Sonntag, 16. Februar 2014
Gegen EU-Militarisierung und Rüstungslobbyismus
IMI-Analyse 2014/006 - in: AUSDRUCK (Februar 2014)
Vorstellung der Kampagne Ctrl + Alt + EU
von: Gunter Lippens | Veröffentlicht am: 7. Februar 2014
Unverkennbar hat sich die EU zu einer militärischen Macht entwickelt. Sie hat die Kompetenz, die Institutionen und die betrieblichen Strukturen, um weltweit militärisch zu intervenieren. Eine der beunruhigendsten Entwicklungen ist der große Einfluss der Rüstungsindustrie auf die europäische Politik. Als selbsternannte Experten für Verteidigung und Sicherheit sind CEOs (Geschäftsführer) und Lobbyisten der Rüstungsindustrie stark an der Gestaltung der EU-Politik beteiligt. Ein Vertreter von Vredesactie fasste das folgendermaßen zusammen: „Die Europäische Sicherheit ist reduziert auf militärische Fähigkeiten und eine starke Rüstungsindustrie. Der Ruf nach mehr Militärausgaben ist der Strenge der von der EU auferlegten Sparmaßnahmen diametral entgegengesetzt.“
Ctrl + Alt + EU ist eine neue belgische Kampagne von Vredesactie, welche die Militarisierung Europas kritisiert. Im Vorfeld der Europawahl im Mai 2014 werden wir öffentliche Aktionen im Brüsseler EU-Viertel organisieren und Informationen über die Militarisierung der EU verbreiten. Im Allgemeinen wollen wir das Bewusstsein der fortschreitenden europäischen Militarisierung der Politik, der gesellschaftlichen Bereiche und des Alltags erhöhen. Ob es um Migration geht, das Internet, das Gesundheitswesen, internationale Transporte: überall versucht die Rüstungsindustrie, ihre militärische Logik einzuspeisen.
Mit einem großen, öffentlichen und gewaltfreien Aktionstag während des Gipfels der Staats- und Regierungschefs am 19. und 20. Dezember 2013 in Brüssel wurden der tägliche Betrieb gestört und die engen Beziehungen zwischen der Rüstungsindustrie und der Politik unterstrichen.
Das europäische Friedensprojekt
Im Jahr 2013 hatte der EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy das militärische Europa hoch auf die politische Tagesordnung gesetzt. Nur drei Monate nach dem Erhalt des Friedensnobelpreises beendete er eine Rede auf der Jahrestagung der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) mit den Worten: „Europa wurde aus der Asche des Krieges geboren. Die EU ist zuerst gegründet worden durch die Bündelung der Instrumente des Krieges: Kohle und Stahl [...]. Die Europäische Union ist auf der Seite von denen, die nach Frieden und Menschenwürde streben. Um diese Aufgaben zu erfüllen, sollten wir sicherstellen, dass wir die Mittel dazu zur Verfügung haben.“
Die Themen der EDA-Konferenz waren die Rüstungsindustrie und die militärischen Fähigkeiten der europäischen Armeen. Für Van Rompuy sind diese Mittel: Waffen und eine Armee, die weltweit intervenieren können. Vredesactie verfolgt diese Entwicklungen der Europäischen Union mit Argwohn. Die Tatsache, dass sich die Mitgliedstaaten aufgrund unterschiedlicher Interessen bislang schwertun, sich auf eine gemeinsame Außenpolitik zu einigen, ist der Hauptgrund, warum es bis heute noch nicht deutlich mehr Militäroperationen im Rahmen der EU gegeben hat. Zu oft sind die USA als einziger Staat bereit, Gewalt anzuwenden, um seine nationalen Interessen zu sichern. Dennoch war Tony Blair einer der wichtigsten Befürworter des Irak-Krieges während seiner Amtszeit als Premierminister von Großbritannien. Frankreich will nicht vor eigenwilligen militärischen Interventionen zurückschrecken, wenn seine Interessen in „Françafrique“ auf dem Spiel stehen. Die Intervention in Mali ist das jüngste Beispiel, aber Frankreich spielte auch eine führende Rolle in Libyen und hat in der Elfenbeinküste, im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik in den letzten zehn Jahren viele militärische Operationen durchgeführt. Dennoch ist es eine Illusion zu glauben, dass eine militärische EU weniger kriegstreiberisch sein würde, als die Mitgliedstaaten zusammengenommen.
Das Ziel: eine florierende Rüstungsindustrie
Eines der beunruhigendsten Entwicklungen ist der große Einfluss der Rüstungsindustrie auf die europäische Politik. Ob es um die Bündelung und gemeinsame Nutzung von Militärausrüstung, die Regulierung des internationalen Waffenhandels, die Migrationspolitik oder um die Prioritäten der europäischen Forschungsförderung geht, die Rüstungsindustrie ist immer sehr erfolgreich bei der Förderung von militärisch-technischen „Lösungen“. Ihre CEOs und Lobbyisten werden oft als Verteidigungs- und Sicherheitsexperten angesehen und sind eng in die Gestaltung der EU-Politik eingebunden. Die Tatsache, dass ihr primäres Ziel immer kommerziell ist, wird oft vergessen oder als unwichtig eingestuft. Aber diese „Experten“ wissen ganz genau, was ihr Kerngeschäft ist und wie sie es verkaufen. Um in so vielen Märkten und politischen Bereichen wie möglich aktiv zu werden, präsentieren sie zunächst jedes soziale Phänomen als Problem und Frage der Sicherheit. Weiter argumentieren sie, dass jedes Sicherheitsproblem eine technische Lösung brauche. Und natürlich liefert die Rüstungsindustrie diese Technologie für einen Preis, den sie selbst vorgibt.
Zwar gibt es keine gemeinsame Vision für eine europäische Außen- und Verteidigungspolitik, eine Gewissheit taucht aber immer wieder wieder auf: Die Europäische Union brauche eine florierende Rüstungsindustrie. In der EU-Sprache wird dies als „eine innovative und wettbewerbsfähige europäische verteidigungstechnologische und industrielle Basis“ bezeichnet. Die gesamte Europäische Union scheint von dieser Annahme durchdrungen zu sein. Das Herstellen einer florierenden Rüstungsindustrie ist auch eines der Hauptziele der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA), die entsprechend von der europäischen Rüstungsindustrie als ihr „Lieblingskind“ bezeichnet wird. Aber auch die Europäische Kommission (EC) arbeitet hart an diesem Ziel: 2011 haben der EU-Präsident, Manuel Barroso, und der Kommissar für Industrie und Unternehmen, Antonio Tajani, eine Task-Force mit dem Ziel eingerichtet, die Rüstungsindustrie zu stärken. In direkter Absprache mit den Waffenherstellern selbst untersucht die EU-Kommission, wie sie helfen kann, die Rüstungsindustrie auf globaler Ebene wettbewerbsfähig zu machen.
Forschungsförderung für die Rüstung
Am 24. Juli 2013 hat die Europäische Kommission Empfehlungen für die Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie bekannt gemacht. Sie enthalten eine Reihe von aggressiven Vorhaben, die die Grenzen ihrer Befugnisse überschreiten. Die Kommission verkündet nicht nur ein spezifisches Programm für die Entwicklung neuer Waffentechnologien, sie will sogar den gemeinsamen Kauf von Prototypen neuer Waffentechnik ermöglichen und erwägt explizit auch, militärische Drohnen anzuschaffen. Die Europäische Kommission will, dass die europäischen Institutionen aktiv die Waffenhersteller unterstützen, wenn diese mit amerikanischen, chinesischen und russischen Lieferanten konkurrieren müssen. Ein hoher Stellenwert kommt dabei Dual-Use-Gütern für militärische Anwendungen zu, für die auch zivile Budgets mobilisiert werden können. Entsprechend wird bei allen europäischen Fördertöpfen geprüft, wie sie für die Rüstungsindustrie eingesetzt werden können. Die Kommission reduziert die Sicherheitspolitik auf ein Förderprogramm für die Industrie.
Auf dem Papier finanziert die Europäische Union nur zivile Forschungsprogramme. In der Praxis wissen wir bereits, dass Waffenhersteller ein schönes Stück vom Kuchen abbekommen. Es gibt z.B. das Forschungsprojekt OPARUS, das knapp über 1 Mio. Euro aus dem EU-Förderprogramm RP7 zwischen September 2010 und Mai 2012 erhielt. OPARUS steht für „Open Architecture für UAV-basierte Überwachungssysteme“, OPARUS war damit ein Projekt zur Überwachung mit Drohnen. Alle großen europäischen Rüstungsunternehmen und Israel Aerospace Industries haben in diesem Projekt zusammengearbeitet. Was genau mit den EU-Geldern passiert ist, können wir nur vermuten, da es wenig öffentliche Informationen über diese Art Forschung gibt. Auf dem Papier hatte das Projekt ein (zweifelhaftes) ziviles Ziel, in der Praxis wurden Waffenhersteller finanziert, um neue Technologien zu entwickeln.
Ab 2014 jedoch gelten neue Regeln. Das neue Finanzierungsprogramm der EU heißt Horizon 2020 und wird von 2014 bis 2020 laufen. Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission bekräftigte, dass die Forschungsprogramme nur zivile Anwendungen haben sollten. Aber einige Mitglieder des Parlaments wollten es anders. Namhafte Verbündete der Rüstungsindustrie wie der Deutsche Christian Ehler und der Französische Ex-Geheimagent Arnaud Danjean haben Änderungsanträge eingereicht, um die entsprechende Passage aus dem Vorschlag zu streichen. Mit der Argumentation, EU-Mittel sollen verwendet werden, um die Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie zu stärken, schafften sie es, im EP Zustimmung für ihre Änderungen zu bekommen. Nach dem obskuren „Trilog“ (letzte nichtöffentliche Verhandlungen zwischen EU-Parlament, Rat und Kommission, bevor neue EU-Gesetzgebung verabschiedet wird) wurde die Festlegung auf „nur zivile Anwendungen“ dann doch nicht gestrichen. Wahrscheinlich, weil die Verhandlungspartner bereits etwas Neues im Auge hatten. In der Tat kündigte der Rat der EU nach dem Gipfel von 19. bis 20. Dezember eine „vorbereitende Maßnahme“ über „Forschung im Zusammenhang mit der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ an. Übersetzt in lesbare Sprache bedeutet dies eine neue Förderlinie, um die Entwicklung von Waffentechnik zu finanzieren.
Die Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie ist auch explizit im Gemeinsamen Standpunkt der EU für Waffenausfuhren erwähnt. Der Gemeinsame Standpunkt der EU enthält acht Kriterien, welche die Mitgliedstaaten bei der Erteilung von Waffenausfuhrlizenzen berücksichtigen sollen. Doch neben den schönen Prinzipien von Demokratie und Menschenrechten, wird den Mitgliedstaaten auch erlaubt, kommerzielle Interessen der Waffenindustrie zu berücksichtigen. Allzu oft werden wirtschaftliche Interessen als wichtiges neuntes Kriterium für den Waffenexport angesehen.
Aktionen in Brüssel
Vredesactie und Agir pour la Paix haben am 19. Dezember 2013 Aktionen an verschiedenen Orten im Europaviertel in Brüssel gemacht, an denen die europäische Politik gestaltet wird. Die Lobbys der Rüstungsindustrie, die Hauptgebäude der Rüstungsindustrie und die Gebäude der europäischen Verwaltungen sind in räumlicher Nähe auf nur wenigen Quadratkilometern verteilt. In diesem Viertel bewegen sich etwa 15.000 Lobbyisten. Deshalb ist das europäische Viertel in Brüssel ein interessanter Ort, um Aktionen zu machen. Die Aktionen von Vredesactie und Agir pour la Paix haben den täglichen Betrieb im Europaviertel gestört und haben die Wechselbeziehung zwischen Wirtschaft und Politik unterstrichen.
Die Europäische Verteidigungsagentur wurde morgens früh von einer Gruppe von Demonstranten überrascht, welche zwei Eingänge blockiert haben. Zwei Aktivisten kletterten auf das Tor. Der Zugang zum Haupttor wurde von Aktivisten, die mit waschbare Theaterblut verschmiert waren, behindert. Mehr als eine Stunde war die EDA für die verwirrten Arbeitnehmer geschlossen. Vierzehn Aktivisten wurden administrativ festgenommen und nachmittags wieder freigelassen.
Um zehn Uhr dreißig kletterten vier Aktivisten an der Fassade des Generaldirektorats für Unternehmen und Industrie hinauf. Sie haben dort ein Transparent befestigt, auf dem stand: „Die Waffenhändler sagen Danke, EU!“, weil die Europäische Rüstungsindustrie von der EU jährlich Millionen Euros bekommt. Aktivisten trugen Masken von Angela Merkel und Manuel Barroso. Auf dem Gebäude hing auch ein Transparent mit der Aufschrift : „Merry Crisis, Happy New War!“
Die Teilnehmer an der „Lobby-Tour Deluxe“ Aktion bekamen eine Open Air Einführung in Lobbyismus: durch einen geführten Spaziergang entlang der Gebäude der Lobbygruppen wurde gezeigt, wie Waffenfirmen und europäische Institutionen die Politik beeinflussen. Auf diese Weise machte die Tour Verflechtungen zwischen Wirtschaft und politischen Entscheidungsträgern sichtbar. In der Nähe des Jubelparks verlieh eine andere Gruppe von Aktivisten den Nobelpreis für Kriegführung. Glücklicher Sieger wegen ihrer militärischen Ambitionen und ihrer großzügigen Unterstützung für die Rüstungsindustrie: die Europäische Union! Ein Straßentheater zeigte auf dem Vorplatz des Europäischen Parlaments, wie Lobbyisten den Abgeordneten Gesetze diktierten.
2014 wurden in Belgien noch mehr Aktionen geplant im Rahmen der Ctrl + Alt + EU Kampagne. Es ist ganz wichtig, um in vielen anderen europäischen Ländern auch die Militarisierung Europas auf die politische Tagesordnung zu setzen. Nur wenn man an so vielen Orten wie möglich Druck ausübt, um zu verhindern, dass die europäische Politik von Militär-Lobbyismus dominiert wird, kann man eine gegenwärtige Gegenmacht auf europäischer Ebene aufbauen.
Gunther Lippens ist an der Ctrl + Alt + EU Kampagne von Vredesactie (Belgien) beteiligt.
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