Montag, 12. Juni 2017

[Buch] Mythos »Mitte«. Oder: Die Entsorgung der Klassenfrage



"Nicht nur die Parteien drängt es fast geschlossen in die »Mitte«. Der  
sozial und politisch gemeinte Begriff boomt auch in der öffentlichen  
Diskussion über den Zustand der deutschen Gesellschaft. Selbst der  
nahezu verschwundene »Mittelstand« wird nach wie vor beschworen. Er  
sei, schreibt der Satiriker Richard Schuberth, »die  
Gesellschaftsschicht, der, seit es sie nicht mehr gibt, alle  
anzugehören glauben.« Trotz der wachsenden sozialen Spaltung ist fast  
nirgends mehr von einer Klassengesellschaft die Rede. Kadritzkes Essay  
handelt von diesem Denken jenseits von Klassen, er nimmt in  
historischer Perspektive die Gegenwart in den Blick. Der Autor  
erinnert an wichtige Studien zum »neuen Mittelstand« aus der Weimarer  
Republik – etwa von Siegfried Kracauer – und zeigt ihren aktuellen  
Erkenntnisertrag, der sich einer produktiven Auseinandersetzung mit  
der marxschen Theorie verdankt: Sie begreifen die Angestellten, die  
heute in einer konturlosen »Mitte«verortet werden, als »verdeckte«  
Fraktion der Klasse der Lohnabhängigen. Sie deuten deren  
mittelständische Sehnsüchte aus der politischen Ökonomie ihrer Zeit,  
den Angeboten oder auch nur Versprechen betrieblicher Machtteilhabe –  
und auch als Antwort auf die Krisen, die der Kapitalismus mit innerer  
Notwendigkeit hervortreibt. Die Weimarer Analysen erweisen sich als  
verblüffend aktuell. Die deutsche Nachkriegsgeschichte ist von einer  
»Mitte-Erzählung« geprägt, die vom Vergessen der Klassen lebt. Das  
zeigt sich auch im aktuellen Diskurs über das nicht mehr zu leugnende  
Ausmaß »sozialer Ungleichheit«. An aktuell gängigen Sichtweisen und  
Begriffen legt der Autor dar, wovon wir schweigen, wenn wir heute von  
der »Mitte« reden. Die Trivialbeschwörung der »Menschen, die das Land  
in Gang halten«, bestimmt die herrschende Wahrnehmung der  
gesellschaftlichen Verhältnisse. Vom Trugbild einer breiten »Mitte  
jenseits der Klassen« aber profitieren die wahren Eliten so lange, wie  
ihnen auf dem Feld der Begriffspolitik die Ungleichheits-Forscher und  
die öffentlichen Themensalons zur Hand gehen." Klappentext zum Buch  
von Ulf Kadritzke (108 Seiten, 978-3-86505-746-4, 7,90 EUR),  
erschienen im Juni 2017 beim  Bertz + Fischer Verlag. Siehe zum Buch  
Informationen und die Einleitung zum Buch als exklusive Leseprobe im  
LabourNet Germany - wir danken!:
http://www.labournet.de/?p=117337

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