Montag, 17. November 2014
Schönes neues Militär: Von der Leyen zündet zweite Stufe der Attraktivitätskampagne
http://www.imi-online.de/2014/11/06/schoenes-neues-militaer/
Christian Stache (6. November 2014)
Das Kabinett der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD hat Ende Oktober
2014 den Entwurf des sogenannten Gesetzes zur Steigerung der
Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr („Artikelgesetz“[1]) aus
den Häusern der Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU)
und des ehemaligen Bundesverteidigungs- und gegenwärtigen Innenministers
Thomas de Maizière (CDU) gebilligt. Es umfasst einen Katalog von 22
Maßnahmen, mit denen die Arbeitsbedingungen, die soziale Absicherung und
die Besoldungen der Soldaten verbessert werden sollen. Erklärtes Ziel
der Kampagne ist es, so die Ministerin zu Beginn dieses Jahres, die
Bundeswehr „zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu
machen“ und damit „die Einsatzfähigkeit der Truppe“ auch in Zukunft zu
gewährleisten.
Personalprobleme
In der Bundespressekonferenz am 29. Oktober 2014 gestand die
Bundesverteidigungsministerin ein, dass nicht nur Personal für die
„Spitzenberufe“ bei der Bundeswehr fehle, „die eines Studiums bedürfen“.
Es mangelt dem deutschen Militär auch an „Fachkräften“ im „mittleren
Dienst bei den wehrtechnischen Berufen“, z.B. an Flugzeugmechanikern.
Sogar manche „Schlüsselpositionen“ könnten schon jetzt nicht besetzt
werden. Bekannt ist ferner, dass die Truppe beständig auf der Suche nach
IT-Experten und Sanitätern ist. Der Wehrbeauftragte des Deutschen
Bundestags, Hellmut Königshaus (FDP), sprach in seinem Jahresbericht von
„erheblichem Personalmangel vor allem beim Heer und der Marine“[2].
Das Artikelgesetz
Um der Gefahr entgegenzuwirken, dass die in Zahl und Umfang zunehmenden
Auslandseinsätze der Bundeswehr – derzeit sind es 16 – und die
Einsatzfähigkeit des „unentbehrlichen Instruments der Außen- und
Sicherheitspolitik unseres Landes“, wie es in den
Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011 heißt, durch
Personalprobleme beeinträchtigt werden, hat sich die Große Koalition in
ihrem Koalitionsvertrag auf eine „Attraktivitätsoffensive“ geeinigt.
Neben der Entsendung von Soldaten in Kriege ist sie das Hauptprojekt der
neuen Bundesverteidigungsministerin von der Leyen. Das Artikelgesetz ist
die zweite und vorerst letzte Stufe der aktuellen Rekrutierungs- und
Imagekampagne des BMVg.
Den materiellen Kern des sogenannten Artikelgesetzes bildet ein
Sammelsurium von Besoldungs- bzw. Zuschlagsserhöhungen sowie neue
Zuschläge und Prämien. Den Strategen der Hardthöhe ist – ähnlich wie den
Personalmanagern in Konzernen – klar, dass sie aktive Soldaten durch
höhere Löhne nicht nur enger an die Bundeswehr binden können, sondern
dass das Einkommen auch „ein maßgebliches Entscheidungskriterium bei der
Berufswahl“ ist.
Grob gesagt sieht das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) in vier
Bereichen höhere Summen für seine Arbeitskräfte vor. Es kann ein
sogenannter Personalbindungszuschlag ausgezahlt werden, „um besonders
gesuchtes Fachpersonal an die Truppe zu binden“, wenn in einem Bereich
der Bundeswehr „bereits ein Personalmangel besteht“. Ferner bekommen
Soldaten mit „besonderen Aufgaben“, wie etwa Mienentaucher oder
Matrosen, die „verantwortungsvolle oder mit besonderen Erschwernissen
und körperlichen Anstrengungen“ verbundene Arbeiten verrichten,
angehobene Aufschläge. „Insgesamt werden 20 Zulagen erhöht und sogar
drei neue Erschwerniszulagen eingeführt.“ Teilweise handelt es sich um
bis zu 40prozentige Zuwächse. Darüber hinaus „erhalten Freiwillig
Wehrdienst Leistende ab dem 1. November 2015 60 Euro mehr im Monat“,
d.h. über sieben Prozent mehr Sold. Schließlich gilt ab dem 1. Januar
2016 die 41-Stundenwoche für Soldaten, „natürlich“ unter der
Voraussetzung, „dass die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte
gewährleistet ist“. Bei der Bezahlung der Überstunden gelten dieselben
Regeln wie für Bundesbeamte.
Diese direkten finanziellen Aufstockungen für Soldaten werden durch
weitere Maßnahmen zur sozialen Absicherung ergänzt. In Zukunft steigt
die Rente der Soldaten durch eine Nachversicherung und für geschiedene
Soldaten, die für ihren Ex-Ehepartner versorgungspflichtig sind,
zusätzlich durch den Aufschub der Rentenkürzung um den Betrag des
Versorgungsausgleichs. Gleichzeitig können Soldaten „nach ihrer
Pensionierung Tätigkeiten in der Privatwirtschaft aufnehmen, ohne dass
sie deshalb Abzüge ihrer Versorgungsbezüge in Kauf nehmen müssen“. Dann
gilt: volle Bundeswehrpension plus vollen Lohn. Außerdem werden alle
Entschädigungszahlungen für kriegsverletzte Soldaten rückwirkend für
alle Einsätze ab dem 1. Juli 1992 geleistet, so dass jetzt alle
Versehrten monetär gleich behandelt werden.
Das Artikelgesetz wird durch Maßnahmen abgerundet, die die
Arbeitsbedingungen der Soldaten verbessern sollen. Dazu zählen
flexiblere Arbeitszeitmodelle, z.B. in Form von Langzeitarbeitskonten
oder Teilzeitarbeit, finanzielle Hilfen in familiären Notfällen für
Soldaten im Kriegseinsatz (bis zu 50 Euro/Tag für eine externe
Betreuungs-/Pflegekraft) und umfangreiche sowie leichtere
Beförderungsmöglichkeiten für Soldaten in Mannschaftslaufbahnen, d.h.
der untersten Dienstgrade.
„Bundeswehr in Führung?“ Die Attraktivitätskampagne
Das Artikelgesetz komplettiert die Rekrutierungs- und Charme-Offensive,
die vom BMVg unter dem Motto „Bundeswehr in Führung – Aktiv. Attraktiv.
Anders.“ Mitte des Jahres initiiert worden ist. Bereits im Juni 2014 hat
von der Leyen ein Paket von 29 Maßnahmen vorgestellt, die keiner
gesetzlichen Regelungen und somit nicht der Zustimmung des Bundestags
bedurften. Dank ihnen soll der Dienst an der Waffe größeren Reiz
insbesondere auf junge Arbeitskräfte ausüben. Zu den im Juni
verabschiedeten Reformen zählen z.B. die Einführung softer
Führungsmethoden, die Ausweitung bundeswehrinterner
Weiterbildungsmöglichkeiten, die bessere Ausstattung der Kasernen und
Hilfen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, etwa
durch den Ankauf von Belegrechten in Kitas oder durch eine Senkung der
Versetzungshäufigkeit.
Dass die Attraktivitätskampagne sich nicht nur an die Soldaten richtet,
sondern auch eine gesellschaftspolitische Funktion besitzt, zeigen
ebenfalls Projekte des ersten Maßnahmenkatalogs. Im Jahr 2015 soll
„anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Bundeswehr“ bundesweit ein
„Tag der Bundeswehr“ gefeiert werden, „an dem sich die Bundeswehr an
zahlreichen regionalen Standorten auch als attraktiver Arbeitgeber mit
Hunderten spannenden zivilen und militärischen Berufen präsentiert“.
Fortan, so die Planung, sei der Tag jedes Jahr zu begehen.
Bei dem Artikelgesetz geht es insbesondere ums Geld – neben der
Arbeitsplatzsicherheit das überzeugendste „Argument“ für die meisten
Jugendlichen, um den Kriegsdienst aufzunehmen. Das vielleicht beste
Instrument zur Rekrutierung von jungen Arbeitskräften, die auf der Suche
nach einer Erwerbsarbeit sind, wird nachhaltig gestärkt. Insgesamt
richten sich die Neuerungen des Artikelgesetzes aber sowohl an aktive
Soldaten als auch an den potentiellen Nachwuchs.
Zeitplan und Kosten
Die Fraktionen im Bundestag müssen das Artikelgesetz noch verabschieden.
Es ist aber nicht davon auszugehen, dass die Abgeordneten von SPD und
CDU/CSU der Regierung die Gefolgschaft verweigern. Werden die
Gesetzesvorhaben von den Regierungsfraktionen abgenickt, träten die
Reformen frühestens ab April 2015 in Kraft. Einige Regelungen, wie z.B.
die Dienstzeitanpassung, werden erst ab 2016 umgesetzt.
Die jährlichen Gesamtkosten der Attraktivitätskampagne belaufen sich –
nach derzeitigen Planungen – auf mindestens 320 Millionen Euro. Während
die Ausgaben von 20 Millionen Euro per anno für die nicht-gesetzlichen
Maßnahmen laut BMVg auf fünf Jahre beschränkt werden sollen, ist davon
auszugehen, dass Teile der 300 Millionen Euro im Jahr dauerhaft anfallen
werden. Zunächst war geplant, diese Mehrkosten dem BMVg-Haushalt zu
entnehmen, was ja auch absolut nahe liegt. Dies hatte sich aber
erledigt, als geschickterweise Passagen aus dem „internen“
Bundeswehrplan 2016 öffentlich wurden. Ihm zufolge hätte „die Einplanung
finanzieller Mittel zur Umsetzung des Artikelgesetzes zur Steigerung der
Attraktivität in der Bundeswehr dazu geführt, alle geplanten Neuvorhaben
bei den militärischen Beschaffungen in 2016 zu streichen“. Da dies
offensichtlich nicht in Frage kommt, einigten sich Finanzminister
Wolfgang Schäuble und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen schon
Ende Oktober 2014 auf diverse Tricks, mit denen eine Belastung des
BMVg-Etats vermieden werden kann.
Im Kern scheint es darum zu gehen, in den allgemeinen Haushalt
verschobene, aber bislang nicht genutzte Budgetposten für ziviles
Bundeswehrpersonal – die dort übrigens absolut nichts verloren haben –
heranzuziehen sowie die Bundeswehr von der alle Ressorts betreffenden
globalen Minderausgabe zu entbinden (bzw. den Haushalt wieder
dementsprechend zu erhöhen), wie Spiegel Online schreibt: „Der
Rechentrick ist ziemlich kompliziert: So will das Team der Ministerin
beispielsweise auf einen rund 450 Millionen Euro schweren Geldtopf der
allgemeinen Finanzverwaltung für das zivile Bundeswehrpersonal
zurückgreifen, den man in den vergangenen Jahren nicht genutzt hat.
Zudem rechnet das Ministerium damit, dass eine globale Minderausgabe von
400 Millionen Euro, welche die Bundeswehr dieses Jahr akzeptieren
musste, in den kommenden Jahren zurückfließen wird.“
Womöglich wird das Attraktivitätsgesetz also für das BMVg schlussendlich
sogar ein Nettogeschäft. Real aber werden damit die ohnehin rasant
angestiegenen Kosten für Reklame und Imagewerbung der Bundeswehr in
jedem Fall weiter steigen.
Anmerkungen
[1] Laut Homepage des Bundestags versteht man unter einem Artikelgesetz
ein „Gesetz, das gleichzeitig mehrere Gesetze, bisweilen auch
unterschiedlicher Zielrichtung, ändert“.
http://www.bundestag.de/service/glossar/A/artikelgesetz/245330
[2] Unterrichtung des Wehrbeauftragten. Jahresbericht 2013 (55.
Bericht). Bundestagsdrucksache 18/300. (28.01.2014) Online unter:
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/003/1800300.pdf
--
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e. V.
Hechingerstrasse 203
72072 Tübingen
Telefon: +49 7071 49154
Telefax: +49 7071 49159
E-Mail: imi@imi-online.de
Internet: www.imi-online.de
IMI-List - Der Infoverteiler der
Informationsstelle Militarisierung
Hechingerstr. 203
72072 Tübingen
imi@imi-online.de
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen