Mega,
μέγα? Nein, er ist nicht 1.000.000, der Karl Marx. Am 5. Mai 2018 ist
sein 200. Geburtstag. MEGA, das ist die Marx-Engels-Gesamtausgabe, ein
umfangreiches und verdienstvolles Vorhaben, die Schriften der beiden
Klassiker historisch-kritisch zu edieren. Auch darauf anspielend, nimmt
die Überschrift das griechische Wort μέγα (groß) auf – wie seine
aktuelle umgangssprachliche Anwendung: Marx ist MEGA. Das ist das Motto
einer Veranstaltung, die Das Antieiszeitkomitee, der Partei- und der
Landesvorstand Berlin der Partei Die Linke und ein Personenbündnis
gemeinsam vorbereiten – eine Geburtstagsfeier mit künstlerischen,
politischen und wissenschaftlichen Beiträgen. Und mit Kaffee und Kuchen.
Eben eine Geburtstagsfeier. Am Marx-Engels-Forum in Berlin-Mitte.
Nachmittags und unter freiem Himmel. Zwar könnte man sich da Sorgen
machen, aber bekanntlich verlässt der liebe Gott einen guten Marxisten
nicht. So die Hoffnung, zumindest was den Wettergott betrifft.
Vielleicht wird auch Wein ausgeschenkt. Dann aus gutem Grund. Denn, historisch belegt, hat erst der Rebensaft Marx zum Kommunisten gemacht. Und nun wird dieser Text doch noch historisch und theoretisch: Unabhängig von- und miteinander noch nicht bekannt, standen Karl Marx und Friedrich Engels Mitte der 1840er Jahre zunächst philosophisch auf idealistischer Position, politisch auf revolutionär-demokratischer. Das Studium von Ludwig Feuerbachs »Das Wesen des Christentums« brachte beide zu philosophisch-materialistischem Herangehen. Letzteres Wort ist bezeichnend. Denn Kontemplation war nie ihrs. Die bloße Betrachtung, siehe erste These über Feuerbach, war nie ihr Programm, erst recht nicht im Vorfeld der bürgerlich-demokratischen Revolution in deutschen Landen. Weder theoretisch, noch politisch. Im Gegenteil. Siehe nun Feuerbach-These Nummer elf, Interpretation der Welt habe tunlichst Veränderung derselben zu folgen. Jawohl – unter Gebrauch von Philosophie. Einheit von Wort und Tat hieß das einst. Zu Recht.
Der Wein bestimmt das Bewusstsein
Wir sind noch immer beim Wein; quasi bei der »politischen Önologie«. Engels analysierte die ökonomischen Umstände auf der Insel in seiner Arbeit »Die Lage der arbeitenden Klasse in England«. Allerdings, seinen Lieblingswein bezog er vom Kontinent: einen Bordeaux. Launiger Einschub: Jennys und Karl Marx' Töchter drängten oft ihren Vater und Engels, Fragebögen auszufüllen – ein Gesellschaftsspiel damals: Lieblingsfarbe, -schriftsteller, -motto et cetera; bei der Frage »Sinn des Leben?« grübelte Marx eine Ewigkeit, Engels machte das nervös. Als Marx sich endlich zu der Antwort »zu kämpfen« durchgerungen hatte, trug Engels als seine Antwort ein: eine Flasche Château Margaux 1848.
Wie Engels sich mit den Proletariern in England beschäftigte, also mit der ökonomischen Realität, befasste sich Marx mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten in seiner rheinland-pfälzischen Heimat; mit dem dortigen Holzhandel und der Lage der Weinbauern an der Mosel. Engels wie Marx erkannten im Ergebnis ihrer Studien die Dominanz ökonomischer Tatsachen. Ihr Standpunkt als philosophische Materialisten bedeutet, die Ursachen sozialer Entwicklung letztlich (!) in materiellen gesellschaftlichen Verhältnissen zu suchen; ihr Standpunkt als Kommunisten bedeutet, gesellschaftlichen Fortschritt durch Änderung der Eigentums-, also ökonomischen Verhältnisse anzustreben. So hat also der Wein Marx zum Kommunisten gemacht; und ich erlaube mir den, nun, ja, wirklich marxistischen Spaß: Der Wein bestimmt das Bewusstsein.
Um nun noch eine Variante beziehungsweise Assoziation zum Wort aus der Überschrift aufzugreifen: Megabyte – eine Maßeinheit aus der Informatik, bezeichnend die Datenmenge. Das Werk von Marx (und Engels) enthält wahrlich eine schier unüberschaubare Menge von Informationen. Ihm ist nur durch intensives Studium beizukommen. Marx zu folgen, bedeutet aber auch, soll es keine rein akademische Etüde bleiben, sich den politischen Gehalt seines Werkes anzueignen, sich stets auch seines politischen Wirkens und nun wieder dessen Wirkung bewusst zu sein.
Über die Jahre und Jahrzehnte ist ebenso üppig wie diskursiv darüber nachgedacht, auch gestritten worden, was die wesentliche wissenschaftliche Leistung von Marx sei. Friedrich Engels sprach am Grabe von Karl Marx darüber: Marx habe »… die bisher unter ideologischen Überwucherungen verdeckte einfache Tatsache, dass die Menschen vor allen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion usw. treiben können …« entdeckt. Es gibt ein Selbstzeugnis von Marx, wonach zu seinen wissenschaftlichen Entdeckungen die des Mehrwerts zähle. Und: Er habe nicht die Klassen entdeckt, sondern, dass Folge und Ergebnis der historischen Klassenkämpfe eine klassenlose Gesellschaft sein werde.
Es gibt viele wissenschaftliche Arbeiten von Marx, die dies nachweisen. Zu den präzisesten historisch-ökonomischen Begründungen zählt das Kapitel »Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation« in: »Das Kapital«, Band 1; und im Kommunistischen Manifest ist die historisch-politische Darlegung, erstmals wissenschaftlich profund, nachzulesen.
Die Crux mit der Klasse
Wenn ich die heutige Marx-bezogene theoretische und politische Landschaft betrachte, neige ich zum Konstatieren der Misere. Zwar hat sich in den letzten rund zehn Jahren eine Art Renaissance ergeben, nicht zuletzt als Reflexion der sich stets noch verschlechternden ökonomischen Lage der ausgebeuteten Klassen wie der sozial-politischen Barbarei. Doch drängt sich nicht grad der Eindruck auf, die moderne (moderne?; doch: Zeitgeist eben) Rezeption von Marx erreichte auch dessen theoretische Höhe und dessen politische Wirksamkeit. Besonders mit Blick auf eine fehlende Klassenanalyse und ein Bewusstsein über das Manko. Hier fällt einem Dieter Süverkrüp ein: »Sag bloß, du bist kein Prolet, weil's anderen dreckiger geht!« Die Linken nominieren bei Marx das Emanzipatorische. Doch das ist ohne bewusst geführten Klassenkampf nicht zu haben. Pablo Neruda:
»Die Reaktionäre wissen, dass die Gefahr von Veränderungen in einer Gesellschaft nicht in der individualistischen Rebellion liegt, sondern in der Organisation der Masse und einem ausgeprägten Klassenbewusstsein.« (Pablo Neruda: »Ich bekenne, ich habe gelebt. Memoiren«, Deutsch und mit einem Vorwort von Curt Meyer-Clason, Dutch Editing Company, 1974, S. 437)
Der Autor ist Diplomphilosoph, Journalist und Herausgeber; er arbeitet im Antieiszeitkomitee, einer kulturpolitischen Vereinigung der Partei Die Linke. Veranstaltung zum 200. Marx-Geburtstag: 5. Mai 2018, 15 Uhr, Marx-Engels-Forum, Berlin-Mitte.
Leseempfehlung: Ossietzky-Themenheft »Mein Kapital«, 17/2017, Beiträge von: Elmar Altvater, Heinz-J. Bontrup, Günter Buhlke, Christian Fuchs, Georg Fülberth, Wolfgang Helfritsch, Johann-Günther König, Tomasz Konicz, Harald Kretzschmar, Stephan Krull, Gisela Notz, Urte Sperling, Ingrid Zwerenz u. a., 36 Seiten, 2,80 € zzgl. 1,50 € Versand; Bezug: ossietzky@interdruck.net
Vielleicht wird auch Wein ausgeschenkt. Dann aus gutem Grund. Denn, historisch belegt, hat erst der Rebensaft Marx zum Kommunisten gemacht. Und nun wird dieser Text doch noch historisch und theoretisch: Unabhängig von- und miteinander noch nicht bekannt, standen Karl Marx und Friedrich Engels Mitte der 1840er Jahre zunächst philosophisch auf idealistischer Position, politisch auf revolutionär-demokratischer. Das Studium von Ludwig Feuerbachs »Das Wesen des Christentums« brachte beide zu philosophisch-materialistischem Herangehen. Letzteres Wort ist bezeichnend. Denn Kontemplation war nie ihrs. Die bloße Betrachtung, siehe erste These über Feuerbach, war nie ihr Programm, erst recht nicht im Vorfeld der bürgerlich-demokratischen Revolution in deutschen Landen. Weder theoretisch, noch politisch. Im Gegenteil. Siehe nun Feuerbach-These Nummer elf, Interpretation der Welt habe tunlichst Veränderung derselben zu folgen. Jawohl – unter Gebrauch von Philosophie. Einheit von Wort und Tat hieß das einst. Zu Recht.
Der Wein bestimmt das Bewusstsein
Wir sind noch immer beim Wein; quasi bei der »politischen Önologie«. Engels analysierte die ökonomischen Umstände auf der Insel in seiner Arbeit »Die Lage der arbeitenden Klasse in England«. Allerdings, seinen Lieblingswein bezog er vom Kontinent: einen Bordeaux. Launiger Einschub: Jennys und Karl Marx' Töchter drängten oft ihren Vater und Engels, Fragebögen auszufüllen – ein Gesellschaftsspiel damals: Lieblingsfarbe, -schriftsteller, -motto et cetera; bei der Frage »Sinn des Leben?« grübelte Marx eine Ewigkeit, Engels machte das nervös. Als Marx sich endlich zu der Antwort »zu kämpfen« durchgerungen hatte, trug Engels als seine Antwort ein: eine Flasche Château Margaux 1848.
Wie Engels sich mit den Proletariern in England beschäftigte, also mit der ökonomischen Realität, befasste sich Marx mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten in seiner rheinland-pfälzischen Heimat; mit dem dortigen Holzhandel und der Lage der Weinbauern an der Mosel. Engels wie Marx erkannten im Ergebnis ihrer Studien die Dominanz ökonomischer Tatsachen. Ihr Standpunkt als philosophische Materialisten bedeutet, die Ursachen sozialer Entwicklung letztlich (!) in materiellen gesellschaftlichen Verhältnissen zu suchen; ihr Standpunkt als Kommunisten bedeutet, gesellschaftlichen Fortschritt durch Änderung der Eigentums-, also ökonomischen Verhältnisse anzustreben. So hat also der Wein Marx zum Kommunisten gemacht; und ich erlaube mir den, nun, ja, wirklich marxistischen Spaß: Der Wein bestimmt das Bewusstsein.
Um nun noch eine Variante beziehungsweise Assoziation zum Wort aus der Überschrift aufzugreifen: Megabyte – eine Maßeinheit aus der Informatik, bezeichnend die Datenmenge. Das Werk von Marx (und Engels) enthält wahrlich eine schier unüberschaubare Menge von Informationen. Ihm ist nur durch intensives Studium beizukommen. Marx zu folgen, bedeutet aber auch, soll es keine rein akademische Etüde bleiben, sich den politischen Gehalt seines Werkes anzueignen, sich stets auch seines politischen Wirkens und nun wieder dessen Wirkung bewusst zu sein.
Über die Jahre und Jahrzehnte ist ebenso üppig wie diskursiv darüber nachgedacht, auch gestritten worden, was die wesentliche wissenschaftliche Leistung von Marx sei. Friedrich Engels sprach am Grabe von Karl Marx darüber: Marx habe »… die bisher unter ideologischen Überwucherungen verdeckte einfache Tatsache, dass die Menschen vor allen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion usw. treiben können …« entdeckt. Es gibt ein Selbstzeugnis von Marx, wonach zu seinen wissenschaftlichen Entdeckungen die des Mehrwerts zähle. Und: Er habe nicht die Klassen entdeckt, sondern, dass Folge und Ergebnis der historischen Klassenkämpfe eine klassenlose Gesellschaft sein werde.
Es gibt viele wissenschaftliche Arbeiten von Marx, die dies nachweisen. Zu den präzisesten historisch-ökonomischen Begründungen zählt das Kapitel »Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation« in: »Das Kapital«, Band 1; und im Kommunistischen Manifest ist die historisch-politische Darlegung, erstmals wissenschaftlich profund, nachzulesen.
Die Crux mit der Klasse
Wenn ich die heutige Marx-bezogene theoretische und politische Landschaft betrachte, neige ich zum Konstatieren der Misere. Zwar hat sich in den letzten rund zehn Jahren eine Art Renaissance ergeben, nicht zuletzt als Reflexion der sich stets noch verschlechternden ökonomischen Lage der ausgebeuteten Klassen wie der sozial-politischen Barbarei. Doch drängt sich nicht grad der Eindruck auf, die moderne (moderne?; doch: Zeitgeist eben) Rezeption von Marx erreichte auch dessen theoretische Höhe und dessen politische Wirksamkeit. Besonders mit Blick auf eine fehlende Klassenanalyse und ein Bewusstsein über das Manko. Hier fällt einem Dieter Süverkrüp ein: »Sag bloß, du bist kein Prolet, weil's anderen dreckiger geht!« Die Linken nominieren bei Marx das Emanzipatorische. Doch das ist ohne bewusst geführten Klassenkampf nicht zu haben. Pablo Neruda:
»Die Reaktionäre wissen, dass die Gefahr von Veränderungen in einer Gesellschaft nicht in der individualistischen Rebellion liegt, sondern in der Organisation der Masse und einem ausgeprägten Klassenbewusstsein.« (Pablo Neruda: »Ich bekenne, ich habe gelebt. Memoiren«, Deutsch und mit einem Vorwort von Curt Meyer-Clason, Dutch Editing Company, 1974, S. 437)
Der Autor ist Diplomphilosoph, Journalist und Herausgeber; er arbeitet im Antieiszeitkomitee, einer kulturpolitischen Vereinigung der Partei Die Linke. Veranstaltung zum 200. Marx-Geburtstag: 5. Mai 2018, 15 Uhr, Marx-Engels-Forum, Berlin-Mitte.
Leseempfehlung: Ossietzky-Themenheft »Mein Kapital«, 17/2017, Beiträge von: Elmar Altvater, Heinz-J. Bontrup, Günter Buhlke, Christian Fuchs, Georg Fülberth, Wolfgang Helfritsch, Johann-Günther König, Tomasz Konicz, Harald Kretzschmar, Stephan Krull, Gisela Notz, Urte Sperling, Ingrid Zwerenz u. a., 36 Seiten, 2,80 € zzgl. 1,50 € Versand; Bezug: ossietzky@interdruck.net
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