27.04.2017
Die mexikanischen
Zapatistas kritisieren staatsfixierte Linke
Die Politik der Maskierten
Beim Kongress der Zapatistischen Armee der Nationalen
Befreiung (EZLN) in Mexiko stand die Kritik an der Staats- und
Wahlfixierung der Linken im Mittelpunkt.
Von
Timo Dorsch
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Keine Fahnen, keine Porträts – wenn der EZLN einlädt, kommt
die Führungsriege der politisch-militärischen
Massenorganisation im südöstlichen mexikanischen Bundesstaat
Chiapas ohne Selbstbeweihräucherung aus. Gleichwohl sind die
Zapatistas Meister der politischen Inszenierung. So begann der
von ihnen einberufene Kongress »Die Mauern des Kapitals. Die
Risse der Linken« in der bei Touristen äußerst beliebten Stadt
San Cristóbal de las Casas. Fünf indigene Kommandantinnen
eröffneten Mitte April in vier indigenen Sprachen und Spanisch
mit wenigen trockenen Worten das viertägige Treffen.
Subcomandante Galeano übersetzte sodann kurz ins Englische und
grüßte den ungeliebten Präsidenten des nördlichen
Nachbarlandes: »Fuck you, Trump!« Lachen und Applaus aus dem
Publikum.
Beiträge waren von einem guten Duzend eingeladener
Intellektueller und weiteren Rednern sowie den beiden
Subcomandantes Moisés und Galeano zu hören. In erstaunlich
leiser, fast schon bedachter Manier hörte das Publikum den
Frontalvorträgen zu. Ein übergreifendes Thema war der globale
Kapitalismus, der aufgrund überall fallender Profitraten, der
Kapitalverschiebung in spekulative Bereiche sowie der
Monopolbildung in seiner finalen Phase verortet wurde. Ein
Kennzeichen dieser finalen Phase sei die Zunahme gewalttätiger
Verhältnisse in Form des organisierten Verbrechens oder von
Megaprojekten zur Energiegewinnung als Grundvoraussetzung
eines funktionierenden Wirtschaftskreislaufs.
Das zweite Hauptthema war die Kritik an jenen Linken, die sich auf staatliche Institutionen und Wahlen fokussieren. Zuweilen komme der Verdacht auf, so der Tenor mancher Redner mit Blick unter anderem auf Westeuropa, dass sich die Linke, und nicht nur die etablierte, nach einer Rückkehr des Wohlfahrtsstaats sehne und sich damit ausschließlich innerhalb kapitalistischer Kategorien bewege. Denn, so der Rückgriff auf die marxistische Analyse, Staaten werden in ihrer politischen Gestaltungsmacht in letzter Konsequenz durch ökonomische Zwänge eingeschränkt.
Das zweite Hauptthema war die Kritik an jenen Linken, die sich auf staatliche Institutionen und Wahlen fokussieren. Zuweilen komme der Verdacht auf, so der Tenor mancher Redner mit Blick unter anderem auf Westeuropa, dass sich die Linke, und nicht nur die etablierte, nach einer Rückkehr des Wohlfahrtsstaats sehne und sich damit ausschließlich innerhalb kapitalistischer Kategorien bewege. Denn, so der Rückgriff auf die marxistische Analyse, Staaten werden in ihrer politischen Gestaltungsmacht in letzter Konsequenz durch ökonomische Zwänge eingeschränkt.
In einem einstündigen Vortrag referierte Subcomandante Moisés
am ersten Tag über Unterdrückungsverhältnisse auf
chiapanekischen Fincas vor drei Generationen. Die
Finca-Aufpasser von damals seien die Regierenden von heute.
Doch wie die Aufpasser den damaligen Besitzern gehorchten,
gehorchten auch die Regierenden einer übergeordneten Instanz:
dem kapitalistischen System. Der Tojolabal-Indigene und
Befehlshaber der zapatistischen Streitkräfte schlussfolgerte:
»Der Kapitalismus will die Welt in eine Finca verwandeln.«
Wenn Linke darauf zielten, die Macht im Staat zu erobern, sei
das nichts anderes als die Übernahme der Agenda der
Herrschenden und des kapitalistischen Systems. Nicht nur werde
die Sichtweise übernommen, sondern Befürchtungen und Ängste
seien dieselben. »Wenn der heutige Kampf sich nur um das
Mögliche, um das politische Akzeptierbare dreht, dann ist das
wie Selbstmord«, urteilte Sergio Rodríguez Lascano, ein
ehemaliger Redakteur der prozapatistischen Zeitschrift
Rebeldía, die seit einigen Jahren nicht mehr erscheint.
Vielmehr komme es darauf an, so der Sozialwissenschaftler
Carlos Antonio Aguirre Rojas, »auf die Welt von unten und von
links zu schauen«. Von unten bedeute, so Aguirre Rojas,
ausgehend von Ausbeutung, Diskriminierung, Unterdrückung und
Repression, ausgehend von der Negativität des Denkens auf die
Widersprüche, auf die Verhältnisse zu blicken, um diese
radikal zu verändern.
Trotz Kritik an der Staatsfixierung der Linken hält der
Nationale Indigene Kongress (CNI) an seiner Entscheidung fest,
im Juni 2018 mit einer indigenen Kandidatin bei den
Präsidentschaftswahlen anzutreten. Cristián Chávez vom CNI
resümierte am letzten Tag des Kongresses, dass die Indigenen
ihr Überleben einzig ihren kollektiven Strukturen zu verdanken
hätten und es aufgrund der kapitalistischen Entwicklung in
letzter Zeit immer schwieriger für sie werde. Das primäre Ziel
der Präsidentschaftskandidatur sei die gesellschaftliche
Organisierung von unten.
Chiapas98 Mailingliste
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