Dienstag, 2. Mai 2017

Guernica und die Folgen des Krieges (Hubert Brieden)


Sie legten alles in Schutt und Asche: Am 26. April ist es 80 Jahre her, dass Flieger der deutschen Legion Condor und des italienischen Corpo Truppe Volontarie die baskische Stadt Guernica (baskisch: Gernika) zerbombten. Presseberichte über den Angriff und Fotos von den Ruinen sorgten weltweit für Entsetzen. So etwas hatte es bis dahin nicht gegeben, und viele Menschen ahnten, was ein zukünftiger Luftkrieg für die Zivilbevölkerung bedeuten würde. Pablo Picasso schuf unter dem Eindruck der Verwüstungen ein Gemälde, nannte es einfach »Guernica« und machte diesen Namen zum Synonym für die Leiden der Zivilbevölkerung im Krieg.

Die Täter, die im Bild unsichtbar bleiben, stritten gleich nach dem Luftangriff jegliche Verantwortung ab, beseitigten Bombenreste und andere Beweise und behaupteten in ihrer Presse und in Wochenschauen, die Basken selber hätten ihr kulturelles Zentrum angesteckt. Die Augenzeugen wussten es besser, doch nach dem Sieg der Putschisten und der Etablierung der Franco-Diktatur in Spanien war es strikt verboten, über das Bombardement zu sprechen. Wer es dennoch wagte, riskierte, verhaftet und in eines der zahlreichen Konzentrationslager und Gefängnisse verschleppt, gefoltert und ermordet zu werden. Nach dem Tod des Diktators Franco 1975 wurden die unter seiner Herrschaft begangenen Verbrechen weiterhin verschwiegen. Sie sind bis heute nicht vollständig aufgearbeitet. Militärarchive blieben verschlossen. Seit einigen Jahren bemühen sich Familienangehörige und soziale Initiativen darum, die eilig in Massengräbern verscharrten ermordeten Republikaner zu exhumieren und zu identifizieren.

Auch in der Bundesrepublik Deutschland schwiegen die Täter (nicht nur) über das Kriegsverbrechen von Guernica. Im Zuge der Remilitarisierung Westdeutschlands, bei der ehemalige Wehrmachtsoffiziere eine maßgebliche Rolle spielten, waren öffentliche Fragen nach den Einsätzen der Wehrmacht im Spanischen (Bürger-)Krieg und im Zweiten Weltkrieg tabuisiert. Die Verbrechen wurden in der Bundesrepublik erst Jahrzehnte nach Ende der NS-Diktatur einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Ihre Vertuschung erleichterte es vielen Deutschen nach dem Krieg, sich ausschließlich als Opfer des alliierten Bombenkrieges zu begreifen und damit zu entlasten. Von den verheerenden deutschen Bombenangriffen auf Guernica, Madrid, Warschau Rotterdam, Coventry, London, Belgrad, Minsk, Stalingrad – um nur einige zu nennen – weiß bis heute in Deutschland kaum jemand Genaueres.

Bei Wunstorf und Langenhagen in der Region Hannover und in Delmenhorst hatten die Nazis ab 1934 Militärflugplätze bauen lassen, auf denen bereits ein Jahr später das »Traditionsgeschwader Boelcke« stationiert wurde. Diese Kampffliegereinheit der neu gegründeten Luftwaffe bereitete sich zunächst in Junkers‘ Ju-52-Behelfsbombern, später in Heinkels He-111-Maschinen auf ihre künftigen Aufgaben vor.

Unmittelbar nach dem Militärputsch gegen die spanische Republik 1936 schickte die deutsche Regierung Ju-52-Transportflugzeuge in die Kolonie Spanisch-Marokko, wo General Franco, einer der Anführer des Putsches, mit seinen Fremdenlegionären und Söldnertruppen festsaß, denn republiktreue Marineeinheiten blockierten die Straße von Gibraltar. Da der Versuch der Generäle, die Republik zu beseitigen, auf der iberischen Halbinsel zunächst wenig erfolgreich war, hing der Erfolg des Unternehmens von der schnellen Verlegung der Kolonialtruppen ins »Mutterland« ab. Von Juli bis September 1936 transportierten Wehrmachtsoldaten in Ju-52-Transportflugzeugen etwa 20.000 Söldner aus der spanischen Kolonie auf die iberische Halbinsel. Ohne diese Hilfe wäre der Putsch gleich in den ersten Tagen gescheitert. Nach Abschluss der Truppenverlegung wurden die Ju-52-Transportflugzeuge in Kampfflugzeuge umgebaut, die wenig später Madrid bombardierten. Adolf Hitler meinte daher 1942: »Franco sollte der Ju 52 ein Denkmal setzen.«

Auch Besatzungen vom Fliegerhorst Wunstorf beteiligten sich mit ihren Maschinen an der Luftbrücke für die Söldner Francos. Im Laufe des Spanischen Krieges entwickelte sich der Fliegerhorst Wunstorf zum Ausbildungszentrum für Bomber- und Aufklärungseinheiten der Legion Condor. Flieger des Traditionsgeschwaders Boelcke aus Wunstorf und Langenhagen waren auch am Bombenangriff auf Guernica beteiligt. Im Zweiten Weltkrieg bombte das Boelcke-Geschwader an allen Fronten. Wie in Spanien gehörten Wohnviertel und zivile Infrastruktur zu den strategischen Zielen, um die Zivilbevölkerung zu demoralisieren. So war das gesamte Geschwader an dem vernichtenden Angriff auf die englische Stadt Coventry beteiligt.

Nach dem Krieg erhielt in Wunstorf die von den Nazis zu Ehren des Traditionsgeschwaders benannte Oswald-Boelcke-Straße zwar einen anderen Namen, aber über die Verbrechen dieser NS-Truppe wurde eisern geschwiegen. Bereits 1952 marschierten die Boelcke-Veteranen wieder durch »ihre« Garnisonsstadt und protestierten gegen die Umbenennung der Oswald-Boelcke-Straße. Ein Jahr später kamen sie wieder und freuten sich, dass der Rat der Stadt ihrem Wunsch nachgekommen war und der Straße wieder den Namen aus der Nazizeit gegeben hatte. Seitdem gibt es in Wunstorf eine Straße zu Ehren der Täter von Guernica und Coventry. Über ihre Taten schwiegen die »Ehemaligen« weitere Jahrzehnte, was ihnen leichtfiel, da niemand nachfragte. Erst in den 1980er Jahren konnte die Beteiligung Wunstorfer Flieger an den Einsätzen der Legion Condor und am Bombardement von Guernica nachgewiesen werden. Während die Veteranen weiter dichthielten, stritt die Fliegerhorstkommandantur der Bundeswehr zunächst die Fakten ab, um sie später – als nichts mehr abzustreiten war – zu relativieren. Die Stadt Wunstorf, der Fliegerhorst und die niedersächsische Landesregierung feierten 1985 das 50-jährige Jubiläum des Flugplatzes und damit die NS-Zeit gleich mit. Die Wunstorfer Stadtsparkasse brachte aus diesem Anlass eine Gedenkmünze heraus, auf der auch das Wappen des Kampfgeschwaders Boelcke abgebildet war, und ein Sonderstempel der Post zeigte die Ju 52 neben der von der Bundesluftwaffe geflogenen Transall.

In der Ju-52-Halle, einem kleinen Militärmuseum der Bundeswehr auf dem Fliegerhorst, ist über die Einsätze dieses Flugzeugtyps als Behelfsbomber nichts zu erfahren. Das Elend der zivilen Opfer, wie Picasso es in seinem Gemälde darstellte, bleibt ausgeblendet. Alle weiteren Einsätze der Ju 52 – beispielsweise bei der verheerenden Bombardierung Warschaus mit Brandbomben im September 1939 – und auch andere Kampfeinsätze des Geschwaders Boelcke im Zweiten Weltkrieg werden im Museum nicht dargestellt. Inzwischen entwickelte sich der Wunstorfer Militärflugplatz als einziger Standort für das Großraumflugzeug A 400 M zur Drehscheibe für die internationalen Kriegseinsätze der Bundeswehr.

Die öffentlichen Diskussionen über das Traditionsverständnis der Bundeswehr blieben nicht ohne Wirkung: Die Fliegerhorstkommandantur – so ist zu hören – plant noch in diesem Jahr an der Einfahrt des Horstes einen Guernica-Gedenkstein zu errichten. Gleich daneben kann in der Ju-52-Halle »die gute alte Tante Ju« bestaunt werden, wie das Mordwerkzeug im Zweiten Weltkrieg in der Truppe liebevoll genannt wurde. Und die Oswald-Boelcke-Straße soll ihren Namen zu Ehren der Boelcke-Flieger behalten. Es handelt sich wohl um einen akuten Fall von historischer Schizophrenie.

Während man in Deutschland das Andenken an die Ju 52 und das Boelcke-Geschwader pflegt, bereitet man sich in Guernica auf die Gedenkfeier zum 80. Jahrestag der Vernichtung der Stadt vor.


Von Hubert Brieden, Mechthild Dortmund und Tim Rademacher erschien soeben die Publikation: »Kriegsfolgen. Gernika (Guernica)/Bizkaia und Wunstorf/Region Hannover. Über die Schwierigkeiten beim Umgang mit der Militärgeschichte in Deutschland und Spanien«, 40 Seiten, 9 €, ISBN 978-3-930726-30-1. Im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte ist bis zum 11. Mai die Ausstellung »›…ein voller Erfolg der Luftwaffe‹. Die Vernichtung von Gernika/Guernica am 26. April 1937. Geschichte und Gegenwart eines deutschen Kriegsverbrechens« zu sehen (www.hausderdemokratie.de). Sie wurden vom Arbeitskreises Regionalgeschichte e. V. erstellt.

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