Montag, 8. Oktober 2012

Zum sprachlichen und anderen Sadismus in einer bekannten Tageszeitung

Ein Leserbrief von Dieter Neuhaus an die FAZ Auf Kommunisten-online am 8. Oktober 2012 – Am 22. September 2012 druckte die FAZ im Feuilleton die Dankesrede von Frank Schirrmacher anlässlich der Verleihung der Josef-Neuberger-Medaille durch die Jüdische Gemeinde Düsseldorf ab. Überschrift: „Den Schmerz verdoppeln. Anmerkungen zum sprachlichen Sadismus“. Schirrmacher ist einer der fünf Herausgeber der FAZ, verantwortlich für das Feuilleton. In seiner Dankesrede beschuldigt Schirrmacher den Nobelpreisträger Günter Grass, mit seinem Gedicht „Was gesagt werden muss“, eines der „perfidesten Gedichte deutscher Sprache“ geschrieben zu haben. Schon im zweiten Satz schreibt Schirrmacher, Grass habe „die Juden“ zur Gefahr erklärt. Wie der FAZ-Herausgeber zu dieser Behauptung kommt, bleibt schleierhaft, denn in seinem Gedicht erwähnt Grass „die Juden“ nicht ein einziges Mal. Er schreibt einzig und allein über den Staat und die Atommacht Israel, die den Weltfrieden bedrohe, und vom Staat Israel als dem „Verursacher der erkennbaren Gefahr“. Damit bezieht Grass sich auf die angekündigte und bis in die jüngste Zeit wiederholte israelische Angriffsdrohung auf den Iran und seine Atomanlagen. Grass schreibt in seinem Gedicht von seinem Land, Deutschland, und dessen „ureigenen Verbrechen (an den Juden), die ohne Vergleich sind“. Weiterhin unterstellt Schirrmacher Grass allen Ernstes, mit seinem Gedicht sich selbst und die deutsche Geschichte von jeder Schuld an der Vernichtung der Juden freisprechen zu wollen und vielmehr die Juden und Israel von Opfern zu Tätern machen zu wollen. Auf diese, äußerst unredliche, Weise verkehrt Schirrmacher die Kernaussagen des Grass’schen Gedichts in ihr Gegenteil. Schirrmachers Vorwurf an Grass, er arbeite in seinem Gedicht von bewusster „Inversion“, also einer Umkehrung (von Schirrmacher auch als „sprachliche Demagogie“ und „sprachlicher Sadismus“ bezeichnet) trifft also eher auf den FAZ-Herausgeber selbst zu. Der Vorwurf an Schirrmacher lässt sich auch in einfachen Worten ausdrücken: Er dreht Grass das Wort im Munde um. Ob Schirrmacher selbst an seine Behauptungen und Vorwürfe an Grass glaubt? Ob er mit seinen Sätzen zu Grass unredliche Zugeständnisse an die Erwartungen seiner, ihn durch die Preisverleihung ehrenden Zuhörerschaft machen will? Schirrmacher beendet die Dankesrede an die Jüdische Gemeinde Düsseldorf mit seiner Erkenntnis: Das Maß des Schmerzes, den Deutsche Juden zugefügt haben, sei „zu groß, als dass man auch nur ein falsches Wort vertragen könnte“. Was will er damit sagen, und was bedeutet der Satz für das von ihm verantwortete Feuilleton der FAZ? Dass Deutsche den Juden unermesslich großen Schmerz zugefügt haben, ist eine entsetzliche Tatsache, aus der diesem Land eine große und dauerhafte Verantwortung erwachsen ist. Was aber meint Schirrmacher mit „falschem Wort“? Ihm geht es offenkundig darum, den Staat Israel gegen Vorwürfe in Schutz zu nehmen, auch dort, wo scharfe Kritik an seinem Verhalten geboten ist und auch vielfältig geübt wird. Ist Schirrmacher nicht klar, dass Israels seit vielen Jahren andauerndes Vorgehen gegen die Palästinenser nicht nur dem Ansehen dieses „jüdischen Staates“ schadet, sondern auch und gerade dem Ansehen des Judentums, in Deutschland und weltweit? Viele angesehene Juden in Deutschland und weltweit könnten an der Gewalttätigkeit, oft Brutalität und Missachtung der Menschenrechte und oft genug des Völkerrechts des Staates Israel verzweifeln. Welche Vorwürfe sind dem Staat Israel zu machen, wenn es um die Palästinenser geht? Einen ersten Einblick vermittelt die FAZ selbst immer wieder in ihrem politischen Teil. Die Vereinten Nationen bieten eine große Fülle an Schilderungen, die dem Nicht-Wissenden weiterhelfen. Einige der Vorwürfe gegen den Staat Israel (und nicht gegen „die Juden“): -Das Kernübel: Israel ist ein Staat, der das Land der Palästinenser militärisch besetzt hält und ignoriert seit Jahrzehnten alle Beschlüsse der Vereinten Nationen, die Besatzung aufzugeben. Die Annexion z.B. von Jerusalem durch Israel war ebenfalls völkerrechtswidrig und wird von der Weltgemeinschaft nicht anerkannt. -Die israelische Armee macht sich immer wieder erschreckend großer Gewalt und Grausamkeit gegenüber den Bewohnern der palästinensischen Gebiete schuldig. Die Vergehen bleiben in den allermeisten Fällen ungeahndet, auch wenn sie von israelischen und anderen Menschenrechtlern eindeutig dokumentiert sind. -Israels Regierung besiedelt völkerrechtswidrig palästinensisches Land mit dem Ziel, die palästinensischen Bewohner zu vertreiben. Stichwort: Ethnische „Säuberung“ durch Israel mit dem Ziel, ein jüdisches Groß-Israel errichten zu können. -Israels Regierung äußert immer wieder extremistische, aggressive Positionen, in denen zu Hass gegen die Palästinenser aufgerufen wird. Gewalttaten von völkerrechtswidrig in den palästinensischen Gebieten siedelnden Juden gegen Palästinenser werden nur in seltensten Fällen von den Besatzungsbehörden verfolgt. -Israel hintertreibt die sog. „Zwei-Staaten-Lösung“, die von der Weltgemeinschaft einen eigenen Staat Palästina an der Seite Israels vorsieht. Es wird sich empfehlen, das Feuilleton der FAZ im Lichte der Positionen zu lesen und zu bewerten, die Schirrmacher als verantwortlicher Redakteur in seinem Text, in seiner Dankesrede an die Jüdische Gemeinde Düsseldorf ausdrückt. In der Rückschau verwundert es nicht mehr, dass das Feuilleton der FAZ immer wieder Texte von Gunnar Heinsohn mit extremen araberfeindlichen Inhalten oder auch Nekla Kelek veröffentlicht hat. Der Begriff des „sprachlichen Sadismus“, von dem Schirrmacher spricht, wenn es um Grass oder das Urteil eines einzelnen deutschen Gerichts zur Beschneidung geht (Schirrmacher spricht fälschlicherweise von „der deutschen Justiz“), ließe sich also genauso gut für Schirrmachers Text verwenden. Dieter Neuhaus

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