Freitag, 7. Dezember 2012

„Vogelperspektiven“ – Knastkampf ist Klassenkampf !

Ende des Jahres werden in vielen Orten der Welt Knastkundgebungen stattfinden, so auch hierzulande in z.B. Berlin, Frankfurt, Köln, Hamburg, Stuttgart und Freiburg. Ritualmässig werden auch Vertreter*innen verschiedener Gruppierungen einmal im Jahr ihre Reden zur Weltlage, vielleicht auch zum Gefängnis halten. Oft richten sich diese Beiträge mehr an die Anwesenden der Kundgebungen und weniger an die Gefangenen selber. Da wird dann schon mal ein Philosoph zitiert, oder sich an „Werttheorien“ abgearbeitet und ihre Sicht der verschiedenen Aufstände in der Welt erklärt — es sind dann oft Menschen mit akademischen, bürgerlichem Hintergrund, die allerdings persönlich jeden direkten Kontakt mit dem Knast vermeiden(wollen). Da wird dann als Knastvermeidungsstrategie kräftig an die Justizkasse gezahlt oder mensch entdeckt den Arbeitszwang neu für sich – Dies führt dann dazu, daß die Gefangenen oft zwar mitbekommen, daß da gerade „draussen“ was ist, aber selten wissen, was genau. So wird dann auch in Gesprächen mit Gefangenen über z.b. die Silvesterkundgebungen häufig die fehlende Kommunikation zwischen draussen und drinnen genannt bzw. von einer sehr dünnen, die sich auf dem Weg verflüchtigt. Um so erfreulicher, daß in den nächsten Tagen wieder was Geschriebenes aus dem Knast selbst kommt, das Buch „Vogelperspektiven“ von Thomas Braven (wieder) erscheinen wird. Thomas Braven ist ein Pseudonym. Der Text, wohl im Gefängnis geschrieben, erschien zum ersten Mal 1989 im „Paranoia Verlag“ in Zürich. Anarchist Black Cross wird dieses Buch im Dezember neu herausgeben. Im folgenden das (gekürzte) Nachwort der Originalausgabe. Dazu zwei kurze Anmerkungen: Für uns sind nicht alle Formen des täglichen Überlebenskampfes „konterrevolutionär“ und das sich Orientieren an und Ausrichten nach der Propaganda der Herrschenden ist ne Sache, die leider noch heute bei vielen Linken vorhanden ist. Für mich war einfach klar, dass ich ein Leben wie meine Eltern nie leben werde. Ich wollte so lange klauen und rauben, bis ich die Kohle für ein unabhängiges Leben zusammenhabe. Ich wollte nicht immer als Metzger für ein paar Mark schuften, die hinten und vorne nicht reichen, ich wollte Zeit für meine künftige Familie, für mich, ich wollte leben und nicht nur am Leben sein. Früher dachte ich manchmal, der Knast ist der Preis dafür und ich bin selbst schuld. Aber selbst schuld bin ich nur insofern, als ich mich erwischen ließ. Die Zustände, dass ein paar Millionen gut leben auf Kosten von Milliarden, sind der Grund, der Leute erst zu Diebe und Räubern werden lässt. Keine(r) kommt auf die Welt und bringt das mit. Die Zustände, in denen er/sie lebt und aufwächst und die Natur, die in ihnen wohnt, werden dann bestimmen, ob Unterdrücker*in oder Ausbeuter*in oder Ameise aus ihnen wird oder eine(r), die die Gesetze, die bürgerliche Moral, die Normen missachtet. Zu Anfang meiner Knastzeit fragte ich mich: Wie kann ich den angehenden Ganoven Tipps geben, damit sie nicht die gleichen Fehler machen. Lieber warten und richtig absahnen, nicht laufend hier und da was klauen, war meine These, denn das Gesetz der Serie wird sie oder ihn ereilen und in den Knast bringen. Lange Zeit war ich für das Ganoventum, weil ich es für den einzigen realisierbaren Weg hielt um diesem Druck, diesem Muss, dieser Ausbeutung zu entkommen. Aber das ist ein Trugschluss; als revolutionär muss Mensch so eine(n) als konterrevolutionär bezeichnen und zwar, weil damit dem Staatsapparat zwangsläufig die Legalität der Knäste und des Polizeiapparates zugespielt wird. Es wird den Arbeiter*innen suggeriert, dass ihre Habseligkeiten, ihr bisschen Erarbeitetes und Erschuftetes vor den Kriminellen geschützt werden muss. Und wenn Mensch nicht geschnappt wird, zeigt das nur, dass der Polizeiapparat noch besser werden muss. Es wird verschleichert, dass die Bullen nur dazu dienen, die zusammengeraubten Reichtümer der Herrschenden zu beschützen, ihre macht über das Volk zu schützen, es wird verschleiert, wer die Hunde und wird die Schafe sind. Im Laufe meiner Knastzeit entstand in mir immer mehr der Wunsch, gegen die Herrschenden zu kämpfen! Es war mir anfangs eigentlich egal wo, ob in Nicaragua oder in Kolumbien, aber lange dachte ich nicht an das Hier, an die BRD, an Europa. Das lag auch daran, dass ich noch das Abenteuer im Unterbewusstsein hatte. Dass da Träume ausgelebt werden wollten. Das führte weg von dem hier, in die Ferne. Geld kann nix ersetzen, deswegen ist ein Zusammenschluss von Leuten, die nur „Kohle“ als gemeinsames Ziel vor Augen haben, zum Scheitern verurteilt. Denn damit wird nur das eigene Ego gestillt und deswegen gibt es auch so unendlich viel Verrat, jede(r) will so gut wie möglich abschneiden, egal wie viele auf der Strecke bleiben, von daher haben die „Kriminellen“ dieselbe Moral wie die Kapitalist*innen „auf Kosten von anderen“. Wo menschliche Werte das gemeinsame Interesse bestimmen, ist eben ein Zusammenhalt, eine Stütze da, gibt es kaum Verrat oder Abweichungen, außer wenn die Basis nicht ehrlich genug ist. Das zeigt, wer überzeugt ist von der Richtigkeit ihres Handelns wird solange stark bleiben wie er/sie selbst Kraft hat und auf die Unterstützung der Genoss*innen bauen kann. Es kommt darauf an, wie stark das gegenseitige Vertrauen ineinander ist, wie wertvoll das Ziel, wie sehr sich eine(r) damit identifiziert. Es kommt darauf an, wie genau sie/er arbeitet. Mit 08/15 ist nix mehr drin und das gilt für alles…. Alles benötigt genaue Kenntnisse, genaues entschlossenes Arbeiten und Handeln, nur dann ist ein Erfolg in Aussicht. Was nie fehlen darf, ist Liebe und Vertrauen, Hoffnung und Geduld und eben der Wille, gemeinsam gegen die Zustände zu kämpfen. Die meisten Kriminellen – also die, die die Knäste füllen – und es gibt weitaus mehr, die nie einen Tag Knast machen werden, weil sie zu gut abgesichert sind, weil sie einen festen Platz in der Gesellschaft haben – haben keinen Kodex. Sie verüben ihre Taten aus der Notlage raus. Viele in betrunkenem Zustand oder unter Einfluss von Drogen. Sie drehen was ohne sich genau im Klaren zu sein, wie das aussehen soll. Von detaillierter Planung kann nur in den seltensten Fällen gesprochen werden. Es sind also mehr spontane Reaktionen, die sie als Antwort auf das haben, was sie in die Marginalität getrieben hat und sie tun`s, um ihre Träume von einem unabhängigen Leben in die Realität umzusetzen. Von daher kann Mensch auch nicht sagen, dass es in diesen Reihen organisierte Kriminelle gibt. Das Einzige, was sie als solche auszeichnet, sind die drakonischen Strafen. Was natürlich nicht heißt, es gäbe keine organisierte Kriminalität. Wie ich oben schon ausführte, läuft sie in den Gesellschaftsschichten ab, die die Massen beherrschen. Ich brauche hier keine Aufzählung vornehmen, die hätte auch gar keinen Platz, weil sie mehr als ein Buch füllen würde. Solange wir nicht zu uns selbst gefunden haben und das tun, was wir wollen, so lange wir nicht bereit sind, für ein selbstbestimmtes Leben zu wollen, so lange werden sie uns benutzen, ausbeuten und unterdrücken, so lange werden Milliarden im Elend leben und täglich Tausende am Hungertod sterben. Auf, bewegt euch, denkt nach, es ist nie zu spät für einen Anfang, auch ich hab ne Ewigkeit gebraucht. Kämpfen wir gemeinsam? …. …. Die Mehrzahl von uns kommt ja nicht aus purem Zufall aus dem Proletariat. Wir haben versucht, dem widernatürlichen Charakter des Kapitals auf die Art zu entgehen, dass wir Diebstahl und Betrügereien, Raubüberfälle und was weiß ich begangen haben. Die Meisten sind das also geworden, weil sie die Lohnarbeit verweigern, aber am Konsum teilnehmen wollen. Sie sind auf diese Weise Gefangene des Systems, wie auch die, die sich politische Gefangene nennen. Ich persönlich lehne die Bezeichnung „politisch“ allgemein ab. Manche haben in den Gefängnissen ein revolutionäres Bewusstsein erlangt und es wird sich in der Folge zeigen, ob sie dessen gerecht werden. Aber ihr werdet lernen müssen, uns als Militante zu begreifen. Nie sind wir gefragt worden, ob wir einverstanden sind, „soziale Gefangene“ genannt zu werden. Es erinnert mich daran, dass auch die Gesetze und Regeln, die uns unterdrücken und uns am Menschsein hindern, sowie die Ausrottung ganzer Völker von Eliten bestimmt wurden. Ich denke, es ist Zeit darüber nachzudenken, um einen Schlussstrich unter Vergangenes zu setzen. Um wirklich eine ehrliche Basis zu haben für gemeinsame Kämpfe. Bisher kann uns nur ein und derselbe Feind als Bindung zueinander dienen, das ist zu wenig, zu wenig auch deswegen, weil ich daran glaube, das Ziel einer herrschaftsfreien Gesellschaft zu erreichen. Warum sind so viele Genoss*innen nicht bereit, eine Gesellschaft ohne Knäste anzustreben? Wohl doch nur, weil die Knäste auch in ihrem Gesellschaftsbild als notwendiges Machterhaltungs- und Unterdrückungsmittel angesehen werden Für die Zerstörung der Gefängnisse und Psychiatrien ! Für die Abschaffung der Arbeit !! Für eine klassenlose Gesellschaft Für die Abschaffung jeglicher Macht Totale Amnestie für alle !!!

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