Donnerstag, 3. Mai 2018

Gysi: Europa nicht an Rechte preisgeben (Conrad Taler)


Der langjährige Vorsitzende der Links-Fraktion im Deutschen Bundestag, Gregor Gysi, hält es für nicht ausgeschlossen, dass die deutsch-völkisch ausgerichtete Alternative für Deutschland (AfD) an die Macht kommt. Im Gespräch mit der Zeitung neues deutschland gab Gysi zu verstehen, dass das angesichts der europakritischen Haltung der AfD die Rückkehr zu einem deutschen Sonderweg bedeuten könnte, der jetzt durch die Integration Deutschlands in ein gemeinsames Europa ausgeschlossen werde. Gysi knüpft damit an die Grundidee des europäischen Zusammenschlusses an, Deutschland durch seine Einbindung in ein europäisches Bündnis vor einem Rückfall in seine kriegerische Vergangenheit abzuhalten. Wörtlich sagte der Linken-Politiker:
»Der deutsche Sonderweg bestand immer darin, dass wegen seiner verspäteten Nationalbildung Deutschland eine Neuaufteilung der Welt anstrebte. Was, wenn die AfD an die Macht käme und feststellte, dass die ehemaligen Kolonialmächte in den früheren Kolonialländern immer noch mehr zu sagen haben als wir? Taucht dann womöglich die Frage einer Neuaufteilung auf?« Auf die Frage, ob er damit Kriege um eine Neuaufteilung meine, antwortete Gysi: »Es gab noch nie einen Krieg zwischen zwei Mitgliedsländern der EU. Ich befürchte: Wenn wir zurückkehren zu den alten Nationalstaaten, kehrt auch der Krieg nach Europa zurück.«

Einer wie Gregor Gysi, der als Vorsitzender der Europäischen Linken mit 25 Mitgliedsparteien und knapp 500.000 Mitgliedern zu den einflussreichsten europäischen Politkern gehört, geht mit einer solchen Warnung nicht von ungefähr an die Öffentlichkeit, sondern weil er Europa angesichts des Einflusses rechtspopulistischer europafeindlicher Parteien an einem Scheideweg sieht. An die eigene Partei gerichtet nannte er es illusorisch, zu glauben, zur AfD abgewanderte Wähler ließen sich zurückgewinnen, wenn man ihnen einen Stück entgegenkomme. Auch wenn derzeit ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene nicht zur Debatte stehe, möchte er diese Option nicht für tot erklären, meinte Gysi. Er wisse schließlich nicht, wie es in fünf oder in zehn Jahren in Deutschland aussehen werde. Es gebe für ihn sogar einen Grund, mit der CDU zu koalieren. »Aber nur einen einzigen: Wenn ansonsten der Faschismus käme.« Im Notfall dürfe man eine Sammlungsbewegung einschließlich der Konservativen nicht ausschließen.

Angesprochen auf die von Sahra Wagenknecht anvisierte linke Sammlungsbewegung sagte Gysi: »Wenn, dann um die LINKE herum. Und nicht neben ihr.« Den Einwand seiner Parteifreundin, aus wahlrechtlichen Gründen müsse leider der Weg einer Partei gefunden werden für diese Bewegung, ließ er nicht gelten; der sei rechtlich ausgeschlossen. Der Bundestag habe als Reaktion auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts das Wahlgesetz geändert und verboten, »dass ein Mitglied der Partei A auf der Liste der Partei B kandidiert«. Sahra Wagenknecht beschreibe etwas, was rechtlich nicht mehr möglich sei.

Was die AfD angehe, die als neoliberale Partei gegründet worden sei, so bestehe die wesentliche Gefahr darin, dass sie irgendwann neben nationalistischen und rassistischen auch zunehmend soziale Themen vertreten werde. Außerdem stelle der internationale Kapitalismus die Linke vor Fragen, »die wir mit Abschottung nicht lösen können«. Die Konzerne hätten dafür gesorgt, dass die soziale Frage nicht mehr national stehe, sondern zu einer Menschheitsfrage geworden sei. »Wie sieht unsere Antwort darauf aus, wie erklären wir das den Menschen in Dresden, in Leipzig, in München und in Hamburg? Das ist die neue Herausforderung.«

Auf die Frage, ob ein Schulterschluss der demokratischen Parteien im Kampf gegen die AfD anzustreben sei, erinnerte Gysi indirekt an das verschüttete Erbe des antifaschistischen Widerstandes gegen die Nazityrannei. CDU/CSU, SPD, FDP, Grüne und Linke müssten sich nach seiner Überzeugung zusammensetzen und sich über ihre unterschiedlichen Aufgaben bei der Eindämmung des Interesses an der AfD verständigen. »Tun sie das nicht, dann könnte der Tag kommen, an dem es zu spät ist.« Derzeit seien sie dazu allerdings nicht in der Lage. Nötig wäre es trotzdem, weil dann für die Mitte der Gesellschaft erkennbar würde, wie wichtig Die Linke als Gegenüber der Rechten sei. Sie würde begreifen, dass sie die Rechtsentwicklung nur mit der Linken verhindern könne.

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