Montag, 3. Dezember 2012

Wer Beton sät, wird Zorn ernten

So lautet der Titel des neuen Buches von Luis Hernández Navarro, welches kürzlich im Unrast Verlag erschienen ist. Es handelt von der starken Umweltzerstörung in Mexiko und dem unermüdlichen Widerstand der betroffenen Bevölkerung. Das umfassende Werk macht Verstecktes sichtbar und zeigt, wie wichtig Engagement ist. „Eine der Errungenschaften der Macht besteht laut Dario Fo darin, dass sie die Erinnerung in einen Schrank voll mit Staub verwandelt hat. Die gewaltige Umweltbewegung der Armen in Mexiko ist nicht nur ziemlich totgeschwiegen oder übergangen worden, sondern viele ihrer Anführer_innen sind ermordet, zum Verschwinden gebracht, eingesperrt oder vergessen worden. […] Dieses Buch möchte, dass ein Teil dieser Erfahrungen nicht mehr im Schrank voll mit Staub eingesperrt bleibt.“ (Navarro 2012: 25) Das Buch setzt sich zusammen aus drei ineinander verwobenen Strängen, die abwechselnd an verschiedenen Stellen immer wieder auftauchen. Den ersten Strang bilden die Berichte über die vielfältigen Umweltverwüstungen, die Tag für Tag in Mexiko stattfinden. Der zweite behandelt die Reaktionen der Bevölkerung und ihren langwierigen Widerstand gegen die Zerstörungen. Der dritte bietet einzelne kurze biografische Ausschnitte aus dem Leben und Kampf von verfolgten oder ermordeten UmweltaktivistInnen. Die dunkle Seite der Modernisierung Auf 200 Seiten versucht Navarro seinen LeserInnen ein umfassendes Bild der Verwüstung und der verursachenden Praktiken zu vermitteln. Besonders im ersten, einleitenden Kapitel bedeutet dies geballte Information. In den folgenden Kapiteln werden die einzelnen Bereiche dann aber genauer und ausführlicher betrachtet. Der Bogen, den der Autor spannt, erstreckt sich über Bergbau- und enorme, mangelhaft geplante Siedlungs- und Infrastrukturprojekte, über Luxusprojekte, Staudämme und Projekte im Bereich der Erdölförderung, über die exzessive Tierproduktion sowie die nicht nachhaltige Landwirtschaft und den Einfluss der Gentechnik, bis hin zur starken Waldrodung. Diese Praktiken beschreibt Navarro als Teil eines neoliberalen Modernisierungsprozesses, der aber lediglich den mexikanischen Eliten und transnationalen Unternehmen Profite und Wohlstand beschert. Für den Großteil der ansässigen Bevölkerung bedeuten diese Entwicklungen hingegen eine Bedrohung für ihre Kultur und ihre Existenz. Da die Megaprojekte auch zu Lasten der Versorgung der lokalen Bevölkerung gehen, entstehen immer mehr Konflikte. Der Zugang zu sauberem Wasser (bzw. überhaupt zu Wasser) ist lang keine Selbstverständlichkeit mehr und viele Menschen sind von Krankheiten betroffen. Die „Umweltbewegung der Armen“ Einen wichtigen Teil des Buches bilden kurze Berichte über den Widerstand in der Bevölkerung. Die meisten Kämpfe werden fernab der großen Städte auf dem Land ausgetragen, vielerorts haben sie bereits eine lange Tradition. LandarbeiterInnen und Indigene haben sich zu Widerstandsverbänden zusammengeschlossen und bilden Teil einer antikapitalistischen, antisystemischen, heterogenen und komplexen Bewegung. Trotz der Unterstützung aus verschiedenen Spaten (z. B. WissenschaftlerInnen) wird diese Bewegung vor allem von armen Menschen getragen, deren Lebensgrundlage bedroht ist. Wie gefährlich aber dieser Widerstand ist, zeigt Navarro besonders anhand von einigen kurzen biografischen Ausschnitten von UmweltaktivistInnen. Mit Drohungen, bis hin zu Folter und Mord gehen einflussreiche Personen aus Wirtschaft und Politik gegen sie vor, um sie dazu zu zwingen, ihren Kampf aufzugeben und die Proteste zu vertuschen. Doch vielerorts bricht der Widerstand nicht ab. Navarro erzählt von den Schwierigkeiten, Rückschlägen aber auch von den Erfolgen ihres Kampfes. Sein Werk soll dazu dienen, diesen Kampf sichtbar zu machen, solidarisches Gedenken an die AktivistInnen zu fördern und zu einer besseren Vernetzung der einzelnen Bemühungen beizutragen. Lesenswert Navarros Buch ist keine wertfreie, trockene Schilderung der Ereignisse. Der Autor bezieht Stellung, klagt an und scheut sich auch nicht davor, konkrete Namen zu nennen. Anschauliche Vergleiche zu diversen Zahlen und Fakten vermitteln ein Gefühl für die extremen Ausmaße des Geschehens. Besonders für jene LeserInnen, die sich bislang noch wenig mit der Thematik auseinandergesetzt haben, bietet dieses Buch viele Vorteile. Abkürzungen und eventuell weniger geläufige Begriffe werden auf der jeweiligen Seite in Fußnoten erklärt, ein Glossar mit allen genannten Organisationen, Kommissionen, Netzwerken und Programmen ermöglicht ein schnelles Nachschlagen. Regelmäßige Verweise auf Quellen unterstützen Interessierte zudem darin, sich tiefer mit der Thematik zu beschäftigen. Der journalistische, gut verständliche Stil Navarros ermöglicht einen guten Lesefluss. Der Autor schafft es, auf nur 200 Seiten sehr viele zerstörerische Praktiken unterzubringen und immer wieder auch die Reaktionen der Bevölkerung zu berücksichtigen. Dieser große Umfang der zusammengetragenen Spaten und Informationen zeichnet das Buch wirklich aus. Besser mit der Thematik Vertraute mögen sich vermutlich tiefergehende Ausführungen zu den einzelnen Bereichen wünschen, aber auch für sie hält das Werk Interessantes bereit, wie z. B. die biografischen Teile. Eine Besonderheit ist zudem, dass Navarro viele Betroffene zu Wort kommen lässt. Zahlreiche Zitate und Ausschnitte aus Gesprächen unterstreichen seine Berichte. Allerdings wären mehr Informationen zu manchen Zitierten gewiss noch hilfreich gewesen. Und auch, wenn Interessierten vieles bereits bekannt sein dürfte, so schafft es der Autor dennoch, Vergessenes wieder ins Bewusstsein zu rufen und zum Nachdenken anzuregen. Navarro verdeutlicht an vielen Stellen in sehr eindrucksvoller Weise das bestehende Machtgefälle und den eingeschränkten Spielraum Betroffener, zeigt aber gleichzeitig, dass es möglich ist, etwas zu erreichen und macht Mut, sich zu engagieren. Lesen Sie auch den Artikel zur Buchpräsentation von Navarro und der anschließenden Diskussion am 15. Oktober 2012 im Afro-Asiatischen Institut. Die Autorin ist Mitglied im Online-Redaktionsteam des Freire Zentrums. Reaktionen bitte an redaktion@pfz.at. Navarro, Luis Hernández (2012): Wer Beton sät wird Zorn ernten. Mexikos Umweltbewegung von unten. Münster: Unrast Verlag. ISBN 978-3-89771-049-8 URL: http://www.pfz.at/article1322.htm _______________________________________________ Chiapas98 Mailingliste JPBerlin - Mailbox und Politischer Provider Chiapas98@listi.jpberlin.de https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/chiapas98

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