellen ihre Felder und Obstgärten sowie
Olivenplantagen. Und die Kämpfer der YPG –
Volksverteidigungseinheiten verteidigen das Land und die
Bevölkerung gegen die Djihadisten.
Ankara
Seit ein paar Jahren haben sich die Beziehungen zwischen der
türkischen AKP und der irakisch-kurdischen KDP in
wirtschaftlicher und politischer Hinsicht sehr intensiviert. Über
tausend türkische Großfirmen arbeiten in Irakisch-Kurdistan und
erwirtschaften dort über 10 Milliarden Dollar jährlich. Der
Vorsitzende der KDP und Präsident irakisch Kurdistans kommt
als Wahlhelfer der AKP in die Türkei und der kurdische
Ministerpräsident ist mindestens einmal im Monat bei Erdogan.
Parallel dazu führt Erdogan seit anderthalb Jahren über seinen
Geheimdienst MIT erneut Verhandlungen mit dem inhaftierten
Vorsitzenden der PKK auf dem Gefängnisinsel Imrali. Obwohl
beide Seiten über einen Stufenplan zur Lösung der Kurdenfrage
einig sind, zögert die türkische Seite, die erforderlichen Schritte
zu tun. Sie versucht, über die Wahlen (Kommunalwahl Ende
März 2014 nun Präsidentenwahl im August) Zeit zu gewinnen
und die Geduld der kurdischen Seite auszutesten.
Zur gleichen Zeit unterstützt Ankara die islamistischen Gruppen,
wie Al-Nusra und ISIS, gegen die mit der PKK verbündete PYD.
Nach Informationen eines kabinettnahen Journalisten, A. Selvi,
hat Geheimdienst der Türkei mit 2000 voll beladenen LKWs
diese Kräfte unterstützt. Da der Geheimdienst weder ein
Wohlfahrtverband noch der Rote Halbmond der Türkei ist, kann
man davon ausgehen, dass die Güter dieser 2000 LKWs nicht
humanitären Zwecken dienten.
Die Türkei dient als Transitterminal für die Djihadisten. Sie
werden z.T. in der Türkei militärisch ausgebildet, logistisch
unterstützt und die Grenzen der Türkei sind für diese Gruppen
stets offen. Die Verwundeten werden durch türkische
Rettungswagen in die Türkei gebracht, behandelt und wieder
nach Syrien eingeschleust.
Wie kommt es aber dazu, dass Ankara mit beiden großen
kurdischen Parteien, KDP und PKK, diesseits und jenseits der
Grenze redet und in der gleichen Zeit aber die Beziehungen
beider Akteure sich verschlechtern? Wie kann es sein, dass PKK
und Ankara verhandeln und die türkische Seite in der gleichen
Zeit über 340 neue militärische Kasernen und Stationen
errichtet? Wie kann es sein, dass Ankara mit der PKK verhandelt
und im Gegensatz dazu den heiligen Krieg der islamistischen
Aggressoren gegen die Schwesterpartei der PKK, PYD
unterstützt?
Auf diese Fragen müssen die kurdischen Akteure eine Antwort
finden und nachdenken, warum sich ihre Beziehungen
untereinander verschlechtern. Eine Antwort haben wir. Ankara
versucht, durch sogenannte Verhandlungen und „gute“
Beziehungen Zeit zu gewinnen und die kurdischen Akteure
gegeneinander auszuspielen.
Eine ähnliche Politik verfolgt auch Teheran, in dem es z.B. PUK
und Goran ( Das Wort heißt ‚Wechsel’ und ist eine Abspaltung
von der PUK) gegen die Vorherrschaft der KDP in Irak
unterstützt; mit der PKK de facto einen Waffenstillstand
beibehält, in der gleichen Zeit aber die Schwesterpartei der PKK
in Iranisch-Kurdistan bekämpft und wöchentlich kurdische
Aktivisten hinrichtet. Nach dem Vormarsch der ISIS im Irak und
seit dem 23. Juni bombardiert Iran kurdische Gebiete im Irak, um
die irakischen Kurden unter Druck zu setzen, damit sie weiterhin
die Maliki-Regierung in Bagdad unterstützen.
Erbil - Bagdad und ISIS
Die Beziehungen zwischen der kurdischen Regierung in Erbil
und der Zentralregierung in Bagdad haben sich in den letzten
Jahren verschlechtert. Obwohl Kurdistan per Verfassung ein
föderativer Teil Iraks ist, befinden sich einige kurdische Gebiete
um die erdölreichen Städte Kirkuk, Khanaqin, Mendeli und
Shengal unter der Herrschaft der Zentralregierung. Laut
irakischer Verfassung Artikel 140 sollten in diesen Gebieten
schon längst Referenden stattfinden und die Bevölkerung
entscheiden, ob sie unter der Obhut der kurdischen oder der
Bagdader Regierung bleiben. Der irakische Premier Maliki hat
diese Volkentscheide immer wieder verschoben. Auch sollten
Kurden gemäß der Verfassung 17% des irakischen Haushalts
erhalten. Es kam jedoch ständig zu monatelangen
Verzögerungen, wonach sich die Kurden entschieden, das Erdöl
in ihren Gebieten selbstständig zu fördern und zu verkaufen.
Dadurch wollen sie ihren 17-prozentigen Anteil sichern und den
Rest nach Bagdad weiterleiten.
Es ist keine Neuigkeit, dass der schiitische Maliki, die
sunnitischen Gebiete jahrelang vernachlässigt und
Schlüsselministerien und -ämter an sich gerissen hat. Die
Wegbereiter der ISIS sind die unzufriedenen Sunniten. Seit 11
Jahren arbeiten Elemente der Baath-Partei der Saddam-Ära und
Führer der sunnitischen Stämme im Untergrund und bildeten
schlafende Zellen. Am 10. Juni war es soweit. Mit Hilfe dieser
schlafenden Zellen konnte ISIS fast ohne Widerstand eine zwei
Millionen Metropole wie Mosul und weitere Gebiete besetzen.
Über eine halbe Million Menschen flohen binnen eines Tages
nach Irakisch-Kurdistan. So ist ISIS in nur einem Tage neuer
Nachbar der Kurden geworden. Kurdische Peshmerga-Einheiten
sichern seitdem auch alle kurdischen Gebiete, die in Obhut der
Bagdader Regierung standen, darunter Kirkuk. Nach dem
Vormarsch der ISIS erklärten alle kurdischen Parteien aus vier
Teilen Kurdistans ihre Bereitschaft die kurdischen Gebiete gegen
die Aggressoren zu verteidigen, darunter die PKK, PYD und
KDP-Iran.
„Wir stehen vor einer neuen Realität und einem neuen Irak“
sagte Barzani dem Sender CNN am 23. Juni mit Blick auf den
neuen Nachbarn im Irak und fügte hinzu: „Die Zeit ist reif, dass
die Kurden ihre Zukunft selbst bestimmen und 90% der Kurden
hinter dieser Entscheidung stehen.“
Die innerkurdische Grenze zwischen Irakisch- und Syrisch-
Kurdistan wird von den Einheiten der KDP und PYD verteidigt
und gesichert. Der ISIS Vormarsch hat die belasteten
Beziehungen beider Parteien zurück treten lassen.
Nach den Unterstützungserklärungen und einiger Vorgespräche
begannen die Beziehungen der KDP und PKK sich zu
normalisieren. Die KDP entsandte am 22. Juni eine ranghohe
Delegation aus Mitgliedern des Politbüros der Partei zum
Kongress der HDP (Demokratische Partei der Völker) nach
Ankara. Am darauffolgenden Tag traf sich die Delegation der
KDP mit einer Abordnung der PYD in Istanbul. Beide Seiten
erklärten, dass sie sich bemühen werden, die bestehenden
Probleme zu lösen.
Nun nach dem Vormarsch der ISIS reden alle kurdischen
Parteien wieder von der Notwendigkeit eines kurdischen
Nationalkongresses. Zu hoffen ist, dass dieses Mal die Probleme
gelöst werden können und die innerkurdischen Beziehungen sich
verbessern.
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