Von Elmar Wigand
Das Spannungsfeld zwischen Arbeit und Arbeitsunfähigkeit, Wiedereingliederung und Berufsunfähigkeit wird öffentlich bislang kaum beachtet. Gleichwohl findet in den Einrichtungen der Vorsorge und Rehabilitation eine fortschreitende Privatisierung statt – mit verheerenden Folgen. Sie verläuft ähnlich wie im Fall von Autobahnen, Brücken, Wasserwerken und anderen öffentlichen Einrichtungen und Gebäuden.
Auch im Reha-Bereich zählen Immobilien zu den begehrtesten Filetstücken. Kurkliniken werden bei der Übernahme durch einen Hedgefonds sofort verkauft und über langfristige Verträge teuer zurückgemietet.
Systematische Gesundschreibung
Das hat konkrete Folgen. Im Mai 2017 warnte der DGB-Rechtsschutz: „Patienten werden gnadenlos gesundgeschrieben. Es gibt einen Kurzentlassungsbericht mit einem harmlos anmutenden Kreuzchen bei: arbeitsfähig“.
Der Rechtsschutzsekretärin Birgit Hartmann läge ein Entlassungsbericht vor, in dem ein Reha-Arzt vermerkt habe, „dass man immer arbeitsfähig entlassen müsse, wenn ein Arbeitsloser mehr als sechs Monate arbeitsunfähig sei. Das sähe das Ministerium so vor.“1
Man könnte diese Berichte für Arbeitslose als absurd betrachten, aber selbstverständlich muss ein Arzt die Arbeitsfähigkeit jedes Patienten gemäß gültiger Richtlinien attestieren. Das Problem ist das systematische Gesundschreiben von Arbeitsunfähigen nach einer Reha – und das ist kein Einzelfall, sondern droht zur Regel zu werden.
Die Rehabilitation ist ein Schlachtfeld, auf dem einerseits satte Gewinne locken, andererseits Milliardenverluste drohen: Im Jahr 2015 konnte die Deutsche Rentenversicherung (DRV) über ein gesetzlich gedeckeltes Budget von 6,375 Milliarden Euro verfügen. Sie schaffte es, mit Ausgaben von 6,02 Milliarden Euro unterhalb dieser Grenze zu bleiben.2
Um die Verteilung dieses ansehnlichen Kuchens kämpfen jedoch verschiedene Akteure: die Reha-Betreiber, die DRV als Kostenträgerin und die Gewerkschaft ver.di als Tarifpartner. Dabei geht es im Kern um die Frage: Muss der Staat zuschießen, fließen am Ende vielleicht Ersparnisse aus der Rentenkasse in die Staatskasse zurück oder lässt sich der Rentenbeitrag weiter senken?3 Wie viel wandert als Profit an Reha-Betreiber und Investoren, wie viel kommt in Form von Lohnsteigerung und höherem Personalschlüssel den Beschäftigten in der Reha zugute?
Wer zahlt die Zeche?
Bislang entsprach die Antwort voll und ganz der Linie der mächtigen Unternehmensberatung McKinsey: Kosten reduzieren, „die Wertschöpfungskette optimieren“, Tarifverträge kündigen.
Bei näherer Betrachtung zeigt sich ein scharfer Interessenkonflikt. Der „Todfeind“ der Deutschen Rentenversicherung ist die Frühverrentung aufgrund von Berufsunfähigkeit. Deshalb investiert die DRV in Reha-Maßnahmen: Um arbeitsunfähige Lohnabhängige wiederherzustellen und sich dadurch möglichst wenige dauerhafte Kostgänger aufzuhalsen.
Die DRV zeigte in ihrem Reha-Bericht 2013 auf, dass bereits die viermonatige Aufschiebung der Erwerbsminderungsrente die durchschnittlichen Kosten einer Reha-Maßnahme deckt.4
So zahlte die DRV im Jahr 2010 1,5 Millionen Erwerbsminderungsrenten aus. Dem standen 17,6 Millionen Altersrenten gegenüber.5
Durch Profitvorgaben entsteht ein Interessengegensatz: Klinik gegen Patienten
Der Therapeut Thomas Wulf (Name von der Red. geändert), der in einer privaten Kurklinik arbeitet, äußert überdies den Verdacht „dass die DRV ein gewisses Maß an ernstzunehmenden Beschwerden seitens der Patienten von der Klinik erwartet. Dass intern möglicherweise sogar eine Beschwerdequote existiert, die erfüllt werden sollte. Ein gewisses Maß an Beschwerden signalisiert dem Kostenträger, dass der Arzt gegenüber dem Patienten durchzieht.“
Das erscheint paradox, entspricht aber der Logik eines Fabriksystems. „Bei Standard-Indikationen ist der Bericht für den Patienten häufig schon fertig, bevor seine Therapie überhaupt angefangen hat“, plaudert Wulf aus dem Nähkästchen. „Dass der Patient arbeitsfähig entlassen wird, steht meist fest, bevor er angereist ist. Das birgt natürlich enormes Konfliktpotential.“
Grundsätzlich müsste eigentlich ein gemeinsames Interesse von Lohnabhängigen und Rentenversicherungsbürokratie an guten, ausreichenden, entspannten Kuraufenthalten bestehen, um die Arbeitskraft zu erhalten oder wiederherzustellen. Tatsächlich aber verschärft das Controlling der DRV, angetrieben durch eine dogmatische Austeritätspolitik (schwarze Null) in Bund, Ländern und Kommunen, den Kostendruck auf Reha-Betreiber, so dass die Qualität der Rehabilitation stetig sinkt.
Die Erschaffung eines Reha-Marktes: Controlling, Standardisierung, Nachsorge statt Vorsorge
Bereits 1994 hatte die Unternehmensberatung Roland Berger & Partner im Auftrag der Bundesregierung ein Gutachten zur Umstrukturierung der Rentenkassen vorgelegt,6 dessen Vorschläge 2004 in der Fusion verschiedener Rentenkassen zur DRV mündeten. Zu den erklärten Zielen gehörte die „Weiterentwicklung rentenversicherungsinterner Steuerungsinstrumente wie z.B. Controlling und Benchmarking“.7
2009 trat der Bundesrechnungshof auf den Plan, der als Einpeitscher der neoliberalen Doktrin fungierte. Er mahnte an: Auch wenn die 22 damals in Eigenregie von der DRV (Bund) betriebenen Reha-Kliniken insgesamt einen Gewinn ausgewiesen hätten, müsse vielmehr jede einzelne Klinik profitabel werden. Gegenargumente des Sozialministeriums, wonach die Verluste einzelner Kliniken durch aufwendige Baumaßnahmen entstanden seien, wischte die Behörde hemdsärmelig vom Tisch. Zudem forderte sie eine schnellere, zentralisierte Koordinierung der Informations- und Kommunikationstechnik an.8
Die gute alte Kur – bloß ein verzichtbares Relikt der Nachkriegszeit?
Das sah zu Zeiten der „alten BRD“ noch ganz anders aus. Selbst eine Kriegswitwe, die sich ihre karge Hinterbliebenenrente als Näherin aufbesserte, kam in den 1970er Jahren noch regelmäßig in den Genuss einer Kur.
Mit dieser westdeutschen Kultur der großzügigen Heilverfahren und Anwendungen als verdientem Ausgleich für die „hart arbeitenden Menschen“, Trümmerfrauen und Alltagsheldinnen des Wiederaufbaus, wurde ab 1997 endgültig Schluss gemacht. Das sah aus wie Sozialismus und war womöglich auch nur deshalb von Adenauers CDU für gut befunden worden, weil die DDR sich im Bereich der Erholung von Werktätigen ebenfalls nicht lumpen ließ.
In der Kaiserzeit waren Sanatoriumsaufenthalte im Stil des Zauberberg (einem Roman von Thomas Mann) den Reichen und Wohlhabenden vorbehalten und genau dahin wollte der Neoliberalismus wieder zurück. Die Kohl-Regierung beschnitt nicht nur den Umfang der genehmigen Maßnahmen radikal. Das egalitäre Konzept der Kur als präventive Maßnahme zur Erhaltung und Regeneration der Arbeitskraft aller Lohnabhängigen wurde so weit infrage gestellt, dass sogar das Wort „Kur“ nahezu verschwand.9 Die Reha trat an ihre Stelle. Sie versucht entstandene Schäden kostenneutral zu reparieren.
Der Kahlschlag beginnt bereits unter Helmut Schmidt (SPD)
Zuerst senkte die Regierung Schmidt im Jahr 1981, dann 1982 die Regierung Kohl durch Sparrichtlinien die Zahl der genehmigten Reha-Maßnahmen von 838.900 auf 521.224. CDU und FDP legten 1997 noch einmal die Axt an: Die durch die Wiedervereinigung gestiegenen Fallzahlen konnten von 847.831 auf 500.431 reduziert werden, die Rentenversicherung rund 34 Prozent ihrer Ausgaben einsparen.
Bis zum Jahr 2015 mussten 220 Reha-Kliniken schließen, davon 200 private, da die Belegungsquote der Einrichtungen durch den staatlich verordneten Einschnitt von 89 auf 62,3 Prozent eingebrochen war. Analysten gehen davon aus, dass eine Belegungsquote von 70 bis 75 Prozent nötig ist, um wirtschaftlich zu arbeiten. Neubautätigkeiten kamen vollständig zum Erliegen, da eine Refinanzierung kaum möglich schien.10 Auch die Bausubstanz wurde vernachlässigt, was heute internationale Immobilientrusts auf den Plan ruft.
Im Jahr 2015 gab es noch 1.149 Reha-Einrichtungen in Deutschland: 622 in privater Hand, 300 freigemeinnützige (Kirchen, Rotes Kreuz o. ä.) und 229 öffentliche (Kommunen, Länder, Bund), von denen die DRV (Bund) 27 in Eigenregie betreibt.11 Weitere Kurkliniken werden von den DRV-Landesverbänden unterhalten.12
Arbeit macht krank
Es ist bemerkenswert, dass die Zahl der stationären Reha-Maßnahmen pro Jahr wieder kontinuierlich auf das alte Niveau geklettert ist: 2015 wurden 845.825 Fälle abgerechnet, hinzu kamen 147.783 ambulante Maßnahmen. Erstmals durchbrach die Gesamtzahl von stationären und ambulanten Reha-Maßnahmen im Jahr 2012 die Millionengrenze.
Vermutlich spiegelt dieser drastische Anstieg der Fälle den zunehmenden Druck wider, dem Beschäftigte am Arbeitsplatz ausgesetzt sind, etwa durch Flexibilisierung und Verdichtung der Arbeit, Überstunden, moderne Sozial- und Psychotechniken, Mobbing, Union Busting und andere Phänomene. Dadurch werden sie krank.
Wir erinnern uns: Die Zahl der Kliniken ist von 1996 bis 2015 um 220 gesunken, obwohl die Zahl der stationären Behandlungen wieder auf demselben Niveau wie 1996 gelandet ist. Wie kann das funktionieren?
Meine These lautet: Die Reha-Betreiber erhöhen die Durchlaufgeschwindigkeit ihrer Kliniken. Sie versuchen, möglichst viele abrechnungsfähige Maßnahmen in möglichst kurzer Zeit durchzuführen; sie entlassen frühzeitig. Gleichzeitig stellen sie die Controller der DRV zufrieden, indem sie am Ende der Maßnahme Arbeitsunfähige großzügig gesundschreiben.
Die Belegungsquote der Reha-Kliniken ist inzwischen wieder auf 81 Prozent gestiegen, was ehrgeizigen Unternehmensberatern längst nicht reicht. Die nach McKinsey optimierten Median-Kliniken brüsten sich mit 90 Prozent.13 Das Optimum dürfte – ähnlich wie bei Billigfliegern – bei einer Belegung von 105 Prozent liegen. Die zu erwartende Quote der Nicht-Antreter durch Tod und andere Unpässlichkeiten ist wahrscheinlich längst berechnet und fließt in die Risikobewertung ein.
Reha 4.0 per App – Nachsorge-Überwachung bis ins Wohnzimmer
Vorbei ist die Zeit der Kurkonzerte und Tanztees, als der Kurschatten zum Foxtrott aufforderte. Anstelle mehrwöchiger Kuraufenthalte in entlegenen Regionen, geht der Trend zur „blutigen Entlassung“ und Weiterversorgung in ambulanten Reha-Zentren, die in Ballungsräumen angesiedelt sind. Diese innerstädtischen Einrichtungen sind oft trist bis schäbig. Es macht wenig Spaß, sich hinter dem Düsseldorfer Hauptbahnhof im Reha-Zentrum des Median-Konzerns einzufinden und mit einem Heer von Maladen im Wartesaal zu sitzen. Die Idee einer ambulanten Reha wurde überhaupt erst 1997 geboren. Es begann mit 6.995 Patienten. Heute werden 14 Prozent aller Reha-Maßnahmen ambulant verabreicht.
Die Phantasien des Median-CEO André Schmidt sollten auch Datenschützer und Technologiekritiker aufhorchen lassen. Er will die Digitalisierung nicht nur für die Optimierung der Reha-Prozesse in den „Medical Boards“ des Konzerns nutzen, die einen Patienten bis zu sechs Monate nach der Entlassung auf dem Radar haben sollen. Die Nachversorgung soll sich auch auf zu Hause und den Arbeitsplatz erstrecken: „Dadurch bieten wir den Patienten deutlich mehr und werden für die Kostenträger sogar perspektivisch günstiger.“14 Eine Median-App ist schon da, besonders interessant dürfte das Zusammenspiel mit Fitnessarmbändern und smarten Uhren sein, wie sie Apple und Google entwickeln.
Traumhafte Rendite durch marode Gebäude – Investoren bekommen Appetit auf Gesundheit
Die Kölner Wirtschaftsprüfungskanzlei BDO veröffentlichte 2015 eine Studie, in der sie solventen Kunden traumhafte Renditen in der „sich hierzulande langsam herausbildende Asset-Klasse Gesundheits- und Sozialimmobilen“ versprach: „Für eine modern ausgestattete und gut ausgelastete Reha-Klinik in einer etablierten Lage (…) kann gegenwärtig eine Spitzenrendite von etwa 7,5 Prozent erzielt werden.“ Das wären ca. 320 bis 360 Basispunkte mehr „als Top-Produkte des Büro- und Einzelhandelsmarktes“ erreichen.
Im Jahr 2014 hatte der niederländische Hedgefonds Waterland für eine Milliarde Euro die Reha-Kette Median-Kliniken GmbH aufgekauft und mit diesem Überraschungscoup Bewegung in das Marktsegment gebracht. Kurz danach kam das branchenübliche Manöver: Waterland verkaufte die Klinikimmobilien für 770 Millionen Euro an den US-amerikanischen Klinikimmobilienhai Medical Properties Trust Inc. (MPT) und holte sich so einen Großteil der investierten Summe zurück. Die Median-Kliniken müssen nun ihre eigenen Immobilien von MPT in langlaufenden Verträgen extrem teuer zurückmieten (Sale-Lease-Back, Rückmietverkauf).
Als nächstes stehen Zukäufe in Bayern auf dem Programm, dem weißen Fleck auf der Median-Deutschlandkarte,15 und irgendwann ein Börsengang. Bis es soweit ist, verleibt sich Median weitere Kliniken ein. Inzwischen betreibt der Konzern 121 Einrichtungen mit ca. 15.000 Beschäftigten. 2016 schluckte er die Allgemeine Hospital-Gesellschaft (AHG).
Union Busting: Klinikschließung als Vergeltungsmaßnahme
Im selben Jahr begann der Großangriff auf Arbeitnehmerrechte und faire Löhne. Median entledigte sich sämtlicher Tarifverträge mit ver.di und weigert sich, zu verhandeln.
Statt „starrer Tarife“ solle die Bezahlung die wirtschaftliche Situation der Kliniken berücksichtigen und „mehr Spielraum im Wettbewerb“ geben, lässt der Konzern verlauten. Aushandeln wollen die Median-Manager dies als Haustarif mit management-freundlichen Betriebsräten – oder gleich mit den einzelnen Beschäftigten.16 Ver.di sei unflexibel, altmodisch und geschäftsschädigend, so die Botschaft.
Doch dann der Paukenschlag: Ohne nachvollziehbare ökonomische Notwendigkeit machte das Management zum 30. Juni 2016 die Weserklinik in Bad Oeynhausen dicht. Augenscheinlich eine Vergeltungsmaßnahme: In einer Mitarbeiterversammlung erfuhren die Beschäftigten, durch ihre rege Beteiligung an Streiks und anderen Aktionen seien sie für die Schließung mitverantwortlich.
Diese exemplarische Strafaktion sollte eine Streikhochburg schleifen, die Beschäftigten der anderen Kliniken einschüchtern und den Betriebsratsvorsitzenden Roland Thomae gleich mit entsorgen. Der streitbare Kantinenkoch hatte sich seit 2008 erfolgreich gegen juristische Nachstellungen durch konstruierte Kündigungsversuche und andere Zermürbungsmethoden gewehrt. Er wurde unter anderem durch Privatdetektive observiert, konnte aber durch die Solidarität seiner Kollegen im Amt und am Arbeitsplatz bleiben.17
Fachkräftemangel – Ängste der Investoren, Chancen für Beschäftigte
Während die Arbeitsrechtskanzlei Beiten Burkhardt das Image von Median im Auftrag von Waterland durch brachiale Union-Busting-Methoden beinahe mutwillig ramponiert hat, ruft BDO den „Wettbewerb um qualifiziertes Personal“ aus.18 Deren Analysten prophezeien einen fast unvermeidlichen Fachkräftemangel im Gesundheitssektor. Rund ein Viertel der Beschäftigten im Gesundheitssektor sei über fünfzig Jahre alt und würde in absehbarer Zeit ausscheiden. Gerade die Bereiche Fachkrankenpflege und Physiotherapie gehörten zu den Berufen mit dem größten „Engpassfaktor“ der deutschen Wirtschaft: „Die zunehmende Marktmacht der Arbeitnehmer wird aller Voraussicht nach zu weiteren Gehaltssteigerungen führen, wobei insbesondere periphere, unattraktive Regionen zusätzlich vor der Herausforderung stehen, ausreichend Anreize in der Personalakquisition zu setzen.“19
BDO kommt außerdem zu der Einschätzung, „dass bereits eine leicht geringere Auslastung ( … ) zu schwer refinanzierbaren Investitionskosten führt.“ 20 Es bestehen also erhebliche Risiken, die sich durch die finanzielle Zwingschraube von langfristigen Sale-and-Lease-Back-Verträgen und einen hohen Hebel an eingesetztem Fremdkapital (Leverage) leicht zu einer realen Krise potenzieren können.
Was macht ver.di? Präventivschlag zur Demoralisierung beantworten
Das System steht also auf tönernen Füßen. Aus dieser Warte kann der Frontalangriff, den das Median-Management mithilfe der Wirtschaftskanzlei Beiten Burkhardt und der Unternehmensberatung McKinsey vortrug, als Präventivschlag verstanden werden. Die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten sollten demoralisiert werden und mit dem Tarifvertrag und einer Streikhochburg zwei scharfe Waffen verlieren, bevor sie ihre Macht erkennen und irgendwann frech werden.
Eine Gewerkschaft, die diese kriegerische Art der Konfliktführung ernsthaft beantworten will, hätte alle Möglichkeiten zurückzuschlagen. Sie könnte sich, ergänzend zur klassischen Gewerkschaftsarbeit, mit knapp einer Million Reha-Patienten im Jahr verbünden, die ja überwiegend auch Lohnabhängige sind. Die krankhaften und krankmachenden Mechanismen der Arbeitswelt, die viele Lohnabhängige in die Arbeitsunfähigkeit getrieben haben, wirken paradoxerweise auch auf Beschäftige der Reha-Einrichtungen.
Gewerkschaftliche Mitbestimmung der Rentenversicherung?
Rätselhaft bleibt, warum die Gewerkschaften bislang nicht durchsetzen konnten, dass die DRV strenge Qualitäts- und Vergabekriterien einführt, die Tariftreue vorschreiben und das abgekartete Spiel systematischer Gesundschreibung beenden.
Mit Annelie Buntenbach ist ein DGB-Vorstandsmitglied immerhin Vorsitzende der DRV (Bund),21 die auch auf Landesebene mit paritätischer Gewerkschaftsbeteiligung öffentlich-rechtlich verwaltet ist.
Was machen die Funktionäre da eigentlich?
Die alle acht Jahre stattfindende Sozialwahl ist heute nur ein pseudodemokratisches, obsolet wirkendes Ritual. Ohne Protagonisten, Programme und Alternativen.
Der Beitrag erschien in leicht veränderter Form im Magazin Hintergrund 03/2017, das wir zur Lektüre sehr empfehlen.
Elmar Wigand erforscht Union Busting und berät Gewerkschaften und Betriebsräte in strategischer Konfliktführung. Er arbeitet für die aktion ./. arbeitsunrecht e.V. und hat sich im Rahmen des Aktionstags „Schwarzer Freitag: Jetzt schlägt’s 13!“ als Campaigner mit dem Median-Konzern beschäftigt.22
Fußnoten / Nachweise
3 Seit dem 1.1.2005 liegt der Beitragssatz bei 18,7 Prozent, seinen Höchststand erreichte er vom 01.01.2007 bis 31.12.2011 mit 19,9 Prozent. https://de.wikipedia.org/wiki/Beitragssatz, abgerufen am 14.6.2017
4 Reha-Kliniken in Deutschland – Immobilien- und Investmentbericht, BDO AG Köln 2015, S.10. https://www.bdo.de/getattachment/cce89057-d931-4e0b-bbe1-ca79d09544c3/attachment.aspx
5 Eine erschreckende Nebenerkenntnis der Rentenstatistik: Im kompletten Gebiet der ehemaligen DDR machten Rentenzahlungen im Jahr 2010 mehr als 30 Prozent des regionalen Bruttoinlandsprodukts aus – als Folge von Deindustrialisierung, Reallohnverlust, Wegzug junger Leute und Rückgang der Geburtenrate. Uwe Fachinger, Michael Stegmann: Regionaler Strukturwandel und Alterssicherung – Die Bedeutung der gesetzlichen Rentenversicherung, Vechta 2011, Seite 10,11 https://www.uni-vechta.de/fileadmin/user_upload/Gerontologie/Images/Fachinger/Discussion_Paper/Discussion_Paper_04_2011_03.pdf
6 Roland Berger & Partner, Organisationsgutachten zur gesetzlichen Rentenversicherung, Frankfurt am Main, 1994.
7 Dr. Dieter Göbel: Zehn Jahre nach der Organisationsreform – Rückblick und Umsetzungsergebnisse, RV aktuell 4/2015, S.82ff
8 Bundesrechnungshof: Bemerkungen 2009 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes, Bonn 2009, S.22 ff.
9 Morgens Fango, abends Tango, NOZ, 18.09.2009, https://www.noz.de/archiv/vermischtes/artikel/329219/morgens-fango-abends-tango
10 Reha-Kliniken in Deutschland – Immobilien- und Investmentbericht, BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Köln 2015, S.4 https://www.bdo.de/getattachment/cce89057-d931-4e0b-bbe1-ca79d09544c3/attachment.aspx
12 Die DRV Rheinland betreibt z. B. sechs Kurkliniken in NRW und Niedersachsen. http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Rheinland/de/Inhalt/2_Rente_Reha/02_Reha/04_reha_einrichtungen/01_klinikkette/00_klinikkette.html
13 Sabine Wadewitz: Median setzt sich im Reha-Markt in Szene, Börsen-Zeitung, 13.12.2016
14 ebd.
15 ebd.
16 Daniel Behruzi: Median – Profitmaximierung durch Tarifflucht, arbeitsunrecht.de, 23.11.2016 https://arbeitsunrecht.de/median-profitmaximierung-durch-tarifflucht/
17 Harmut Braun: Psycho-Terror und Stasi-Methoden, Neue Westfälische, 20.8.2009 http://www.nw.de/lokal/kreis_minden_luebbecke/bad_oeynhausen/bad_oeynhausen/3081842_Psycho-Terror-und-Stasi-Methoden.html
18 Reha-Kliniken in Deutschland – Immobilien- und Investmentbericht, BDO AG Köln 2015, S. 25.
19 ebd.
20 ebd.
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