Montag, 17. Februar 2014
Kaukasische Zwischenbilanz (I)
MOSKAU/BERLIN
german-foreign-policy vom 12.02.2014 – Anlässlich der Olympischen Spiele in Sotschi verweisen Berliner Regierungsberater auf die anhaltenden Unruhen im russischen Nordkaukasus. Moskaus Entschluss, die Spiele in Sotschi und damit am Rande einer Art „Aufstandszone“ abzuhalten, sei „eine Geste“ gewesen, „die sagen sollte: Wir haben alles im Griff“, erklärt der Kaukasus-Experte Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Stelle man in Rechnung, dass die Olympiade jetzt quasi „in einem Belagerungszustand durchgeführt“ werde, „ist diese Geste nicht gelungen“. Bereits im vergangenen Jahr hat die SWP darauf verwiesen, dass Russland, während es auf internationaler Ebene eine „Eurasische Union“ anstrebe, im Inland teils große Schwierigkeiten habe, die Kontrolle zu behalten – etwa im Nordkaukasus oder auch im Wolgagebiet. Deutschland ist daran nicht unbeteiligt: Noch vor wenigen Jahren hielten nicht nur nichtstaatliche Organisationen aus der Bundesrepublik, sondern auch offizielle Stellen – darunter die Auslandsspionage (BND) – Kontakt zu tschetschenischen Separatisten. Man habe sich im deutsch-russischen Machtpoker „tschetschenische Karten“ sichern wollen, berichtet ein Experte. Die von Bonn und Berlin geförderte Destabilisierung schwächt Russland noch heute.
Die „Vielvölkerzivilisation“
Berlin hat die Entwicklung im krisengeschüttelten russischen Nordkaukasus bereits seit vielen Jahren systematisch im Blick. Zuletzt zeigten dies beispielsweise mehrere Analysen zu der Region, die in den vergangenen Jahren von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) veröffentlicht wurden. Russland trete „außenpolitisch als ein Motor für Integration in Eurasien auf“, hieß es 2013 in einer Kurzanalyse der SWP; man dürfe jedoch nicht übersehen, dass sich „Integrationsanforderungen … auch an die russische Innenpolitik“ richteten. Denn „besonders mit Blick auf den muslimischen Bevölkerungsteil“ und auf Gebiete, „die vom Islam (mit)geprägt sind“ – insbesondere im Nordkaukasus und in der Wolgaregion -, stelle sich „die Frage, wie gefestigt die ‘Vielvölkerzivilisation’ Russland ist“.[1] Terminus und Duktus deuten an, Russlands Bemühungen um eine „Eurasische Union“ könnten im Inland auf schwachen Füßen stehen und keine stabile Zukunft haben.
Russlands „inneres Ausland“
Für den Nordkaukasus hatte die SWP diesen Gedanken schon 2012 exemplarisch ausformuliert. So habe zwar in Tschetschenien, dessen Sezessionskampf lange Zeit im Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit gestanden habe, bereits im Jahr 2006 „unter der Gewaltherrschaft Ramzan Kadyrows“ der „Wiederaufbau“ begonnen, hieß es in einem SWP-Papier. Dafür prägten nun „Gewalt und Aufruhr“ vor allem diejenigen „Abschnitte des Nordkaukasus, die zuvor als ‘ruhig’ gegolten hatten“. Im Jahr 2011 seien „bei bewaffneten Konflikten und Gewaltereignissen in der Region 750 Menschen ums Leben“ gekommen. Zwar habe Moskau 2010 einen Strategiewechsel eingeleitet und versucht, auf „Entwicklungspolitik und Modernisierung“ zu setzen. Doch habe dies „die prekäre Sicherheitslage in der Region nicht verbessern“ können.[2] Die Anschläge kurz vor Beginn der Winterolympiade in Sotschi haben gezeigt, dass selbst der salafistische Terrorismus in der Region ungebrochen fortbesteht. Über die Stellung Russlands im nördlichen Kaukasus befand die SWP im Jahr 2012: „Diese Region ist zu seinem ‘inneren Ausland’ geworden, gleichzeitig zu einer Zone ausgreifender Gewalt am Rande Europas“.
Modell Kosovo
Bundesdeutsche Organisationen, teilweise auch staatliche Stellen haben in der Vergangenheit den tschetschenischen Separatismus unterstützt und in Deutschland für ihn um Sympathien geworben. Unter den nichtstaatlichen Organisationen hat sich dabei vor allem die Deutsch-Kaukasische Gesellschaft hervorgetan, die enge Verbindungen in verschiedenste Teile des Kaukasus unterhält – unter anderem nach Tschetschenien. Einer der Anführer des tschetschenischen Sezessionismus, Ahmed Sakajew, konnte schon im Jahr 1998 die Bundesrepublik bereisen – auf Einladung der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft, der damals die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zur Seite stand. Sakajew, der in den zwei tschetschenischen Abspaltungskriegen ab 1994 an der Waffe kämpfte, führte seit 2001 im Auftrag der Separatisten hochrangige Gespräche in Europa – darunter auch in Deutschland, wo er sich etwa im Januar 2004 auf Einladung zweier SPD-Bundestagsabgeordneter zu informellen Verhandlungen mit teils einflussreichen Außenpolitikern aufhielt. Sakajew äußerte noch 2009 im Interview mit prominenten deutschen Medien, er sei „Premierminister eines unabhängigen Tschetscheniens“, während es sich bei der von Russland bestellten Regierung um „eine Okkupationsstruktur auf dem Territorium der Republik“ handele.[3] Die Deutsch-Kaukasische Gesellschaft bewarb vor Jahren den Vorschlag eines tschetschenischen Separatistenführers, die Abspaltung Tschetscheniens von Russland nach dem Modell der Trennung des Kosovo von Jugoslawien zu erkämpfen.[4]
Tschetschenische Karten
Dass auch deutsche Behörden zumindest zeitweise mit tschetschenischen Separatisten kooperierten, bestätigte bereits 2004 der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. Demnach pflegte die deutsche Auslandsspionage (BND) um die Mitte der 1990er Jahre über ihre Moskauer Residentur Kontakte zur sezessionistischen tschetschenischen Opposition. Deutschland habe „trotz der engen Bindung an Russland tschetschenische Karten für den zukünftigen Machtpoker am Kaukasus in der Hand haben“ wollen, erklärte Schmidt-Eenboom.[5] Im Jahr 2002 konnten sogar tschetschenische Terroristen von Deutschland aus operieren. Wie es in einem Pressebericht aus dem Jahr 2004 heißt, hielt sich ein gewisser Arbi Daudow im Juli 2002 in Dresden auf und hielt telefonischen Kontakt zu konspirativen Wohnungen in Moskau. Bei diesen handelte es sich dem Bericht zufolge um Verstecke, in denen damals die berüchtigte Geiselnahme in einem Moskauer Musicaltheater im Oktober 2002 vorbereitet wurde, die mit mehr als 120 Toten endete. Daudow habe sich in Deutschland frei bewegen können, obwohl die deutschen Sicherheitsbehörden von russischen Stellen gewarnt worden seien, hieß es weiter.[6] Der Fall ist bis heute nicht abschließend geklärt.
Separatismus im Landesinnern
In Russland dehnen sich destabilisierende Kräfte, wie sie im Nordkaukasus auch mit deutscher Hilfe erstarken konnten, inzwischen in weiteren Regionen aus. Dies betrifft besonders die Wolgaregion. Der dort recht starke Islam habe lange als „offen gegenüber Modernisierung“ gegolten, heißt es in einer Analyse der SWP. Seit 2012 werde dort jedoch „eine politische Radikalisierung festgestellt“. Im Juli 2012 wurde, berichtet der Berliner Think-Tank, ein hochrangiger islamischer Geistlicher ermordet, der als „engagierter Kämpfer gegen extremistische Tendenzen“ salafistischer Prägung bekannt gewesen sei. Recht rasch sei von einer Verbindung zu Salafisten im Nordkaukasus die Rede gewesen. Ob dies zutreffe, sei unklar, urteilt der Autor des SWP-Papiers, Uwe Halbach: „Unbestritten“ sei aber, „dass salafistische Einflüsse sich auch im Innern Russlands ausbreiten“. In Tatarstan verbänden sie sich mit nationalistischen Strömungen. Das Erstarken eines tatarischen Separatismus lässt sich offenbar nicht ausschließen: Auch dort und damit weit im russischen Landesinnern stelle sich nun die Frage, heißt es in dem Papier, „wie gefestigt die ‘einzigartige Vielvölkerzivilisation’ ist“.[7]
Ein neuer Hebelpunkt
Die Bundesregierung, die seit den 1990er Jahren mehrfach „tschetschenische Karten“ nutzte, um Russland, mit dem sie ökonomisch teils eng zusammenarbeitet, gelegentlich unter Druck zu setzen, behält die Spannungen im Nordkaukasus zwar weiter im Blick, hat allerdings ihren hauptsächlichen Hebelpunkt gegenüber Moskau in der letzten Zeit verschoben. german-foreign-policy.com berichtet am morgigen Donnerstag.
[1] Uwe Halbach: Muslime in der russischen Föderation. Wie gefestigt ist die „Vielvölkerzivilisation“ Russland? SWP-Aktuell 24, April 2013.
[2] Uwe Halbach: Trennlinien und Schnittstellen zwischen Nord- und Südkaukasus. SWP-Aktuell 31, Juni 2012.
[3] Sakajew prophezeit ein freies Tschetschenien. www.welt.de 15.08.2009.
[4] S. dazu Modell Kosovo.
[5] S. dazu Tschetschenische Karte.
[6] S. dazu Deutsche Tschetschenen.
[7] Uwe Halbach: Muslime in der russischen Föderation. Wie gefestigt ist die „Vielvölkerzivilisation“ Russland? SWP-Aktuell 24, April 2013.
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