Montag, 29. Oktober 2012

Widerstand in Mexiko wird sichtbar

23.10.2012 | Christina Haslehner Der fortschreitende Raubbau an der Natur bedroht in Mexiko vor allem die ärmsten Teile der Bevölkerung. Luis Hernández Navarro berichtet in seinem neuen Buch über diese Missstände und über den Widerstand mexikanischer Bäuerinnen und Bauern. Am 15. Oktober 2012 stellte er sein Werk im Afro-Asiatischen Institut in Wien vor. „Es gibt Journalisten, die nicht nur zu Pressekonferenzen kommen und nicht nur irgendwelche Statements abfragen, bis sie ihre 'nota' [Zeitungsartikel] geschrieben haben, sondern die sich wirklich hineinbegeben in die soziale Realität und die Menschen als Quelle betrachten. Einer von ihnen ist Luis Hernández Navarro!“ So (gekürzte Form) stellte der Journalist und Moderator der Veranstaltung Leo Gabriel den Autor des Buches am Montagabend einem erwartungsvollen Publikum vor. Luis Hernández Navarro, Chef der Meinungsabteilung der Leitartikel bei der mexikanischen Tageszeitung La Jornada, hat bereits mehrere Bücher geschrieben. Bei der Präsentation seines neuesten Werks „Wer Beton sät, wird Zorn ernten“ durften Interessierte auf eine Lesung zweier Textausschnitte, aber auch auf diverse Hintergrundinformationen gespannt sein. VeranstalterInnen des Abends waren die Informationsgruppe Lateinamerika (IGLA), der Internationale Versöhnungsbund, die Mexiko-Plattform sowie die Südwind Agentur. Eine wahre Geschichte… Um die Entstehung des Buches zu erklären, müsse man zwei Geschichten erzählen. Eine davon sei wahr, die andere erfunden, erklärte Navarro. Die erste Geschichte habe mit dem berühmten mexikanischen Schriftsteller Paco Ignacio Taibo II zu tun. Denn Paco, Gründer der Bewegung Para Leer en Libertad und Autor zahlreicher Kriminalromane, habe die Angewohnheit, die Namen realer Personen in seinen Romanen erscheinen zu lassen. Während seine Freunde dabei nichts zu befürchten hätten, setzte er die Namen seiner Feinde für die Rollen der Bösewichte seiner Krimis ein. Eines Tages, erzählte Navarro, sei Paco an ihn herangetreten und habe ihm angeraten, ein Buch über die zahlreichen Umweltkonflikte in Mexiko zu schreiben. Andernfalls würde er sich in Pacos nächstem Buch in der Rolle eines Folterknechtes wiederfinden, erklärte Navarro schmunzelnd und fügte hinzu: „Das ist die wahre Geschichte.“ ...über die Entstehung und den Hintergrund des Buches Die zweite Geschichte, so Navarro, sei nun aber ebenfalls eine wahre. Sie handle von der extremen Umweltzerstörung, die in Mexiko Tag für Tag voranschreite. Dies sei schon seit langem ein ernstzunehmendes Problem. Allerdings habe es zwei historische Momente gegeben, die ganz besonders zur Verschärfung der Konflikte beigetragen haben. Dabei handle es sich zum einen um die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens NAFTA (North American Free Trade Agreement) durch Kanada, Mexiko und die USA im Jahre 1994 und zum anderen um den Eintritt Chinas in die Welthandelsorganisation WTO (World Trade Organization) im Jahre 2001. Mit der Unterzeichnung der NAFTA setzte Mexiko auf ein Entwicklungsmodell, welches darauf abzielte, ausländische Investitionen anzulocken. Aufgrund der geografischen Nähe zu den USA und der Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte im Land wuchs die Ansiedlung ausländischer (vor allem US-amerikanischer) Betriebe – so genannter Maquiladoras – im Norden Mexikos rasant. Mit dem Eintritt Chinas in die WTO kam es allerdings wieder zu einer starken Kapitalabwanderung von Mexiko in Richtung des asiatischen Raums. Um ausländische Investitionen im Land halten zu können, beschloss die mexikanische Regierung unter dem damaligen Präsidenten Vicente Fox (2000-2006), Umweltauflagen weniger streng zu kontrollieren. Dies führte unweigerlich zu stärkerer Umweltzerstörung und damit auch zur Zunahme des Protests in der mexikanischen Bevölkerung. Betroffen seien vor allem arme Teile der Bevölkerung, deren Lebensgrundlage vom Zugang zu Land und natürlichen Ressourcen abhängt. Während die Regierung mit extremer Repression und Vertuschungsversuchen reagierte, soll dieses Buch dazu beitragen, den Widerstand sichtbar zu ma chen. Diskussion Nach einer Lesung ausgewählter Stellen in spanischer und deutscher Sprache hatte nun auch das Publikum die Möglichkeit, Fragen und Anmerkungen an den Autor zu richten. Dabei wurde unter anderem die Rolle Europas bei der Umweltausbeutung in Mexiko diskutiert. Navarro betonte, dass auch europäische Firmen stark involviert seien, allen voran Spanien und Deutschland. Spanien ersetze in vielen Fällen heute sogar das Kapital der USA. Wasserprivatisierung, Mülldeponien mit Giftmüllablagerungen, Infrastrukturprojekte und Windparks gehörten zu jenen Projekten, die zu Lasten der Umwelt und der lokalen Bevölkerung gingen. Deutschland hingegen sei vor allem im Bereich der Automobilindustrie, der chemischen Industrie, der Elektroindustrie und der Raumfahrttechnik vertreten. Befragt nach bestehenden Vernetzungen von Widerstandsbewegungen über die Grenzen Mexikos hinaus, meinte Navarro, dass die meisten Bewegungen eher lokal, maximal regional agierten. Zwar sei ein gewisses internationales Bewusstsein entstanden und einige interessante Vernetzungen existierten bereits, dennoch könne man noch von keiner konsolidierten Bewegung oder einem gemeinsamen Programm sprechen. An Parteien und PolitikerInnen, die sich tatsächlich für die Umwelt einsetzten, fehle es in Mexiko. Ein ähnliches Bild zeige sich in ganz Lateinamerika. Zwar würden Umweltaspekte bereits in den Verfassungen mancher Länder berücksichtigt, dennoch hätten auch progressive Regierungen oft Interesse daran, natürliche Ressourcen auszubeuten, um diverse Sozialprogramme finanzieren zu können. Nach einer angeregten Diskussions- und Informationsrunde schloss Leo Gabriel den Abend mit einer Danksagung und einigen letzten Worten zu Buch und Autor: „Es ist eine zu 100% recherchierte Information, die nicht übertreibt, sondern die sich auf Fakten abstützt, und insofern ist Navarro ein Vorbild für alle, die in das Journalistische und in den Recherche-Journalismus einsteigen wollen!“ Die Autorin ist Mitglied im Online-Redaktionsteam des Paulo Freire Zentrums. Reaktionen bitte an redaktion@pfz.at. URL: http://www.pfz.at/article1303.htm

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