Auch wegen der Wirkung auf die Bundespolitik wird das Wahlergebnis mit besonderer Spannung erwartet
Wenige Tage vor der hessischen Landtagswahl legen sich die Wahlkämpfer aller Parteien zwischen Weser, Rhein und Neckar noch einmal mächtig ins Zeug und kämpfen bis zur Öffnung der Wahllokale am Sonntag früh um jede Stimme.
Jüngste Umfragewerte verheißen knappe Ergebnisse und einen spannenden Wahlabend mit bundesweiter Ausstrahlung. So müssen nach jüngsten Umfragen sowohl die regierende CDU als auch die seit knapp 20 Jahren auf den Oppositionsbänken sitzende SPD mit empfindlichen Verlusten rechnen. Beide könnten für die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung abgestraft werden, und beide setzen daher auf ihr landespolitisches Image. Während sich CDU-Regierungschef Volker Bouffier mit seinen 66 Jahren als gütiger und verlässlicher Landesvater in Szene setzt, will SPD-Herausforderer Thorsten Schäfer-Gümbel mit Macherimage und Themen wie Wohnung, Bildung und Verkehr den Bundestrend außer Kraft setzen, der seiner Partei zuletzt in Bayern einen erneuten herben Schlag versetzt hatte. Beide Spitzenkandidaten sind in ihren Parteien Vizechefs auf Bundesebene.
Für die CDU wäre ein von Umfrageinstituten zuletzt vorausgesagter drastischer Absturz auf 26 Prozent ein Rückfall auf das Niveau von 1966. Für die SPD bedeutete das geschätzte Abschneiden zwischen 21 und 23 Prozent ein Allzeit-Tief bei Landtagswahlen im ehemals »roten Hessen« seit 1946. Als Hauptgewinner könnten die Grünen aus der Wahl hervorgehen, die sich nach den Umfragen derzeit mit der SPD ein spannendes Duell um Platz zwei liefern. Die einstige Öko-Partei, die hier Mitte der 1980er Jahre erstmals mit der SPD koalierte und seit 2014 mit der CDU regiert, profitiert offenbar auch vom Grübeln vieler Bürger über die globale Klimakatastrophe nach einem extrem heißen und trockenen Sommer. Dass sie als Regierungspartei in Hessen etwa mit der Mitwirkung am Flughafenausbau und der ausbleibenden Verkehrswende ihre ökologischen Ziele weitgehend über Bord warf, bleibt eher ausgeblendet.
Der grüne Wirtschafts- und Verkehrsminister sowie Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir und sein Duzfreund Volker Bouffier würden dem Vernehmen nach gerne weiter koalieren, könnten aber in einem künftigen Sechs-Parteien-Parlament ihre Mehrheit verlieren. So könnte das Tauziehen um ein Regierungsbündnis bis zur Konstituierung des neuen Landtags spannend werden. Aus Bouffiers Sicht naheliegend wäre die Aufnahme der FDP in sein Kabinett. Die Liberalen setzen in diesem Wahlkampf vor allem auf die Zauberformel Digitalisierung und ein Image als Autofahrerpartei, die gegen Dieselfahrverbote in Frankfurt und eine City-Bahn in Wiesbaden wettert. Die hessische LINKE hofft, dass sie nach über zehn Jahren im Landtag deutlich zulegt und stabile Umfragewerte von acht Prozent sich in der Stärke ihrer Fraktion niederschlagen. Die Rechtspartei AfD sieht sich sicher im Parlament und könnte ab Sonntagabend in allen deutschen Landtagen sitzen, auch wenn sich ihre Hoffnungen auf ein Abschneiden über 15 Prozent nicht realisieren dürften.
Umfragewerte, die für SPD, Grüne und LINKE eine knappe rechnerische Sitzmehrheit möglich erscheinen lassen, wie sie auch jetzt bereits besteht, haben in den letzten Wochen einen Anflug von Hoffnung auf ein Ende der CDU-Vorherrschaft und einen rot-rot-grünen Neuanfang geweckt. Dadurch aufgeschreckt, warnte Bouffier bereits vor »linken Experimenten« und angeblich drohenden starken Arbeitsplatzverlusten. Für Schäfer-Gümbel, der es bereits zum dritten Mal als SPD-Listenführer wissen will und nach der Wahl mit allen außer der Rechtspartei AfD sondieren möchte, böte ein solches Bündnis die Chance zum Einzug in die Hessische Staatskanzlei und zur Ablenkung vom trostlosen Zustand seiner Partei im Bund. Als kleinster Partner käme allerdings auch die FDP in Frage, die sich nicht mehr als »natürlicher Partner« der Union sieht. Sollten die Grünen tatsächlich stärker abschneiden als die SPD, so müsste Al-Wazir Farbe bekennen, ob er weiter als Bouffiers Vize regieren oder nach dem Schwaben Winfried Kretschmann zweiter grüner Ministerpräsident der Republik werden möchte.
Nach ihren Erfolgen in Bayern und Baden-Württemberg setzen die Grünen erstmals auch in Hessen auf die Eroberung großstädtischer Direktmandate in Frankfurt am Main, Darmstadt und Kassel. Angesichts des Kopf-an-Kopf-Rennens zwischen SPD und Grünen um Platz zwei rechnen Wahlforscher damit, dass die Union trotz Stimmeneinbruchs die allermeisten Direktmandate holen wird. Die Folge wäre eine Rekordzahl von Überhang- und Ausgleichsmandaten im größten Hessischen Landtag aller Zeiten.
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