Freitag, 7. Dezember 2012
Mexiko - Neuer Präsident der alten Garde
Von Annette Langer
60.000 Menschen starben im Drogenkrieg, das Morden hält an. Es ist unwahrscheinlich, dass Mexikos neuer Präsident Peña Nieto die Kartelle erfolgreich bekämpfen wird. Tausende demonstrieren aus Angst vor einem drohenden autoritären Regime, Menschenrechtler warnen vor fatalen Rückschritten.
Juventina Villa Mojica hatte keine Chance. Mehr als zwei Dutzend Angreifer eröffneten vergangenen Mittwoch in den Bergen des Bundesstaates Guerrero das Feuer auf die Umweltaktivistin. Sie starb im Kugelhagel, mit ihr Sohn Reynaldo. Nur die siebenjährige Tochter überlebte das Attentat - sie ist die Letzte der einst sechsköpfigen Familie.
"Das hat mich hart getroffen", sagt Anwalt Vidulfo Rosales Sierra, ein ernster Mann mit Brille, dessen Gesicht kaum Regung zeigt. Er kannte Juventina Villa Mojica gut, arbeitet seit Jahren für das Menschenrechtszentrum "Tlachinollan" in Guerrero und erhält selbst immer wieder Morddrohungen. "Was mich fassungslos macht, ist das Totalversagen der Sicherheitskräfte, die sie schützen sollten. Mindestens zehn Polizisten haben sie begleitet - wo waren die, als es passierte?"
Ein bestialischer Mord unter den Augen der Polizei - für den Anwalt nur ein weiteres Indiz dafür, dass der Rechtsstaat längst aufgehört hat zu existieren. Das Opfer hatte sich mit örtlichen Bauern der Gemeinde La Laguna zusammengetan, um Abholzungen zu verhindern. Demnach plante die Mafia, dort in großem Stil Drogen anzupflanzen. "Sie hat sich mit Unternehmern angelegt, die direkte Verbindung zu den örtlichen Kartellen haben", sagt Rosales.
Jetzt stehe zu befürchten, dass die Ermittlungen genauso im Sand verlaufen wie im Fall ihres ermordeten Mannes und der beiden Söhne. Die drei wurden im vergangenen Jahr getötet. "Es gibt immer wieder Anschläge auf Menschenrechtler, die nicht geahndet werden", beklagt Rosales. Eine erschossene Umweltaktivistin, ein toter Anwalt - das sind nur Nummern, es fehlt der politische Wille, dagegen vorzugehen. Außerdem gibt es in den Polizeibehörden Verbindungen zur organisierten Kriminalität, auch zu Auftragsmördern."
Juventina und Reynaldo - das sind zwei von geschätzt 60.000 Menschenleben, die der sogenannte Krieg gegen die Kartelle in den vergangenen sechs Jahren gekostet hat. Mit seiner Strategie der Militarisierung des Konflikts ist Ex-Präsident Felipe Calderón gescheitert. Die Zahl der kriminellen Gruppierungen ist gestiegen, gleichzeitig auch die mit äußerster Brutalität geführten Territorialkämpfe unter ihnen. Kaum jemand bestreitet noch, dass es enge und sehr ungesunde Verbindungen von Politik, Militär, Justiz und Sicherheitskräften mit der Drogenmafia gibt.
"Calderóns Krieg gegen die Kartelle war kein Kampf gegen das Böse, sondern ein Ringen um die Früchte einer durch und durch kriminellen Wirtschaft", sagt der kritische Hochschulprofessor und Journalist Carlos Fazio. "Die Partei des neuen Präsidenten hat in den achtziger Jahren die Basis für diese illegale Wirtschaft gelegt."
Der Präsident und die Partei der toten Seelen
Am Samstag übergab Calderón die Nationalflagge an seinen Nachfolger Enrique Peña Nieto. Der Amtsantritt des neuen Präsidenten war von heftigen Protesten begleitet. Hunderte Demonstranten lieferten sich Straßenschlachten, mehr als hundert Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.
Die Wut im Land ist groß. Und das Unverständnis darüber, dass es der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) erneut gelungen ist, die Regierung zu stellen. 71 Jahre lang hatte die PRI bis 2000 das Schicksal des Landes bestimmt, als autoritäre Einheitspartei mit harter Hand regiert. Dabei festigte sie weniger die Revolution als die Vetternwirtschaft, schaffte viele jener korrupten Strukturen, unter denen Mexiko heute leidet.
Um die Wahl von Gouverneuren oder Präsidenten zu sichern, schreckte die PRI auch vor Wahlfälschungen nicht zurück - und soll sogar Stimmen Verstorbener für sich verbucht haben. Auch beim Urnengang im Juli ging es der Opposition zufolge nicht mit rechten Dingen zu. Das Bundeswahlgericht allerdings bestätigte das Ergebnis.
"Ein perfektes Umfeld für die Kartelle"
"Mir haben Ölarbeiter bestätigt, dass sie dazu angehalten wurden, für Peña Nieto zu stimmen, sie wurden teilweise mit Lastwagen zu Wahlbüros gebracht", sagt die Journalistin Ana Lilia Pérez am Rande einer Mexiko-Tagung der Heinrich Böll Stiftung am Wochenende in Berlin. Die Autorin hat zwei Bücher über die Verbindung des staatlichen Ölkonzerns Pemex zum organisierten Verbrechen geschrieben. Sie beruft sich auf Unterlagen und Verhörprotokolle, die belegen, wie Kokain über Pipelines in die USA geschmuggelt wird, wie Adepten des Sinaloa-Kartells oder der berüchtigten Zetas ungestört riesige Mengen Öl direkt aus den Pipelines zapfen, um sie dann an internationale Unternehmen zu verkaufen.
"Pemex war schon immer hochkorrupt, ein perfektes Umfeld für die Kartelle", sagt Pérez. Im Jahr 2000 sollen illegal Gewerkschaftsgelder für den Wahlkampf des PRI-Präsidentschaftskandidaten Francisco Labastida entwendet worden sein. Keiner der mutmaßlich Verantwortlichen für den Skandal Pemexgate wurde zur Verantwortung gezogen.
Zahlreiche Mitglieder der jetzt wieder regierenden PRI sitzen in Schlüsselpositionen, der mächtige Ölgewerkschaftsvorsitzende Carlos Romero Deschamps - bekannt für seinen luxuriösen Lebenswandel trotz eines offiziellen Monatseinkommens von 652 Euro - war schon während des Skandals 2000 im Amt. Der Präsident will den staatlichen Monopolisten Pemex in Zukunft für private Investoren öffnen - die sollten dann wohl ein gehöriges Maß an Toleranz für besondere Absprachen mitbringen.
"Internationale Unternehmer stehen in Mexiko immer mit einem Bein in der kriminellen Wirtschaft", warnt Professor Fazio. Die Hemmschwellen sind erfahrungsgemäß nicht allzu hoch - man denke an den Skandal bei der Großbank HSBC, deren mexikanische Tochter Geldwäsche für Drogenkartelle betrieben und allein sieben Milliarden Dollar in bar per Lastwagen und Flugzeug in die USA geschleust haben soll. Erst vor einem Monat wurde ein neues Geldwäschegesetz verabschiedet. "Aber was nützt es, es wenn es nicht angewendet wird?", fragt Fazio.
"Zusammensetzung des neuen Kabinetts spricht Bände"
Präsident Peña Nieto will nun alles anders machen. Stolz präsentierte er ein 13-Punkte-Programm zur Amtsübernahme. Eine Verfassungsreform will er anschieben, einen nationalen Kreuzzug gegen Armut und Hunger starten, das Bildungs- und Justizsystem modernisieren, ja sogar eine nationale Anti-Korruptions-Kommission mit weitreichenden Kompetenzen einsetzen.
Er werde ein demokratischer, den Menschenrechten verpflichteter Präsident sein, sagte Peña Nieto. Genau das bezweifeln Oppositionelle wie Vidulfo Rosales stark: "Er wird ein autoritäres Regime etablieren, mit wenig Respekt für die Menschenrechte. Im Kampf gegen die Kartelle wird er die Konfrontationspolitik von Calderon weiterführen, um die Beziehungen mit den USA nicht zu gefährden."
Während Peña Nietos Regierungszeit als Gouverneur des Bundesstaates Mexiko war es zu schweren Verstößen gekommen. So wurden Dutzende Frauen, die gegen Zwangsenteignungen demonstriert hatten, im Jahr 2006 in Polizeigewahrsam sexuell missbraucht und gefoltert. Die nationale Menschenrechtskommission rügte die Regierung dafür, dass gar nicht oder schlampig ermittelt wurde.
"Schon die Zusammensetzung des neuen Kabinetts spricht Bände", sagt Anwalt Rosales. Das neue Regierungsteam besteht vor allem aus alten Bekannten: Das für den Kampf gegen den Drogenhandel verantwortliche Innenministerium wird ein Vertrauter des Präsidenten führen, Miguel Ángel Osorio Chong. Das Finanzministerium übernimmt sein Wahlkampfmanager Luis Videgaray. Mit Bildungsminister Emilio Chuayffet und dem künftigen Generalstaatanwalt Jesús Murillo Karam ist die alte Garde der PRI vertreten.
Wird es unter Peña Nieto einen Vertrag geben zwischen Staat und Kartellen, um wenigstens nach außen einen fragilen Frieden zu simulieren? "Das würde voraussetzen, dass es einen guten Staat auf der einen und böse Kriminelle auf der anderen Seite gibt", sagt Fazio. "Das ist aber nicht so."
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