Freitag, 7. Dezember 2012

Gottesdiktatur in Kairo

Quelle: junge Welt vom 03.12.2012 Von Werner Pirker Auf Kommunisten-online am 4. Dezember 2012 – Die Moslembrüder, Profiteure des Volksaufstandes von 2011, haben ihre dominante Stellung in der verfassunggebenden Versammlung dazu genutzt, den Entwurf einer islamischen Konstitution zu verabschieden und ihre Absicht, Ägypten zu einem „Gottesstaat“ umzugestalten, entscheidend voranzutreiben. „Willkommen im Gottesstaat“, kommentierte ein Blogger den Handstreich ironisch. „Das Volk will Gottes Gesetz“, begrüßen hingegen die Anhänger eines auf islamischen Grundsätzen beruhenden Staates die „gottgewollte“ Vorherrschaft des Islamismus über die Gesellschaft. Daß tagelang Hunderttausende Menschen für die Herrschaft des Volkes und gegen Gottes, auf die Sicherung des oligarchischen Regimes gerichtetes Gesetz demonstrierten, scheint die religiösen Eiferer nicht zu kümmern. Am Sonnabend überreichte der Vorsitzende der verfassunggebenden Versammlung, Hossam El-Gheriani, ein Mitglied der Moslembruderschaft, Präsident Mohammed Mursi den von den Islamisten in einem Schnellverfahren durchgepeitschten Verfassungsentwurf, der praktisch auf die Verabschiedung des säkularen Staates hinausläuft. Die Prinzipien der Scharia werden als die „wichtigste Quelle der Gesetzgebung“ genannt, der Islam wird zur Basis allen Handelns erklärt. Mursi will die Bevölkerung am 15. Dezember über den Entwurf abstimmen lassen. Er nennt das einen „Meilenstein in Ägyptens demokratischer Entwicklung“. In Wahrheit soll eine demokratische Prozedur zum Meilenstein einer Entwicklung werden, in der die Volkssouveränität „Gottes Willen“ unterworfen wird. Die ägyptische Opposition aus Linken, Liberalen und säkularen Nationalisten sowie Vertreter der koptischen Christen und Menschenrechtsorganisationen reagierten auf die Entscheidung zur Aufhebung der Trennung von Staat und Religion mit großem Entsetzen. Der liberale Oppositionspolitiker und Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei erklärte via Twitter: „Mursi hat einen Verfassungsentwurf zur Abstimmung gestellt, mit dem Grundfreiheiten untergraben und universelle Werte verletzt werden. Der Kampf geht weiter.“ Ägyptens Richter sprechen von einem „psychologischen Mordanschlag“ auf die Demokratie. Am Sonntag morgen hätte das Verfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der verfassunggebenden Versammlung urteilen sollen. Zwar werden die Rechte des Verfassungsgerichts, das sich in der Vergangenheit dem alten Regime und dem Militärrat gegenüber sehr gefügig verhalten hatte, vom Präsidenten nicht anerkannt, ein negatives Urteil der Richter wäre für Mursi aber nicht gerade prestigefördernd gewesen. Das mußte verhindert werden. Schon Stunden vor Beginn der Verhandlung umstellten Tausende Moslembrüder und Salafisten das Gericht, um die Richter am Betreten des Gebäudes zu hindern. Daraufhin setzte das Gericht seine Arbeit aus. Ein späterer Verhandlungstermin wurde nicht genannt. Alle Zeichen stehen somit auf die Errichtung einer islamischen Diktatur. Einer Diktatur, die angesichts einer reaktionären Massenbasis noch schlimmer als die Gewaltherrschaft Mubaraks werden könnte. Quelle: junge Welt, 03.12. 2012

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