Sonntag, 16. Februar 2014
Gefahrengebiete überwinden!
Was´ denn hier los? Gefahr! Sogenannte gefährliche Orte werden von der Polizei immer öfter erfunden, um noch hemmungsloser als üblich zu kontrollieren und zu schikanieren. Das ist an sich nichts Neues. Angesichts jüngster Fälle von Polizeigewalt wird jedoch endlich darüber geredet.
Zum Beispiel in Hamburg, wo zur Zerschlagung von Versammlungen und zur Demütigung der Bevölkerung Kontrollen und Körperdurchsuchungen in festgelegten Zonen ohne Begründung durchgeführt werden durften. Von der Polizei als gefährlich eingestufte Dinge wurden einfach konfisziert. Die Logik dahinter ist mitunter bizarr: So ist es untersagt ein Pfefferspray zur Verteidigung mit sich zu führen, weil (!) es in dieser Gegend zu vermehrten Übergriffen gekommen sein soll. In diesen Gebieten ist das staatliche Gewaltmonopol endgültig total. Ausgangssperren nach Ladenschluss machen deutlich, dass die Stadt zum Shoppen und nicht zum Leben da ist.
Auch in anderen Städten gibt es solche Gebiete besonderer polizeilicher Aufmerksamkeit und Befugnisse. In Wien wurde jüngst im Vorfeld einer antifaschistischen Demonstration eine Demonstrationsverbotszone erlassen, die weiträumiger war als die Sperrzone während des Besuchs von George W. Bush 2006.
Wien und Hamburg zeigen jedoch auch, dass es möglich ist, sich erfolgreich gegen das Besatzungsstatut zu wehren. Mit organisierten Aktionen wurden die Verbote und Schikanen umgangen und massiv in der Öffentlichkeit angeprangert.
Auch in Berlin ist die Zeit dafür reif. Unter dem Begriff „gefährliche“ oder „kriminalitätsbelastete“ Orte wurden hier Gefahrengebiete schon in den 90er Jahren eingeführt. Diese bestehen über Jahre hinweg, ohne dass viel öffentlicher Widerspruch zu vernehmen ist. Das liegt unter anderem daran, dass sie in Berlin der Geheimhaltung unterliegen. Das ermöglicht der Polizei ohne großes Aufsehen, “verdachtsunabhängige Personenkontrollen” durchzuführen oder Platzverweise auszusprechen. Geregelt werden die Sonderrechte vom allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG). Im Normalfall darf die Polizei nicht ohne konkreten Anlass Personen überprüfen, doch ASOG Paragraf 21 regelt die Ausnahme. Nicht selten werden die Identitäten von Personen festgestellt, mit der Begründung, mensch befindet sich an einem Ort wo Straftaten von “erheblicher Bedeutung” vorbereitet und begangen würden oder sie dort gegen das Aufenthaltsrecht verstießen.
Zu den “kriminalitätsbelasteten Orten” zählen große Teile der U8. Sie verbindet die proletarisch-migrantisch geprägten Viertel Neukölln und Wedding. In ihren Stationen kommt es regelmäßig zu großen Razzien, die das vermeintliche Drogenmilieu oder einfach nur Freifahrer_innen kontrollieren und bestrafen sollen. Dabei bedienen sich die Büttel immer wieder rassistischer Stereotype – eine polizeiliche Praxis, die als “racial profiling” bekannt ist. Aber auch die U9 und U7, sowie beliebte Parks wie der Görlitzer Park, die Hasenheide oder der Tierpark gelten als “kriminalitätsbelastete Orte”.
Und woanders…
Während sicherheitsstaatliche Sonderzonen hierzulande vom politischen Establishment begrüßt und verteidigt werden, lösen sie andernorts bei dem selben Personal Protest aus. Verschärfungen im ukrainischen Demonstrationsrecht wurden von europäischen Politiker_innen, unter anderem der deutschen Bundesregierung, teils heftig kritisiert. Nicht der Protest, sondern seine Zielsetzung und vor allem sein Ort sind also entscheidend. Wenn in der Ukraine Leute auf die Straße gehen, die ein sehr verzerrtes Bild von der EU haben und sich dabei von faschistischen Kräften unterstützen lassen, verstößt das nicht unbedingt gegen europäische Kapitalinteressen – und die sind in aller Regel deutsch. Wenn hingegen innerhalb Europas für ein Recht auf Stadt, ein Ende der Troikapolitik oder uneingeschränktes Bleiberecht für alle demonstriert wird, läuft das diesen Interessen zuwider. Weil der Widerstand im Herzen der Bestie in immer kürzeren Abständen aufflammt, sollen uns Gefahrengebiete schon mal an jenen Ausnahmezustand gewöhnen, der für andere längst blutige Realität ist.
…wird gemordet
Das größte und tödlichste Gefahrengebiet umgibt allerdings die Außengrenzen der EU. Vor allem im Mittelmeer, Nordafrika und an den süd-östlichen Landgrenzen werden alle Register gezogen, um niemanden ohne ausreichend Humankapital hineinzulassen. Kürzlich nahmen zahlreiche EU-Mitgliedstaaten das Grenzüberwachungssystem EUROSUR in Betrieb. Im Dezember gehen auch Kontrollzentren der Bundespolizei in Bad Bramstedt und Cuxhaven an den Start. Grenzsicherung und Migrationskontrolle haben ein neues Niveau erreicht, denn nun werden Einsätze von Drohnen und Satellitenaufklärung zum Standard. Ein gemeinsames Papier der zivilen und militärischen EU-Strukturen regt sogar den Einsatz von Militär an, um die Flüchtlingsabwehr zu unterstützen. Auch die NATO könnte hierfür in Frage kommen.
Besonders perfide werden nun die Staaten des Arabischen Frühlings ins Boot geholt: Libyen und Tunesien, vielleicht auch Ägypten und Algerien machen bei der aufgerüsteten Überwachung des Mittelmeers mit. Damit hat die EU die Revolution verraten, denn die Bevölkerung darf von ihrer größten Errungenschaft keinen Gebrauch machen: Der Bewegungsfreiheit.
Fluchtursachen werden aber weiter reproduziert. Die logische Konsequenz Migration lässt sich nicht verhindern. Die Flucht wird für immer mehr Menschen Zwang, gleichzeitig wird sie immer gefährlicher und endet für Tausende tödlich. Denjenigen, die es dennoch nach Europa geschafft haben, wird mit menschenverachtender Bürokratie und rassistischer Polizei klargemacht, dass sie hier nicht willkommen sind. Seit einigen Jahren gerät das europäische Migrationsregime aber durch Proteste immer mehr unter Druck.
Es ist die gleich Logik von Kapital, Standort und Sicherheit, die Fluchtursachen und Gefahrengebiete hervorbringt, die radikale Linke und Refugees kriminalisiert. Wir lassen uns nicht spalten in gute und böse Aktivist_innen und schon gar nicht entlang von rassistischen Kriterien. Gefahrengebiete überwinden! Unsere Solidarität gegen ihre Repression! Im Großen wie im Kleinen: Europäische Sicherheitsarchitekturen einstürzen!
Den 22. März wollen wir gemeinsam zu einem Tag des Widerstandes gegen Überwachung, Kontrolle, Ausgrenzung und alle anderen Formen von Repression machen. 10, 100, 1000, ein ganzes Leben voller Gefahrengebiete für das Grenzregime Europa!
22. März 2014 Berlin:
16 Uhr | Kundgebung | U-Bahnhof Turmstraße
17 Uhr | Demo | Ab U-Bahnhof Turmstraße
22 Uhr | unerlaubt durchs Gefahrengebiet | Ort wird bekanntgegeben
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