Alles gehörte allen, und deshalb mussten sie sterben: Paco Ignacio Taibo II hat den vergessenen Völkermord an den Yaqui in Mexiko aufgearbeitet
Von Gerd Bedszent |
Paco Ignacio Taibo II: Die Yaqui. Indigener Widerstand und
ein vergessener Völkermord. Aus dem Spanischen von Andreas
Löhrer, Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg 2017, 245
Seiten, 18 Euro
Wie schon Karl Marx schrieb, gab es in vorkapitalistischen
Gesellschaften kollektiv genutzte Agrarflächen, Jagd-,
Fischerei- und Holzrechte. Marx bezeichnete im »Kapital« den mit
der kapitalistischen Morgenröte einhergehenden Raub dieses alten
Gemeinschaftseigentums als »frechste Schändung des ›heiligen
Rechts des Eigentums‹«. Mit der kolonialen Expansion der
frühkapitalistischen Mächte wurde dieser Raub dann weltweit
betrieben. Und die heftigsten Exzesse kapitalistischer Landnahme
gab es dort, wo die Räuber auf Völkerschaften stießen, die noch
keine soziale Aufspaltung kannten.
Paco Ignacio Taibo II liefert nun umfängliche Fakten über den
außerhalb Mexikos wenig bekannten Vernichtungskrieg gegen die
Yaqui. Wie er schreibt, war dies der längste bewaffnete Kampf in
der mexikanischen Geschichte, allein in seiner entscheidenden
Phase dauerte er 42 Jahre, von 1867 bis 1909.
Es ist ein bleibendes Verdienst des Autors, aus einem äußerst
widersprüchlichen Gewirr von bisherigen Buchveröffentlichungen,
Presseberichten und sonstigen Materialien die sozialen
Hintergründe dieses Kampfes herausgefiltert zu haben. Die Yaqui
waren bis Mitte des 19. Jahrhunderts einfach nur eine von vielen
indigenen Minderheiten in Mexiko, hatten sich willig
christianisieren lassen, bearbeiteten gemeinsam das Land, lebten
in ihren acht Dörfern »im wesentlichen kommunistisch«. Soll
heißen: Sie kannten kein Privateigentum, keine Sklaverei, keine
Knechtschaft, keine Lohnarbeit, alles gehörte allen. Ihr
gemeinsamer Landbesitz weckte jedoch die Gier von
Großgrundbesitzern.
Ende des 19. Jahrhunderts zwang Präsident Porfirio Díaz Mexiko
ein brutales Modernisierungsprogramm auf. Im Windschatten dieses
Regimes nahmen Grundbesitzer die Enteignung der Yaqui in
Angriff. Die Dörfer wehrten sich – anfangs sogar erfolgreich.
Taibo II beschreibt im Detail die langwierigen militärischen
Auseinandersetzungen. Mehrere Friedensschlüsse hatten keinen
Bestand, da die Landfrage, der Kern des Konfliktes, ungelöst
blieb. Nach mehreren Niederlagen gingen die Yaqui zu einem
Guerillakrieg über. Das Militär begann daraufhin mit ihrer
systematischen Auslöschung. Und da die Soldaten die Yaqui nicht
von den Nachbarstämmen unterscheiden konnten, traf dies auch
andere indigene Ethnien im Norden Mexikos.
Der größte Teil des Buches umfasst eine nur schwer zu
ertragende Auflistung von Massakern an Frauen und Kindern,
standrechtlichen Erschießungen, Lagerhaft, Zwangsdeportationen,
kollektiver Selbstmorde und sonstiger Greueltaten. Die meisten
Yaqui mussten ihr Festhalten am kollektiven Eigentum und den
Widerstand gegen die Enteignung mit dem Leben bezahlen. Bis
1909, als der Vernichtungskrieg offiziell beendet wurde, wurden
sie von etwa 30.000 auf knapp 7.000 dezimiert. Von diesen
letzten Yaqui lebte die Mehrheit außerhalb des eigenen
Territoriums. Sie waren entweder über die nahe Grenze in die USA
geflüchtet oder aber mussten auf agrarkapitalistischen Plantagen
im Süden Mexikos Sklavenarbeit leisten.
Doch 1909 endete zwar offiziell der Vernichtungskrieg gegen die
Yaqui, nicht aber ihr Widerstand. 1911 begann die Mexikanische
Revolution: Porfirio Díaz wurde von den Liberalen gestürzt. Die
porfiristischen Grundbesitzer, die sich an Yaqui-Land bereichert
hatten, flüchteten ins Ausland. Der neue Präsident Francisco
Madero weigerte sich allerdings auch, den gemeinschaftlichen
Landbesitz der Yaqui anzuerkennen. Yaqui-Abteilungen kämpften
nun in den Reihen von Pancho Villas Rebellenarmee gegen
porfiristische Militärs, andere standen in den Reihen der
Truppen General Alvaro Obregóns. Aber auch der lehnte als erster
nachrevolutionärer Präsident Mexikos eine bedingungslose
Rückgabe des geraubten Landes an die Yaqui ab. Die Kämpfe
dauerten bis 1927. Erst 1937 wurde dann den letzten Überlebenden
etwa ein Fünftel des Stammeslandes zurückgegeben.
Eine genaue Karte des Bundesstaates Sonora wäre nützlich
gewesen, auch eine Zeittafel zur hierzulande nur wenig bekannten
Historie Mexikos. Und es wäre sinnvoll gewesen, etwas zur
gegenwärtigen Situation der Yaqui zu schreiben. Es gibt sie
nämlich immer noch. Dennoch: Ein imposantes und empfehlenswertes
Geschichtswerk.
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