Freitag, 11. Juli 2014
Neues Ermittlungsverfahren nach §129 (Bildung von kriminellen Vereinigungen) gegen Linke in Leipzig!
In Sachsen laufen laut jüngsten Aussagen des Innenministeriums Ermittlungen gegen drei Personenzusammenhänge, die im Verdacht stehen, „kriminelle Vereinigungen“ zu bilden und sich damit wegen des Verstoßes gegen § 129 StGb – „Bildung krimineller Vereinigungen“). Neben zwei Zusammenhängen in Dresden, ist auch eine „Gruppierung“ in Leipzig im Visier. Dieser werden 12 Personen zugeordnet.
Das Strafgesetzbuch definiert eine „kriminelle Vereinigung“ nach § 129 als „Personenzusammenschluss von gewisser Dauer, dessen Zweck oder Tätigkeit darauf gerichtet ist, Straftaten zu begehen.“ Zielrichtung der kriminellen Handlungen muss die „Störung der öffentlichen Ordnung“ sein, wobei es sich um ein rechtlich unbestimmtes Konstrukt handelt.
Die Paragraphen 129, 129a und b des Strafgesetzbuches wurden dazu geschaffen politische Strukturen zu durchleuchten. Auch zahlreiche Jurist*innen und Bürgerrechtler*innen kritisieren den Paragraphen völlig zurecht. Um nach § 129 belangt zu werden muss gar keine Straftat begangen worden sein. Mittels des – willkürlichen – Anfangsverdacht werden die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungsverfahren stark ausgeweitet: Neben Telekommunikationsüberwachung und Postkontrolle, Observation, verdeckten ErmittlerInnen, akustischer und optischer Wohnraumüberwaschung oder Rasterfahndung: die Palette ist breit. Im Rahmen der Ermittlungen kann es auch zu Hausdurchsuchungen, ED-Behandlungen und DNA-Abnahmen kommen.
Auch die vermeintliche Unterstützung und Werbung für ein kriminelle (§ 129) oder terroristische Vereinigung (§ 129a) wird unter Strafe gestellt, mit einer Gesetzesänderung durch die rot-grünen Bundesregierung und durch Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wurden die Hürden dafür allerdings erhöht.
Die Definition dessen was kriminell und terroristisch sein soll, ist schwammig und von der politischen Agenda der jeweiligen Landes-? oder Bundesregierung abhängig. Kein Wunder also, dass die politische Linke mit Abstand am häufigsten mit Ermittlungsverfahren nach den 129er § überzogen wurde. Zwischen 1990 und 1996 gab es 1116 Verfahren gegen links, und 23 gegen rechte Gruppen. In den letzten Jahren sanken die Zahlen der Ermittlungen gegen links erheblich. Dafür wuchs die Zahl von Verfahren nach § 129 b (Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland).
Mit insgesamt zwei laufenden und einem ruhenden Ermittlungsverfahren nach § 129 dürfte Sachsen also weit vorn liegen.
Die Geschichte des Paragraphen 129 reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück und reiht sich in die deutsche Tradition der autoritären Bekämpfung basisdemokratischer, progressiver Kräfte ein. Seine Vorläufer richteten sich zum Beispiel 1848 gegen die republikanisch-?revolutionären Bestrebungen gegen reaktionäre Herrschaftsstrukturen. Im Deutschen Reich richtete sich der § 129 bereits gegen „staatsfeindliche Bestrebungen“ und damit gegen sozialistische und sozialdemokratische Bewegungen. Diese Linie zog sich weiter in die Weimarer Republik, in der der § exzessiv gegen sozialistische und kommunistische Aktivitäten und Organisationen angewendet wurde. Die Kriminalisierung von linken Bewegungen verschiedenster Couleur erreichte mit der Transformation der Weimarer Republik in den Nationalsozialismus ihren Höhepunkt. Der 129er Paragraph lebte fort und diente der Verfolgung jeglicher Andersdenkender.
Im postfaschistischen Deutschland, das sich der Ursprünge des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 bediente, wurde der § 129 schnell zum wichtigen Instrument im Kampf gegen links. Er spielte bei der Verfolgung von KommunistInnen und dem Verbot der KPD eine zentrale Rolle. In diesem Zusammenhang kam es in den 1950er und 60er Jahren zu 100.?00 Ermittlungsverfahren und 10.?000 Verurteilungen wegen der Beteiligung an kriminellen Vereinigungen. Zeitgleich wurde der § 129 sogar verschärft und neben der Mitgliedschaft auch die Unterstützung und das Werben für eine „kriminelle politische Vereinigung“ unter Strafe gestellt.
Eigens zur Verfolgung der Roten Armee Fraktion wurde 1976 der § 129a – Bildung einer terroristischen Vereinigung – geschaffen. 2003 folgte die Variante b. Diese wiederum ermöglicht es dem Staat Menschen zu kriminalisieren, die Mitglied einer im Ausland tätigen „kriminellen oder terroristischen“ Vereinigung sind, für diese werben oder sie unterstützen. Diese Regelung ist besonders willkürlich, unterliegt sie doch ganz besonders außenpolitischen Interessen Deutschlands.
Die Paragraphen 129 ff waren und sind Gesinnungs-und Ermittlungsparagraphen gegen die politische Linke. Zumeist löst sich der Tatvorwurf im Zuge der Ermittlungen in Luft auf. Nur etwa fünf Prozent aller Ermittlungen wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung werden bis zur Anklage fortgeführt, bei etwa einem Prozent kommt es zu einer Verurteilung. Doch darum geht es den Behörden auch nicht. Ziel ist das Offenlegen von Strukturen und das Zermürben von Einzelnen.
Die Rote Hilfe empfiehlt:
Auf Hausdurchsuchungen vorbereiten! Räumt eure Wohnungen auf bzw. aus! Vermeidet Zufallsfunde wie waffenähnliche Gegenstände oder kriminalisierte Substanzen
Stehen die Cops vor der Tür: lass dir den Durchsuchungsbefehl zeigen, rufe den/die Rechtsanwalt/wältin deines Vertrauens an und versuche eine/n Zeug/in dazuzuholenAlles weitere zur Hausdurchsuchung kann hier nachgelesen werden:
http://antirepression.noblogs.org/polizeikontakt/hausdurchsuchungen/
Eine Checkliste für die Wohnungswand findet ihr hier:
http://antirepression.noblogs.org/files/2013/01/Hausdurchsuchung.pdf
Kein Austausch über politische Fragen per Telefon, Mail, Facebook!
Lass dein Telefon bei Plena zu Hause, nutze für E-Mail/Chat gängige Verschlüsselungstechnik und lasse keine sensiblen Daten unverschlüsselt auf Festplatten rumliegen. Meidet Facebook!
Seid wachsam: sowohl erkennungsdienstliche Maßnahmen und DNA-Entnahmengehören zum Standard-Repertoire der Repressionsbehörden!
Ermittlung gegen „kriminelle Vereinigung“
Ein böses Gerücht hat sich bewahrheitet: Gegen eine nicht namentlich benannte „linksextremistische“ Gruppierung in Leipzig wird ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen den Strafrechtsparagraf 129 geführt. Der weitreichende Vorwurf lautet: Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Das geht aus einer aktuellen Anfrage der Linksfraktion im Landtag hervor. Demnach stehen derzeit zwölf Beschuldigte im Fokus der Ermittlungen.
Nicht bekannt ist, welche Taten der Gruppierung zur Last gelegt werden. Allerdings scheint das Verfahren relativ jung zu sein. In einer gleichlautenden Anfrage vor einem Jahr führte das sächsische Justizministerium lediglich die zwei seit mehreren Jahren in Dresden geführten §129-Verfahren an. Dabei handelt es sich zum einen um Ermittlungen gegen eine angebliche „Antifa-Sportgruppe“ mit derzeit noch 23 Beschuldigten. Hier wurde erst kürzlich das Verfahren gegen eine bisher als „Rädelsführer“ angesehene Person eingestellt. Zum anderen wird gegen fünf weitere Personen ermittelt, Näheres ist nicht bekannt.
Bekannte Muster
Im Zusammenhang mit den überbordenden Ermittlungen in Dresden war es bereits im April 2011 sowie im April 2012 auch zu Hausdurchsuchungen in Leipzig gekommen. Zu erwarten ist nun, dass die Polizei erneut zu solchen und ähnlichen Mitteln greifen wird. Bei den Dresden-Verfahren war es außerdem zu umfangreichen Funkzellen-Abfragen, Telekommunikations-Überwachungen und DNA-Entnahmen gekommen. (Mehr hier und hier.)
Unklar bleibt bis auf Weiteres, ob der vor einem Jahr an einem Auto in Leipzig gefundene Peilsender und die im März und Mai in „konspirativen Wohnungen“ aufgefundenen geheimen Kamera-Anlagen in den Stadtteilen Connewitz und Plagwitzmit dem neuen Leipziger Verfahren zu tun haben könnten. So oder so wird das Verfahren die lokalen Bedingungen linker Politik beeinflussen, denn der §129 StGB eröffnet umfangreiche Möglichkeiten der Überwachung. Sie werden von der Polizei zur „Aufhellung“ und Verunsicherung politischer Strukturen genutzt.
Das geschah in der Weise – so weit jedenfalls bekannt – zuletzt im Jahr 2000, alsschon einmal ein §129-Verfahren gegen eine linke Gruppe in Leipzig eingeleitet worden war. Das wurde zwar bald wieder eingestellt, vielleicht nicht zufällig zur Zeit der Auflösung der AA/BO. Aufschlussreicher noch ist der erst vor kurzem aufblitzende zeitliche Vorlauf dieses Verfahrens, in dem offenbar das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz aktiv wurde.
Die in der jüngeren Zeit kursierende Behauptung der Polizei, bei einer Fangruppe der BSG Chemie Leipzig handle es sich um eine „kriminelle Vereinigung“, stellte sich dagegen als falsch heraus.
Was jetzt zu tun ist
Theoretisch kann das Leipziger §129-Verfahren über Jahre andauern, auch ohne dass die Betroffenen von den gegen sie betriebenen Ermittlungen erfahren. Um so besser ist beraten, wer sich und andere nicht leichtsinnig durch dahingesagte Spekulationen kompromittiert. Das gilt auch für Gespräche, bei denen keine Polizei in Sicht-, vielleicht aber in Hörweite ist…
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