Freitag, 26. Oktober 2012

Sevim Dagdelen: Neuer Krieg in Mali?

Artikel von Sevim Dagdelen erschienen in der Tageszeitung "Junge Welt" am 26.10.2012 EU und Bundeswehr wollen ECOWAS-Interventionstruppe unterstützen. »Terroristische Bedrohung« entpuppt sich als Ergebnis westlicher Einflußpolitik Von Sevim Dagdelen Die Bundeswehr steht möglicherweise vor einem neuen militärischen Abenteuer – diesmal im westafrikanischen Mali. Verteidigungsminister Thomas de Maizière erklärte, er wolle einen Waffeneinsatz der Bundeswehrsoldaten keineswegs ausschließen und deshalb ein Mandat des Bundestages für den Einsatz. Außenminister Guido Westerwelle versucht, den von der Bundesregierung geplanten Einsatz – wie zuvor schon in Afghanistan – quasi als Verteidigungsfall darzustellen: »Wenn der Norden Malis zerfällt, wenn dort Terroristenschulen entstehen, wenn ein sicherer Hafen gebaut werden kann für den Terrorismus der Welt, dann gefährdet das nicht nur Mali, (…) sondern es gefährdet auch uns in Europa.« Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, warnte dagegen mit klaren Worten vor einem militärischen Engagement Deutschlands in Mali. Es sei »eine Illusion zu glauben, man könne dort unbewaffnet Soldaten ausbilden«. Tatsächlich könnte sich der Konflikt in Mali eben durch den geplanten EU-Einsatz, mit dem eine Interventionstruppe der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS unterstützt werden soll, enorm verschärfen. So sickerten unmittelbar nach dem UN-Beschluß vom 12. Oktober angeblich Hunderte »dschihadistische Kämpfer« nach Mali ein. Ihre Motive müssen nicht unbedingt nur religiöser Natur sein: In den Nachbarstaaten Mauretanien, Guinea und der Côte d'Ivoire sowie Libyen gingen die heutigen Machthaber in der jüngsten Vergangenheit mit Unterstützung der EU aus Bürgerkriegen und Putschen hervor, zum Leidwesen anderer bewaffneter Fraktionen. Auch in Burkina Faso kann sich der amtierende Präsident, der in Mali als »Vermittler«, respektive: Stellvertreter Frankreichs auftritt, nur durch die guten Verbindungen nach Europa halten. Der ebenfalls an Mali grenzende Senegal erfreut sich trotz eines Sezessionskonflikts, um die Casamance-Region ebenfalls umfangreicher Militär- und Polizeihilfe aus Europa und Deutschland. Über Anhänger des von Frankreich und UN-Truppen aus dem Amt gebombten ehemaligen ivorischen Präsidenten Laurent Gbagbo wurde bereits bekannt, daß sie aus dem Exil in Ghana mit den Putschisten in Mali in Kontakt getreten sind, in der Hoffnung, von dort aus das nun in der Côte d'Ivoire herrschende Regime von Alassane Ouattara destabilisieren zu können. Infolge der Bürgerkriege, die in den vergangenen 20 Jahren in Guinea, Sierra Leone, Liberia und der Côte d'Ivoire gewütet haben, sind dort massenweise Waffen und auch erfahrene Kämpfer vorhanden. Durch einen »Krieg gegen den Terror« in der Region könnten sich viele dieser latenten Konflikte zudem religiös-konfessionell aufladen, wie es bereits jetzt in Nigeria der Fall ist. Nigeria bietet sich auch deswegen an, die Führung der ECOWAS-Truppen zu übernehmen, weil es meint, so die islamistische Sekte Boko Haram in Mali besser bekämpfen zu können. Das Land hofft aber natürlich auch, dadurch seine Vormachtstellung in der Großregion ausbauen zu können, was Algerien ebensowenig gefällt wie die Stationierung europäischer Truppen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Zumindest einzelne Fraktionen des großen und undurchschaubaren algerischen Sicherheitsapparates haben das Potential – vergleichbar dem pakistanischen Militärgeheimdienst ISI in Afghanistan – der ECOWAS und der EU den Einsatz zur Hölle zu machen. Die »terroristische Bedrohung« entpuppt sich auch in der Sahelzone letztlich als Ergebnis der westlichen Einflußpolitik: Seit die EU vor einigen Jahren Westafrika und die Sahelzone als ihren »Hinterhof« definierte, war sie an mehreren Regime-Changes in der Region beteiligt, leistete Militär- und Polizeihilfe und plante die Entsendung einer oder mehrerer Ausbildungsmissionen. Vorwand waren dabei angeblich terroristische Gruppierungen, bei denen es sich in Wahrheit um Schmuggler-Netzwerke handelte. Es waren diese Planungen und zuletzt der NATO-Einsatz in Libyen, die den Staatszerfall in Mali auslösten. Die Autorin ist Mitglied der Linksfraktion im Deutschen Bundestag und Sprecherin für internationale Beziehungen Quelle: junge welt

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