Mittwoch, 6. Juni 2012

[Antikapitalistische Linke] Erklaerung des SprecherInnenrates der AKL zum Ausgang des Parteitages

Der Bundesparteitag der LINKEN in Göttingen ist ohne die von der Mainstream-Presse herbei geschriebene und erhoffte Spaltung der Partei mit allen geplanten Beschlüssen und Wahlen zu Ende gegangen – am Tag danach fielen an der Frankfurter Börse die Kurse auf neue Tiefststände. Beide Tatsachen entsprechen der Wirklichkeit, der kausale Zusammenhang besteht leider nicht.... Der Parteitag von Göttingen war eine Demonstration der tiefen Meinungsverschiedenheiten in der Partei und gleichzeitig aber auch des breiten Willens, diese Meinungsverschiedenheiten in einer gemeinsamen, gesamtdeutschen linken Partei auszutragen. Die politischen Auseinandersetzungen sind kein Streit zwischen Ost und West. Entsprechende Medienberichte werden auch durch tägliche Wiederholung nicht richtiger, sondern bleiben dumm und können die von Interessen geleitete Ideologie kaum verhüllen. Die Debatten der LINKEN drehen sich um die großen politischen Fragen von heute. - Wie ist eine umfassende Alternative zur kapitalistischen Produktionsweise und ihren Macht- und Eigentumsverhältnissen auszuarbeiten und zu popularisieren? - Wie ist der historisch am Boden liegende „Sozialismus“ wieder als brandaktuelle Alternative und Antwort auf die Menschheitsprobleme von heute in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskurse zu bringen, wie ist der Kampf um die Mehrheit zu gewinnen? - Wie kann sich die LINKE als Partei wirklich gesellschaftlich verankern und dadurch auch ihren Einfluss bei Wahlen , der aktuell von gut fünf Millionen Menschen im Jahre 2009 auf die Hälfte geschrumpft ist, wieder steigern und in wirkliche gesellschaftliche Verankerung verwandeln? - Welche Strategie muss die LINKE verfolgen, um die vielen täglichen Konflikte und Kämpfe, die zahllosen politischen Initiativen in den Parlamenten und auch die vielen kleinen Erfolge und Zwischenschritte zu einem umfassenden Bruch mit der kapitalistischen Entwicklungslogik, hier und weltweit, zusammenzuführen? - Was für eine Partei muss die LINKE werden, um Schlagkraft und Handlungsfähigkeit auf der einen Seite zu erreichen, aber andererseits auch die weitgehenden demokratischen Bedürfnisse ihrer Mitglieder wie die Erwartungen ihrer Anhänger und sympathisierenden Beobachter zu erfüllen? - Wie kann es der LINKEN gelingen, in dem Land, das bisher die Krisen der europäischen Nachbarn gezielt verschärft und davon profitiert hat, dennoch den nötigen Widerstand gegen diese Politik zu entwickeln? Wer mit den bestehenden Verhältnissen seinen Frieden geschlossen hat, trotz sozialer Ungerechtigkeit, Kriege, tiefer Wirtschaftskrise und Bedrohung der ökologischen Stabilität der Erde; wer gar zu den Profiteuren zählt, wird an diesen Debatten kein Interesse haben, sie belächeln, behindern und verzerren. Wer um sein tägliches materielles Überleben kämpft, wer sich Aufrüstung und Kriegspolitik entgegen stellen will, wer statt Staatsräson und Diktatur der Reichen umfassende demokratische Freiheiten für alle Menschen sicherstellen will und wer den Kindern eine ökologisch und klimatisch intakte Welt hinterlassen will – für den oder die sind diese Fragen und Debatten von großer Bedeutung. Die LINKE ist auf der Suche und auf dem Weg, eine Partei zu werden, die ihrem vor einem halben Jahr in Erfurt angenommenen Grundsatzprogramm mit seiner radikalen Kritik und Kampfansage an die Enteignungsprozesse und tägliche kapitalistische Gewaltausübung, entspricht. Eine breite Mehrheit war sich in Göttingen mit ihrem Gründungsvorsitzenden Oskar Lafontaine einig darin, dass diese Partei weiterhin als breit aufgestellte, plurale Partei aufgebaut werden muss. Keine Debatte von heute rechtfertigt eine Spaltung. Große Fragen wie Krieg oder Frieden; Nationalismus oder Internationalismus; Demokratie von Unten oder Diktatur von Oben waren Grundlage von Spaltungen in der Arbeiterbewegung. Streit um Tagespolitik oder gar um parteiinternen Einfluss oder sogar persönliche Karrieren rechtfertigen keine politischen Spaltungen, sondern schwächen die Gesamtheit der Linken und alle Beteiligten. Die AKL kritisiert deshalb die Rede des Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi in Göttingen. Wir teilen auch nicht seine Ansicht, dass die LINKE in zwei Teile zerfallen ist: eine „Volkspartei“ im Osten und eine „Interessenspartei“ im Westen. Hier wie dort ist die LINKE die Partei der vom Kapitalismus Entwürdigten und Enteigneten, hier wie dort ist sie die Partei des Friedens; hier wie dort ist sie die Partei der linken gesellschaftlichen Opposition und der Protestbewegungen; hier wie dort ist sie Partei des Sozialismus. Die AKL kritisiert insbesondere die Sichtweise von Gregor Gysi, dass die LINKE ein kontinuierlicher Fortentwicklungsprozess der PDS seit 1989 ist. Die PDS war nach der Jahrtausendwende in einer tiefen Krise und die erfolgreiche Fusion mit der WASG hat ihr neue Perspektiven und neuen Einfluss ermöglicht, Die Fusion war ein wirklicher Bruch, ein Neubeginn und programmatische Zuspitzung – wer dies heute leugnet, verrät den historischen Fortschritt, der sich mit der Gründung der LINKEN ergeben hat. Die großen Streitfragen bestehen weiter. Auch der Parteitag in Göttingen hat gezeigt, dass viele Mitglieder und Delegierte in der Partei mutlos geworden sind; dass sie den kleinen politischen Erfolg von heute dem grundsätzlichen Kampf gegen den Kapitalismus vorziehen. Und wir sollten auch nicht leugnen, dass wir in unseren Reihen auch Kräfte haben, die persönliche Vorteile aus diesem Verzicht auf den Kampf mit langem Atem ziehen. Aber „der kleine politische Erfolg“ ist oder wird zum Selbstbetrug, wenn er sich nicht in den politischen Kampf für eine umfassende sozialistische Alternative einbindet. Es ist die wichtigste Aufgabe einer linken Partei diesen Zusammenhang jeden Tag aufzuzeigen und praktische umzusetzen. Die auf dem Parteitag in Göttingen neu gewählte politische Führung ist in ihrer Zusammensetzung ein Abbild der Gesamtpartei. Die AKL freut sich über die Wahl von Bernd Riexinger zum neuen Vorsitzenden. Er bringt frischen Wind in die Partei; er ist nicht gebunden durch ein gleichzeitiges Mandat in einem Bundes- oder Landtag – vor allem aber ist er in der ganzen Breite der Klassenkämpfe von heute verankert und gut bekannt, der Gewerkschaftsbewegung wie der neuen sozialen Bewegungen für Frieden und Umwelt. Die AKL hat viele Meinungsverschiedenheiten zur neu gewählten Vorsitzenden Katja Kipping, aber sie repräsentiert einen wichtigen Teil unserer Partei sie öffnet auch Tore zu aktuellen Debatten um Bürger- und Freiheitsrechte, Internet-Kommunikation und Formen von Selbstorganisation, denen sich die LINKE stellen muss. Auch die Mehrheit der übrigen Mitglieder im geschäftsführenden und erweiterten Vorstand ist neu in ihrem Amt. Aber es bleibt die Dominanz der Doppelämter aus Mandat und Parteiamt. Es bleibt ein überzentralisierter Parteiapparat in Berlin, der zu oft und zu negativ von Eigeninteressen geleitet ist. Die Wahlen zum Parteivorstand sind kein „Linksruck“, wie einige jubilieren und andere aufstöhnen. Sie bilden die Partei und ihre Probleme ab, mehr nicht. Der neue Vorstand muss sich diesen Problemen stellen, aber nicht nur er – die gesamte Partei in all ihren Gliederungen muss dies tun, sonst droht eine Verstetigung der gegenwärtigen Krise. Die grundsätzliche Ausrichtung der LINKEN mit ihrem Erfurter Programm hat heute keine große Unterstützung in irgendeiner anderen Partei. Es gibt kein über kleinste tagespolitische Absprachen hinaus gehendes „Lager links von Mitte“. Deshalb ist der systematische Aufbau der LINKEN als gesellschaftliche verankerte Kraft das wichtigste Ziel der kommenden Zeit. Es wird keine Abkürzung zu neuen gesellschaftlichen Mehrheiten geben. Das war die historische Erfahrung der LINKEN bei ihrer Gründung und dies ist die Erfahrung der erfolgreichen Linken in anderen europäischen Ländern heute. Die tiefe Krise der EU und die Zwänge der Krise der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zeigen heute erneut, dass SPD und Grüne niemals ihre freiwillig gewählte und durch dauerhafte Korrumpierung abgesicherte Verteidigung des Kapitalismus aufgeben werden. Eine starke LINKE kann sie (wie wir in der Vergangenheit und die französische, griechische, spanische und niederländische Linke heute) unter Druck setzen, ihren Einfluss mindern und ihre Anhänger für uns gewinnen. Aber dafür muss eine solche starke LINKE aufgebaut werden. Angesichts der durch die Krise verschärften Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Kernländern ist ein neuer sozialistischer Internationalismus dringender denn je, und er kommt nur durch eine starke eigenständige LINKE. Der neue Vorstand muss sich den akuten Problemen in den Kreis- und Landesverbänden widmen. Dauerhafte Mitgliedschaftsstrukturen in Betrieben, Stadtteilen und allen gesellschaftlichen Sektoren müssen aufgebaut werden – das ist die Voraussetzung für erfolgreiche Politik und erfolgreiche Wahlkämpfe. Die zu starke Betonung zugunsten des Aufbaus des Berliner Parteiapparates muss systematisch mehr auf regionale Strukturen umgelenkt werden. Die Umklammerung von Parteiarbeit durch parlamentarische Arbeit muss aufgebrochen werden. Auf dem Göttinger Parteitag wurde von sehr vielen Rednerinnen und Rednern die Bedeutung der kommunalen Arbeit hervorgehoben. Auch die AKL teilt diese Sicht. Allerdings ist die Arbeit in der Kommune – seit jeher das Herzstück von linkem Aktivismus – nicht zu verwechseln mit der Arbeit in Kommunalparlamenten. Die kommunalen Parlamente sind finanziell und politisch die einflusslosesten Strukturen der bestehenden Verwaltungsordnung. Wahlbeteiligungen erreichen dabei selten mehr als 45 Prozent, häufig deutlich weniger. Gleichzeitig fressen sie Unmengen an Zeit und personellen Ressourcen einer linken Partei. Wir wünschen uns als Zentrum kommunaler Arbeit das bewegungsorientierte Engagement in Stadtteilen, Betrieben, Schulen und Universitäten. Erst wenn es das gibt, kann kommunale Parlamentsarbeit als Ergänzung wirken. Die AKL versichert dem neuen Vorstand ihre Unterstützung. Wir haben uns in der Vergangenheit nicht an zersetzenden und personalisierenden Streitereien beteiligt und werden es auch in Zukunft nicht tun. Die AKL wird weiterhin ihre kritischen und konstruktiven Vorschläge einbringen – für heute ruft sie die gesamte Parteimitgliedschaft auf, mit diesem neuen Vorstand eine neue Etappe im Aufbau einer politisch breit wirksame und verankerte und klar antikapitalistische und antimilitaristische Partei zu eröffnen. Inge Höger Ulla Jelpke Dagmar Henn Tobias Pflüger Detlef Belau Thies Gleiss

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