Sonntag, 16. Februar 2014
Böll-Stiftung will zur Debatte anregen und läuft dabei Gefahr, sie abzuwürgen
IMI-Analyse 2014/006
Risiko Regulierung
von: Christoph Marischka
Die Heinrich-Böll-Stiftung hat in ihrer Reihe “Demokratie” einen Band
unter dem Titel “High-Tech-Kriege – Frieden und Sicherheit in den Zeiten
von Drohnen, Kampfrobotern und digitaler Kriegsführung” veröffentlicht,
der erklärtermaßen zu einer “informierte[n] Öffentlichkeit und eine[r]
breite[n] gesellschaftliche[n] Debatte” beitragen soll. Im Vorwort des
Vorstandes der Stiftung, Ralf Fücks, und deren Referenten für Außen- und
Sicherheitspolitik, Gregor Enste, heißt es: “Wie so oft entwickeln sich
die neuen Militärtechnologien schneller als die gesellschaftliche
Diskussion und die Bemühungen um ihre völkerrechtliche Einhegung. Diese
Ungleichzeitigkeit zwischen technischer Innovation und politischer
Regulierung ist beunruhigend. Sie lässt zu viel Raum für Entwicklungen,
die sich jeder öffentlichen Kontrolle entziehen. Es wird höchste Zeit,
die neuen Formen digitaler Kriegsführung aus der Grauzone von
Forschungslabors, Rüstungsindustrie und Militär in das Licht der
öffentlichen Debatte zu bringen. Auch die Parlamente müssen sich
intensiver dieser Herausforderung widmen. Die vorliegende Publikation
will Anregungen für die Meinungsbildung zu diesem brisanten Thema geben”.
Die zentralen Argumente
Den versammelten Autor_innen ist – mit Ausnahme Herfried Münklers, von
dem der erste Beitrag stammt – eine grundsätzliche Skepsis gegenüber
unbemannten militärischen Systemen, Vorbehalte gegen ihre Bewaffnung und
eine Ablehnung der vollständigen Automatisierung oder Autonomisierung
des Einsatzes von “Wirkmitteln”, also Waffengewalt, anzumerken. Die
häufig vorgebrachten Argumente gegen Einsatz und Entwicklung von
Kampfdrohnen werden fast alle genannt und häufig substantiiert: Dass sie
“die Schwelle zur Gewaltanwendung” (Singer) zu senken drohen und bereits
jetzt eine “erhebliche Rüstungsdynamik” (Sauer) bzw. einen “qualitativen
Rüstungswettlauf” (Altmann) in Gang gesetzen haben; dass Drohnen
“autonomer” werden und sich ihre “Einsatz- und Funktionsbreite”
erweitert (Singer), dass bewaffnete Drohnen “eine massive und permanente
Bedrohung im Alltagsleben der Zivilist/innen dar[stellen]” (Weber). Auch
die drohende Entparlamentarisierung wird am Beispiel des Libyen-Krieges,
wo mit der Begründung, wegen des “fast ausschließlichen Einsatz[es] hoch
fliegender Kampfflugzeuge und Kampfdrohnen seien amerikanische
Soldatinnen und Soldaten praktisch nicht gefährdet” (Schörning) eine
Zustimmung der Legislative als obsolet erachtet wurde ebenso
thematisiert, wie die Tatsache, dass bislang durch Drohnen
“Geheimdienstmitarbeiter oder Industrievertreter [verstärkt] in die
Tötung von Konfliktteilnehmern involviert werden” (Dickow und Linnenkamp).
Von einer “Totalisierung des Raumes der Kriegsführung” und seiner
Überwachung aus einer “quasi göttlichen Perspektive” und einer drohenden
“Playstation-Mentalität” und “Dehumanisierung” der Feinde (Weber) ist
die Rede. Die “erheblichen psychischen Probleme” (Kurz und Rieger) der
Drohnenpilot_innen werden ebenso angesprochen, wie die vermeintliche
Präzision der Waffen infrage gestellt wird. Die Technik-Philosophin
Jutta Weber meint sogar, dass “gerade diese Präzisionswaffen – wie zum
Beispiel Roboter-drohnen für gezielte Tötungen – mehr zivile
‘Kollateralschäden’ als traditionelle Bombardements” verursachen würden,
“gerade weil die Rhetorik der ‘Präzision’ dem militärisch-politischen
Komplex die nötige Rechtfertigung gibt, um explosives Material auch in
zivilen Umgebungen einzusetzen”.
Eine große (und problematische) Rolle spielt in verschiedenen Beiträgen
auch die Tatsache, dass das “amerikanische Drohnenmonopol” enden wird
oder längst geendet hat (Singer) und auch “nicht-staatliche Akteure,
welche sich nicht an die Regeln des bewaffneten Konflikts gebunden sehen
oder diese bewusst missachten, Zugang zu dieser Technik erlangen”
könnten und bereits erlangt haben (Stroh). Der (Ab-)Rüstungsexperte
Altmann sieht in der zunehmenden Automatisierung, die nach Dickow und
Linnenkamp sogar “zwangsläufig” aus der Nutzung bewaffneter Systemen
folgt, “Gefahren bis zur Auslösung von Nuklearkrieg”, etwa wenn “sich
zwei Flotten unbemannter Kampfflugzeuge an einer Grenze oder in
internationalem Luftraum gegenseitig intensiv beobachten” würden und
“auf automatische Reaktion programmiert” wären. Kurz, so lassen sich die
Beiträge – bis auf Münkler, der “[p]ostheroische Gesellschaften” zur
Vorsicht mahnt, wenn “sie über die Ethik des Krieges sprechen” –
zusammenfassen, wird festgestellt, “dass bewaffnete unbemannte Fahrzeuge
in verschiedener Hinsicht Gefahren mit sich bringen, deren Entwicklung
man nicht einfach tatenlos zusehen sollte. Im Gegenteil, die
internationale Gemeinschaft sollte sich bemühen, die Gefahren durch
vereinbarte und unilaterale Beschränkungen einzudämmen.” (Altmann)
Expertismus
Zwischen diesen beiden Sätzen tut sich die Lücke auf, die das Problem
des Bandes darstellt. “Man” sollte nicht tatenlos zusehen, handeln aber
kann nur “die internationale Gemeinschaft”. Die genannten Argumente
werden vorgebracht mit Formulierungen wie “dürfte vielen Menschen kaum
bewusst gewesen sein …” (Kurz und Rieger), und: “für die Folgen einer
solchen Taktik und Technologie scheint sich kaum jemand zu interessieren
“(Weber). Von den Expert_innen wird eine Debatte eingefordert, über
deren Stand sich die Autor_innen uneins sind, außer dass sie Defizite
erkennen. “Endlich ist die Debatte über (Un)Sinn und Zweck des Einsatzes
von bewaffneten Drohnen auch in Deutschland angekommen. Das ist gut
so!”, beginnt Niklas Schörnig seinen Beitrag mit dem Untertitel: “Die
Debatte über bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr steht erst am Anfang”
, Dickow und Linnenkamp zufolge fehlt bislang eine “Debatte darüber,
welche ethischen Konsequenzen der Trend zur automatisierten
Kriegsführung hat” und sowohl Peter W. Singer vom Brookings Institute,
Kurz und Rieger vom Chaos Computer Club und Niklas Schörnig von der
Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung halten es für nötig,
zu versichern, “dass es sich bei moderner Militärtechnik eben nicht mehr
um ‘Science Fiction’, sondern längst um Realität handelt”, wie es
Schörning ausdrückt. Sein Beitrag endet dann auch mit der Aufforderung
“Aber sie [die Debatte] muss breiter geführt werden!”.
Wie breit die Debatte bereits geführt wird, dafür scheinen alle
Autor_innen den Blick verloren zu haben. In der Vielfalt ihrer
wissenschaftlichen Verortungen, konkreten Positionierungen und dem
jeweiligen Expertismus widerspricht der Band selbst der These einer
defizitären oder fehlenden Debatte zumindest auf Ebene der Eliten, die
Defizite werden hingegen hinsichtlich einer “breiteren”, “informierten”
oder allgemeinen “Öffentlichkeit” gesehen. Wer hingegen schon einmal
Unterschriften für den Appell “Keine Kampfdrohnen” oder die Kampagne
“gegen die Etablierung der Drohnentechnologie für Krieg, Überwachung und
Unterdrückung” gesammelt hat, weiss, dass die genannten Argumente einem
Großteil der zumindest interessierten Öffentlichkeit längst und
substantiell bekannt sind. Insofern ist der Band ein erfrischendes
Gegengewicht zur Argumentation der Drohnen-Befürwortenden, die der
öffentlichen Diskussion allzu gerne Hysterie und zuviel Emotionalität
attestieren – auf seine Art entmündigend ist er dennoch. Diese Kampagne,
welche die aufgezählten Argumente längst genannt hat und in ihrem
Newsletter
(http://drohnen-kampagne.de/standpunkte-argumente/aktuelles-ende/)
regelmäßig und deutlich aktueller substantiiert, wird im gesamten Band
nicht einmal erwähnt – obwohl etwa der Bundesvorstand der bekanntlich
der Böll-Stiftung nahestehenden Partei sowie der Chaos Computer Club
Unterzeichner_innen ihres Appells sind. Das ist nicht nur ein
politisches, sondern auch ein analytisches Problem: Von vielen
Autor_innen sicherlich ungewollt führt die Negierung der bereits
stattfindenden Debatten – ganz abgesehen von konkreten Aktionen und
Interventionen – zu einer katastrophalen Einengung der
Handlungsoptionen, die letztlich ausschließlich auf den Ebenen
internationaler Abkommen und des internationalen Rechtes gesehen werden
– also den Verhandlungen zwischen Staaten, die in der Entwicklung der
Drohnentechnologie und ihrem Einsatz führend sind. Erstaunlich ist das
etwa, wenn Constanze Kurz und Frank Rieger, beide Sprecher_innen des
Chaos Computer Club, der den Menschen zahlreiche Instrumente liefert, um
sich gegen Überwachung zu wehren, in einem frappierenden Fatalismus
feststellen, wie die Zivilbevölkerung in der “Logik des Cyberkrieges
ganz selbstverständlich … als Geisel genommen und ihre zivile
Infrastruktur Schlachtfeld und unreguliertes Operationsgebiet wird”,
ohne einen Ton dazu zu verlieren, wie sich die Menschen dagegen
individuell oder kollektiv wehren oder zumindest davor schützen können.
Auch der in der Friedensbewegung verortete Altmann gibt einer möglichen
sozialen Bewegung eher unabsichtlich Hinweise für mögliche Forderungen,
wenn er die möglichen Anwendungen bestehender Rüstungskontrollregime auf
Drohnen andeutet. Zugleich denkt er aber bei zukünftigen Regimen die
Kompromisse zwischen den in der Drohnentechnologie vorangehenden und
kriegführenden Staaten gleich mit, die für eine Bewegung von Unten kaum
anschlussfähig scheinen. So wird bereits für das vermeintlich
wünschenwerteste, aber als wenig realistisch eingeschätzte
internationale Regime festgehalten: “Unbewaffnete Fahrzeuge für
Aufklärung, Kommunikation usw. wären nicht betroffen. Schon eingeführte
Systeme mit Automatikmodus (z.B. zur Flugabwehr oder
Schiffsverteidigung), bei denen menschliche Reaktion zu langsam wäre,
sollten ausgenommen werden.”
Negierung politischer Gestaltungsräume
Es wird in dem Band vehement eine Debatte eingefordert, deren Zweck so
letztlich unbestimmt bleibt und deren Ergebnisse dadurch in der Summe
(von den Autor_innen tw. sicher nicht so gewünscht) vorbestimmt
erscheinen: Aufklärungsdrohnen für alle Staaten, bewaffnete Drohnen für
manche und die Automatisierung von Tötungen nach Möglichkeit weitgehend
regulieren. Das entspricht letztlich frappierend dem technologischen
Stand, den “realpolitischen” Möglichkeiten Deutschlands und dem
transatlantischen Elitendiskurs, der die Kampagne “Stop Killer Robots”
von Human Rights Watch in den Mittelpunkt stellt (die mehrfach im Band
angesprochen wird). Als schlagendstes Argument erscheint dabei in der
Summe die drohende Proliferation der Drohnentechnologien an
nichtstaatliche Akteure, weil es eben ein Argument ist, das auch bei den
bereits jetzt Drohnen militärisch nutzenden Staaten selbst Interesse an
einer Regulierung hervorrufen könnte. Durch die Fokussierung auf
internationale Abkommen und Verrechtlichung bringt die Böll-Stiftung mit
ihrem Band weitergehende Forderungen tendenziell zum Schweigen, obwohl
auch für diese Handlungsoptionen bestehen. Auch die einzelnen
Autor_innen vermitteln eher den Eindruck einer unaufhaltsamen
technischen Eigendynamik, über die die Menschen zwar diskutieren, die
sie aber kaum beeinflussen oder gar aufhalten können. Die von den
meisten im Prinzip wahrscheinlich geteilte Feststellung, “dass soziale
und politische Entwicklungen … ebenso entscheidend wie der technische
Fortschritt” zum rapide zunehmenden Einsatz von Militärdrohnen
beitragen, wird somit nur von Frank Sauer, Politikwissenschaftler an der
Universität der Bundeswehr München, formuliert. Letzlich sind es gerade
die Autoren der der Bundesregierung nahestehenden “Stiftung Wissenschaft
und Politik”, welche mit ihrer Beschreibung der auf verschiedenen Ebenen
in nächster Zeit zu treffenden politischen Entscheidungen greifbare
Ansatzpunkte für parlamentarische und außerparlamentarische
Interventionen nennen. Indem sie immerhin die Möglichkeit sehen, dass
Deutschland auf Kampfdrohnen verzichten und “Fähigkeitseinschränkung …
bewusst hingenommen” werden könnten, wirkt ihr realpolitischer, auch
Fragen der Wettbewerbsfähigkeit, der zivilen Markpotentiale und der
Exportchancen einbeziehender Beitrag letzlich noch am optimistischsten.
Vor allem wenn man ergänzen würde, dass diese Entscheidung nicht der
Bundesregierung allein überlassen, sondern durch öffentlichen Druck
erzwungen werden können. Auch hier wäre der Hinweis angebracht, dass die
Kampagne “gegen die Etablierung der Drohnentechnologie für Krieg,
Überwachung und Unterdrückung” die heute regierende SPD im Wahlkampf mit
ihren Wahlprüfsteinen auf eine zurückhaltende Position zur Anschaffung
bewaffneter Drohnen festgelegt hat und der SPD-Jugendverband –
wohlgemerkt: nach der Regierungsübernahme durch die große Koalition –
den Appell “Keine Kampfdrohnen” ebenso wie beide im Bundestag
vertretenen Oppositionsparteien unterzeichnet hat. Ein bewusster
Verzicht Deutschlands auf Kampfdrohnen und die mit ihnen verbunde
Kriegführung könnte auch auf europäischer Ebene zumindest bremsend
wirken und die Begehrlichkeiten in dieser Technologie weniger
entwickelter Staaten drosseln. Er würde auch dazu beitragen, die
Drohnenkriegführung der USA nicht zum neuen Völkergewohnheitsrecht
werden zu lassen.
Auch Drohnen müssen landen
Ähnliches gilt für eine klare juristische Haltung gegenüber der Politik
der gezielten Tötungen. Wie in den vergangenen Monaten v.a. durch
mutigen Journalismus deutlich wurde, steuern die USA ihre
Drohnenkriegführung wesentlich über Einrichtungen in der Bundesrepublik.
Das Grundgesetz verbietet die Führung oder Vorbereitung eines
Angriffskrieges von Deutschland aus und auch die teilweise klaren
Verstöße gegen das Völkerrecht in dieser Kriegführung böten ausreichend
Anlässe, die entsprechenden Einrichtungen von heute auf morgen zu
schließen. Das Buch “Geheimer Krieg” von Christian Fuchs und John Goetz
jedenfalls legt nahe, dass eine Schließung dieser Basen (oder auch das
Kappen eines Glasfaserkabels von Deutschland in die USA) die
US-Drohnenkriegführung mit einem Schlag unmöglich machen würde.
Natürlich ist das aus bündnispolitischen Erwägungen von der
Bundesregierung nicht zu erwarten und werden gegenwärtig Ersatzsysteme
u.a. in Italien eingerichtet. Zugleich aber zeigen sich sowohl in
Deutschland als auch in Italien und international wieder wachsende
Bewegungen gegen diese Militäreinrichtungen. Ihr rechtlicher Stand ist
darüberhinaus so prekär, dass einfache Beschlüsse eines
Verwaltungsgerichts theoretisch zu ihrer Schließung führen könnte.
Ähnliches gilt auch schon für die Ausbildung: Bundeswehrsoldaten wurden
bislang in Israel und Afghanistan in der Bedienung der Heron-I-Drohnen
ausgebildet, weil das in Deutschland luftfahrtrechtlich nicht möglich
ist. Zwar werden hier wiederum – eng beschränkt auf gesperrten Luftraum
– Übungsflüge der US-Armee mit Drohnen des Typs Raven, Hunter und Shadow
durchgeführt, aber auch dagegen regt sich Widerstand: Die Friedens- und
Bürgerinitiativen “Keine Drohnen in der Oberpfalz”, “Umwelt und
Truppenübungsplatz” sowie die Ansbacher Bürgerinitiative “Etz langt´s!”
haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam mehr Druck auf das
Bundesverteidigungsministerium auuszuüben, die Stationierung von
Kampfdrohnen in Westmittelfranken zu untersagen.
Auch die Drohnen selbst fallen nicht vom Himmel. Wenn Schörning in
seinem Debattenaufruf zutreffend schreibt, dass “in den Labors der
Rüstungsfirmen und Universitäten … immer mehr Ressourcen in Autonomie
[von Waffensystemen] investiert ” werden, dann wäre auch hier ein
Hinweis auf die Debatten um Zivilklauseln an Universitäten zu ergänzen.
Die Vehemenz mit der etwa die Rüstungsindustrie auf diese reagiert und
die umfassenden Bemühungen, wissenschaftlichen Nachwuchs an die
Drohnenthematik heranzuführen und an sich zu binden, weist zumindest
darauf hin, dass auch hier Potentiale bestehen, die Proliferation und
die Weiterentwicklung der Technologien, vor denen die Autor_innen
warnen, zumindest zu entschleunigen. Technik wird von Menschen gemacht
und von Organisationen, in denen Menschen tätig sind. Dass die Debatte
über Drohnen an all diesen Orten – vom Parlament über die Standorte bis
zu den Universitäten – geführt wird und bereits konkrete
Auseinandersetzungen hervorgebracht hat, wird von den Autor_innen und
Herausgebern des Bandes vollkommen übersehen.
Frieden keine Option
Und noch ein letzter blinder Fleck sei genannt: Weltordnung,
Konfliktkonstellationen und Formen der Kriegführung, welche die aktuelle
Drohnentechnologie hervorgebracht haben und ihre Weiterentwicklung
bestimmen, werden im Band entweder gar nicht angesprochen oder
gewissermaßen überhistorisch auch für die Zukunft vorausgesetzt. Am
frappierendsten zeigt sich das am Beispiel Afghanistan, wo der
NATO-Truppenabzug bereits anstand, als die Beiträge verfasst wurden. Das
Stationierungsabkommen, das auch darüber entscheiden wird, wie und ob
die USA dort und in Pakistan weiter “gezielte Tötungen” werden
durchführen können, ist bis heute nicht ausgehandelt. Einzig Schörning
spricht diesen Aspekt an, wenn “vor dem Hintergrund des Abzugs deutscher
Truppen aus Afghanistan” für Deutschland die Frage aufwirft, “wo die
Bundeswehr denn zukünftige Einsatzszenarien deutscher Bodentruppen
sieht, die die Beschaffung von Kampfdrohnen rechtfertigen”.
Natürlich war absehbar, dass sich die NATO und ihre Verbündeten neue
Einsatzgebiete auch für ihre Drohnenkriegführung erschließen würden, wie
es nun von Mali, über Niger und die Zentralafrikanischen Republik bis
nach Somalia offensichtlich der Fall ist. Wenn diese Einsätze aber ihre
proklamierten Stabilierungs- oder gar Demokratisierungsziele erreichen
würden, so würden dort souveräne Staaten entstehen, die sich gezielte
Tötungen durch Drittstaaten auf ihrem Territorium sicher verweigern
würden. Das mag spitzfindig wirken, wer aber diese Fragen nicht bereit
ist zu stellen, der hat die Politik, ganze Erdteile zum Schauplatz eines
geheimdienstlich und drohnengestützten Krieg gegen den Terroro zu
machen, längst akzeptiert – und braucht dann eigentlich über die
Drohnentechnologie auch nicht mehr zu debattieren. Auch Politik wird von
Menschen und Organisationen gemacht und ist veränderbar.
Debatten anregen oder abwürgen
Der Band “High-Tech-Kriege – Frieden und Sicherheit in den Zeiten von
Drohnen, Kampfrobotern und digitaler Kriegsführung” der
Heinrich-Böll-Stiftung versammelt die wichtigsten Argumente, ist aber
angesichts der in ihm beschriebenen, drohenden Entwicklungen deutlich zu
mutlos. Er droht damit auch die Leser_innen zu entmutigen und die
eingeforderte Debatte gleich wieder abzuwürgen, indem er mögliche
Handlungsoptionen nicht einmal andeutet. Das ist nicht primär den tw.
engagierten Autor_innen vorzuwerfen, den Herausgebenden allemal. Ein
Beitrag über die im Entstehen begriffenen Bewegungen gegen die
Drohnenkriegführung zumindest in Pakistan, den USA und Europa wäre
zwingend erforderlich gewesen, ebenso eine Reflexion über die
zugrundliegende Weltordnung. Die aber scheint ebenso unhinterfragbar,
wie die weitere technologische Entwicklung. Den Menschen scheint nur die
Hoffnung zu bleiben, dass sich die mächtigen Regierungen einigen und
dafür auf die Gefahr der Proliferation hinzuweisen. Die “quasi-göttliche
Perspektive”, die den Drohnen zugeschrieben wird, scheint ihnen und
ihrer Weiterentwicklung selbst einen göttlichen, unhinterfragbaren
Charakter verliehen und zu einem tiefen Gefühl der Machtlosigkeit
beigetragen zu haben. Zugleich zeigt der Band, wie leicht Dinge durch
Experten – und wahrscheinlich auch durch Drohnen – übersehen werden
können: In diesem Fall die vielen kleinen Widerständigkeiten und
Auseinandersetzungen, die eine scheinbar erst beginnende Debatte bereits
hervorgebracht hat.
Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): “Hightech-Kriege” – Frieden und
Sicherheit in Zeiten von Drohnen, Kriegsrobotern und digitaler
Kriegsführung”, Schriften zur Demokratie
Erscheinungsdatum: Dezember 2013
http://www.boell.de/sites/default/files/endf_high-tech-kriege.pdf
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