Ein Beitrag zur Debatte um Politische Prozessführung
Michael Dandl
Da es zum zentralen, auch satzungsmäßigen Charakteristikum der
Roten Hilfe e.V. gehört, für all jene Menschen materielle und politische
Unterstützung zu leisten und zu organisieren, die wegen ihres
emanzipatorischen Engagements staatlich-repressiv vor Gericht gestellt
und zu Geld- oder Gefängnisstrafen verurteilt werden, bildet die
konsequente Umsetzung einer Politischen Prozessführung den konkreten
Aktionsrahmen der davon Betroffenen. Sich als Angeklagte*r in einem
„konkreten Aktionsrahmen“ politischer Prozessführung zu bewegen,
bedeutet dabei nicht nur, dem in die komplexe bundesrepublikanische
Sicherheitsarchitektur eingebauten, extremismustheoretisch grundierten
Feindstrafrechtssystem selbstbestimmt - als politisches Subjekt, das
Teil sozial bewegter Aufhebungsperspektiven ist -, entgegentreten und
seine regulative Funktionalität entlarven zu können; es ist zugleich das
konzessive Rekurrieren auf die mutuale und reziproke Solidarität der
parteiunabhängigen, strömungsübergreifenden Organisation Rote Hilfe.
Die Rote Hilfe e.V. als Schutz- und Solidaritätsorganisation
Denn die Rote Hilfe e.V. schützt die Personen, deren politisches
Engagement im emanzipatorischen Sinne über die derzeit herrschenden
Verhältnisse hinaus weist, nicht nur vor den extremen Zumutungen
staatlichen Repressionsgebarens; sie solidarisiert sich auch mit den
Betroffenen.
Der Schutz findet im Idealfall vor den konkreten
Repressionsmaßnahmen eines repräsentativdemokratisch verformten Staates
statt, der die Reproduktion eines konstitutiv inegalitären Systems von
Ausbeutungs- und Dominanzbeziehungen garantieren und legitimieren muss;
er „arbeitet“ kontinuierlich und unabhängig mit allen jeweils zur
Verfügung stehenden, gesellschaftlich durchsetzbaren
gegeninformationspolitischen Mitteln. Ziel aller diskursfähigen
beziehungsweise diskursmächtigen Schutz„maßnahmen“ ist die möglichst
umfassende, nachhaltig wirkende Erzeugung eines subjektiv
internalisierbaren Bewusstseins darüber, dass, welche*r den Makel
„politisch linksmotivierter Devianz und Dissidenz“ angeheftet bekommt,
mit allen Facetten staatlicher Repression konfrontiert werden kann. Ist
dieses aufgeklärte Bewusstsein dann einmal in den „Träger*innen
devianter und dissidenter Motivationen“ verankert, dann können diese so
effektiv wie nur möglich versuchen, staatliche Repressionsmaßnahmen ins
Leere laufen zu lassen und den bewegungsbinnenstrukturellen Zusammenhalt
zu stärken.
Die Solidarität wiederum gilt den schließlich konkret von
staatlicher Repression Betroffenen (bei denen also die prärepressiven
Schutz„maßnahmen“ nicht mehr gegriffen haben oder nicht greifen
konnten). Und da die Rote Hilfe e.V. ihrem Selbstverständnis nach weder
eine karitative Einrichtung noch eine auf dem „Markt der Möglichkeiten“
wählbare Rechtsschutzversicherung ist, fußt ihr solidarisches Agieren
eben nicht auf dem „Prinzip Einbahnstraße“, sondern auf einem mutualen
und reziproken Verhältnis, also einem auf Gegen- und Wechselseitigkeit
beruhenden Axiom. Auf den einzelnen Unterstützungsfall
heruntergebrochen, der bei der Roten Hilfe eingeht und von ihrem
Bundesvorstand befürwortet wird, bedeutet dies, dass jede*r
(falltechnisch positiv beschiedene) Antragsteller*in den auf politischem
Vertrauen gebauten Support der RH erhält (mit allem, was dazu gehört),
von sich aus aber ebenfalls solidarisch sein muss - der Roten Hilfe als
Organisation gegenüber, aber auch ihrem*seinem politischen Umfeld und
allen anderen gegenüber, die die gleichen oder ähnliche Erfahrungen mit
dem bundesrepublikanischen Repressionsapparat gemacht haben oder noch
machen werden. Und diese auf gegenseitiger Hilfe und wechselseitiger
Unterstützung basierende Solidarität verlässt ganz bewusst das rein
Materielle; Antragsteller*innen müssen nicht einmal zahlende Mitglieder
der bundesweiten Organisation sein, um mit dem Regelsatz - der Übernahme
von 50% aller Kosten - unterstützt zu werden: Sie wird zum allgemeinen
politischen Gradmesser - für alle Beteiligten und während aller Phasen
der in Stationen gegliederten Repressionsfälle.
Wird der Solidaritätsbegriff noch weiter aufgeschlüsselt und damit
ganz allgemein anwendbar gemacht auf systemantagonistische oder
systemkritische Regelverstöße gegen die Kontroll- und
Disziplinargesellschaft, die staatlicherseits repressiv zu ahnden sind
und sanktioniert werden müssen, dann umschließt er folgende Bereiche:
Solidarität ist zunächst die Zusammenarbeit zwischen politisch
aktiven Menschen, die von staatlicher Repression betroffen sind, und
roten Helfer*innen aus der bundesweiten Organisation.
Sie findet - bezogen auf diese Zusammenarbeit - in möglichst
gleichberechtigter Weise statt, auch wenn die (erfahrenen) roten
Helfer*innen selbstverständlich oftmals über einen gewissen
Wissensvorsprung verfügen (hinsichtlich des von ihnen beackerten
Repressionsthemas).
Sie findet darüber hinaus statt zwischen Personen, die - zu
unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten - ähnliche oder
gar gleiche Situationen der Benachteiligung erfahren haben (im Sinne
von: politischer Unterdrückung).
Und sie ist eingewoben in eine allgemeine, von Betroffenen und
Unterstützer*innen geteilte Aufhebungsperspektive; und das funktioniert
selbstverständlich nur über die gemeinsame, kollektivistische
Herbeiführung eines grundlegenden, eines fundamentalen Wandels der
gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen kapitalistische
Produktionsweise stattfindet.
Und diese Leitmotivik muss auch bei der Politischen Prozessführung
durchgehalten werden; das sind die von staatlicher Repression
Betroffenen der Roten Hilfe schuldig. In concreto heißt dies, dass sich
ein wegen der „Begehung politisch linksmotivierter Straftaten“
angeklagter Mensch, der es in Absprache mit der Roten Hilfe auf einen
(„Erfolg versprechenden“) Gerichtsprozess ankommen lässt, permanent den
inneren und äußeren Bedingtheiten dieses komplexen Solidaritätsfluidums
zu vergewissern hat.
Aktion - Reaktion - Bestrafung/Verurteilung
Im Idealtypus, bei dem politisch-polizeiliche Prävention und
Präemption vernachlässigbare Entitäten bilden, durchläuft ein (von einem
Gerichtsprozess „krönbarer“) Fall, der vom Bundesvorstand der Roten
Hilfe e.V. als unterstützenswert (im Sinne der Satzung) eingestuft
werden soll, dieses grob gerasterte klassische Schema:
Aktion: Die*Der von staatlicher Repression Betroffene macht etwas,
das von irgendwelchen Helfer*innen, Verwalter*innen und
Legitimationsbeschaffer*innen der so genannten freiheitlichen
demokratischen Grundordnung (fdGO) als „politisch linksmotivierter
Straftatbestand“ deklariert wird.
Reaktion: Im derzeit in der BRD installierten, auf exekutiven,
judikativen und legislativen Terrains arbeitenden Repressionsapparat
werden (verdeckte) Ermittlungen und Ermittlungsverfahren
unterschiedlichster Art und Weise in Gang gesetzt, die letzten Endes auf
den Punkt zu bringen haben, dass dieses staatlich zugeschriebene
„politisch linksmotivierte Agieren“ einer Einzelperson sanktions- und
disziplinierungsbewehrt ist, also aus dem bloßen, „immateriellen“
Überwachungsmodus herausgelöst werden muss.
Bestrafung/Verurteilung: Die*Der von staatlicher Repression
Betroffene wird am Ende eines staatsanwaltschaftlich geführten oder
richterlich beschlossenen Ermittlungsverfahrens auf der Basis der
konkreten Anwendung von Paragrafen aus der Strafprozessordnung, aus den
jeweiligen Landepolizeiaufgabengesetzen, aus dem Versammlungs-,
Vereinigungs- oder Vereinsrecht mit einer in Tagessätze
aufgeschlüsselten Geldstrafe sanktioniert oder mit einer Verurteilung zu
einer Haftstrafe diszipliniert.
Der Politische Prozess
Ein gerichtsextern nicht mehr abwendbarer oder gar gewollter
Prozess stellt also - innerhalb dieses dreigliedrigen Schemas - immer
das letzte, juristisch umhegte Feld dar, auf dem sich noch
vermittlungsinstanzlich bewegen lässt, bevor der Staat die*den
„politisch linksmotivierte*n Straftäter*in“ bestraft oder verurteilt.
Dass vor Gericht - in welchen Instanzen auch immer - bisweilen
Einstellungen oder gar glatte Freisprüche „erwirkt“ werden können,
ändert nichts an der Tatsache, dass die rechtsformal justierte Justiz
bei Straftatbeständen, deren vermeintliche, nun angeklagte
„Erfüller*innen“ eine „politische Motivation“ dahinter „aufscheinen“
lassen, einen unbedingten Verurteilungswillen an den Tag zu legen und
die Definitionsmacht darüber zu bewahren hat, was als
Gewaltmonopolaushebelung oder als Gewaltmonopollegitimierung definiert
wird. Ein solcher Prozess wird dann zu einem Politischen Prozess -
unabhängig davon, wie das Urteil am Ende ausfällt oder wie der*die
jeweilige Richter*in ihn bezeichnet.
Der repräsentativdemokratisch verfasste Rechtsstaat
Dem Paschukanisʼschen Diktum folgend, dass das Recht in einem so
genannten Rechtsstaat wie der BRD die Interaktionsform einer
vorausgesetzten negativen Vergesellschaftung durch das Kapital
darstelle, es also kein warenproduzierendes ökonomisches Verhältnis ohne
das Rechtsverhältnis geben könne, muss die Besonderung der Justiz, die
ihr Unabhängigkeit und Objektivität innerhalb des bürgerlichen
Akkumulationsregimes zu sichern habe, zurückgewiesen werden. Die
Judikative - als eine der drei Gewalten, die als massive Säulen das
schwere Gebäude der inneren (und äußeren) Sicherheit der BRD zu stützen
haben -, hat aufgrund der gegenseitigen Durchdringung von
kapitalistischer Produktionsweise und bürgerlichem Recht, das
konstitutiv für sie ist, zwar auch die Aufgabe, die ins Totalitäre
umkippende Herrschaft eines verselbstständigten abstrakten Allgemeinen
gegen die Individuen abzufedern, aber ihre regulative Funktion besteht
letzten Endes doch darin, die theoretischen und praktischen
Beschleuniger*innen grundlegenden Wandels zu bremsen, zur „Rückkehr“ zu
zwingen, zur Kooperation (im staatlichen Interesse) zu animieren oder
aus dem Verkehr zu ziehen. Und dabei arbeitet sie - parallel zu einer
fortschreitenden, autoritär imprägnierten Verrechtlichung von
staatlicher Repression - eng mit den polizeilichen Ermittlungsbehörden
zusammen, deren Beamt*innen (als offizielle Träger*innen des staatlichen
Gewaltmonopols) mit faktischer, auch empirisch belegbarer Straffreiheit
„belohnt“ werden.
Die Politische Prozessführung
Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass theoretische und praktische
Beschleuniger*innen grundlegenden Wandels, die vor Gericht landen und
sich dort, auf äußerst unsicherem Boden, zu präsentieren haben, ihre
Prozesse politisch, also solidarisch zu führen haben. Kein politischer
Aktivismus ist - egal, wo und zu welchen Zeiten er stattgefunden hat -,
jemals ohne irgendeine Art von (staatlich definierter) Regelübertretung,
Gesetzeswidrigkeit, strafrechtlicher Relevanz ausgekommen. Welche*r an
den weit reichenden Zugriffsmöglichkeiten des Staates vorbei
systemantagonistischen oder systemkritischen Widerstand zu organisieren
und zu konkretisieren beginnt, die*der muss damit rechnen, ins Visier
des Repressionsapparates zu geraten. Und einen solchen gibt es in nahezu
jedem nationalstaatlich umrahmten Land; er hat nur unterschiedliche
Ausprägungen, unterschiedliche Mittel, unterschiedliche Fokussierungen
und unterschiedliche Methoden. Davon allerdings hängt dann die
Feinjustierung politischer Prozessführungsmodalität ab; in der
Konfrontation mit einem politischen System, in das staatlich und damit
auch rechtsformal die Todesstrafe oder alle Formen von Folter als Mittel
der Aufstandsbekämpfung und -liquidierung implementiert wurde, muss vor
Gericht politisch anders agiert werden als in einem Land, in dem das
Organisieren und Konkretisieren diverser Aufhebungsperspektiven maximal
mit mehrjährigen Haftstrafen geahndet wird; aber die grundsätzliche
Ausrichtung, die grundsätzliche Haltung vor Gericht bleibt bestehen:
Politische Prozessführung bedeutet das Einnehmen einer mutual- und
reziprok-solidarisch konfigurierten Vermeidungsperspektive; in ihrem
Verlauf sind bestimmte Strategien zu vermeiden, die in ihrer jeweiligen
Darbringungsform vom Gericht, von dem*r Richter*in, von der
Staatsanwaltschaft als wie auch immer geartetes Zusammenarbeitsangebot
der*s Angeklagten gedeutet werden muss. Zu diesen Strategien, die nicht
im Entferntesten etwas zu tun haben mit einem „aus der direkten Not
geborenen“, im politischen Zusammenhang abgesprochenen „taktischen“
Vorgehen, das durch präzise, offensive Verwirrung das staatliche
Institutionenensemble Justiz ohne jegliche Abstriche für eigene
politische Zwecke ausbeutet, gehören unter anderem folgende Essenzen:
Verrat: Auch wenn die meisten Rezipient*innen dieses Textes wohl
davon ausgehen dürften, dass Verrat als Selbstrettungsstrategie an
Bedeutung verloren hat, so spricht der Ablauf einiger politischer
Prozesse der letzten Jahrzehnte doch eine andere Sprache. Verrat hat ja
nicht nur zwei Seiten - also die eine Seite ist ganz grundsätzlich der
Verrat „an der (politischen) Sache“; und die andere Seite ist das
Verraten anderer Menschen, die die „politisch linksmotivierte Straftat“
begangen haben sollen, für die nun der*die Verräter*in vor Gericht steht
-, er muss auch - bezogen auf diese „Zweiseitigkeit“ - weiter gefasst
werden. Und dann greifen eben doch einige Angeklagte zu diesem Mittel.
Beispielsweise ist Verrat bereits, das individuelle Begehen einer
grundsätzlich legitimen politischen Aktion, deretwegen mensch angeklagt
wurde, aus der konkreten Festnahmeaktion heraus diffus oder unbestimmt
anderen vermeintlich oder mutmaßlich Beteiligten zuzuschreiben, die im
Zuge dessen ermittlungsbehördlich festgestellt werden können.
Distanzierung: Eng gekoppelt an diesen weit reichenden
Verrats-Begriff ist das Mittel der Distanzierung. Auch sie hat zwei
Seiten, auch wenn hier tatsächlich „gesplittet“ werden kann. Mensch kann
sich vor Gericht - im Angesicht der*des Richterin*Richters und der*des
Staatsanwältin*Staatsanwalts - grundsätzlich von der verhandelten
politischen Aktion, deren physischer Teil sie*er in irgendeiner Weise
geworden war, distanzieren und als wirkmächtige Aussage beispielsweise
zum Besten geben, doch niemals einen Gegenstand in die Hand zu nehmen,
um diesen in die Richtung der Zusammenkunft des politischen Gegners zu
werfen; sie*er kann sich aber gleichzeitig damit einverstanden erklären,
es politisch sinnvoll zu finden, mit anderen zusammen eine
Nazidemonstration anzugehen (ohne dabei en détail auf die
Straßenverkehrsordnung zu achten). Warum hier in der BRD immer wieder
zum Mittel der Distanzierung gegriffen wird, ist nicht nachvollziehbar;
seit mehreren Jahrzehnten ist empirisch belegbar, dass Distanzierungen
vor Gericht keinen Einfluss auf die gerichtsprozessuale Festlegung des
jeweiligen Strafmaßes haben; im Gegenteil: Oftmals „heften“ die Gerichte
oder die Staatsanwaltschaften an das Distanzierungsmodul eine negative
Sozialprognose; welche*r sich vor Gericht mit Inbrunst von einer
bestimmten politischen Aktion „distanziert“, an der sie*er vor einigen
Monaten noch begeistert teilgenommen hat (was teilweise staatlich auch
noch dokumentiert und bezeugt werden kann), die*der neigt zur
„Sprunghaftigkeit“ und damit zur „Verführbarkeit“. Und geht in drei
Monaten vielleicht wieder mit auf eine Anti-Nazidemonstration, bei der
eine Straße blockiert wird.
Reue: Reue ist nochmals weit reichender, auch „emotionaler“ als die
Distanzierung, weil sie gar keine Abschwächung zulässt, also immer
einen dauerhaften, entsolidarisierenden Riss erzeugt. Reue ist das vor
Gericht zum Besten gegebene, „tiefe Bedauern über etwas, was
nachträglich als Unrecht, als [moralisch] falsch empfunden wird“. Damit
trifft die Person - in Absprache mit dem*der hinzugezogenen
Anwalt*Anwältin - eine unumkehrbare Entscheidung, die einer
Unterstützung durch die Rote Hilfe gänzlich entgegensteht: Ich habe eine
„politisch linksmotivierte Straftat“ begangen oder massiv unterstützt,
die ich im Nachhinein als falsch empfinde! Wählt jemensch die Reue als
probates Mittel zur Herabsetzung des Strafmaßes, so ist hier - im
Gegensatz zur Distanzierung - wenigstens empirisch belegbar, dass dies
Auswirkungen auf den Urteilsspruch des Gerichts haben wird. Reuige
Angeklagte kommen relativ häufig mit einem Freispruch oder mit einer
Einstellung davon, weil ihre Sozialprognose „positiv“ gewendet werden
kann; sie haben damit ihre staatskritische oder gar -negierende Attitüde
zugunsten eines staatstragenden Anspruchs aufgegeben. Welche*r einmal
reuig ist, ist es immer! Tief empfundene Reue ist das Äquivalent zu den
staatlich durchdeklinierten Repressionsmodi: Überwachung/Kontrolle -
Abschreckung - Machtdemonstration - Delegitimierung - Schuldzuweisung -
Vereinzelung - Anpassung/Disziplinierung.
Entschuldigung: Auch die (emotionalisierte) Entschuldigung gehört
zum „Vermeidungskanon“. Auch sie hat mehrere Ebenen, die aber alle keine
Option im Sinne der Satzung der Roten Hilfe e.V. sein können.
Entschuldigung hat immer eine lineare, einspurige Zielgerichtetheit,
muss aber von ihrem Objekt nicht „angenommen“ werden; die bloße
Bekundung (vor Gericht) eines „Es tut mir Leid, dass ich…“ reicht schon
aus; das Gericht jedenfalls nimmt dann - in fast allen Fällen -
stellvertretend für die „Geschädigten“ diese Entschuldigung an. Wichtig
ist noch - auf die Mehrschichtigkeit dieser Strategie zurückgekommen -,
bei welcher oder bei wem sich entschuldigt wird. Das kann ein
Polizeibeamter sein, das kann ein Nazi sein, das kann ein*e
Filialleiter*in eines Supermarktes sein, dessen*deren Laden geplündert
wurde, usw. Und die Entschuldigung kann, in Kombination mit Verrat,
Distanzierung oder Reue, stellvertretend ausgesprochen werden: Für
Einzelne und deren „politisch linksmotivierte Straftaten“; oder für eine
bestimmte Weltanschauung, für einen bestimmten Systemantagonismus, für
eine bestimmte sozialrevolutionäre Bewegung, für eine bestimmte
politische Gruppe, die für eine bestimmte Aktion verantwortlich
zeichnet, usw. Nichts von alledem hat - aus der Sicht der*s Angeklagten -
etwas in einem Politischen Prozess zu suchen. Abgesehen davon, dass die
staatliche Schuldzuweisung dann legitimiert wird (Ich ent-schuld-ige
mich für etwas, das ich in einem politischen Kontext anderen Personen
oder Sachen „angetan“ habe oder das anderen beziehungsweise anderem
„angetan“ wurde), ist der Gerichtssaal der allerletzte Ort, an dem
solche Vermittlungsinstanzen (scheinbar diskursförmig) aufgebaut werden
sollten. Die Rote Hilfe e.V. jedenfalls ist dann wieder aus dem Spiel…
Direkte Kooperationsangebote: Auch das kann es in Politischen
Prozessen, bei denen immer (verdeckt oder offen) Mitarbeiter*innen der
Staatsschutzabteilungen der Kriminalpolizeien im Publikum sitzen, geben,
indem Angeklagte mit Nachdruck signalisieren, über den jetzigen Prozess
hinaus nicht abgeneigt zu sein, auch weiterhin mit sich anbietenden
Behörden zu kooperieren und deren Kampf gegen so genannte
linksextremistische Kräfte, in deren Indokrinationsstrudel mensch
geraten sei, tatkräftig zu unterstützen.
Politische Prozessführung ist in idealtypischer Ausprägung aber
auch eine hochgradig selbstermächtigende Offensivstrategie, bei der
die*der Angeklagte - immer in Rücksprache mit politisch
vertrauenswürdigen Anwält*innen und der jeweils involvierten
Anti-Repressionsstruktur - versucht, im von staatlicher Herrschaft
durchdrungenen Prozesssaal die eigenen, nicht verhandelbaren politischen
Standpunkte (am besten in einer starren, vor Ort vorgetragenen
politischen Erklärung) zu verdeutlichen und nichts zur „Sache“ zu sagen.
Denn diese „Sache“, die dort vor Gericht verhandelt wird, ist immer die
Sache der „anderen“, des Staates, der Justiz oder gar des politischen
Feindes (sollte jener direkt klageführend sein). Hier soll Menschen
etwas „politisch Linksmotiviertes“ nachgewiesen oder untergeschoben
werden, das nicht mit den derzeit geltenden, multipel wirkenden
Rechtsnormen und Rechtsformen d`accord geht, im Verständnis der
Angeklagten aber legitim ist. Und genau darum geht es dann bei der
politischen, solidarischen Prozessführung: Die Quintessenz hat das
eigene Legitimitätspostulat zu sein, das dem staatlich kolportierten,
freiheitlich demokratisch gegrundordneten Legalitätsnarrativ
entgegengesetzt wird; politisches, theoretisch fundamentiertes, in
herrschaftsfreien Diskursräumen austariertes Aktivsein bewegt sich - je
nach Radikalitäts-, Emanzipations- und Militanzgrad - fast immer auf
einem von der Strafprozessordnung, den Landespolizeiaufgabengesetzen,
vom Versammlungs-, Vereinigungs- oder Vereinsrecht nicht umhegbaren
Feld, das zivilgesellschaftlich/sozial bewegt beackert wird. Gelingt der
Coup, dass vor Gericht gezeigt werden kann, dass der hier verhandelte
und an einer Einzelperson durchexerzierte „Fall“ seine Berechtigung hat,
seine Legitimität besitzt und in einen größeren (meta)politischen
Zusammenhang gesetzt werden kann, dann hat die offensive politische
Prozessführung ihre Aufgabe erfüllt - auch zur Zufriedenheit der Roten
Hilfe e.V., die selbstverständlich mit dafür Sorge tragen muss, dass sie
keine Menschen vollumfänglich unterstützt, deren unsolidarisches, also
verräterisches, distanzierendes, reuiges, entschuldigendes oder
kooperierendes Verhalten auf den „Bühnen der Jurisprudenz“ im Nachgang
dazu führt, dass andere Personen, die dem konkreten Zugriff der
staatlichen Ermittlungsbehörden oder der Gerichte oder der
Staatsanwaltschaften bisher entrinnen konnten (aus welchen Gründen auch
immer), mit Strafbefehlen, (verdeckten oder offenen) Verfahren, Anklagen
oder Zeug*innenvorladungen überzogen werden und der Staat (hier
vermittels des judikativen Arms) tiefe Einblicke in linke oder
linksradikale Strukturen erhält. Einblicke, die er braucht, um
systemstabilisierende Repression und autoritären
Kriminalisierungsprotektionismus noch durchschlagender zu gestalten…