Mittwoch, 6. Juni 2012
Guillotiniert in Wien
Von österreichischen WiderstandskämpferInnen und Opfern des NS-Terrors
Quelle: Kommunistische Initiative Österreich vom 03.10.2011
Auf Kommunisten-online am 4. Oktober 2ß11
Soeben erschien die verbesserte u. umfangreich erweiterte 3. Auflage des Buches "Mich könnt ihr löschen, aber nicht das Feuer" v. Willi Weinert.
Auf nun 352 Seiten finden sich über 650 Biografien der zum Tode verurteilten und im Wiener Landesgericht hingerichteten WiderstandskämpferInnen. Mit 715 Fotos und 50 Abbildungen und in Verbindung mit den zahlreichen in Archiven aufgefundenen und durch Privatpersonen zugänglich gemachten neuen Porträtfotos wird diesen später geköpften Frauen und Männern wieder ein Gesicht gegeben.
Das Buch stellt das bislang umfangreichste biografische Nachschlagewerk zu österreichischen WiderstandskämpferInnen dar, das etwa dreiviertel aller durch den NS-Volksgerichtshof in einem Hochverratsprozess zum Tode verurteilten Personen erfasst.
Wir bringen eine Leseprobe aus der Einleitung des Buches:
Einleitung
Im März 1938 wurde Österreich von Nazideutschland annektiert. Schon in den frühen Morgenstunden des 12. März kamen zahlreiche Vertreter des RSHA mit Himmler an der Spitze nach Österreich um hier den Terrorapparat zu installieren. Zum Sitz machte man das ehemalige Hotel Metropol, das sehr zentral am Donaukanal lag, der am Rande des 1. Bezirks durch die Stadt fließt.
Zum Aufbau des Terrorapparates gehörte auch die Installierung einer Hinrichtungsstätte im Wiener Landesgericht, wo ab Dezember 1938 die ersten Todesurteile wegen krimineller Delikte vollzogen wurden.
Ende Juni 1942 fanden hier die ersten Hinrichtungen gegen Politische statt. Bis März 1945 wurden hier zwischen 600-700 Menschen wegen ihrer politischen Überzeugung und ihres Widerstandes gegen das NS-Regime hingerichtet. Mit wenigen Ausnahmen wurden sie, nachdem ihre Leichen vom Anatomischen Institut der Universität Wien verwertet worden waren, heimlich und anonym am Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 40) verscharrt. Das vorliegende Buch möchte daran erinnern, dass, wie der in Berlin-Plötzensee geköpfte Julius Fuik aus dem Gefängnis schrieb, es Menschen waren, die ihren Namen, ihr Gesicht, ihre Sehsucht und ihre Hoffnungen hatten, und das deshalb der Schmerz auch des Letzten unter ihnen nicht kleiner war als der Schmerz des Ersten, dessen Namen erhalten bleibt. Ich möchte, dass sie alle euch immer nahe bleiben, wie Bekannte, die Verwandte, wie ihr selbst.
Mit etwa 650 Biografien, von denen viele durch Porträtaufnahmen illustriert werden konnten, gleicht das Buch einem Lexikon zu einem Großteil der durch die NS-Justiz zum Tode verurteilten und hingerichteten ÖsterreicherInnen.
Die Gruppe 40 Größte Gedenkstätte österreichischer WiderstandskämpferInnen
Steht man auf dem Areal jenes Teils des Ehrenhains der Gruppe 40 am Wiener Zentralfriedhof, wo die im Wiener Landesgericht I (LG I) zwischen 1942 und 1945 auf dem Schafott hingerichteten, politischen oder weltanschaulich verfolgten ÖsterreicherInnen geheim vergraben wurden, sieht man sich vielen kleinen Gedenksteinen gegenüber, die in acht Doppelreihen unregelmäßig angeordnet sind.
Die meisten von ihnen wurden nach der Sanierung der Gruppe 40 (etwa Mitte der 1960er-Jahre) einheitlich aus Kunststeinen hergestellt, in deren polierten Vorderfronten meist ein, manchmal auch zwei oder drei Namen eingemeißelt sind. Einige dieser Kunststeine ersetzten die nach 1945 von den Angehörigen und Freunden aufgestellten provisorischen Holzkreuze, oder die auf einem Metallgestell montierten Steinplatten, von denen wenige bis heute erhalten sind.
Manche Ergänzungstexte auf Grabsteinen sprechen an, was aus der Sicht der Hinterbliebenen das Leben und Sterben der hier beerdigten Menschen charakterisierte, die von einem Terrorregime verfolgt und enthauptet wurden:
Für die Freiheit Österreichs gestorben Dein Leben war Kampf, Dein Tod für uns Verpflichtung (Johann Dragosits);
Du starbst, damit Österreich lebt (Hedy Urach, Mtgl. d. ZK d. KPÖ);
Opfer für Österreichs Freiheit (Josef Lengauer);
Er starb für Österreich Mögen die Menschen sein Opfer verstehen (Friedrich Hedrich);
Hingerichtet als Kämpfer für ein freies Österreich (Leopold Harwarth);
Wenn das Weizenkorn in die Erde fällt und stirbt, bringt es viele Früchte (H. G. Heintschel-Heinegg);
Auf dem Weg in den Tod
Die ab Mitte der 1930er-Jahre steigenden Hinrichtungszahlen in Nazideutschland führten dazu, dass nicht nur die Anzahl der Hinrichtungsstätten wuchs, sondern man auch bemüht war, die Effizienz des Hinrichtungsvorganges zu steigern. Zogen früher die Scharfrichter noch mit ihrem Handbeil im Koffer zu den zum Tode verurteilten, um diese am Ort der Inhaftierung zu köpfen, machten die steigenden Zahlen es notwendig, mit fix installierten Geräten zu garantieren, dass komplikationslos Mehrfachhinrichtungen durchgeführt werden konnten. Das erbrachte nach einigen Versuchen und technischen Verbesserungen nur die Guillotine, die in Deutschland als Fallbeilgerät, kurz F-Gerät, firmierte. Mit ihr konnte ein Team aus einem Scharfrichter und drei Gesellen im Zwei-Minutentakt Hinrichtungen vollziehen.
Bis 1944 gab es in Nazideutschland (einschließlich Ostpreußens und der besetzten Tschechoslowakei) elf Hinrichtungsbezirke mit 17 Hinrichtungsstätten, zwei in Österreich: Wien und seit dem Spätsommer 1943 Graz. Das F-Gerät für Wien wurde im Zuchthaus Berlin-Tegel hergestellt und war ab 23. November 1938 einsatzbereit.
Nachdem im Prozess das Todesurteil ausgesprochen worden war, kamen die Häftlinge in Wien nicht mehr in ihre bisherigen Zellen in den Stockwerken des Landesgerichts, sondern vom Verhandlungsort (unmittelbar) in die Todeszellen auch Köpflerzellen genannt , die sich im Parterretrakt (E-Trakt) des LG I befanden.
Ignaz Kühmayer beschreibt das sehr detailreich: Die Stiege des E-Traktes, die ich am Morgen herabgeführt worden war, durfte ich nicht mehr hinaufgehen. Mit den zwei anderen Verurteilten musste ich unten bleiben, in dem für die Todeskandidaten bestimmten Parterretrakt. () In dem schmutzigen, kalten Flur, in den nur durch das Glasdach von oben herab fahlgrünes Licht fiel, nahmen sie uns die Ketten ab und beraubten uns sämtlicher Kleider. () Alsdann Leibesvisitation, als müssten an uns die Gebeine gezählt werden. Eine alte Hose und ein Rock aus grobem Zeug, ein Paar irgendwie passende Holzschuhe und zwei Kotzen wurden jedem zugeworfen: Der Köpfler war fertig. Die letzte Armut war hereingebrochen über mich, aber mit ihr auch, was ich am Anfang noch nicht begriff, die letzte die Freiheit. Wir stolperten mit unseren klobigen Schuhen dem Wächter nach in die nächste leere Zelle.
Stand das Datum der Hinrichtung fest, wurden die Todeskandidaten aus den Zellen abgeholt und in die Armensüderzellen gebracht, die sich gegenüber dem Hinrichtungsraum befanden.
Dies geschah ab Juli 1942 um etwa 10Uhrvormittags. Bis dahin passierte das am Abend.
Was da genau passierte, konnte kein Todeskandidat wissen, denn niemand kehrte von dem Weg in die Armensünderzelle zurück mit einer Ausnahme: Hanns Georg Heintschel-Heinegg konnte seinen Zellengenossen mitteilen, was da vor sich ging, denn völlig überraschend, und in den Jahren der Hinrichtungen im LGI einmalig, wurde er aus der Armensünderzelle wieder in die Todeszelle zurückgebracht.
Ignaz Kühmayer schildert Heintschel-Heineggs Erzählung nach seiner Rückkehr: Wenn man aus der Zelle tritt, packen einen sogleich zwei Wächter, die schon hinter der Tür passen, und legen einen Rebschlingen um die Handgelenke. Die Schuhe muss man ausziehen, dann geht es im Eilschritt über einen langen Gang, an dessen Ende man zunächst vollständig entkleidet und genauestens visitiert wird und einen anderen Rock, ebenso eine Hose und Pantoffeln, zugleich auch Ketten an die Füße bekommt. Hierauf werden je sechs bis acht Mann in die eigentliche Armensünderzellen gesperrt () Leere Zellen mit einem Tisch und ein paar Bänken. () Wenn alle Opfer umgezogen sind, erfolgt einzeln die Vorführung zum Vorsitzenden der Vollstreckungskommission, der jedem mitteilt, dass der Justizminister keinen Anlass gefunden habe, vom Begnadigungsrecht Gebrauch zu machen und dass die Vollstreckung der Urteils um sechsUhrabends stattfinde. Dann erhält jeder noch zehn Zigaretten, ein Blatt Papier und einen Bleistift, um einen Abschiedsbrief zu schreiben.
Um 18 Uhr begannen die Hinrichtungen. Einzeln wurden die Verurteilten aus der Armesünderzelle durch eine schwarze Türe in einen Raum geführt, in welchem der so genannte Volksgerichtshof hinter einem Tisch sitzend den Verurteilten erwartete. Hans Rieger beschreibt den Vorgang in seinem Buch Das Urteil wird jetzt vollstreckt:
Der Vorsitzende: Wie heißen Sie?
Der am Rücken Gefesselte nennt seinen Namen.
Der Vorsitzende: Sie wurden wegen Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt. Eine Begnadigung ist nicht erfolgt. Das Urteil wird jetzt vollstreckt.
Der letzte Satz war das Stichwort. Von hinten legte sich eine Hand über die Augen des Opfers, links und rechts packten kräftige Hände zu, im Laufschritt ging es nach schneller Beiseiteschiebung eines Vorhangs durch eine offene Tür in einen waschküchenähnlichen Raum, und schon hallte durch das Gerichtszimmer und weithin durch den Korridor des Armensündertraktes der dumpfe Aufschlag des niedersausenden Fallbeils.
Als am 10. November 1942 17 Verurteilte, darunter der 65-jährige Kommunist Paul Antl, die 30-jährige Antonia Mück, die kommunistischen Widerstandskämpfer Andreas Morth, Johann Kapovits, Leopold Fischer, Ferdinand Böhm, Johann Hojdn, Franz Mittendorfer, Anton Schädler, Alfred Svobodnik u.a. auf ihre Hinrichtung warteten, sagte Svobodnik, als das Dröhnen des Fallbeils durch den Korridor hallte: Man hört sie direkt sterben.
Protokolle der Hinrichtungen, die der Staatsanwalt an den ORA nach Berlin senden musste, geben den Zeitraum zwischen Urteilsverkündung und Hinrichtung in Sekunden an.
Die ersten Todesurteile und Hinrichtungen gegen Österreicher erfolgten in Berlin
Mit der verschärften Verfolgung der Gegner des NS-Regimes, die mit dem Überfall auf die Sowjetunion einherging (22.6.1941), war ein drastischer Anstieg der Verhängung von Todesurteilen gegen führende FunktionärInnen des Widerstands verbunden. Sie gehörten zu jenen, die von der zweiten Verhaftungswelle der Gestapo Ende 1939, Anfang 1940 betroffen waren.
Der erste politische Prozess gegen einen führenden Funktionär, der mit einem Todesurteil endete, war der gegen den Steirer Anton Buchalka, dem Kopf einer kommunistischen Widerstandsgruppe in Kapfenberg. Der Prozess fand in Berlin statt und endete am 12.2.1941 mit dem Todesurteil. Fünf Monate später, am 10.7.1941, wurde Buchalka in Berlin-Plötzensee geköpft.
Am 11.6.1941 endete der Prozess gegen den führenden Funktionär der Wiener KPÖ Eduard Jaroslavsky, ebenfalls in Berlin, mit dem Todesurteil. Auch er wurde am 16.9.1941 in Berlin-Plötzensee geköpft.
Die Hinrichtung von Politischen im LGI
Der nächste politische Prozess gegen Österreicher wurde ebenfalls vom RKG durchgeführt und betraf Mitglieder einer kommunistischen Widerstandsgruppe von Eisenbahnern, die wegen Sabotage des Eisenbahnbetriebes angeklagt und wegen Vorbereitung zu Hochverrat und Feindbegünstigung am 25.4.1942 in Klagenfurt zum Tode verurteilt worden waren.
Anfang Mai 1942 wurden Ludwig Höfernig, Max Zitter, Anton Waste, Johann König, Karl Zimmermann, Peter Schlömmer, Josef Straubinger, Michael Essmann u. Richard Götzinger ins LGI gebracht, und, als die ersten Politischen, in den Morgenstunden des 30.6.1942 geköpft. Kurz danach wurde der Hinrichtungszeitpunkt in die Abendstunden verlegt.
Am 25.8.1942 wurde dann der steirische KPÖ-Funktionär Josef Neuhold hingerichtet. Es folgte die Hinrichtung von Emil Fey (11.9.1942), und Ende September (30.9.) die Hinrichtung der kommunistischen Widerstandskämpfer aus Krems: Johann Hoffmann, Franz Strasser (Mitglied des ZK der KPÖ) und Franz Zeller, des Nationalkommunisten Franz Hager, und der steirischen Widerstandskämpfern Johann Jandl, Albin Kaiser, Karl Kilzer und Josef Ganzger, die der kommunistischen Widerstandsgruppe im Raum Fohnsdorf, Voitsberg und Köflach angehörten.
Auch die am 7.10.1942 in Wien durchgeführte Massenhinrichtung betraf Steirer, nämlich Karl Drews, Dr. Franz Weiß, Julius Gellinek, Franz Krepek, Franz Pajk, Viktor Suppan. Johann Tripolt und Johann Unger, die unter dem Fallbeil starben.
Einen Monat später, am 10.11.1942, wurden 13 Wiener Kommunisten hingerichtet: Alfred Goldhammer, Johann Hojdn, Franz Mittendorfer, Antonia Mück, Franz Pfeiffer, Max Schädler, Franz Stelzel, Alfred Svobodnik, Ferdinand Böhm. Leopold Fischer, Johann Hagen, Jakob Kapovits und der ehemalige Ottakringer Bezirksrat der KPÖ Paul Antel.
Die Kommunistin Antonia Mück war die erste Österreicherin, die aus politischen Gründen in Österreich hingerichtet wurde. Etwa 70 österreichische Widerstandskämpferinnen starben unter dem Fallbeil.
Die erste große Gruppe niederösterreichischer Widerstandskämpfer wurde dann am 15.11.1942 hingerichtet. Bis zum Jahresende 1942 wurden noch über 30 WiderstandskämpferInnen geköpft; neben Wienern waren es Steirer und Burgenländer. Zu Jahresbeginn 1943 (15.1.) wurden die Mitglieder der kommunistischen Widerstandsgruppe bei der Eisenbahn im Raume St.Pölten, sowie der Landesleiter der KPÖ Niederösterreich, Johann Ebner und Alfred Steindl (26.2.1943) geköpft.
Am 22. März 1945 starben die letzten Widerstandskämpfer unter dem Fallbeil im LG I darunter die dem katholischen Lager angehörenden Hermann Kleppel, der kath. Priester Heinrich Maier, Ernst Ortner und Wenzel Primosch.
Die heranrückende Rote Armee veranlasste die NS-Juristen und ihre Handlanger Wien zu verlassen. Die noch nicht hingerichteten Todeskandidaten nahm man mit, als man sich auf den Weg in Richtung KZ Mauthausen machte. In Krems wurden dann die letzten exekutiert, bevor sich die Täter in Zivilkleidern nach Westen absetzten.
Willi Weinert
Mich könnt ihr löschen, aber nicht das Feuer
Biografien der im Wiener Landesgericht hingerichteten WiderstandskämpferInnen
Ein Führer durch die Gruppe 40 am Wiener Zentralfriedhof und zu Opfergräbern auf Wiens Friedhöfen
3. verb. u. erw. Auflage;
352 Seiten; über 750 Fotos u. Abb. (z.T. farbig)
ISBN: 978-3-9502478-2-4
Wiener Stern-Verlag
Wien 2011
Preis: Euro 24.
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