Freitag, 19. Oktober 2012

Stalins Nobelpreis

Na gut, ja, den Wirtschaftsnobelpreis hätte man der EU auch verleihen können, dann hätte es so richtig blöd ausgesehen. Aber Frieden? Da kann man immerhin sagen: Mein Gott, wenn ein US-Präsident, der diverse Aggressionskriege weiterführt, neue beginnt, eine Reihe von Staaten militärisch bedroht und Killerkommandos auf Exekutionsterrorismus schickt, den Friedensnobelpreis bekommen kann, dann ist das mit der EU eigentlich auch schon egal. Das Preisgeld von etwas über 900.000 Euro kann die EU sicher brauchen, zumal es zum Glück in schwedischen Kronen ausbezahlt wird. Nach der Begründung des norwegischen Friedensnobelpreiskomitees erhält die EU den Preis für "den erfolgreichen Kampf für Frieden und Versöhnung und für Demokratie sowie die Menschenrechte; die stabilisierende Rolle der EU bei der Verwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem des Friedens." - Schön! Also 60 Jahre Friedensprojekt Europa oder so. Meinetwegen: Wenn Frieden die Abwesenheit von Krieg ist, dann stimmt's ja ein bissel. Tatsächlich gab es zwischen 1949 (Ende des Griechischen Bürgerkrieges) und 1991 (Beginn der Balkankriege, in Slowenien) keine Kriege in Europa, abgesehen von einigen zypriotischen Querelen. Das heißt aber nicht, dass die EG-/EU-Staaten keine Kriege geführt haben - sehr wohl, aber eben nicht untereinander und bloß außerhalb von Europa, so insbesondere Großbritannien, Frankreich, Spanien, Belgien, die Niederlande oder auch Portugal, nämlich im Sinne von Neo- und ganz altertümlichen Kolonialkriegen in Afrika und Asien. Und gleich mehrere europäische Staaten beteiligten sich am Koreakrieg, an den diversen Golfkriegen sowie - wahrlich nicht zuletzt - 1999 am Krieg gegen das serbisch-montenegrinische Jugoslawien (Ist das jetzt in Europa? Na jedenfalls nicht in EUropa.). Damit wurde auch Deutschland wieder unmittelbar aktiv. Aber egal, so global muss man in Oslo und Brüssel ja nicht denken, ein ordentlicher Eurozentrismus muss ja auch irgendwo Schluss, wenn Sinn machen. Bleibt immer noch die Periode 1949-1991, die ohne Krieg in Europa verlief. Stellt sich die Frage: Ist das wenigstens der EG zu verdanken? Klare Antwort: Jein. Die EGKS-, EAG-, EWG- und EG-Gründung ist ein Projekt des damaligen kapitalistischen Teils Europas, v.a. der imperialistischen Hauptmächte auf dem Kontinent, zunächst der BRD, Frankreichs, Italiens und der Benelux-Staaten, dann inklusive Großbritanniens, Irlands und Dänemarks, zuletzt mit Spanien, Portugal und Griechenland. Der Zweck war durchaus auch auf die Abwesenheit von Krieg gerichtet, denn die beiden Weltkriege hatten eines gezeigt: Sie schwächen den Imperialismus in Europa und stärken den Sozialismus. Ein Ergebnis des Ersten Weltkrieges waren die Oktoberrevolution in Russland und die Schaffung der UdSSR. Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges waren antifaschistische Volksdemokratien bzw. sodann sozialistische Staaten in ganz Ost- und Südosteuropa (mit Ausnahme Griechenlands), außerdem - global noch relevanter - die Gründung der Volksrepublik China 1949. Und damit haben wir das ominöse Jahr vor uns, von dem an es bis 1991 keine Kriege in Europa gab. Es ist nicht nur das Jahr der Gründung der VRC, sondern auch der DDR und der Volksrepublik Ungarn, im Vorjahr war u.a. die ČSSR geschaffen worden und die kommunistischen Regierungen in Polen, Rumänien und Bulgarien hatten sich konsolidiert. Und in all diesen osteuropäischen Ländern stand die Rote Armee der Sowjetunion. Im imperialistischen Westblock Europas (und in den USA) setzte sich die Einsicht durch: Einen weiteren Krieg untereinander kann man sich unter diesen Bedingungen nicht leisten, sonst steht die Rote Armee demnächst schon an der Atlantikküste. Es bedurfte daher transnationaler antisozialistischer und antikommunistischer Bündnisse, um dem weiteren Vormarsch des Sozialismus Einhalt zu gebieten: eines dieser Bündnisse war die EG. Ziel dieser Bündnisse war es, gemeinsam und intern halbwegs konfliktfrei den Kampf gegen die UdSSR und die sozialistischen Staaten zu führen. Der gemeinsame Kalte Krieg gegen den Sozialismus ersetzte die echten Kriege innerimperialistischer Natur. D.h. die Existenz der sozialistischen Staaten hatte den europäischen Imperialismen einen Friedenszwang auferlegt. Und mit dem Ende des europäischen und sowjetischen Sozialismus in den Jahren 1989-1991 war dieser Friedenszwang vorbei, folgerichtig war es dann auch schlagartig, nämlich schon im Sommer 1991, ebenso mit der Abwesenheit des Krieges in Europa wieder vorbei. Es wäre naiv, zu glauben, hier läge eine zufällige Scheinkorrelation vor. Wenn diese "Friedensperiode" von 1949 bis 1991 ausgezeichnet werden soll, so müsste der Preis dafür wohl posthum an Stalin, Wilhelm Pieck, Tito, Enver Hoxha, Mao Tse-tung und ihre Genossen gehen. Denn ohne sie wären der deutsche, französische, britische und italienische Imperialismus und ihre Verbündeten nicht 40 Jahre lang zum Frieden in Europa verpflichtet gewesen. Auch schön. Wichtiger aber ist die Feststellung: Diese Periode ist zu Ende. Es ist leicht, empört zu fragen: Warum bekommt ein kriegführendes, Besatzungstätigkeiten ausführendes, hochgerüstetes und militarisiertes imperialistisches Bündnis wie die EU den Friedensnobelpreis? - Man sollte aber auch die Aufrichtigkeit und den Mut haben, die wirklichen und die richtigen Fragen mit aller Konsequenz und allen Konsequenzen zu stellen.

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