Donnerstag, 26. April 2018

Wie sich eine kleine linke Oppositionspartei Gehör verschafft - Eine Momentaufnahme aus Tansania

Tansania und dessen Präsident machen derzeit international Schlagzeilen – weil Autoritarismus und Populismus neue, zunehmend bedenkliche Ausmaße annehmen. Dies zeigt sich unter anderem in der Zahl von Menschenrechtsver­letzungen und in der fortgesetzten regierungsoffiziellen Diffamierung der politischen Opposition, deren möglichst weitgehende Ausschaltung offensichtlich angestrebt wird.
Die Zuspitzung der politischen Lage ist jedoch weder ohne eine Betrachtung der historischen Zusammenhänge noch der aktuellen Entwicklungen in der Region zu verstehen. Sie ist das Produkt eines sich seit 1995 vollziehenden Kurswechsels in der wirtschaftspolitischen Strategie, in deren Zentrum ein auf Rohstoffexport basiertes Entwicklungsmodell steht (Mkapanomics – benannt nach Benjamin Mkapa, tansanischer Präsident von 1995 bis 2005). Diese „extraktivistische“ Strategie ist offensichtlich in eine Sackgasse geraten. Sie hat zwar in der Vergangenheit zuverlässig zur Bereicherung einer kleinen Wirtschafts- und Parteielite geführt, für die übergroße Bevölkerungsmehrheit hat sie jedoch kaum spür­bare Verbesserungen gebracht. Unter den Bedingungen anhaltend niedriger Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt ist diese einseitig exportorientierte Strukturanpassungsstrategie zunehmend weniger in der Lage, die Bereicherungser­wartungen der Eliten zu erfüllen. Infolge dessen findet zunehmend eine Verlagerung finanz-wirtschaftlicher Netzwerke ins Zentrum politischer Macht – in Parteien und vor allem in die Regierung – statt. „Politisches Kapital“ bzw. die „Verwer­tung der Staatsmacht“ rückt in den Fokus elitärer Interessen. Dies hat eine tiefgreifende Veränderung des politischen Raumes zur Folge, was sich wiederum auf jede und jeden wie auch auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens auswirkt. Werte und Prinzipien, politische Positionen oder Programme – all dies verliert an Bindekraft; es sind vielmehr die kurzfristigen und kurzsichtigen politischen Entscheidungen, die nicht selten von eigennützigen Interessen getrieben werden, die die Alltagspolitik bestimmen. Allgegenwärtige Entwicklungsherausforderungen werden ignoriert bzw. verdrängt – die öffentliche Hand zieht sich aus der Bereitstellung öffentlicher Güter zurück, die Förderung der Landwirt­schaft als dem Haupterwerbszweig der Bevölkerung verliert politisch an Bedeutung und Unterstützung; eine sich beschleunigende Urbanisierung bleibt unreguliert, die Informalisierung der Wirtschaft galoppiert; schließlich wächst die Unzufriedenheit insbesondere unter der Jugend und damit deren Bereitschaft zum radikalen Protest. Das vor einem Vierteljahrhundert eingeführte Mehrparteiensystem bleibt schwach und wird weiter geschwächt, die Demokratisierung staatlicher wie nicht-staatlicher Strukturen wird zurückgenommen, folglich ist eine demokratische Vertiefung von Reformprozessen selbst derzeit faktisch eine Illusion.
Umbrüche im politischen System …
Der Amtsantritt des Präsidenten Dr. John Pombe Magufuli im November 2015 markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der regierenden Partei der Revolution (CCM), die 1977 aus den Parteien TANU (in Tanganjika) und Afro-Shirazi Party (auf Sansibar) hervorgegangen ist. Erstmals musste diese Partei, die auch den Übergang zum Mehr­parteiensystem Anfang der 1990er gut meisterte, bei Wahlen erhebliche Verluste (nur noch 58 Prozent der Stimmen) hinnehmen. Damit schrumpft auch der finanzielle Spielraum der Partei und es zeichnet sich die reale „Bedrohung“ ab, dass aus einer freien und fairen Wahl die bisherige Opposition als Sieger hervorgehen könnte. Die Oppositionspartei Partei der Demokratie (Chadema) erzielte ihr bislang stärkstes Ergebnis (mit 40 Prozent der Stimmen), ohne dabei besondere programmatische Finesse entwickeln zu müssen. Chadema gründete ihren Wahlkampf faktisch allein auf die Skandalisierung der Korruptionsfälle in der Regierung und in der CCM.
Angesichts des drohenden Machtverlusts reagiert die herrschende Partei zunehmend repressiv. Anders als die Vor­gängerregierungen, die – vor dem Hintergrund einer bis dahin schwachen und schlecht organisierten Opposition und klaren Mehrheitsverhältnissen – einen eher diskret autoritären Umgang mit konkurrierenden Parteien praktizierten, werden nunmehr keine Mittel scheut, den politischen Raum für die Opposition einzuschränken. Angetreten mit dem Vorsatz, die verkrustete, in Korruption und Machtkämpfe verstrickte Regierungspartei zu reformieren, die Wirtschaft des Landes auf eine solide Basis zu stellen und eine staatlich gelenkte Industrialisierung voranzutreiben, ist die Politik Magufulis zunehmend durch Repressalien sowie eine Stärkung der Überwachungs- und Sicherheitsapparate gekenn­zeichnet. Die Folge sind massive Einschränkungen der Meinungsfreiheit, politischen Arbeit generell sowie zunehmende Willkür und Rechtsunsicherheit. Die Ermordung und Verschleppung von Menschen, insbesondere solchen, die Chadema oder in ihrem Umfeld zugehörig sind, wie auch kritischer Journalisten schaffen eine Atmosphäre von Furcht, Selbst­zensur und Verunsicherung. In aller Regel bleiben diese Verbrechen unaufgeklärt.
Zweifellos, Präsident Magufuli polarisiert. Seit seinem Amtsantritt wird ihm einerseits die Rolle eines Anti-Korruptions­champions im öffentlichen wie privaten Sektor zugeschrieben. Er stellt sich, wenngleich populistisch und intransparent, gegen Betrugspraktiken transnationaler Unternehmen, kämpft um Effizienzsteigerungen in der öffentlichen Verwal­tung, versucht der fehlgeleiteten Privatisierung von vormals genossenschaftlich organisierten Staatsunternehmen etwas entgegen zu setzen, schafft neue Plattformen des Dialoges zwischen öffentlichem und privatem Sektor und sucht die wirtschaftlichen Aktivitäten, auch die ausländischer Investoren, in Bahnen zu lenken, die der nationalen Entwick­lungsagenda dienen. Jüngst hat er eine Untersuchungskommission eingesetzt, die Machtmissbrauch und Bereicherung innerhalb der Regierungspartei untersuchen soll. Andererseits, jedoch, greift er willkürlich und massiv in verschiedenste Ressorts ein, macht an Regierung und Parlament vorbei exzessiven Gebrauch von Präsidialverordnungen, duldet keine Kritik, ist äußerst misstrauisch, unterminiert die Unabhängigkeit der Justiz und setzt institutionelle Kontrollmecha­nismen außer Kraft.
Das im Juni 2016 auf unbegrenzte Zeit verhängte Versammlungsverbot erschwert der Opposition die im Wahlkampf 2015 erfolgreich etablierte politische Zusammenarbeit, die Vergrößerung der Mitgliedschaft, die Organisation von Orts­gruppen oder die Netzwerkbildung. Die bisherige Strategie der Opposition basierte in erster Linie auf öffentlichen Kund­gebungen und Demonstrationen sowie der Organisation internationaler Unterstützung. Diese Konzepte sind heute mehr oder weniger wirkungslos.
Der Wahlerfolg Chademas 2015 ist freilich nicht ohne den Übertritt hochrangiger Führungspersonen zu denken, die die CCM verlassen haben. Derartige Aus- und Übertritte sind nicht neu. Sie haben bislang meist im Vorfeld bzw. im Zuge von Wahlkämpfen stattgefunden. In den letzten Monaten kam es zu Übertritten in die eine oder andere Richtung, die nicht im Zusammenhang mit anstehenden Wahlen standen. Inwieweit Opportunismus, Überredung, Erpressung, Be­stechung, Bedrohung im Spiel waren und sind, lässt sich schwer ausmachen. Was auch immer das ausschlaggebende Moment für die eine oder andere individuelle Entscheidung gewesen sein mag, diese Vorgänge zeigen insgesamt schlagend auf, wie schwach das ideologische Fundament, die Bindungskraft von Parteien ist und wie es um die Glaubwürdigkeit politischer Führungspersönlichkeiten bestellt ist.
… und die Partei ACT Wazalendo
Die im Mai 2014 neu gegründete Partei Allianz für Veränderung und Transparenz (Alliance for Change and Transparency oder ACT Wazalendo – im folgenden ACT) überraschte bei den Wahlen 2015 durch die breite Zustimmung zu ihrem Programm gerade unter der ländlichen Jugend und unter jungen Schul- und Hochschulabsolventen, dem Wahlsieg im Wahlkreis Kigoma, sowie durch die Aufstellung einer Präsidentschaftskandidatin. ACT ist unter den Oppositionsparteien diejenige, die sich um ein Parteiprogramm bemüht, das sich als Weiterentwicklung der unter dem ersten Präsidenten Tansanias, Julius Nyerere, entwickelten sozialistischen Entwicklungsagenda versteht. In acht Regionen des Landes stellt die Partei 42 Gemeinderät*innen. Sie ist mit einem Abgeordneten (Zitto Kabwe) im Parlament vertreten.
ACT sieht sich als explizit ideologisch-basierte Partei mit einer Reihe von Beschädigungen konfrontiert. Da ist zunächst die ideologische Konfusion. Insbesondere schadet ACT die zum Teil offen zur Schau gestellte ideologische Nähe zur Regierungspartei. Verstärkt wurde der Eindruck, eine Art „CCM-B“ zu sein, durch die Berufung des ACT Chef-Ideologen Prof. Kitila zum Staatssekretär im Ministerium für Wasser und Bewässerung Mitte 2017 sowie kurz darauf der Berufung der ACT Präsidentschaftskandidatin Anna Mghwira zur Verwaltungschefin (Gouverneur) der Region Kilimanjaro. Auch führte der mitunter in der Öffentlichkeit wahrgenommene Schulterschluss zu Parteien, die dem größten Oppositions­bündnis UKAWA zugehörig sind (darunter Chadema als größter Oppositionspartei), zu Verwirrung und auch zu Spekula­tionen über eine Aufweichung ideologischer Positionen, zu Gerüchten über mögliche Fusionen sowie über die persön­liche Agenda ihrer Spitzenfigur, Zitto Kabwe.
Trotz aller Widersprüche und Hindernisse, wie die der Aushöhlung der intellektuellen Kapazität der Partei, hat sich ACT jüngst mit Vorschlägen zu einer Kurskorrektur der politischen Agenda an die Regierung gewandt. Kabwe und zwei seiner Mitarbeiter bereisten alle Gemeinden, in denen seine Partei seit 2015 Regierungsverantwortung übernommen hat. Im Rahmen eines Mediengespräches berichtete er über die Ergebnisse seiner Reise. Die vor Ort gewonnenen Einsichten sind ernüchternd. Dringende Kurskorrekturen im Regierungshandeln sind offenbar unumgänglich, um die Folgen von zwei Jahrzehnten neo-liberaler Regierungspolitik zu überwinden. Im Kern forderte Kabwe von der Regierung, zunächst die Belange der Menschen in den Blick zu nehmen, und sich erst danach auf große Infrastrukturprojekte zu konzen­trieren. Insbesondere bezog er sich auf Ergebnisse von Untersuchungen des tansanischen ThinkTanks Repoa sowie des Afrobarometers, wonach absolute Armut und Ernährungsunsicherheit in Tansania gegenüber 2014 zugenommen haben und problematisierte die vielfältigen Ursachen für Hunger und Unterernährung, wie sinkende Rohstoffpreise, das System des Zwischenhandels, wirtschaftliche Stagnation und fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten, mangelnder Zu­gang zu sauberem Wasser oder zur Gesundheitsversorgung, sowie die Folgen von Landkonflikten, wie sie zwischen der ansässigen Bevölkerung und Investoren an der Tagesordnung sind. Darüber hinaus empfahl er der Regierung eine kriti­sche Begutachtung der Verteilung öffentlicher Mittel zwischen Stadt und Land, sowie dafür Sorge zu tragen, dass Rechtsvorschriften, wie der Beteiligung aller Gemeinderäte – auch die der Opposition – an Budgetentscheidungen umgesetzt werden. Kabwe kündigte zudem an, seine Bewertung der Situation auf dem Lande bei den anstehenden Budgetverhandlungen im Parlament diskutieren zu wollen. Bezüglich der öffentlichen Sicherheit empfahl er der Re­gierung eine unabhängige Untersuchungskommission zur Aufklärung von Morden und Verschleppungen einzurichten.
Seine Tour und die Vielzahl an Gesprächen blieben nicht unbemerkt. Kabwe und seinen Mitarbeitern wurde hohe Polizeipräsenz zuteil. Mittlerweile strengt er vor Gericht ein Verfahren gegen eine unrechtmäßige Inhaftierung durch die Polizei über eine Nacht und darauf folgender Entlassung auf Kaution an. Einschüchterung durch Polizei ist genauso wie Machtmissbrauch durch Verwaltungsbeamte auf lokaler Ebene gegenüber der Bevölkerung wie gegenüber der politischen Opposition sicherlich kein neues Phänomen. Sie sind derzeit jedoch Teil eines gezielten Vorgehens gegen die Versuche von ACT ein eigenes Profil zu entwickeln. Es geht darum, die Partei zu beschädigen und ihr möglichst viel Unterstützung zu entziehen. Diesen Gefährdungen zu entgegnen, erfordert von einer kleinen linken Partei die Besin­nung auf eigene Ressourcen und die eigene Organisationsfähigkeit, sei es auf der nationalen oder der lokalen politischen Ebene, sowie die Bereitschaft neue Wege zu gehen. Welche Reaktionen das überraschende, eher beratende, weniger konfrontative sowie öffentlichkeitswirksame Vorgehen seitens der Regierung provozieren wird, bleibt abzuwarten.
Die Debatten um die Ergebnisse dieses interessanten und mutigen Versuchs Politik mit Empirie zu untermauern und die daraus erwachsenden Empfehlungen an die Regierung zeigen aber auch, dass kritische, auf Veränderung zielende Diskussionen in Tansania nach wie vor geführt werden können und dass Räume, für solche Diskussionen nach wie vor offen sind. Das steht in auffälligem Widerspruch zu einer internationalen Medienkampagne, die sich derzeit offenbar darauf eingeschworen hat, Präsident Magufuli pauschal als brutalen Diktator zu denunzieren.

Dorothee Braun ist Leiterin des Regionalbüros Ostafrika der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Daressalam.
Arndt Hopfmann ist Referent für Ost- und Westafrika im Afrika-Referat der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin.

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