Sonntag, 16. Februar 2014
Münchner Sicherheitskonferenz: Generalangriff der Kriegstreiber
IMI-Analyse 2014/004 (update, 04.02.2014)
http://www.imi-online.de/2014/02/01/sicherheitskonferenz-generalangriff-der-kriegstreiber/
Jürgen Wagner (1. Februar 2014)
Die Münchner Sicherheitskonferenz war auch in diesem Jahr reich an
unappetitlichen Höhepunkten: Da wäre unter anderem die Einladung des
Kriegsverbrechers Henry Kissinger zu nennen, um dessen Person bzw. um
die nach ihm benannte “Henry Kissinger Professur für Internationale
Beziehungen und Völkerrecht” in jüngster Zeit heftige Konflikte und
Proteste ausgebrochen sind. Die Stiftungsprofessur soll an der
Universität Bonn eingerichtet und mit jährlich 250.000 Euro fast
ausschließlich vom Verteidigungsministerium finanziert werden (weitere
50.000 sollen vom Außenministerium kommen). Indem er Henry Kissinger als
Ehrengast einlud, hofierte der Konferenzleiter (und Tübinger
Honorarprofessor) Wolfgang Ischinger nicht nur einen Kriegsverbrecher,
sondern er erwies sich in dem Konflikt um die Stiftungsprofessur in Bonn
– einmal mehr – als ausgewiesener Hardliner (siehe IMI-Standpunkt 2014/002).
Ferner nutzten die westlichen Würdenträger aus Politik, Medien und
Wirtschaft die Gelegenheit, um dem „Star der Münchner
Sicherheitskonferenz“ (ntv, 02.02.2014), dem ehemaligen Box-Weltmeister
Witali Klitschko, demonstrativ den Rücken im Kampf gegen die gewählte
ukrainische Regierung zu stärken. Allerdings ist Klitschkos Partei
„Udar“ („Schlag“) nur ein Teil des die Proteste anführenden
Dreierbündnisses. Zu ihm gehört auch noch „Batkiwschtschina“
(„Vaterland“), die Teile der Oligarchie repräsentiert und von der
inhaftierten und hochgradig korrupten Julia Timoschenko angeführt wird.
Noch übler ist die dritte Partei, die neo-faschistische Swoboda
(„Freiheit“) mit Oleg Tjagnibok an der Spitze, die mit ihren
Schlägertrupps unter anderem dafür sorgte, dass linke Studenten und
Gewerkschafter regelrecht vom zentralen Protestplatz, dem Maidan in
Kiew, weggeprügelt wurden. Weshalb sich der ehemalige Box-Weltmeister im
Westen derartiger Beliebtheit erfreut, ist nicht weiter verwunderlich.
Faktisch wurde seine Partei von der Konrad-Adenauer-Stiftung ins Leben
gerufen und seither von der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen
Parlament massiv unterstützt: „Klitschko ist unser Mann. Der hat eine
klare europäische Agenda“, wird ein hochrangiger EVP-Abgeordneter
zitiert (Spiegel 50/2013).
Im Mittelpunkt der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz stand
jedoch der Versuch, der deutschen Bevölkerung den Sinn eines
Elitenkonsenses einzuhämmern, der sich schon seit einiger Zeit
herausgebildet hat. Angeführt von Verteidigungsministerin Ursula von der
Leyen und Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird gefordert,
Deutschland müsse seine - angebliche - „Kultur militärischer
Zurückhaltung“ ad acta legen und eine offensivere (militärische)
Außenpolitik betreiben (siehe IMI-Standpunkt 2014/005). Ganz wesentlich
waren und sind in dieser Debatte auch der Konferenzleiter Wolfgang
Ischinger sowie Bundespräsident Joachim Gauck. Insofern konnte einem
schon Übles schwanen, als klar wurde, dass Gauck, der schon mehrfach
durch militärfreundliche und chauvinistische Aussagen unangenehm
auffiel, die Eröffnungsrede auf der Sicherheitskonferenz halten sollte
(siehe IMI-Standpunkt 2014/002).
Vorbereitende Arbeiten
Schon in Gaucks Rede zum Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober 2013
wurde der programmatische Boden bereitet: „Ich mag mir nicht vorstellen,
dass Deutschland sich groß macht, um andere zu bevormunden. Aber ich mag
mir genauso wenig vorstellen, dass Deutschland sich klein macht, um
Risiken und Solidarität zu umgehen.“ Wie zumindest in den deutschen
Eliten dieser Satz verstanden wurde, untermauerte Wolfgang Ischinger,
indem er Gaucks Satz in seiner Dezember-Kolumne auf der Homepage der
Sicherheitskonferenz erst vollständig zitierte und gleich im Anschluss
folgendermaßen auslegte: „War das eine Absage an die überstrapazierte
sogenannte Kultur der militärischen Zurückhaltung?“ (Ischinger,
Wolfgang: Deutsche Außenpolitik in der "Großen Koalition": Nichts
Neues?, Monthly Mind Dezember 2013)
Die Frage war natürlich rein rhetorischer Natur und wo Ischinger selbst
hier steht, ließ er dadurch durchblicken, dass er einen FAZ-Artikel von
Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe prominent auf der Internetseite der
Sicherheitskonferenz platzieren ließ, in dem es hieß: „In einer Zeit, in
der die Vereinigten Staaten ihr Engagement für Europa reduzieren und
viele Staaten der EU finanziell am Ende sind, ist es die Aufgabe des
Starken, mit Beispiel zu führen und Europas Handlungsfähigkeit zu
sichern. Deutschland muss führen, damit Europa nicht schwächer wird.“
Unmittelbar vor Konferenzbeginn beschwerte sich der Tübinger
Honorarprofessor dann auch noch ganz direkt über die aus seiner Sicht
unzureichende deutsche Bereitschaft, eine aktive (militärische)
Weltmachtpolitik zu betreiben.[1]
Natürlich bricht diese Debatte jetzt nicht aus heiterem Himmel über uns
herein, vielmehr wurde sie von langer Hand vorbereitet. Wesentlich
hierfür war das Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“, das im
September 2013 von der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ und dem
„German Marshall Fund“ veröffentlicht wurde. Die Kernforderung des von
50 führenden Mitgliedern des außen- und sicherheitspolitischen
Establishments erarbeiteten Pamphlets lautet, Deutschland müsse aufgrund
seiner wirtschaftlichen Größe auch mehr (militärische) Verantwortung in
der Welt übernehmen: „Deutschland war noch nie so wohlhabend, so sicher
und so frei wie heute. Es hat – keineswegs nur durch eigenes Zutun –
mehr Macht und Einfluss als jedes demokratische Deutschland vor ihm.
Damit wächst ihm auch neue Verantwortung zu.“ Etwas verklausuliert floss
dieses Konstrukt dann auch in den neuen Koalitionsvertrag zwischen
CDU/CSU und SPD mit ein, der noch von Thomas de Maizière und
Frank-Walter Steinmeier erarbeitet worden war (siehe hierzu ausführlich
IMI-Analyse 2013/036).
Auf dieser Basis wurde dann in den letzten Wochen eine Kanonade nach der
anderen abgefeuert, die alle darauf abzielten, die „Kultur militärischer
Zurückhaltung“ zugunsten einer „Kultur kriegerischer Verantwortung“
abzuschießen. An vorderster Front agiert dabei die neue
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, der mit der
"Attraktivitätsoffensive" für eine familienfreundlichere Bundeswehr ein
„spektakulärer Start“ geglückt war (Der Spiegel, 20.01.2014). Mit der
Initiative soll gewährleistet werden, dass die Bundeswehr auch künftig
trotz aktueller Rekrutierungsprobleme an ausreichend neue Soldaten
gelangt (IMI-Standpunkt 2014/005). Dies erscheint umso dringender, weil
von der Leyen kurz darauf recht unmissverständlich klar machte, dass sie
beabsichtigt, die Bundeswehr künftig häufiger zur Durchsetzung deutscher
Interessen ins Ausland zu schicken: „Verteidigungsministerin Ursula von
der Leyen hat sich für mehr Bundeswehr-Einsätze in Krisenregionen
ausgesprochen. Deutschland müsse im Rahmen der Bündnisse mehr
internationale Verantwortung übernehmen – ‚schon allein aus humanitären
Gründen‘, sagte die Ministerin.“ (t-online news, 26.01.2014)
Kurz darauf zog auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach.
Unmittelbar vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz meldete er sich
im Handelsblatt (30.01.2014) folgendermaßen zu Wort: „Es wird zurecht
von uns erwartet, dass wir uns einmischen. […] So richtig eine Politik
militärischer Zurückhaltung ist, so darf sie nicht missverstanden werden
als ein Prinzip des Heraushaltens.“ Deutschland sei „zu groß, um die
Weltpolitik nur zu kommentieren“, so Steinmeier weiter.
Verantwortlich gemacht für besagte und viel gescholtene "Kultur
militärischer Zurückhaltung" wird allenthalben Ex-Außenminister Guido
Westerwelle, der teils äußerst heftig attackiert wurde. Aus diesem Grund
ging dieser mit einem Interview in der Welt (10.11.2013) mit seinen
Kritikern folgendermaßen ins Gericht: „Ich bin in meinem politischen
Leben oft dafür kritisiert worden, dass ich mich mehrmals gegen eine
deutsche Beteiligung an militärischen Interventionen gestellt habe. Aber
wie ist denn heute die Lage im Irak? Oder in Libyen? Ich kann nicht
sehen, warum eine politische Reifung des wiedervereinigten Deutschlands
mit mehr militärischen Interventionen einhergehen muss. Politische und
diplomatische Lösungen haben für mich Vorrang. Wir sollten bei der
Kultur der militärischen Zurückhaltung bleiben. Deutsche Außenpolitik
ist Friedenspolitik. Die Pickelhaube steht uns nicht.“
Ganz sicher handelt es sich um eine grobe Vereinfachung der Realität –
weder war Westerwelle selbst noch Deutschland als Ganzes während der
letzten Jahre ein "Pazifistischer Abstinenzler". Diplomatisch spielte
Deutschland etwa in den Verhandlungen um das iranische Atomprogramm und
auf anderen Feldern eine führende Rolle. Und militärisch war man unter
anderem als drittgrößter Truppensteller in Afghanistan ganz vorne mit
dabei. Selbst die Kriege – etwa in Libyen oder im Irak –, an denen sich
vermeintlich nicht beteiligt wurde, wurden verdeckt in der ein oder
anderen Form unterstützt, die katastrophalen Resultate sind bekannt. Vor
diesem Hintergrund beschwert sich auch ein Kommentar in der FAZ
(01.02.2014): "Alle machen mit, bis zum Bundespräsidenten. Was soll das?
Deutschland war im Kosovo-Krieg dabei, hat seit mehr als einem Jahrzehnt
viele tausend Soldaten am Hindukusch. Die Bundeswehr hat dort Tanklaster
bombardieren lassen mit zahlreichen zivilen Opfern, hat viele eigene
Soldaten verloren. Deutsche Truppen haben eine Wahl im Kongo gesichert
und kämpfen vor der Küste Ostafrikas gegen Piraterie. Jetzt zu
behaupten, wir müssten endlich unsere Zurückhaltung aufgeben und uns
mehr einmischen, ist Unsinn."
Es geht also demzufolge vor allem darum, auf diese Politik noch einmal
ordentlich etwas draufzusatteln. Die aktuellen Bemühungen in diese
Richtung leiden aber unter einem eklatanten Schönheitsfehler: Einer
aktuellen Umfrage zufolge haben sie es bislang nicht geschafft, die
Bevölkerung vom Sinn häufigerer Militäreinsätze zu überzeugen: „Die
meisten Deutschen sind gegen eine Ausweitung der Auslandseinsätze der
Bundeswehr. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov
sagten 45 Prozent der Befragten, Deutschland tue hier bereits zu viel.
30 Prozent halten das derzeitige Engagement für genau richtig.“ (ntv,
31.01.2014) Angesichts dieses Problems war schon einige Tage vor Beginn
der Münchner Sicherheitskonferenz klar, dass Bundespräsident Gauck es
als seine Aufgabe erachtete, in seiner Eröffnungsrede die Bevölkerung
vom Sinn des ganzen Unterfangens zu überzeugen: „Joachim Gauck will, so
legen es Planungen aus dem Präsidialamt nahe, in seiner Eröffnungsrede
in München an die Deutschen appellieren, sich ihres Platzes in der Welt
bewusst zu werden. Das liegt genau auf der Linie Steinmeiers und von der
Leyens.“ (Der Spiegel, 27.01.2014)
Gauck: Verantwortung predigen - Imperialismus ausschenken
Mit einem schier unerträglichen Pathos bemühte sich der Bundespräsident
in seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz penetrant darum, das „gute“
heutige vom „schlechten“ nationalsozialistischen Deutschland abzusetzen:
„Eines gleich vorweg: Dies ist ein gutes Deutschland, das beste, das wir
kennen. Das auszusprechen, ist keine Schönfärberei.“ Und weil
Deutschland ganz grundsätzlich geläutert sei, könne nun auch mit einem
lange dominierenden, heute aber überholten Pazifismus gebrochen werden,
so die Kernbotschaft, die augenscheinlich auch genau so verstanden
wurde: „[Gauck] erkannte an, dass militärische Beiträge von Deutschland
wegen seiner historischen Schuld aus der Zeit des Nationalsozialismus
lange nicht verlangt worden seien. Doch nun dürfe Pazifismus kein
Deckmantel für Bequemlichkeit werden. Er bestritt, dass Deutschland
wegen seiner Geschichte dauerhaft ein ‚Recht auf Wegsehen’ erworben
habe. Dies führe zu ‚so etwas wie Selbstprivilegierung’“. (FAZ, 31.01.2014)
Darüber hinaus lieferte Gauck in seiner Rede zwei konkrete Begründungen,
weshalb Deutschland künftig häufiger zur Waffe greifen müsse:
Einmal postuliert er unter Rückgriff auf das "Konzept der
Schutzverantwortung" eine moralische Pflicht, im Falle von schweren
Menschenrechtsverletzungen militärisch einzugreifen: „Das Prinzip der
staatlichen Souveränität und der Grundsatz der Nichteinmischung dürfen
gewalttätige Regime nicht unantastbar machen.“ Die vielfältigen Bedenken
gegenüber diesem Konzept, insbesondere dass damit versucht wird, die
völkerrechtlich bislang extrem engen Grenzen für die Anwendung
militärischer Gewalt aufzuweichen, wodurch es Großmächten erleichtert
würde, ihre Interessen gewaltsam durchzusetzen, streifte Gauck nur am
Rande (siehe zur Kritik an der Schutzverantwortung ausführlich
IMI-Analyse 2011/32). Solche Bedenken seien zwar berechtigt, aber
hierfür gebe es eine einfache Lösung: „[E]s gilt, den potentiellen
Missbrauch des Schutzkonzepts zu expansionistischen oder gar imperialen
Zwecken auszuschließen.“ Und gleich im nächsten Satz präzisiert der
Bundespräsident, welches Land aus seiner Sicht geradezu dazu
prädestiniert ist, einen solchen Missbrauch zu vereiteln - ja, man ahnt
es bereits: das geläuterte Deutschland: „Ich begrüße deshalb, dass sich
die Bundesregierung an der Fortentwicklung des Konzepts beteiligt und
dabei besonders auf Prävention, auf internationale Zusammenarbeit sowie
auf die Entwicklung von Frühwarnsystemen gegen Massenverbrechen setzt.“
Als zweite Begründung für eine ambitioniertere militärisch gestützte
Politik führt Gauck an, Deutschland trage als einer der ökonomisch
mächtigsten Staaten in der Welt eine Verantwortung für die Stabilität
des globalen Systems, von dem es ja schließlich mit am meisten
profitiere: „Deutschland ist überdurchschnittlich globalisiert und
profitiert deshalb überdurchschnittlich von einer offenen Weltordnung –
einer Weltordnung, die Deutschland erlaubt, Interessen mit grundlegenden
Werten zu verbinden. […] Die Beschwörung des Altbekannten wird künftig
nicht ausreichen! Die Kernfrage lautet doch: Hat Deutschland die neuen
Gefahren und die Veränderungen im Gefüge der internationalen Ordnung
schon angemessen wahrgenommen? Reagiert es seinem Gewicht entsprechend?
[…] Ich meine: Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher,
entschiedener und substantieller einbringen. […] Manchmal kann auch der
Einsatz von Soldaten erforderlich sein. […] Auch wer nicht handelt,
übernimmt Verantwortung. Es ist trügerisch sich vorzustellen,
Deutschland sei geschützt vor den Verwerfungen unserer Zeit – wie eine
Insel. Denn Deutschland ist so tief verwoben mit der Welt wie wenige
andere Staaten. Somit profitiert Deutschland besonders von der offenen
Ordnung der Welt. Und es ist anfällig für Störungen im System. Eben
deshalb können die Folgen des Unterlassens ebenso gravierend wie die
Folgen des Eingreifens sein – manchmal sogar gravierender.“
Zweifellos ist es richtig, dass Deutschland von diesem System profitiert
- und damit an der Ausbeutung und Unterprivilegierung von Milliarden
Menschen aktiv beteiligt ist. Und zweifellos ist dieses System
„störanfällig“ - es mit militärischen Mitteln notdürftig zu
stabilisieren, stellt dabei aber einzig den Versuch dar, die
herrschenden Ungerechtigkeiten aufrechtzuerhalten. Gauck redet damit
einer imperialistischen und expansionistischen Gewaltpolitik das Wort,
von der er sich vermeintlich in derselben Rede so vehement distanziert.
Und wie man mit „Störern“ des für Deutschland so hochprofitablen Systems
umzugehen gedenkt, dafür reicht ein Blick in das Papier „Neue Macht –
Neue Verantwortung“, mit dem der von Gauck nun der Öffentlichkeit
präsentierte Elitenkonsens erstmals prominent zum Ausdruck gebracht
wurde: „Da aber, wo Störer die internationale Ordnung in Frage stellen;
wo sie internationale Grundnormen (etwa das Völkermordverbot oder das
Verbot der Anwendung von Massenvernichtungswaffen) verletzen; wo sie
Herrschaftsansprüche über Gemeinschaftsräume oder die kritische
Infrastruktur der Globalisierung geltend machen oder gar diese
angreifen; wo mit anderen Worten Kompromissangebote oder
Streitschlichtung vergeblich sind: Da muss Deutschland bereit und
imstande sein, zum Schutz dieser Güter, Normen und
Gemeinschaftsinteressen im Rahmen völkerrechtsgemäßer kollektiver
Maßnahmen auch militärische Gewalt anzuwenden oder zumindest glaubwürdig
damit drohen zu können.“
Es steht zu hoffen, dass wenigstens die bislang skeptische Bevölkerung
dem Bundespräsidenten und seinem Geschwätz nicht auf den Leim geht. Denn
der ehemalige Pfarrer predigt zwar Moral und Verantwortung -
ausgeschenkt werden aber Imperialismus und Krieg.
Mehr Krieg? Begeisterung!
Laut Informationen der Welt (31.01.2014) soll sich Gauck für seine Rede
auf der Sicherheitskonferenz eng mit Steinmeier und von der Leyen
beraten haben. Insofern überrascht es nicht weiter, dass beide in ihren
Reden am Folgetag in exakt dasselbe Horn stießen. Ursula von der Leyen
stimmte denselben Zweiklang aus moralischer und sicherheitspolitischer
Verantwortungsrhetorik an wie der Bundespräsident.[2] Und Frank-Walter
Steinmeier zog folgendermaßen nach: „Deutschland muss bereit sein, sich
außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller
einzubringen. […] Der Einsatz von Militär ist ein äußerstes Mittel. Bei
seinem Einsatz bleibt Zurückhaltung geboten. Allerdings darf eine Kultur
der Zurückhaltung für Deutschland nicht zu einer Kultur des
Heraushaltens werden. Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von
der Außenlinie zu kommentieren.“ (Rede von Frank-Walter Steinmeier,
Münchner Sicherheitskonferenz, 01.02.2014)
Gebetsmühlenhaft wird dabei beteuert, Deutschland werde was den Einsatz
militärischer Gewalt anbelange auch weiter große „Zurückhaltung“ an den
Tag legen, es gehe vielmehr primär darum, künftig stärker
außenpolitisch-diplomatisch aktiv zu werden. Solche Versicherungen sind
jedoch kaum glaubhaft, denn hierfür wäre der ganze Zinnober nicht
erforderlich gewesen, wie etwa der Militärexperte Thomas Wiegold betont:
„[M]ehr außenpolitisches Engagement steht – und stand schon immer –
weitgehend im Belieben der jeweiligen Bundesregierung; für zu viel
Diplomatie in einer Krise hat sich noch kein Minister rechtfertigen
müssen. […] Führung bedeutet nicht nur, gute Diskussionen in München zu
haben. Es heißt auch, die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung zu
stellen, sagte US-Außenminister John Kerry auf dem Münchner Podium. Im
Klartext: Mehr politische Anstrengungen gerne, aber, liebe Deutschen,
seid auch dazu bereit, Soldaten zu schicken, falls es nötig ist.“
(Augengeradeaus, 01.02.2014)
Wie zu befürchten war, wurde Gaucks Rede in Politik und Medien
begeistert aufgenommen. Unmittelbar im Anschluss sprach Ischinger -
offensichtlich angetan, dass genau das geliefert worden war, was er auch
bestellt hatte - von einer „sehr wichtige Rede" (Welt, 31.01.2014). Auch
die US-Seite war voll des Lobs, war sie sich doch der möglichen
Tragweite des Auftritts bewusst: „Kennern der europäischen Szene war
deshalb die historische Bedeutung der Gauckschen Akzentverschiebung
nicht entgangen. Kaum hatte der Präsident geendet, twitterte etwa der
ehemalige US-Botschafter bei der Nato, Ivo Daalder schon: ‚Das ist
tatsächlich das erste Mal, dass ein führender deutscher Politiker
argumentiert, Deutschland müsse die Konsequenzen aus seiner Macht ziehen
– in Europa und darüber hinaus.’“ (ebd.)
Regelrecht gruselig ist es, wie ekstatisch nahezu sämtliche Kommentare
Gaucks Rede als machtpolitischen Befreiungsschlag eines ‚erwachsenen‘
Deutschlands feierten. Exemplarisch hierfür jubelte ein Kommentar im
Spiegel: „Die Begeisterung ist groß auf der Sicherheitskonferenz in
München. Fast euphorisch wurden die Reden der deutschen Politiker
aufgenommen, die eine engagiertere Außenpolitik ankündigten oder
anmahnten. Endlich wird Deutschland erwachsen, so die hoffnungsvolle
Reaktion, endlich ist Berlin bereit, die Verantwortung zu übernehmen,
die seinem Gewicht in der Welt entspricht.“ (Spiegel Online, 02.02.2014)
-------------- Kasten --------------
Wärmer, größer, bunter. Bericht von der Demo gegen die Sicherheitskonferenz
Während sich die Eliten und ihre Hofberichterstatter im Bayrischen Hof
auf eine weitere Intensivierung eines global scheiternden militärischen
Krisenmanagements und einer stärkeren Rolle Deutschlands darin einigten,
wurde dem auch in diesem Jahr draußen auf der Straße klar und deutlich
widersprochen. Nicht nur das schöne Wetter, sondern auch die infamen
Aussagen, insbesondere Gaucks im Vorfeld der Konferenz mögen dazu
beigetragen haben, dass die Demo gegen die Kriegstreiber-Konferenz
dieses Jahr wieder deutlich größer wirkte, als in den Vorjahren. Auch
das deutlich andere Verhalten der Polizei mag dazu beigetragen haben,
dass sich die Demo entzerrte und stellenweise fast über einen Kilometer
erstreckte. Statt wie in den Vorjahren weite Teile der Demonstration mit
teilweise zwei- und dreireihigem behelmten Polizeispalier zu begleiten
und immer wieder anzugreifen, wurde sie diesmal die meiste Zeit nur von
einzelnen Hundertschaften oder im Abstand von 20 Metern gehenden
Zweiergruppen von Polizeikräften begleitet. Stärkere Einsatzkräfte waren
nur an den Zufahrten zum Bayrischen Hof zu sehen, aber auch diese hatten
nicht einmal ihre Helme aufgesetzt. Entsprechend gestaltete sich die
Demonstration dieses Jahr eher wie ein - allerdings langer - Spaziergang
und die vielen kreativen Beiträge, Masken, Puppen, Straßentheater,
Samba-Gruppe, individuelle Schilder konnten sowohl von den
Demonstrierenden sowie den Passanten, die massenhaft unterwegs waren,
viel besser wahrgenommen werden. Dass die offiziellen Angaben zur
Teilnehmerzahl erneut deutlich untertrieben wurden, haben so viele
tausend Menschen mit eigenen Augen sehen können. Auch Fahnen und
Schilder, für die man sich hätte schämen müssen, gab es dieses Jahr so
gut wie keine.
Trotzdem gab es Repression, auch schon im Vorfeld: Eine Kunstperformance
wurde untersagt, Teile der Innenstadt mit der Begründung, der
Geschäftsbetrieb (Shopping) dürfe nicht gestört werden, wurden für die
Demo gesperrt. Darauf reagierten die Anmelder u.a. mit einer
"Picket-Line", Aktivist_innen mit riesigen Schildern, die sich in der
Innenstadt aufreihten, rechtlich allerdings jeweils als individuelle
Meinungskundgebung einzustufen waren. Richtig hässlich wurde es hingegen
außerhalb der Stadt für gemeinsam aus Stuttgart Anreisende: Ihr Bus
wurde im Münchener Umland von der Polizei gestoppt, auf ein
Polizeigelände eskortiert und dort über Stunden rigoros durchsucht, was
den Mitfahrenden eine vollständige Teilnahme an der Demonstration
verunmöglichte. Hier kam es dann wohl auch zu jenen Ingewahrsam nahmen
aufgrund vermeintlicher Widerstandshandlungen, die sonst auf der
SIKO-Demo selbst zu Dutzenden und Hunderten konstruiert wurden. Zur
Repression zu zählen wäre zuletzt auch noch das Verhalten der Medien,
die diese Angaben vonseiten der Polizei stets ungeprüft übernehmen und
dieses Jahr die Demonstration weitgehend totschwiegen - während sie jede
von Bundeswehr und Bundespresseamt professionell aufbereitete
Sprechblase aus dem Bayrischen Hof zur Topmeldung stilisierten.
(Bernhard Klaus)
-------------- Kasten --------------
Anmerkungen
[1] Obwohl inzwischen immer mehr Beweise ans Licht kommen, dass die
Angriffe - anders als vom Westen behauptet - wohl nicht von
Regierungstruppen verübt wurden (siehe IMI-Aktuell 2014/025), beklagt
sich Ischinger in der Welt, dass die EU-Staaten nicht bereit gewesen
seien, die USA bei einem Einmarsch in Syrien nach den Giftgasangriffen
im Sommer 2013 zu unterstützen: “Weniger Solidarität mit den USA von
europäischer Seite als nach dem Chemiewaffeneinsatz Assads im
vergangenen Sommer ist ja kaum vorstellbar. Die Bundesregierung hat mit
der Kultur der militärischen Zurückhaltung die Entscheidung begründet,
sich von vornherein ganz herauszuhalten. Die Franzosen wollten zwar,
aber die Briten konnten nach der Entscheidung im Unterhaus nicht.
Präsident Obama war in einer schwierigen Lage: Sollte er alleine
eingreifen ohne Europa an seiner Seite? Ich finde es schwierig, ihm
deshalb einen Vorwurf zu machen.“
[2] „[D]iese Krisen und Konflikte appellieren an unser humanitäres
Gewissen, nicht diejenigen im Stich zu lassen, die am meisten leiden.
Daher ist Abwarten keine Option. Wenn wir über die Mittel und
Fähigkeiten verfügen, dann haben wir auch eine Verantwortung, uns zu
engagieren. Verstehen Sie mich nicht falsch: Dies bedeutet nicht, dass
wir dazu tendieren sollten, unser ganzes militärisches Spektrum
einzusetzen – auf keinen Fall. Und dies bedeutet genauso wenig, dass wir
kurzfristige Erfolge erwarten dürfen. Aber es bedeutet, dass wir die
Verpflichtung und die Verantwortung haben, unseren Beitrag zu einer
schrittweisen Lösung der aktuellen Krisen und Konflikte zu erbringen.
Gleichgültigkeit ist für ein Land wie Deutschland keine Option, weder
aus sicherheitspolitischer noch aus humanitärer Sicht. Als eine
bedeutende Volkswirtschaft und als ein Land von erheblicher Größe haben
wir ein starkes Interesse an internationalem Frieden und Stabilität.“
(Rede von Ursula von der Leyen, Münchner Sicherheitskonferenz, 31.01.2014)
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