Mittwoch, 24. April 2013

Bombenleger-Affäre in Luxemburg: Gericht will Jacques Santer und Jean-Claude Juncker vorladen. Sie wußten davon, taten aber nichts

jungeWelt vom 20.04.2013 Von Ali Ruckert und Peter Wolter Für Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker und seinen Vorgänger Jacques Santer wird es eng: Das Kriminalgericht des Landes will beide Politiker zu Vorwürfen hören, sie hätten gewußt, daß die NATO-Geheimorganisation »stay behind« mit Hilfe des luxemburgischen Geheimdienstes »Service de Renseignement« (SREL) zwischen 1984 und 1986 mindestens 18 Bombenattentate verübt hat. Die Anschläge galten vor allem Strommasten eines Energieversorgers, es wurden aber auch Bomben in der Radarstation des Flughafens und in Büros gelegt. Mehrere Menschen wurden verletzt. Gaston Vogel, Verteidiger von zwei Expolizisten, die im »Bommeleeér«-Prozeß (Bombenleger) der Beteiligung an solchen Anschlägen angeklagt sind, sagte der jW am Freitag, die Vorsitzende Richterin habe seinem Antrag zugestimmt, nicht nur Juncker und Santer vorzuladen, sondern auch den ehemaligen Justiz- und jetzigen Finanzminister Luc Frieden sowie Geheimdienstbeamte. Er rechne damit, daß das Gericht am Mittwoch die Reihenfolge der Ladungen bekanntgibt. In der vergangenen Woche schon hatte Vogel »Top secret«-Dokumente aus dem Jahre 1985 vorgelegt, aus denen hervorgeht, daß der damalige Premierminister Santer über bevorstehende »Stay behind«-Übungen informiert war. Und am Donnerstag berichtete RTL-Radio Lëtzebuerg, im Januar 2006 seien SREL-Direktor Marco Mille und zwei seiner Mitarbeiter mit Juncker und Justizminister Frieden zusammengekommen. Sie hätten sie darüber unterrichtet, daß eine der luxemburgischen »Stay behind«-Gruppen die Anschläge verübt habe. »Weder Juncker noch der Minister haben diese Informationen an die Justiz weitergegeben«, sagte Vogel. »Auch im luxemburgischen Recht heißt das ›Nichtanzeige einer Straftat‹ und wird streng geahndet.« RTL berichtete weiter, in den der heutigen SREL zugespielten Dokumenten gehe es auch um riesige Summen Schwarzgeld auf Luxemburger Banken, Tarnfirmen und Brüsseler Geheimlogen. Der frühere Präsident der Kontokammer (Rechnungshof), Gérard Reuter, der nach eigenen Worten beim Geheimdienst aus- und einging und auch dessen Etat genehmigen mußte, bestätigte in dem Sender die »Stay behind«-Aktionen. Der US-Geheimdienst CIA habe damals, so fügte Reuter hinzu, Aktionen zur Zurückdrängung des Kommunismus gefordert. Zur Zeit der Anschläge sei übrigens der italienische P2-Faschist Licio Gelli, der beste Kontakte zur »Stay behind«-Infrastruktur gehabt habe, in Luxemburg gewesen. Reuter sagte weiter, die Miete seiner Wohnung in Niederkerschen habe erst der SREL, später die private Sicherheitsfirma »Sandstone« bezahlt, in der ein früherer Geheimdienstler Aktionär ist. Das alles sei offenbar mit Wissen der Regierung geschehen, um sich seines Schweigens zu versichern. Heute wolle er jedoch nicht länger den Mund halten. Vor dem Kriminalgericht hatte vergangene Woche der Duisburger Historiker Andreas Kramer unter Eid ausgesagt, sein Vater Johannes Kramer sei hochbezahlter Agent des Bundesnachrichtendienstes (BND) gewesen und habe die Luxemburger Attentate im Auftrag der NATO koordiniert. Er sei auch Organisator des Bombenattentates vom 26. Oktober 1980 auf das Münchner Oktoberfest gewesen. Sein Vater habe ihm erzählt, daß in die Luxemburger Attentate neben dem SREL und dem BND auch der britische Auslandsgeheimdienst MI 6 verwickelt war. Nicht nur die Luxemburger Justiz scheint fest entschlossen zu sein, die Urheber der Bombenanschläge zur Verantwortung zu ziehen. Auch der Parlamentarische Untersuchungsausschuß, der zu der Bombenleger-Affäre ermittelt, greift durch: Am 3. Januar ließ er das Archiv des SREL von der Polizei versiegeln. Mittlerweile wurde bekannt, daß der Geheimdienst schon vor Jahren im Senniger Schloß ein zweites, geheimes Archiv eingerichtet hatte.

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