Sonntag, 14. Mai 2017

Neuer Käse von Hartz


Vorbestrafter Vordenker der »Agenda 2010« will Arbeitsprogramm in Berlin und Paris umsetzen. Präsident Macron kennt die Pläne bereits

Von Simon Zeise

Neoliberalismus in Reinform: Über »Zeitwertpapiere« soll jeder Arbeiter zum Aktionär werden (Peter Hartz am Dienstag in Berlin)
Es seien »wieder unkonventionelle Wege nötig«, sagte der Architekt der Agenda 2010, Peter Hartz, am Dienstag in Berlin. Der Namenspatron der Armutsgesetzgebung hatte ein neues Arbeitsprogramm im Gepäck.
Und das hat es in sich. »Die Arbeitsmarktreform der Agenda 2010 war ein Erfolg.« Auch wenn dieser seinen Preis habe. Denn trotz der »Flexibilisierung des Arbeitsmarkts« sind in Deutschland eine Million Menschen langzeiterwerbslos. Mehr als eine viertel Million Jugendliche sind von der Produktion ausgeschlossen. Auf die hat es Hartz abgesehen. Denn er ist sich sicher: »Unternehmer können Verantwortung für Mitarbeiter auch in schwierigen Zeiten übernehmen.« Das hat er selbst erlebt, als Personalvorstand von Volkswagen »kümmerte« er sich zehn Jahre lang mit Bordellbesuchen, Maßanzügen und Schmuck im Wert von 2,6 Millionen um »seinen« Betriebsrat. Zwei Jahre auf Bewährung bekam er dafür. Doch seine Rente ist sicher – die erhält er vom Betrieb.
Im Gegensatz zur Armee der Niedriglöhner, die Hartz auf dem Gewissen hat. Sein neuer Plan ist perfide. Nach neoliberalem Denkmuster ist jeder Unternehmer – »Minientrepreneur«. Jobcenter sollen Kleingruppen von bis zu 20 Personen organisieren. Die Jugendlichen und Langzeiterwerbslosen »können sich selbst zum Projekt machen«. Die bürokratische Bedürftigkeitsprüfung durch die Jobcenter werde entfallen. Auch ein »Gesundheitscoaching« werde in das Programm einfließen. Über einen langen Zeitraum aus der Erwerbstätigkeit ausgeschlossen zu sein, das zehre an der Gesundheit der Menschen. »Der anhaltende Verbleib in Erwerbslosigkeit ist ja mehr als nur ein permanentes Mismatch von Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt.«
Dank Digitalisierung und Big Data könne ein jeder über ein »Open-Source-System« einen Job in seiner Nähe ergattern. Die »marktkonformen Löhne« von fünf oder sechs Euro würden vom Staat bis zum Mindestlohn aufgestockt. So entstehe »kein Wettbewerbsnachteil« für die Konzerne. Der zweite Arbeitsmarkt würde nun endgültig in den ersten Arbeitsmarkt integriert. Arbeits-, Erziehungs-, Pflege- und Ausbildungszeiten will Hartz in »Zeitwertpapieren« anrechnen und in einem Fonds bündeln und handeln. Eine gute Bonität könne beispielsweise über die europäische Investitionsbank gewährleistet werden. Der Begriff »Deutschland AG« bekäme dadurch eine neue Bedeutung, der totale Markt würde Realität.
Die Zeichen für die Zerschlagung des Arbeitsrechts stehen nach dem Wahlsieg von Emmanuel Macron zum Präsidenten Frankreichs gut wie lange nicht. Dieser sei bereits in die Pläne eingeweiht. In seiner Zeit als Wirtschaftsberater der Regierung habe er ein Treffen zwischen Hartz und dem damaligen Präsidenten François Hollande vermittelt. Die Ideen zum neoliberalen Umbau der stärksten Wirtschaftsmächte in der Europäischen Union liegen also schon länger in der Schublade. Eines fehlt noch zum Glück der Unternehmerfreunde: »Wir brauchen die politische Macht«, sagte Hartz am Dienstag. Er setzt große Hoffnung in den neuen Mann im Élysée-Palast: »Gibt es ein schöneres und konkreteres Projekt mit dem neugewählten französischen Präsidenten Emmanuel Macron bei seinem Antrittsbesuch zu vereinbaren und zu starten?« Macron hat bereits angekündigt, kurz nach seiner Amtsübernahme am kommenden Sonntag die deutsche Bundeskanzlerin besuchen zu wollen.

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