Montag, 12. Juni 2017

Vor Sonnenaufgang (Monika Köhler)


Sonnenuntergang. Alles brennt, der Himmel, das Wasser. Die Sonne wie eine Explosion, das Hineinsehen blendet. In der Mitte ein Auge, grün. Eine düstere Brücke durchzieht das Gemälde. Der Mensch winzig, ein Fischer vielleicht, läuft weg. Das Bild hängt in Hamburg in der neuen Ausstellung des Bucerius Kunst Forums: »Max Pechstein. Künstler der Moderne« (bis 3. September). Das Gemälde schuf er 1921, da war er schon berühmt. Viele ähnliche Landschaftsbilder entstanden in den 20er Jahren an der Ostseeküste Hinterpommerns um die Orte Leba und Rowe herum. Hierhin zog er sich zurück in die paradiesische Einsamkeit, um sich in Ruhe der Natur zu widmen. Da stört ein Malerkollege wie Karl Schmidt-Rottluff, der in »seiner« Gegend auftaucht. So beschwerte sich Pechstein in einem Brief an George Grosz 1924. Beide verband die Liebe zur Ostsee.

Die »Aufgehende Sonne« (von 1933) strahlt über der Berglandschaft, über Kiefern, nichts Geheimnisvolles, nur Freude, endlich Licht. Sehr realistisch – der Expressionismus verschwunden. Dieses Bild ist nicht in Hamburg zu sehen. Denn die ausgestellte »Schaffensperiode« endet 1932.

Aber Pechstein lebte bis 1955. Geboren wurde er 1881 in Zwickau, in einfachen Verhältnissen. Sein Talent bringt ihn in jungen Jahren an die Königliche Kunstakademie in Dresden. 1906 tritt er der Künstlergemeinschaft »Brücke« bei, die ihn bekannt macht. Ein Preis ermöglicht es ihm zu reisen, nach Italien und Paris. Dort entdeckt er die Farbe, van Gogh und Gauguin. Hier erst sei er »sehend« geworden, schrieb er. Das Licht, das Malen in der Natur, das freie Leben, Pechstein und seine Malerkollegen finden es an den Moritzburger Teichen bei Dresden. Aufregend die ungezwungene Nacktheit, die sich in den Bildern widerspiegelt und die »Brücke«-Maler bekannt macht. Das Gemälde »Liegender Rückenakt« (1911) mit Katze und Pantoffeln am Bettrand – eine Rot-Grün-Vermählung. Später ziehen die »Brücke«-Künstler nach Berlin: Tanz, nicht in der Natur – das Nachtleben, Varietés, Zirkus – sie wählen diese andere Freiheit. Doch Max Pechstein träumt immer vom Paradies in der Natur. Ihm genügt die sächsische Wildnis der Teiche nicht mehr, er flüchtet weit weg an die Kurische Nehrung der Ostsee, in den Fischerort Nidden. Dünen, das Meer, kaum ein Mensch. Mit Charlotte Kaprolat, die er 1911 heiratet, verbringt er dort viele Sommer dort. Sie wird sein Modell. Mit der »Brücke«-Gruppe gab es Ärger, der bis zum Ausschluss Pechsteins 1912 führte. Er hatte – regelwidrig – einzeln, nicht zusammen mit den Kollegen ausgestellt. Kein paradiesisches Miteinander, sondern Streit.

Um dem zu entfliehen oder um dem Trend: Zurück zur Natur – zu folgen, plante Pechstein eine Südseereise zu den Palau-Inseln. Anfang Mai 1914 bricht er mit Lotte und 40 Kisten auf in sein Traumland, die deutsche Kolonie. Angeregt wohl auch von Paul Gauguin und von Emil Nolde, der schon 1913 eine vom Berliner Reichskolonialamt organisierte Reise nach Neuguinea angetreten hatte. Auch auf der Suche nach »ganz von jeder Zivilisation unberührten Erstheiten der Natur«. Fast alles, was Pechstein auf den Palau-Inseln malte, ging verloren – auch Tagebücher. Am 8. Oktober, nachdem Japan Deutschland den Krieg erklärt hatte, wurden die Pechsteins gefangen genommen und nach Nagasaki gebracht. Ein Jahr später kehrten sie nach Deutschland zurück, über viele Umwege. Es entstanden neue Bilder von diesem Garten Eden, verklärt, aus der Erinnerung gemalt, meist im Jahr 1917. In seinem Paradies hatten deutsche Kolonialbeamte keinen Platz. Seltsam starr wirken diese Gemälde. So der »Götze« (1917). Pechstein wurde nach seiner Rückkehr eingezogen, kam 1916 nach Frankreich in die Nähe von Lille. Etwas aus dieser Zeit ist in Hamburg ausgestellt, ein Gruß an Freunde zu Weihnachten 1916, ein Holzschnitt und Aquarell: sein kleiner Sohn Frank neben dem Weihnachtsbaum, allerdings keine Bleisoldaten. Ein Gemälde aus dem gleichen Jahr: »Junge mit Spielzeug«. Da hockt ein Knabe in Dunkelblau mit gekreuzten Armen, umgeben von kleinen Häusern, Tieren. Seine Stirntolle lässt ihn japanisch erscheinen. Ein kleiner Pascha.

Umbruch in Deutschland. Novemberrevolution. Nicht im Hamburger Katalog. Da fährt Pechstein wie gewohnt an die Ostsee, malt Sonnenuntergänge, lernt eine neue Frau kennen, die er – nach Scheidung von Lotte – 1923 heiratet.

Was aber geschah 1918/1919? Dass Max Pechstein der Initiator der »Novembergruppe« war, der anfangs auch George Grosz angehörte – nichts davon in der Ausstellung, nichts im Katalog, auch nichts in der Kurzbiografie für die Presse. Nichts über sein Engagement für den Arbeitsrat für Kunst und nichts über Pechsteins Poster und Illustrationen für die Zeitschrift An die Laterne – eine sozialdemokratische Einrichtung, die sich gegen den Spartakusbund richtete.

1928 erhält Pechstein den Preußischen Staatspreis. Selbstporträts während der NS-Zeit? Gibt es nicht. Katalog: »Es scheint, als habe er sich wie sein Kollege [Schmidt-Rottluff] als Künstler aus seiner Bildwelt in die innere Emigration zurückgezogen.« Doch sind »an Land gezogene Boote in düsteren Landschaften, sich aufbäumende Wolkenungetüme« widerständig? Auch als 1933 viele Künstler aus Protest die Preußische Akademie der Künste verlassen (Max Liebermann, Thomas Mann, Alfred Döblin) – Pechstein bleibt bis zuletzt. Er macht sich unsichtbar, an der Ostsee in Hinterpommern. Viele seiner Bilder werden in der Ausstellung »Entartete Kunst« gezeigt und über 300 aus deutschen Sammlungen Museen entfernt. 1937 wird er aus der Akademie ausgeschlossen – kann aber noch hin und wieder ausstellen. Im selben Jahr glaubt er in einem Brief an seine Schwester Gertrud: »Ein Glück, dass das Militär selbst keinen Krieg will.«

Nach dem – nicht gewollten – Krieg wird er in Berlin Professor an der neu gegründeten Hochschule für Bildende Kunst. 1952 erhält er das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland – als erster Maler. 1955 stirbt er.

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