Pfeiler des marktwirtschaftlich-demokratischen Schweinesystems? (Mastanlage in Thüringen)
Foto: Patrick Pleul/dpa
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Mit dem Begriff »Schweinesystem« wurde in der Studentenbewegung der Kapitalismus im Allgemeinen belegt, im Besonderen fand er Verwendung für die Klassenjustiz, die Schule, die Psychiatrie, die Polizei, das Militär. Als die Polizei immer militanter gegen die US-amerikanische Studenten- und Schwarzenbewegung vorging, hieß es: »Pig is Pig und Pig muss putt!« Da spielte das auf der »Farm der Tiere« von George Orwell herrschende Schweinesystem mit hinein, aber auch die Vorstellung des ehemaligen US-Präsidenten Harry S. Truman: »Präsident sollte nur jemand werden, der auch Schweine versteht!«
Im NGO- und Öko-Projektdenken hat das »Schweinesystem« eine ganz andere Bedeutung: Der Veterinär und »Foodwatch«-Mitarbeiter Matthias Wolfschmidt will damit in seinem gleichnamigen Buch aus dem Jahr 2016 erklären, »Wie Tiere gequält, Bauern in den Ruin getrieben und Verbraucher getäuscht werden«. Auch als der Wiener Kulturwissenschaftler Thomas Macho 2006 auf Schloss Neuhardenberg eine Ausstellung über die »Armen Schweine« kuratierte, in der u. a. Bauzeichnungen von den in Brandenburg geplanten, riesigen neuen Schweinemastanlagen gezeigt wurden, war in der Presse von einem »Schweinesystem« die Rede.
Weil Tierschützer die Tierquälerein in den Anlagen immer wieder dokumentieren und die Aufnahmen ins Netz stellen, gehen jetzt »CDU und FDP in Niedersachsen und auf Bundesebene gegen Tierrechtsorganisationen wie Peta oder Animal Rights Watch vor, die regelmäßig in Ställe einbrechen und Bilder veröffentlichen. Dafür sollen sie Steuervorteile verlieren, schlägt die FDP vor. Die CDU will solche Einbrüche härter bestrafen«, schreibt die Hannoversche Allgemeine. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) kritisierte die Arbeit der Tierschützer: »Wir brauchen keine selbsternannte Stallpolizei, die die Einhaltung des Tierschutzes kontrolliert«, sagte sie im vergangenen Mai der Neuen Osnabrücker Zeitung. Der Staat habe die Aufgabe, die Landwirte zu belangen, die ihre Tiere schlecht halten.
Was aber, wenn deren agrarindustrielles Schweinesystem einer der Pfeiler des marktwirtschaftlich-demokratischen Schweinesystems ist? Es gründen sich in Brandenburg immer mehr Bürgerinitiativen gegen den Bau riesiger Schweinemastanlagen, beispielsweise die Initiative »Uns stinkt’s schon lange« mit ihrer Parole »Free the Pigs!« in Reichenow (Amt Barnim-Oderbruch), wo der Lindhorst-Konzern eine solche Anlage plante. Oder die BI gegen den Bau einer Schweinemastanlage in Haßleben (Uckermark), wo es um die Wiederinbetriebnahme einer Mastanlage für 140.000 Schweine ging, die 1991 aus Umwelt- und Tierschutzgründen, wie es hieß, abgewickelt worden war. Da ging es dann nicht mehr um einen sozialistischen Fleischversorgungsplan, sondern um einen holländischen Unternehmer namens Harry van Gennip, der dort »investieren« wollte. Seit 1997 betreibt er bereits eine für 65.000 Schweine ausgelegte Anlage im altmärkischen Sandbeiendorf. In Haßleben plante er 2004 eine für 85.000 Schweine zu eröffnen.
Einige Haßlebener und Leute aus der Umgebung gründeten daraufhin eine BI gegen diesen »Wahnsinn«. Unterstützt wurden sie vom Bündnis für eine ökologische Agrarwende »Wir haben es satt!«, vom Naturschutzbund NABU, von Tierschutzorganisationen, vom Arbeitskreis bäuerliche Landwirtschaft, von Agrarinstituten, Vegetarierverbänden und den brandenburgischen Grünen. Gemeinsam erreichten sie bereits eine Verringerung der Größe.
Aber die andere Seite blieb auch nicht untätig: Der holländische Investor holte sich u. a. Helmut Rehhahn als Berater, einst SPD-Landwirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt und davor Leiter einer Bullenprüfstation in der DDR. »10.000 Mastschweine. Alles andere ist Spielerei«, erklärte er 2007 dem Magazin Der Spiegel, und »Haßleben wird noch moderner. Haßleben, das kommt. Das kriegen wir hin.«
Ein anderer Schweinemäster verriet der Presse, warum es ihn und andere »Holländer« in den Osten zieht: »In Holland wirst du als Schweinezüchter ständig wie ein Krimineller behandelt. Das ist in Ostdeutschland anders. Hier kannst du noch Unternehmer sein. Umweltkosten spielen keine Rolle.« Van Gennip fand vor Ort – in Haßleben – Unterstützung von einer Initiative, die sich das Wohl der Langzeitarbeitslosen auf die Fahne schrieb und sich von dem gigantischen Schweineprojekt ganz viele »Arbeitsplätze« versprach. Am Ende standen sich eine Pro- und eine Kontra-Schweinemast-BI in Haßleben gegenüber – und die Leute hassten sich. Obwohl in der BRD nicht die »Schweinezüchter« die Kriminellen sind, sondern die »Tierschützer«, begriff das Potsdamer Verwaltungsgericht 2017 die geplante Anlage ebenfalls als »Wahnsinn« und verbot den Bau der Schweinemast in Haßleben.
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