Freitag, 12. Oktober 2012
Werbung für eine sicherheitspolitische Debatte
IMI-Standpunkt 2012/056
De Maizière will mit Hilfe der Wissenschaft Antworten auf „Grenzfragen“
finden, die mit militärischer Gewalt verbunden sind
http://www.imi-online.de/2012/10/12/werbung-fur-eine-sicherheitspolitische-debatte/
(Michael Haid)
Thomas de Maizière (CDU) hielt am 05.09.2012 in Berlin anlässlich einer
Veranstaltung mit dem Titel „Sicherheit gemeinsam gestalten“ des Beirats
für Fragen der Inneren Führung und der Bundesakademie für
Sicherheitspolitik eine Rede, die als ein qualitativ neuer Ansatz in der
Kommunikation mit der Zivilgesellschaft gesehen werden kann. Darin
stellte er fest, dass „die große Mehrheit der Deutschen“[1] sich für
eine Debatte über die gegenwärtige Sicherheitspolitik der
Bundesregierung „einfach nicht zuständig“ fühle. Bei vielen anderen
Themen wie Bildung, Klima, Euro, Steuern oder natürlich Fußball herrsche
ein erheblich größeres Interesse. Eine „sicherheitspolitische Debatte“
werde aber nur von einer „überschaubaren Gruppe“, der „strategischen
Community“, geführt. Nach den Organisatoren der Veranstaltung diente die
Rede als Ansatz dafür, wie ein breiterer Bereich an
zivilgesellschaftlichen Akteuren in diesen Diskurs einzubeziehen und
weshalb diese Einbindung für die Sicherheitspolitik vorteilhaft sei.
Insbesondere wies der Minister in seinem Entwurf der Wissenschaft die
Aufgabe zu, zu „Grenzfragen“ der Anwendung militärischer Gewalt,
ausdrücklich auch unter Einbeziehung von Bundeswehr-kritischen Gruppen,
„Antworten“ zu finden.
„Rentensicherheit wollen alle, Sicherheitspolitik ruft eher wenig
Sympathie hervor“
Der CDU-Politiker brachte die Problematik für sein Haus mit folgendem
Satz anschaulich auf den Punkt: „Rentensicherheit wollen alle,
Sicherheitspolitik ruft eher wenig Sympathie hervor.“ Die Äußerung bezog
sich auf das Verständnis der Bundesregierung von Sicherheit, die unter
dem Stichwort der „erweiterten“ Sicherheit die Aufgabe der Bundeswehr
nicht mehr nur in der Abwehr eines militärischen Angriffs auf
Deutschland sieht, sondern in einer globalen militärischen Präsenz in
aktuell rund ein Dutzend Einsätzen für politische, strategische und
ökonomische Interessen. Zur Verwirklichung dieses Anspruchs müsse die
Bundeswehr „breiter aufgestellt“ werden als früher, die „verfügbaren
Mittel und Instrumente“ dürften „nicht sinken.“ Mutmaßlich dürften damit
einerseits finanzielle Mittel gemeint sein – im Haushaltsjahr 2012
verfügt das Bundesverteidigungsministerium mit Ausgaben in Höhe von
31.87 Mrd. Euro über den drittgrößten Posten im Bundeshaushalt – und
andererseits auch Instrumente, wie beispielsweise die gegenwärtig
geplante Beschaffung von bewaffneten Drohnen, mit denen die
international hoch umstrittenen gezielten Tötungen ausgeführt werden können.
Angesichts einer Situation in Deutschland, in der Millionen Menschen von
staatlichen Sozialleistungen abhängig sind und Altersarmut droht,
dürften Politiker in ihren Wahlkreisen und allgemein in der
Öffentlichkeit unter erhöhtem Rechtfertigungsdruck stehen, weshalb für
2012 zum Beispiel 6.4 Mrd. Euro für Forschung, Entwicklung, Erprobung
und Beschaffung von neuen Waffensystemen ausgegeben werden. De Maizière
betonte ausdrücklich den für die Befürworter der „erweiterten“
Sicherheit wichtigen Zusammenhang von öffentlicher Debatte und
Sicherheitspolitik: „In einer Demokratie kann die Politik diese
Konsequenzen [Verwirklichung einer Sicherheitspolitik im Sinne der
„erweiterten“ Sicherheit, M.H.] dauerhaft nur dann ziehen, wenn sie sich
dabei von einem breiten sicherheitspolitischen Konsens getragen weiß.“
Mit anderen Worten: findet in der Öffentlichkeit keine oder kaum eine
Debatte über Aspekte der „erweiterten“ Sicherheit statt, so könnte
beispielsweise die Anschaffung neuer, insbesondere umstrittener Waffen,
die Entscheidung für in der Bevölkerung unpopuläre Militäreinsätze oder
die Verabschiedung des Verteidigungshaushalts auf einem derart hohen
Niveau deutlich schwieriger zu rechtfertigen sein und in der Konsequenz
könnten dadurch die außenpolitischen Handlungsmöglichkeiten der
Bundesregierung, mit militärischen Mitteln zu agieren, eingeschränkt
werden. So könnte die Entscheidung der Bundesregierung von Herbst 2009,
sich vorerst keine bewaffneten Drohnen anzuschaffen, sondern das
unbewaffnete System Heron 1 zu leasen, auch auf die Einschätzung
zurückzuführen sein, dass für eine solche Beschaffung die Öffentlichkeit
zum damaligen Zeitpunkt nicht das nötige Verständnis gehabt hätte.
Politische Entscheidungen können durchaus nicht unabhängig von
öffentlicher Meinung gefällt werden.
Bundeswehr-Kritik aufgepasst!
Die beschriebene Achillesferse zu schließen, könne nach der Rede des
Bundesverteidigungsministers nur darin liegen, Öffentlichkeit für die
Belange der Bundeswehr herzustellen. Nach ihm müsse es zu einer
„Selbstverständlichkeit“ werden, dass „Institutionen mit einem
gesamtgesellschaftlichen Auftrag“, er nennt beispielhaft die
Gewerkschaften, die Industrieverbände, die Wissenschaft und die Kirchen,
sich regelmäßig zu Fragen der Sicherheitspolitik „öffentlich äußern“ und
eigene „Veranstaltungsformate“ hierzu entwickeln. Explizit warb der
Bundesverteidigungsminister für eine öffentliche Debatte über die
„erweiterte“ Sicherheit unter Einschluss von der Bundeswehr kritisch
gegenüberstehenden Gruppen. Der CDU-Politiker im Wortlaut:
„Öffentlichkeit herzustellen für die Fragen unserer Sicherheit und für
den Dienst der Bundeswehr – darauf kommt es an. Es sollte unser Ziel
sein, mit möglichst vielen gesellschaftlichen Gruppen ins Gespräch zu
kommen und sie für ihre Rolle innerhalb der Sicherheitsvorsorge unseres
Landes zu sensibilisieren. Das schließt auch kritische Stimmen ein. Als
Verteidigungsminister sehe ich meine Aufgabe explizit auch darin, mit
solchen Meinungen in den Austausch zu treten, die der Bundeswehr bisher
stumm oder vornehmlich kritisch gegenüberstehen.“
Die Aufforderung an zivilgesellschaftliche Akteure, mit der Bundeswehr
zusammenzuarbeiten, ist bekanntlich nicht neu; teilweise existieren
Kooperationen in bestimmten Bereichen. Hingegen dürfte es durchaus eine
neue Qualität darstellen, ausdrücklich militärkritische Stimmen in
diesen Diskurs einbeziehen zu wollen. Aus Sicht des
Bundesverteidigungsministeriums gehen die gesellschaftlichen
Institutionen nach wie vor mit dem Militär distanziert um. Eine
flächendeckende und intensive politische und alltägliche Kultur, in der
die Bundeswehr eine traditionelle, ihr fest zugewiesene Rolle spielt,
und prinzipiell Zugang zu einem breiten und vielfältigen Spektrum
gesellschaftlicher Institutionen hat, wie es sich Militärbefürworter
wünschen, existiert in Deutschland in diesem Maße nicht. Es ist deshalb
wünschenswert, dass sich Institutionen und Personen, die sich als
militärkritisch verstehen, auf dieses Kommunikationsangebot seitens des
Bundesverteidigungsministers nicht eingehen und ihre Ablehnung klar nach
außen deutlich machen. Dabei könnte es sich um die Ablehnung von
Beiträgen von Bundeswehrangehörigen und Mitgliedern der „strategischen
Community“ in (wissenschaftlichen) Publikationen von Universitäten,
Forschungseinrichtungen, den Gewerkschaften und Verbänden oder Vereinen
ebenso handeln, wie die Teilnahme an Veranstaltungen der „strategischen
Community“.
Zu „Grenzfragen“, auf die nie „Antworten“ gefunden werden sollten
Ein weiterer wichtiger Punkt, weshalb de Maizière eine öffentliche
Debatte über Sicherheitspolitik anstrebt, formulierte er wie folgt: sie
könne „wichtige Funktionen“ erfüllen, da sie dazu beitragen könne,
„Antworten auf diejenigen Grenzfragen zu finden, die mit der Anwendung
militärischer Gewalt verbunden sind.“ Der Bundesverteidigungsminister
sieht in der „fundierten Aufarbeitung grundsätzlicher Fragen“ ein
„großes Aufgabenfeld für die Wissenschaft“ und betont wiederholt, dass
sein Wunsch nach stärkerer öffentlicher Beteiligung der Wissenschaft
auch „bundeswehrkritische Beiträge“ einschließe. Der Minister zählte in
seiner Rede vier „Grenzfragen“ auf, zu denen er sich von der
Wissenschaft „Antworten“ erwarte: (1) „Wie passen Friedensethik und
internationale sicherheitspolitische Verantwortung zusammen?“, (2) „Wer
ruft denn heute als erster nach militärischen Interventionen?
Intellektuelle oder Soldaten?“, (3) „Was sind Kriterien für die
politische Entscheidung über einen Auslandseinsatz?“ und (4) „Was kommt
zuerst: Der Schutz für die eigenen Soldaten oder die Vermeidung von
Kollateralschäden?“
Abschließend einige Anmerkungen zu den genannten Punkten. Die Aufgabe
der Friedensethik ist die Formulierung von Kriterien für gutes oder
schlechtes Handeln in Bezug auf die Erhaltung oder Schaffung von Frieden
und bewertet die Motive und Folgen von Handlungen in diesem Kontext, wie
der einschlägige Wikipedia-Eintrag uns informiert. Die hier
angesprochene Frage zielt offensichtlich auf die legitimitätsstiftende
Wirkung der Friedensethik für die Rechtfertigung militärischer
Gewaltanwendung durch die Bundesregierung im Ausland ab. Analysten von
historischen und gegenwärtigen Kriegsbegründungen betonen daher immer
wieder Folgendes: „Das Bild des Krieges hat sich in der Geschichte
gewandelt, die rechtliche Situation ist ebenfalls durch grundsätzliche
Veränderungen geprägt. Dennoch ist eines immer gleich geblieben, denn
diejenigen, die zur Gewalt Zuflucht nahmen, haben sich immer wieder
hinter moralischen, religiösen oder rechtlichen Kriegsbegründungen
versteckt, um die riesigen Leiden der Völker zu rechtfertigen.“[2]
In gewisser Weise steht der erste mit dem zweiten und dritten Punkt in
einem Zusammenhang, da sie alle die Frage der Entscheidung über einen
Militäreinsatz berühren. In diesem Rahmen ist auf ein in der jüngeren
Vergangenheit häufiger auftauchendes Phänomen hinzuweisen, nämlich dass
anscheinend die Forderung nach Militärinterventionen mit der Begründung
des Menschenrechtsschutzes in erster Linie von einem Teil der
Zivilgesellschaft erhoben wird, und Politiker und Militärs dabei nicht
im Vordergrund stehen. In einer anderen, kürzlich gehaltenen Rede bei
der Evangelischen Akademie Berlin zum Thema „Wie weit sollen deutsche
Soldaten gehen?“ präzisierte de Maizière seine unter Punkt 2 aufgeführte
Frage: „Ich denke in diesem Kontext an den zuletzt zumeist von
Intellektuellen, nicht von Militärs ausgehenden Ruf nach 'humanitären
Interventionen'. Wir haben das im Libyen-Konflikt erlebt, und wir
erleben es jetzt im Fall Syrien.“[3] Diese Thematik wird unter anderen
auch Gegenstand des am 17./18.11.2012 in Tübingen stattfindenden
IMI-Kongresses „Entdemokratisierung und Krieg - Kriegerische Demokratie“
sein, auf den an dieser Stelle hingewiesen wird.[4]
Die letzte „Grenzfrage“, ob als erstes der Schutz der eingesetzten
Soldaten oder die Vermeidung von Kollateralschäden an Zivilisten komme,
intendiert augenscheinlich einen Tabubruch in der Einhaltung des
humanitären Völkerrechts. Zu diesem, das auch als Kriegsvölkerrecht
bezeichnet wird, ist Deutschland seit seinem Beitritt zu den Genfer
Abkommen als Kernbestand des humanitären Völkerrechts verpflichtet.
Daneben haben wesentliche Bestimmungen des Kriegsvölkerrechts
völkergewohnheitsrechtliche Geltung. Die Anforderungen des humanitären
Völkerrechts umfassen den weitest möglichen Schutz von Menschen vor den
Auswirkungen kriegerischer Handlungen. Ein Auszug aus dem
Internet-Angebot des Deutschen Roten Kreuzes bietet einen anschaulichen
Überblick, was ein Angreifer zum Schutz der gegnerischen
Zivilbevölkerung beachten muss: „Bei bewaffneten Feindseligkeiten soll
stets darauf geachtet werden, dass die Zivilbevölkerung, Zivilpersonen
und zivile Objekte von Angriffen verschont bleiben (Art. 57 I ZP I),
damit Verluste unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von
Zivilpersonen und Beschädigung ziviler Objekte vermieden werden. Dabei
sind Vorsichtsmaßnahmen bei der Wahl der Angriffsmittel und
-methoden zu treffen und von jedem Angriff Abstand zu nehmen, bei dem
mit den oben genannten Folgen zu rechnen ist (Art. Art 57 II lit. a/ii
und II lit. a/iii ZP I). Des Weiteren ist sicherzustellen, dass die
Angriffsziele nur militärischer Art sind und sobald sich das Gegenteil
erweist, sind diesbezügliche Angriffe endgültig oder vorläufig
einzustellen (Art. 57 II lit. a/i und II lit. b ZP I). Falls Angriffe
geplant sind, bei denen die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen
werden kann, muss eine wirksame Warnung vorausgehen (Art. 57 II lit. c
ZP I).“[5] Sollte also, was mit der vorgenannten Frage wohl angeregt
werden sollte, eine öffentliche Debatte darüber entstehen, ob zukünftig
von der Bundeswehr Kollateralschäden an Zivilpersonen billigend in Kauf
genommen werden dürfen, so würde dies eine Debatte über den Bruch der
Anforderungen der im humanitären Völkerrecht bestehenden Grundsätze
bedeuten. Die hoffentlich nicht eintretenden, aber möglichen Effekte
davon könnten einerseits eine breitere Akzeptanz oder zumindest
Gleichgültigkeit in der Öffentlichkeit für zivile Opfer sein und zum
anderen könnte die Sensibilität der Öffentlichkeit für Verletzungen des
Völkerrechts und der Menschlichkeit im Kriege als Gebot des Gemeinsamen
Artikels 3 aller vier Genfer Konventionen absinken.
ANMERKUNGEN
[1] Soweit nicht anders gekennzeichnet, entstammen alle Zitate der Rede
von Thomas de Maizière vom 05.09.2012 in Berlin anlässlich der
Veranstaltung „Sicherheit gemeinsam gestalten“ des Beirats für Fragen
der Inneren Führung und der Bundesakademie für Sicherheitspolitik,
abgerufen am 04.10.2012 auf http://www.bmvg.de.
[2] Informativ zu den in der Geschichte und Gegenwart verwendeten
Kriegslegitimationen können die verschiedenen Beiträge in Heintze,
Hans-Joachim/ Fath-Lihic, Annette (Hrsg.): Kriegsbegründungen. Wie
Gewaltanwendung und Opfer gerechtfertigt werden sollten, Bochumer
Schriften zur Friedenssicherung und zum Humanitären Völkerrecht, Band
59, Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2008 sein. Das Zitat entstammt
dem Vorwort der Herausgeber auf Seite 7.
[3] Impulsvortrag von Thomas de Maizière anlässlich der Tagung der
Evangelischen Akademie Berlin zum Thema „Wie weit sollen deutsche
Soldaten gehen? - Politischer Wille, sicherheitspolitische Strategie und
friedensethische Normen“ am 24.09.2012, abgerufen am 04.10.2012 auf
http://www.bmvg.de.
[4] Weitere Informationen zum diesjährigen IMI-Kongress finden sich
unter http://www.imi-online.de.
[5] Genfer Abkommen – leicht verständlich: F. Der Schutz der
Kombattanten sowie Mittel und Methoden der Kriegsführung, 8. Was muss
ein Angreifer zum Schutz der gegnerischen Zivilbevölkerung beachten?,
in: http://www.drk.de, abgerufen am 09.10.2012.
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