Es existieren eine ganze Reihe von Umständen im Zusammenhang mit dem Tode Stalins, die ihn aus gerichtsmedizinischer Sicht zu einem ‘verdächtigen Tod’ werden lassen
(Auszug)
Von W. B. Bland
London 1991
(Deutsche Übersetzung 2002)
Stalins TodAm 3. März 1953 hieß es in einer gemeinsamen Erklärung des Zentralkomitees der KPdSU und des Ministerrates der UdSSR, dass
„ … unserer Partei und unserem Volk ein großes Unglück widerfahren ist.“ (Kommuniqué vom 3. März 1953, in ‘Prawda’ und ‘Iswestija’ vom 4. März 1953, S. 1, in: ‘Aktueller Überblick über die sowjetische Presse’, Band 5, Nr. 6, 21. März 1953, S. 4).
Es hieß dort, dass
„ … sich Genosse Stalin in seiner Moskauer Wohnung in der Nacht vom 1. auf den 2. März eine Gehirnblutung zugezogen habe, die lebenswichtige Teile seines Ge- hirns beeinträchtige. Genosse Stalin verlor das Bewusstsein.
Es entstand eine Lähmung seines rechten Armes und Beins. Das Sprechvermögen setzte aus. Es entwickelte sich eine schwere Störung der Herztätigkeit und der Atmung.
Das beste medizinische Personal wurde herbeigerufen, um den Genossen Stalin zu behandeln. …
Die Behandlung des Genossen Stalin erfolgte unter der ständigen Kontrolle des Zentralkomitees und der Kommunistischen Partei der Sowjetunion sowie der Sow- jetregiering.“ (Erklärung der Regierung vom 3. März 1953, in: ‘Prawda’ und am 4. März in der ‘Iswestija’, S. 1, in: ebenda, S. 4).
In den frühen Morgenstunden des folgenden Tages, dem 4. März, wurde ein medizinisches Bulletin folgenden Inhalts herausgegeben:
„Um 2 Uhr am 4. März ist der Zustand von J. W. Stalin immer noch ernst. Es wer- den erhebliche Störungen der Atmung beobachtet; die Atmungsfrequenz beträgt 36 Schläge pro Minute, bei unregelmäßigem Herzrhythmus und regelmäßig länge- ren Unterbrechungen.
Es wird beobachtet, dass die Pulsfrequenz 120 pro Min. erreicht, bei vollständig un- regelmäßigem Rhythmus. Maximaler Blutdruck liegt bei 220, das Minimum bei 120.
Die Körpertemperatur beträgt 38,2° (Celsius – Verf.). Wegen der gestörten Atmung und Blutzirkulation wird die Unzulänglichkeit der Organfunktion beobachtet. Der Grad der Hirnfunktionsstörungen hat sich leicht verschlimmert.
Zur Zeit werden eine Reihe therapeutischer Maßnahmen ergriffen, um die lebens- wichtigen Funktionen des Organismus wiederherzustellen.“ (Ärztliches Bulletin vom 4. März 1953, in: ebenda, S. 4).
Am Morgen des 5. März wurde ein zweites Bulletin herausgegeben, in dem es hieß:
„Während der vergangenen 24 Stunden blieb der gesundheitliche Zustand von Josef Wissarionowitsch Stalin ernst. Die Arteriosklerose, die sich in der Nacht vom 1. auf den 2. März auf der Grundlage eines Bluthochdrucks und einer Gehirnblutung in der linken Gehirnhälfte herausbildete, hat außer zu einer rechtsseitigen Lähmung von Gliedern und zum Verlust des Bewusstseins zu einer Schädigung des Gehirnstam- mes, verbunden mit Störungen der lebenswichtigen Funktionen der Atmung und der Blutzirkulation geführt.
In der Nacht vom 3. auf den 4. März setzte sich die Störung der Atmung und die der Blutzirkulation fort. Die größten Veränderungen wurden bei der Atmungsfunktion festgestellt.
Phasen einer sogenannten Cheyne-Stokes-Atmung wurden häufiger. Im Zusammen- hang damit verschlechterte sich die Kreislauffunktion und der Sauerstoffmangel er- höhte sich.
Die systematische Zufuhr von Sauerstoff sowie von Medikamenten, welche die At- mung sowie die Arbeit der Herzgefäße stabilisieren, verbesserten allmählich leicht das Krankheitsbild und am Morgen des 4. März verringerte sich der Grad der At- mungsausfälle leicht.
Im Laufe des Tages am 4. März setzten die schweren Atmungsstörungen jedoch wieder ein. Die Atmungsfrequenz betrug 39 pro Minute. Der Blutdruck blieb hoch (Maximum bei 210, Minimum bei 110) – bei einer Pulsfrequenz von 108-116 pro Mi- nute – unregelmäßig, flatternd und arthythmisch.
Das Herz ist nicht übermäßig vergrößert. In den vergangenen 24 Stunden wurden wesentliche Veränderungen im Zustand der Lunge sowie der Organe der Bauch- höhle festgestellt. Eiweißstoffe und rote Blutkörperchen waren im Normbereich.
Die Blutuntersuchung ergab, dass die Zahl der weißen Blutkörperchen in einem Umfang auf bis zu 17.000 angestiegen war. Die Körpertemperatur stieg am Mor- gen und am Nachmittag auf 38,6° C.
Die im Verlauf des 4. März ergriffenen medizinischen Maßnahmen bestanden in der Zufuhr von Sauerstoff und dem Verabreichen von Kampferpräparaten, von Kof- fein und Glukose. Ein zweites Mal wurden Blutegel für die Blutentnahme einge- setzt.
Wegen der hohen Temperatur und der ausgeprägten Lykozytose wurde die Be- handlung mit Penizillin, welche für prophylaktische Zwecke seit Beginn der Er- krankung durchgeführt wurde, intensiviert.
Am Ende des 4. März ist der gesundheitliche Zustand von Josef W. Stalin nach wie vor ernst.
Der Patient befindet sich in einer tiefen Bewusstlosigkeit.
Die nervliche Regulation der Atmung sowie die der Herztätigkeit sind weiterhin schwer beeinträchtigt.“
(Ärztliches Bulletin, 2 Uhr, 5. März 1953, in: ‘Prawda’ und ‘Iswestija’, 5. März 1953, S. 1, in: ebenda, S. 4).
Ein drittes ärztliches Bulletin wurde am Morgen des 5. März 1953 herausgegeben und in der Presse am 6. März veröffentlicht. Es berichtete von dem sich verschlechternden Zu- stand Stalins:
„In der Nacht sowie in der ersten Tageshälfte des 5. März verschlimmerte sich der Zustand von J. W. Stalin. Aktute Störungen des Herz-Kreislaufsystems sind zu der Beeinträchtigung lebenswichtiger Gehirnfunktionen hinzugetreten. Drei Stunden lang ereigneten sich heute morgen schwere Atmungsausfälle, die auch nach intensiver Therapie nur leicht zurückgingen.
Heute morgen um 8 Uhr entwickelten sich Anzeichen einer akuten Herzschwäche, eines Kollaps. Der Blutdruck sank, der Pulsschlag beschleunigte sich. Eine zu- nehmende Blässe entstand. Ein sofortiges Eingreifen beseitigte diese Symptome.
Ein Elektrokardiogramm, das um 11 Uhr aufgenommen wurde, wies auf eine akute Störung der Blutzirkulation in den Herzkranzarterien hin sowie auf Schädigungen der hinteren Herzwand. (Das am 2. März aufgenommene Elektrokardiogramm hatte diese Veränderungen noch nicht angezeigt). Um 11.30 Uhr ereignete sich ein zwei- ter schwerer Kollaps, der durch richtige medizinische Behandlung unter Schwierig- keiten beseitigt werden konnte. Im späteren Verlauf des Tages ließ die Störung der Herztätigkeit etwas nach, der Allgemeinzustand des Patienten blieb jedoch wei- terhin außergewöhnlich ernst.
Um 4 Uhr nachmittags bewegte sich der Blutdruck zwischen einem Maximum von 160 und einem Minimum von 100. Der Puls war 120/Minute und unregelmäßig. Die Atmungsfrequenz betrug 36/Minute. Die Körpertemperatur war 37,6°. Die Zahl der Leukozyten betrug 21.000. Die Behandlung konzentriert sich zur Zeit in erster Linie auf die Behebung der Störung der Atmungstätigkeit und die des Blutkreislaufs, ins- besonderer bei der Zirkulation in den Herzkranzgefäßen.“ (Ärztliches Bulletin, 4 Uhr nachmittags, 5. März 1953, in: ‘Prawda’ und ‘Iswestija’, 6. März 1953, S. 1, in: ebenda, S. 5).
Am 6. März schließlich erschien der ärztliche Bericht, in dem der Tod Stalins mitgeteilt wurde:
„Am Nachmittag des 5. März verschlechterte sich der Zustand des Patienten besonders rapide; die Atmung wurde flacher und sehr viel schneller, der Puls er- reichte 140-150 Schläge pro Minute bei nachlassendem Pulsdruck.
Nach Herzversagen und zunehmender Atmungsschwäche verstarb Stalin um 21.50 Uhr.“ (Ärztliches Bulletin, 6. März 1953, in: ‘Prawda’ und ‘Iswestija’, 6. März 1953, S.1, in: ebenda, S. 5).
Der medizinische Bericht erschien zusammen mit einer gemeinsamen Huldigung vonsei- ten des Zentralkomitees, der Regierung und des Präsidiums des Obersten Sowjet der UdSSR:
„Das Herz von Lenins Waffengefährten und des erleuchteten Fortsetzers der Leninschen Sache, des weisen Führers und Lehrers der Kommunistischen Partei und des sowjetischen Volkes – Josef Wissarionowitsch STALIN – hat aufgehört zu schlagen.
STALINS Name ist unserer Partei, dem sowjetischen Volk und den arbeitenden Menschen der Welt grenzenlos teuer. … Indem er Lenins unsterbliche Sache fort- setzte, führte Genosse STALIN das sowjetische Volk zu dem welthistorischen Triumph des Sozialismus in unserem Land. Genosse STALIN führte unser Land zum Sieg über den Faschismus im Zweiten Weltkrieg, wodurch ein radikaler Wan- del der gesamten internationalen Lage herbeigeführt wurde. Genosse STALIN be- waffnete die Partei und das ganze Volk mit einem großartigen und klaren Programm für den Aufbau des Kommunismus in der UdSSR.
Der Tod des Genossen STALIN, der sein ganzes Leben der großen Sache des Kommunismus widmete, stellt einen großen Verlust für die Partei und für die ar- beitenden Menschen der Sowjetunion und der ganzen Welt dar.“ (Gemeinsame Erklärung des ZK der KPdSU, des Ministerrats der UdSSR und des Präsidiums des Obersten Sowjet der UdSSR, in: ‘Prawda’ und ‘Iswestija’, 6. März 1953, S. 1, in: ebenda, S. 5).
Am 7. März 1953 wurde der Bericht über die Obduktion von Stalins sterblichen Überresten veröffentlicht. In ihm hieß es:
„ … die Diagnose, die von den Professoren der Medizin, die J. W. Stalin behandelten, gestellt wurde, wird voll und ganz bestätigt.“ (Pathologische und anatomische Untersuchung der sterblichen Überreste Josef Stalins, in: ‘Prawda’, 7. März 1953, in: G. Bortoli, ‘Stalins Tod’, London 1975, S. 209).
Außerdem wird gesagt, dass
„ … der unumkehrbare Charakter von Stalins Erkrankung seit dem Auftauchen der Gehirnblutung bestätigt wird.“ (ebenda).
Der Bericht im Einzelnen:
„Im Ergebnis der pathologischen und anatomischen Untersuchung konnte ein be- deutsames Zentrum einer Gehirnblutung in der Region der unteren Gehirnrinde der linken Gehirnhälfte lokalisiert werden. Diese Blutung zerstörte wichtige Teile des Gehirns und rief unheilbare Störungen der Atmung sowie der Blutzirkulation hervor. Neben dieser Gehirnblutung wurden eine erhebliche hypertonische Störung der lin- ken Herzkammer, umfangreiche Blutungen des Herzmuskels und in der Magen- und Darmschleimhaut und arteriosklerotische Veränderungen von besonders wich- tigen Gefäßen in den Gehirnarterien festgestellt. Dieser Prozess war die Folge hohen Blutdrucks. Die Ergebnisse der pathologischen und anatomischen Unter- suchungen haben voll und ganz die Diagnose bestätigt, die von den Professoren der Medizin, die J. W. Stalin behandelten, gestellt wurde. Diese Ergebnisse haben den unheilbaren Charakter der Krankheit J. W. Stalins seit dem Auftreten der Ge- hirnblutung bestätigt. Aus diesen Grunde konnten auch die energischen Maßnah- men im Rahmen der Behandlung zu keinem positiven Ergebnis führen und auch den tödlichen Ausgang nicht mehr verhindern.“ (ebenda, S. 209).
Es existieren eine ganze Reihe von Umständen im Zusammenhang mit dem Tode Stalins, die ihn aus gerichtsmedizinischer Sicht zu einem ‘verdächtigen Tod’ werden lassen:
Erstens schien Stalin unmittelbar vor Märzbeginn in ausgezeichneter gesundheitlicher Ver- fassung zu sein:
„Und was ist mit Stalin selbst? In bester Verfassung. Bester Laune. Dies sind die Worte der drei Ausländer, die ihn im Februar begegneten: Bravo, der argentinische Botschafter; Menon, der indische sowie Dr. Kitchlu, indischer Aktivist der Friedens- bewegung.“ (H. Salisbury, ‘Stalins Russland und danach’, London 1952, S. 157).
Zweitens gab es in der Nacht vom 1. zum 2. März eine lange Verzögerung beim Eintreffen ärztlicher Hilfe:
„Chruschtschow macht keine genauen Zeitangaben; seine Erzählung lässt es jedoch als unglaubhaft erscheinen, dass die Ärzte lange vor 5 Uhr morgens am 2. März eintrafen. … Es ist nicht wahr, dass er unmittelbar nach dem Schlaganfall ärztlich behandelt wurde.“ (R. H. McNeal, ebenda, S. 304).
„Ein Geheimnis umgab das, was mit Stalin geschah. Seine Wächter machten sich Sorgen, als er um 11 Uhr abends nicht nach seinem Abendessen gefragt hatte. … Der Sicherheitsbeamte hob ihn hoch und legte ihn auf das Sofa, die Ärzte wurden jedoch erst am Vormittag herbeigeholt. …
Stalin war für den Großteil eines ganzen Tages hilflos und ohne Behandlung sich selbst überlassen worden, was Wiedebelebungsversuche sehr erschwerte. …
Warum schoben die Parteiführer das hinaus? Einige Historiker sehen hier Hinweise auf einen vorsätzlichen Mord. Abdurakhman Awtorhanow erblickt den Grund in Stalins offensichtlichen Vorbereitungen für eine Säuberung im Stil der 30iger Jahre.“ (J. Lewis & P. Whitehead, ‘Stalin. Zeit für ein Urteil’, London 1990, S. 179).
„Die ersten Ärzte … erschienen erst am nächsten Vormittag.“ (W. Laqueur, ebenda, S. 151).
„Erst mit zwölf- oder vierzehnstündiger Verspätung wurden die Ärzte schließlich zu dem im Koma liegenden Führer gebracht.“ (D. Wolkogonow, ebenda, S. 513).
Drittens wurde eine absichtliche Lüge bei der Verkündung seines Todes verwendet, der der Erklärung zufolge ‘in seiner Wohnung in Moskau’ eingetreten sein soll, während er in Wirk- lichkeit in seiner Datscha in Kuntzewo eintrat. Adam Ulam behauptet, dass
„ … Stalins Tod eine Atmosphäre der Konspiration umgab. Das verspätete Kommu- niqué, das über seinen Schlaganfall berichtete, betonte, dass dieser sich in sei- ner Wohnung im Kreml ereignet habe. Aber es war sein Landhaus, in das seine Tochter Swetlana am 2. März gerufen wurde, um an seinem Totenbett sein zu können. … Er war von Moskau fortgebracht worden. …
Die amtliche Verlautbarung hatte, was den Ort, an dem Stalin den tödlichen Schlaganfall erlitten hatte, anbetraf, gelogen. …
Anscheinend gab es einen Grund für diese Unwahrheit: Seine Nachfolger fürchte- ten, dass eine wahrheitsgemäße Erklärung darüber, wo er sich zur Zeit des Schlag- anfalls befand, zu Gerüchten führen könnte, … dass der Schlaganfall sich ereigne- te, als er von den Oligarchen entführt oder verhaftet worden war. Menschenmengen hätten sich möglicherweise in Richtung Kreml begeben und eine Erklärung darüber verlangt, was ihrem Vater und Beschützer widerfahren sei.“ (A. B. Ulam, ebenda, S. 4, 700, 739).
Viertens hatten, wie wir gesehen haben, die revisionistischen Verschwörer ein handfestes und eiliges Motiv – das der Selbsterhaltung – für die Beseitigung Stalins:
„Für viele führende sowjetische Staatsmänner und Funktionäre kam Stalins Dahin- scheiden genau zur rechten Zeit. Ob dieses auf natürliche Ursachen zurückzuführen war oder nicht, bleibt einmal dahingestellt.“ (D. M. Lang, ebenda, S. 262).
„Welch eine seltsame Laune des Schicksals, dachte ich bei mir, dass Stalin nur wenige Wochen, nachdem die eigenen Ärzte des Kreml beschuldigt worden waren, genau solch einen Tod durch Intrigen herbeigeführt zu haben, im Sterben liegen sollte.
Aber war es wirklich nur eine Laune? … War es möglich, dass diese mächtigen und fähigen sowjetischen Führer, zusammen mit ihren Kollegen in der Armee, einfach nur passiv abwarten und keinerlei Schritte unternehmen würden, um den heranna- henden Terror, der sie fast alle mit Sicherheit beseitigen würde, aufzuhalten? …
Auch wenn ein Mord nicht bewiesen werden kann, so gab es zweifellos ein Motiv dafür. … Denn, … wenn Stalin tatsächlich dabei war, eines natürlichen Todes zu sterben, dann war dies der größte Glücksfall, der für diese Leute, die zu seiner nächsten Umgebung gehörten, eintreten konnte. (H. Salisbury, ebenda, S. 160 f.).
Fünftens ist es notwendig, die ganze Serie von Maßnahmen, die die Verschwörer in den Monaten vor Stalins Tod trafen, um das System des Schutzes, das ihn umgeben hatte, zu zerstören, zu berücksichtigen.
Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass sich innerhalb weniger Wochen nach Stalins Tod Gerüchte verbreiteten, dass er ermordet worden sei:
„Es gab vor allem in Georgien Gerüchte, dass Stalin vergiftet worden sei.“ (W. Laqueur, ebenda, S. 151).
Robert Conquest spricht von der
„ … Möglichkeit, dass er ermordet wurde.“ (R. Conquest, 1961, S. 172).
Als Stalins ehemaliger Leibwächter Wlassik dabei war, Moskau nach seiner Entlassung zu verlassen, soll Stalins Sohn Wassili* ausgerufen haben:
„ ‘Sie werden ihn umbringen! Sie werden ihn umbringen!’. Mit ‘sie’ meinte er … andere Mitglieder des Politbüros und mit ‘ihn’ meinte er seinen Vater.“ (P. Deriabin, ebenda, S. 321).
„Stalins Sohn Wassili kam ständig herein und rief … :’Sie haben meinen Vater getötet, diese Schweine!’ „ (D. Wolkogonow, ebenda, S. 774).
Obwohl Wassili Alkoholiker war – als er nicht nachließ, diese Anschuldigungen öffentlich auszusprechen, wurde er im April 1953 verhaftet, um, wie seine Schwester sich ausdrückte, ‘ihn zu isolieren’:
„Nach dem Tod meines Vaters wurde er (Wassili – Verf.) … verhaftet. Das geschah, weil er der Regierung gedroht hatte; er sprach davon, dass ‘mein Vater von seinen Rivalen ermordet worden sei’ und all solche Sachen und es waren dabei immer sehr sehr viele Leute anwesend …, so dass sie sich entschlossen, ihn zu isolieren. Bis 1961 war er im Gefängnis … und danach starb er bald.“ (S. Allilujewa, ‘Nur ein Jahr’, London 1969, hiernach zitiert als ‘S. Allilujewa, 1969′,
S. 202).
„Er (Wassili – Verf.) war davon überzeugt, dass unser Vater ‘vergiftet’ oder ‘ermordet’ worden sei. …
In der Zeit vor der Beerdigung … beschuldigte er die Regierung, die Ärzte und alle möglichen anderen Leute in seiner Nähe, meinen Vater falsch behandelt zu haben. … .
Er wurde am 18. April 1953 verhaftet. …Ein Militärgericht verurteilte ihn zu acht Jah- ren Gefängnis. … Er starb am 19. März 1962.“ (S. Allilujewa, 1967, S. 222 ff.).
Georges Bortoli* dazu: „Wassili Stalin hatte das laut ausgesprochen, was andere nur leise dachten. In we- niger als einem Monat hätten sich in Moskau alle möglichen Gerüchte verbreitet und die Menschen hätten angefangen, von einem Verbrechen zu sprechen. … Einige meinten, dass mehrere Leute aus Stalins engster Umgebung von einer her- annahenden Säuberung bedroht gewesen waren. Hatten sie Vorkehrungen getroffen, um dies zu verhindern?“ (G. Bortoli, ebenda, S. 151).
Robert Conquest und auch andere Kommentatoren haben auf die plötzliche Erkrankung und den plötzlichen Tod des marxistisch-leninistischen tschechoslowakischen Parteiführers Klement Gottwald*, kurz nachdem er in Moskau aus Anlass seiner Teilnahme an Stalins Beerdigung gewesen war, hingewiesen und die Vermutung geäußert, dass auch dieser Tod veranlasst worden sein könnte. Gottwalds Nachfolger als Präsident der Tschechoslowakei wurde der getarnte Revisionist Antonin Zápotocký*:
„Vielen Kommentatoren fiel auf, dass unmittelbar nach Stalins Tod auch Gottwald … erkrankte, als er in Moskau an Stalins Beerdigung teilgenommen hatte und ein paar Tage darauf starb; und auch sie zogen die Natürlichkeit der Gottwaldschen Erkrank- ung in Frage.“ (R. Conquest, 1961, S. 174).
Der albanische Parteiführer, der Marxist-Leninist Enver Hoxha*, weist ebenfalls auf diesen Umstand hin:
„Unmittelbar nach Stalins Tod starb Gottwald. Dies war ein plötzlicher, überrasch- ender Tod! Niemand, der Gottwald kannte, wäre auf den Gedanken gekommen, dass dieser starke, agile, gesunde Mann an einer Grippe oder Erkältung sterben könnte, die er sich angeblich an dem Tag von Stalins Beerdigung zugezogen haben soll.“ (E. Hoxha, ‘Die Chruschtschowianer’, Tirana 1984, hiernach zitiert als ‘E. Hoxha, 1984′, S. 153 f.).
Hoxha weist auch auf die verdächtigen Umstände des Todes des polnischen Parteiführers, des Marxisten-Leninisten Boleslaw Bierut*, am 12. März 1956
„ … in Moskau hin, wo er am 20. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjet- union teilgenommen hatte.“ (‘Keesings Archive der Zeitgeschichte’, Band 10, S. 14, 767).
Ihm folgte im Amt der Revisionist Edward Ochab:
„Später ereignete sich der gleichermaßen unerwartete Tod des Genossen Bierut. … An seine Stelle trat Eward Ochab als Erster Sekretär der Partei. So erfüllte sich ein langersehnter Wunsch Chruschtschows.“ (E. Hoxha, 1984, S. 153, 165).
Ochab war es gewesen, dem es gelang, den inhaftierten Revisionisten Wladislaw Gomulka im April aus der Haft zu befreien und ihn im Oktober zum Ersten Sekretär der Partei zu be- fördern.
Hoxha wirft den revisionistischen Verschwörern unumwunden den Mord an Stalin vor: „Diese kosmopolitische Krämerseele (Anastas Mikojan – Verf.) … intrigierte, wie die Geschichte gezeigt hat, zusammen mit Nikita Chruschtschow gegen Stalin, den sie beschlossen hatten umzubringen. Er gestand dies selbst mit seinen eige- nen Worten im Februar 1960 ein.“ (E. Hoxha, 1984, S. 68 f. dt. Ausgabe).
„All diese Schurkereien kamen gleich nach Stalins Tod oder, um genauer zu sein, gleich nach seiner Ermordung ans Licht. Ich sage nach der Ermordung Stalins, weil Mikojan mir selbst sagte, … dass sie zusammen mit Chruschtschow und seinen Kollegen beschlossen hatten, … einen Anschlag auf Stalins Leben zu unternehmen.“ (E. Hoxha, ‘Begegnungen mit Stalin. Erinnerungen’, Tirana 1979, S. 34 dt. Ausgabe).
Der fehlgeschlagene Putsch, 1953
Wie bereits festgestellt wurde, befanden sich die Sicherheitskräfte in den Jahren vor Stalins Tod unter der Kontrolle von getarnten Revisionisten, nicht unter der von Marxisten-Leninis- ten:
„Vor Stalins Tod befanden sich die Ministerien für Staatssicherheit und Inneres nicht unter Berijas Kontrolle.“ (R. Conquest, 1961, S. 200).
Es versteht sich von selbst, dass bei einer Neuaufteilung der Verantwortlichkeiten nach Sta- lins Tod, es für die revisionistischen Verschwörer von großer Bedeutung war, dass die Kon- trolle über die Sicherheitskräfte nicht erneut in die Hände von Marxisten-Leninisten geriet.
Chruschtschow berichtet von einem Gespräch mit seinem revisionistischen Mitstreiter Nikolai Bulganin* an Stalins Totenbett über die Gefahren für ihr Vorhaben, falls der Marxist- Leninist Lawrenti Berija erneut Minister für die Sicherheitsdienste werden sollte:
„ ‘Stalin wird nicht durchkommen. … Was meinst du – welchen Posten wird sich Berija sichern?’
‘Welchen denn?’
’Er wird versuchen, sich zum Minister für die Staatssicherheit zu machen. Egal, was passiert – damit darf er nicht durchkommen. Wenn er Minister für Staatssi- cherheit wird, dann ist das für uns der Anfang vom Ende.’ Bulganin stimmte mir zu.“ (N. Chruschtschow, 1971, S. 319).
Wie wir gesehen haben, starb Stalin am 5. März, abends um 9.50 Uhr. Sofort nutzten die Revisionisten ihre Kontrolle über die Sicherheitskräfte, um einen Putsch vorzubereiten. Der US-amerikanische Journalist Harrison Salisbury war Augenzeuge davon, wie kurz vor 6 Uhr am nächsten Morgen
„ … Kolonnen von Lastwagen sich still und leise in die Stadt hineinbewegten.
Einheiten von MWD-Truppen mit ihren blau-roten Kappen – immer 21 Leute in einem Fahrzeug – die Spezialeinheiten des Ministeriums für Innere Angelegenheiten – sa- ßen mit übergeschlagenen Beinen auf hölzernen Bänken in ihren grünangestriche- nen Lastwagen. … Mir kam kurz der Gedanke, dass ein Putsch kurz bevorstehen könnte. …
Gegen neun Uhr … waren die Einheiten des MWD überall im Stadtzentrum. … In der oberen Gorki-Straße tauchten Panzerkolonnen auf. … Sämtliche Truppen und Panzer gehörten zur Spezialeinheit des MWD. Man konnte nicht eine einzige Ein- heit regulärer Streitkräfte ausmachen. …
Später erkannte ich, dass das MWD fast die gesamte Innenstadt von Moskau abge- riegelt hatte. …
Gegen zehn oder elf Uhr am Morgen des 6. März 1953 war niemand mehr in der La- ge, ohne Erlaubnis des MWD den Stadtkern von Moskau zu verlassen. …
Die MWD-Einheiten hatten die Stadt erobert. … Konnten irgendwelche anderen Truppen in die Stadt gelangen? Nur dann, wenn sie die Erlaubnis des MWD besaßen oder bereit waren, sich Straße für Straße, Barri- kade für Barrikade durchzukämpfen.“ (H. Salisbury, ebenda, S. 163 f., S. 166, 171, 173).
Robert Conquest beschreibt die Situation in ähnlicher Weise: „Die Straßen von Moskau waren vollgestopft mit MWD-Truppen, als Stalins Tod be- kanntgegeben wurde.“ (R. Conquest, 1961, S. 200).
So auch Pjotr Deriabin:
„Noch bevor Stalins Körper erkaltet war, … hatten Sicherheitskräfte … nicht nur Kon- trollpunkte eingerichtet und den Verkehr, einschließlich des der Fußgänger, an jeder wichtigen Durchgangsstraße zum Erliegen gebracht, sondern sie hatten auch den Kreml umzingelt.“ (P. Deriabin, ebenda, S. 328).
Die Marxisten-Leninisten schafften es jedoch zumindest vorübergehend, den geplanten Putsch dadurch zu vereiteln, dass es ihnen gelang, genügend Anhänger zu mobilisieren, dass am folgenden Tag, den 7. März, eine gemeinsame Dringlichkeitssitzung des Zentral- komitees der Kommunistischen Partei, des Ministerrats sowie des Obersten Sowjet der UdSSR einberufen werden musste. Angesichts dieser Entwicklung riskierten die revisionis- tischen Verschwörer zunächst einmal nichts und hielten es für den Moment für zweckmä- ßig, ihren geplanten Putsch zu verschieben und der Wahl Berijas zum Minister für Staats- sicherheit , die unter den Parteiführern eine Mehrheit gefunden hatte, keinen Widerstand entgegenzusetzen:
„Sofort schlug Berija Malenkow als Vorsitzenden des Ministerrats (=Ministerpräsi- dent – Verf.) vor. Umgehend schlug Malenkow Berija als Ersten Stellvertreter vor.
Er regte auch den Zusammenschluss des Ministeriums für Staatssicherheit mit dem für Innere Angelegenheiten zu einem einheitlichen Ministerium für Inneres an – mit Berija als Minister. … Ich sagte nichts. … Auch Bulganin schwieg. Ich erkann- te, welche Einstellung die anderen hatten. Wenn wir uns dagegen gestellt hätten, … hätte man uns vorgeworfen, … in der Partei einen Konflikt vom Zaun gebrochen zu haben, bevor der Leichnam erkaltet war.“ (N. S. Chruschtschow, 1961, S. 324).
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