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Nach 70 Jahren endlich Supermacht
15 000 Soldaten, 160 Kampfflugzeuge, 580 aktive Waffensysteme, alle wichtigen davon in China entwickelt - die Militärparade am Dienstag zum 70. Jahrestag der Volksrepublik China wird die größte, die Peking jemals gesehen hat. Natürlich darf dabei eine neue »Wunderwaffe« nicht fehlen: Ein neues Atomraketensystem soll präsentiert werden. Erstmals mit bei einer Militärparade dabei: eine reine Fraueneinheit, angeführt von zwei Generalinnen.
Als Mao Zedong am 1. Oktober 1949 zur Staatsgründung die damalige Militärparade in Peking abnahm, marschierten 19 000 Soldaten auf, aber das Equipment war limitiert. 17 Flugzeuge flogen über die Parade, neun von ihnen erschienen zweimal, um die Flotte größer erscheinen zu lassen. Präsident Xi Jinping will nun Stärke demonstrieren, seine Erfolge bei der Modernisierung der Streitkräfte zeigen. Das Motto: »glorreiche 70 Jahre, Kampf der neuen Ära«.
Die Führung der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) hat sicherlich einiges zu feiern. Es liegt schon einige Jahrhunderte zurück, dass China zuletzt so mächtig war wie derzeit. Xis »Chinesischer Traum«, das Land zurück an einen Ehrenplatz in der internationalen Ordnung zu führen, ist greifbar nahe. Vier Jahrzehnte währt nun schon das Wirtschaftswunder, das Deng Xiaoping mit seiner Reform- und Öffnungspolitik einleitete. »Ausprobieren« lautete sein Motto. Was sich bewährte, sollte fortgesetzt, was nicht, verworfen werden.
Die Zahlen sind beachtlich: Seit 1978 wuchs das Bruttoinlandsprodukt von 48 Milliarden Euro auf 11,5 Billionen Euro im vergangenen Jahr an. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen wuchs von unter 200 Euro 1979, als noch 80 Prozent der Bevölkerung in absoluter Armut in ländlichen Gebieten wohnten, auf über 9000 Euro an. Ein Drittel der Bevölkerung weist einen Wohlstand auf, der mit dem westlicher Industriestaaten vergleichbar ist. Die Volksrepublik ist Exportweltmeister, zweitgrößte Volkswirtschaft und wichtige Triebkraft des globalen Wachstums.
Der Schritt vom Schwellen- zum Industrieland ist allerdings noch nicht vollendet. Noch immer leben Millionen Menschen von wenig mehr als von den ihnen zugeteilten Parzellen. Der Staat holt jedes Jahr zwischen 10 und 20 Millionen Menschen vom Land in die Städte und versorgt sie mit Wohnungen und Arbeitsplätzen, mit Jobs im Dienstleistungssektor und in der Industrie. Aber um zu den führenden Industrienationen aufzuschließen, braucht es Hightech-Jobs. Mit finanziell massiv geförderten staatlichen Unternehmen und dem industriepolitischem Programm »Made in China 2025« will die KPC das erreichen.
Mit den Erfolgen und dem Anspruch, eine globale Supermacht zu sein, hat sich auch das internationale Auftreten Chinas gewandelt. Kurz nachdem Xi Jinping 2013 die Ämter des Generalsekretärs der KPC und des Staatspräsidenten übernommen hatte, skizzierte er die Idee der Neue- Seidenstraßen-Initiative. Anknüpfend an das historische Vorbild, will sie mit Infrastrukturprojekten Wachstum ankurbeln und so vielen Staaten den wirtschaftlichen Aufstieg ermöglichen - nicht anders als die Europäische Union, die G7-Staaten oder internationale Finanzinstitutionen wie Weltbank und Asiatische Entwicklungsbank es auch tun.
Chinas staatliche Banken vergeben dazu Milliardenkredite an Nehmerländer, die dafür genutzt werden, dass staatlich kontrollierte chinesische Konzerne Häfen, Kraftwerke, Stromtrassen, Eisenbahnlinien, Pipelines oder Autobahnen bauen - von Sibirien bis nach Zentralafrika, von Indien bis nach Europa.
Dieses neue Auftreten führt zu viel Kritik: Die Schulden führten zu einer Abhängigkeit von China, die dann von Peking zur Durchsetzung eigener Interessen genutzt werde. Tatsächlich ist es der Volksrepublik so gelungen, die Republik China - Taiwan - weiter zu isolieren sowie im Territorialstreit um Inseln im Südchinesischen Meer den Verbund Südostasiatischer Staaten (ASEAN) zu spalten. Unterlegt wird das mit der Modernisierung der Armee, von der sich viele Nachbarländer bedroht fühlen.
In China selbst droht unter Xi Jinping derweil eine Wiederkehr maoistischer Ideale, wenn auch nicht ohne Kritik. Vor allem der Personenkult um den Präsidenten, seine Machtfülle samt Verfassungsänderung, nach der er auf Lebzeit regieren kann, werden von Intellektuellen und auch innerhalb der Partei argwöhnisch betrachtet. Mit Xi an der Spitze befürchten viele, dass China gänzlich ins Autoritäre zurückfällt. Der Ausbau der Überwachung oder die Umerziehungslager für männliche Uiguren in Xinjiang erinnern an die brutalen ideologischen Kampagnen des »Großen Sprungs vorwärts« und der Kulturrevolution des bisher letzten chinesischen Staatsoberhaupts auf Lebenszeit, Mao, aus den 50er und 60er Jahren.
Dazu kommt, dass China innenpolitisch vor einigen Herausforderungen steht. Die Volksrepublik weist weltweit mit die höchste Ungleichheit bei den Einkommen auf, und diese nimmt weiter zu. 1980 besaß das reichste Prozent der Bevölkerung 6,4 Prozent des Wohlstandes; 2015 hat sich deren Anteil auf 13,9 Prozent gesteigert. Gleichzeitig besaß die ärmste Hälfte der Bevölkerung 1980 noch 26,7 Prozent des Wohlstandes, 35 Jahre später waren es nur noch 14,8 Prozent.
Wenn die Staatsführung am Dienstag die Militärparade abnimmt, darf sie sich als neue Supermacht fühlen. Ganz ausblenden kann sie ihre Probleme auch an diesem Tag allerdings nicht. In Taiwan steigt die Befürwortung der Unabhängigkeit. Die anstehenden Gespräche mit den USA im Handelskrieg drohen erneut ohne Einigung zu enden. Vor allem aber dürften die Protestbilder aus Hongkong stören. Während die Regierungschefin der Sonderverwaltungszone, Carrie Lam, mit Präsident Xi in Peking den Feierlichkeiten beiwohnt, droht die Stadt in Gewalt zu versinken.
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