Montag, 1. Oktober 2012

Spanien: Ohne Job, ohne Wohnung, ohne Pension und ohne Angst

Fast weltweit kann man derzeit das Aufflammen von Protestbewegungen gegen die Auswirkungen der neoliberalen Politik der zurückliegenden Jahre feststellen. Auch die Revolutionen im arabischen Raum haben diesen ökonomischen Hintergrund. Das können auch die Versuche der westlichen Medien nicht verschleiern, die die dortigen Entwicklungen als reine, idealistische Demokratiebewegungen darstellen, die mit den materiellen örtlichen Bedingungen und politischen Verhältnissen in Westeuropa nichts zu tun haben. Die Situationen in den Ländern Arabiens, die zu den aktuellen Aufruhren führten, haben jedoch letztendlich ihre Ursache in der Verschlechterung der Lebensverhältnisse breiter Bevölkerungsschichten. Das ist so, sowohl in jenen Ländern, als auch bei uns und anderswo in der Welt. Das ist ein Fakt, trotz der riesigen qualitativen Unterschiede, die es im Lebensstandard zwischen den kapitalistischen Zentren und deren Peripherie gibt. Dabei gab die spektakuläre Besetzung des Tahrir-Platzes in Kairo den wesentlichen Impuls für ähnliche Aktionen in Europa. Am 15. Mai (daher die Bezeichnung M-15) fanden in Spanien, initiiert von der Gruppe „Democracia Real Ya“ (Wirkliche Demokratie Jetzt; DRY), in Madrid und in 80 weiteren Städten Demonstrationen gegen die Politik der PSOE-Regierung unter Zapatero statt. Mehr als 150.000 Teilnehmer protestierten landesweit gegen die Sparpolitik und die „Arbeitsmarktreform“ der Regierung. Im Anschluss an die Abschlusskundgebung besetzten in Madrid Hunderte, vorwiegend Jugendliche, den Platz Puerta del Sol im Zentrum der Stadt und errichteten dort ein Camp. Sie waren entschlossen, ihren Protest unbefristet fortzusetzen. Offensichtlich traf die Aktion den Nerv von großen Teilen der spanischen Bevölkerung, die die unsoziale Regierungspolitik und das Diktat der Brüsseler Bürokraten nicht länger widerstandslos hinnehmen wollte. So entwickelte sich das Camp auf der Puerta del Sol sehr schnell zum Brennpunkt des sozialen Widerstands. Innerhalb weniger Tage wurden in den meisten größeren Städten vergleichbare Camps eingerichtet. Die Unterstützung durch die Bevölkerung war enorm. Jeden Tag kamen mehr Menschen auf den Plätzen zusammen, so dass alleine in Madrid der Platz von mehreren tausend Aktivisten ständig besetzt war und an den Abenden die Menge bis auf 15.000 und mehr anschwoll. Die Entwicklung glich einem Flächenbrand, der auch den Regierenden und Herrschenden Sorge bereitete, denn am 22. Mai sollten die Kommunal- und Regionalwahlen stattfinden. Die Regionalwahlen sind mit den deutschen Landtagswahlen vergleichbar. In Spanien gibt es die gesetzliche Regelung, dass am der Wahl vorausgehenden Samstag nicht politisch demonstriert werden darf. Und am Donnerstag hatte die Junta Electoral Central, die oberste Wahlbehörde, nochmals ausdrücklich verfügt, dass in der so genannten Ruhezeit vor dem Sonntag keine Demonstrationen und Kundgebungen stattfinden dürfen. Damit wollte die Wahlbehörde bereits gemachte Zugeständnisse regionaler Behörden, die teilweise Kundgebungen genehmigt hatten, rückgängig machen. Diese Zugeständnisse gab es allerdings in Madrid, Barcelona und anderen Städten nicht. Dort bestand das Demonstrationsverbot unverändert. Demnach hätte die Polizei überall mit dem anbrechenden Freitag die Plätze räumen müssen. Doch der Widerstand ließ sich damit nicht brechen. Ein von Tausenden Menschen besuchtes Plenum der Protestierenden hatte am Freitagnachmittag beschlossen, trotz des Verbots am Sonnabend zu demonstrieren. Sprecher der Bewegung erklärten daraufhin, es gebe zwar keinen offiziellen Demonstrationsaufruf, es werde aber schwer sein, „die Leute daran zu hindern, zur Puerta del Sol zu kommen“. Und so war es dann auch. Die Regierenden trauten sich den Schritt, die Plätze gewaltsam zu räumen, vor der anliegenden Wahl nicht zu. Dabei gab es durchaus Drohungen aus der Madrider PP-Regionalregierung und dem spanischen Innenministerium, den Platz in den nächsten Tagen zu räumen. Die Madrider Stadtverwaltung und Händlerverbände machten seit Tagen gegen die Protestierenden Stimmung. Die Verkäufe in den Geschäften rund um den Platz seien um 70 Prozent zurückgegangen. Wahldebakel für die POSE Am 22. Mai fanden dann die Wahlen statt. Rund 35 Millionen Spanier waren aufgerufen, in dreizehn der siebzehn Regionen und in 8.000 Kommunen neue Parlamente und Vertretungen zu wählen. Die Wahlbeteiligung war außerordentlich gering. Nicht einmal 65 Prozent der Spanier gingen zu Wahl. Hinzu kam, dass knapp eine Million Menschen entweder einen leeren Stimmzettel abgaben oder die Stimme ungültig gemacht hatten. Diese aktive Wahlverweigerung entsprach 4,2 Prozent derjenigen, die wählen gegangen sind. Eine solche Stimmverweigerung hat es in Spanien seit dem Ende der Franco-Diktatur nicht gegeben. Offensichtlich waren diese Wähler einem Aufruf im Internet gefolgt, der dort schon seit Wochen kursierte. Unter dem Motto „Wähle sie nicht“ wurde dort dargestellt, dass fast alle Parteien Kandidaten und Politiker auf ihren Listen hatten, gegen die wegen Korruption aktuell ermittelt wird oder die sogar wegen diesem Delikt bereits verurteilt waren. An diesem Beispiel wird die Politikverdrossenheit der Menschen in Spanien deutlich. Auf der anderen Seite zeigt aber das Wahlergebnis auch die Widersprüchlichkeit der politischen Situation in Spanien. Die PSOE erlitt überall herbe Niederlagen. Selbst in ihren traditionellen Hochburgen Barcelona, Sevilla und der Region Kastilien-La Mancha erlitt sie starke Verluste. Die PSOE erhielt mit nur noch 27,8 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Übergang zur bürgerlichen Demokratie nach dem Tode Francos 1975. Eindeutiger Sieger der Wahlen waren die Konservativen. Ihren Wahlkampf hatten sie teilweise mit aggressiven rechten Parolen und Xenophobie betrieben. In Katalonien, wo die meisten Einwanderer Spaniens leben, hatten einige Kandidaten zum Beispiel die Immigranten für ausgebrochene Seuchen verantwortlich gemacht. Die aus Eliten des Franco-Regimes hervorgegangene Volkspartei (PP) erhielt mit insgesamt 36,8 Prozent der Stimmen das beste Ergebnis, das sie jemals hatte. Entsprechend groß war das Frohlocken in ihren Reihen. Die PP-Sprecherin Ana Mato meinte denn auch: „Das ist der Beginn einer neuen politischen Etappe in unserem Land“. Wenn sie sich da nur nicht täuscht. Auf jeden Fall tut sich zwischen der PSOE und der PP nach der Wahl ein Abgrund auf. Zwei Millionen Wählerstimmen und zehn Prozent der Stimmen liegen zwischen den beiden dominierenden spanischen Parteien. Enttäuschend war auch das Wahlergebnis für die Vereinigte Linke (IU). Zwar konnte sie erstmals den fast eine Dekade andauernden Negativtrend umkehren und mit einem Stimmenzuwachs von 200.000 einen Prozentpunkt zulegen. Die IU kam auf ein Ergebnis von 6,2 Prozent. Trotzdem zeigt das Wahlergebnis, dass die Gruppe aus dem Wahldebakel der PSOE keinen wirklichen Nutzen ziehen konnte. Ganz offensichtlich sieht das breite spanische Protestpotential in dem Linksbündnis keine Alternative zu den bestehenden Parteien. War schon die breite Protestbewegung ein Grund zur Sorge bei den politisch Etablierten, so kam es durch die aktive Wahlverweigerung zur hellen Aufregung. Gleichgültig ob PSOE oder PP, alle sorgten sich um eine „Beschädigung der Demokratie“ durch solche Verweigerungsaktionen. Die Verantwortung dafür würde die Bewegung M-15 und die Gruppierung „Democracia Real Ya“ (DRY) tragen. Selbstverständlich schloss sich die bürgerliche Presse dieser Meinung an. Ganz offensichtlich wollte man mit dieser Argumentation den Spaltpilz in die Bewegung und die Öffentlichkeit tragen, was aber gründlich misslang. Noch am Wahlabend stellte DRY klar, dass die Bewegung weder zur Wahlenthaltung noch zu einem bestimmten Wahlverhalten aufgerufen habe. Ihr Ziel sei, das gegenwärtige Wahlsystem zu verbessern und nicht zu boykottieren. Und das ist durchaus glaubhaft. Die Bewegung M-15 ist eine sehr spontane, idealistische Reaktion auf die sozialen Missstände in Spanien. Sie erfasste zuerst die Jugend und in zunehmendem Maße wurden und werden weitere Bevölkerungsschichten in die Bewegung hineingezogen. In großen Teilen der spanischen Bevölkerung ist die grundlegende Empörung über die Politik der Kürzungen und des Abwälzens der Krisenlasten auf die lohnabhängige Bevölkerung tatsächlich zu spüren. Die Protestbewegung nennt sich dann auch so: „Los Indignados“ – Die Empörten. Sie übernahm die Bezeichnung in Anlehnung an die Schrift „Empört Euch“ des ehemaligen französischen Widerstandskämpfers und KZ-Überlebenden Stéphane Hessel. In Frankreich war die Schrift im vergangenen Jahr ein Bestseller. Voll brennender Wut äußert sich Hessel in seiner Abhandlung gegen den Finanzkapitalismus und unterstreicht seine Einstellung zum Pazifismus. Er sieht durch den Neoliberalismus den Sozialstaat und die Menschenrechte gefährdet und versucht, für die Aufrechterhaltung moralischer Werte zu mobilisieren. Spaniens Ökonomie unter Druck Der Proteststurm und die Bewegung M-15 haben ihre Wurzeln eindeutig in der ökonomischen Krise, die in Spanien gegenüber den meisten anderen europäischen Ländern eine Besonderheit aufweist. Spanien hatte in den vergangenen Jahren außerordentlich hohe ökonomische Wachstumsraten. Das hatte während des Bundestagswahlkampfes 2004 zum Beispiel Merkel veranlasst, Spanien als Beispiel für eine Wachstumspolitik hinzustellen, wie sie die CDU auch für Deutschland anstrebe. Allerdings wurde das Wachstum im Wesentlichen alleine durch einen Immobilienboom getragen. Es bildete sich wie in den USA oder Irland eine riesige Immobilienblase. So trug die Industrie vor dem Platzen der Blase nur noch 16,1 Prozent zum BIP bei; der tertiäre Bereich, also der Dienstleistungssektor, dagegen fast zwei Drittel. Während der Rezession schrumpfte das produzierende Gewerbe um fast 15 Prozent und war damit der Hauptleidtragende der Krise. Das gilt allerdings nicht für das völlig überdimensionierte Baugewerbe. Es war von dem Rückgang lediglich mit 6,3 Prozent betroffen. Eines der Resultate dieser Entwicklung ist das drastische Handelsbilanzdefizit von runden 52 Milliarden Euro. Für Spanien bedeutet das, dass knapp ein Fünftel der Einfuhren nicht durch Exporte gedeckt ist – ein Umstand, an dem der zweitwichtigste Handelspartner BRD mit einem Überschuss von 12 Milliarden nicht gerade unbeteiligt ist. Der spanischen Bevölkerung hatte man jahrelang weisgemacht, dass dieser Bauboom ewig halten würde und mit ihm Wohlstand und Reichtum einkehren würden. Täglich würden 1.000 neue Arbeitsplätze entstehen, wurde von den Konservativen behauptet. Eine Aussage, die nicht nachprüfbar ist. Dass das aber keine nachhaltige Entwicklung war, ist offensichtlich. Doch während einer Boomphase werden kritische Hinweise zur Seite gewischt und müde belächelt – nicht nur in Spanien! Auf jeden Fall ging die Rechnung der Bauindustrie und Spekulanten auf. Die Spanier kauften wie wild Wohnungen. So haben viele spanische Familien heute neben einer Wohnung in ihrer Stadt ein Wochenendhaus am Meer oder auf dem Land. Nach Zahlen der Bank von Spanien gab es Ende 2005 in Spanien rund 23,7 Millionen Wohnungen und 15,39 Millionen Haushalte. Damit kommen auf einen Haushalt 1,54 Wohnungen. Das ist die höchste Rate der Welt. 85 Prozent der Wohnungen werden von ihren Eigentümern bewohnt und lediglich 15 Prozent werden vermietet. Auch wenn es sich bei diesen Zahlen um Durchschnittswerte handelt, liegt auf der Hand, dass sich die Eigentümer nicht alleine aus dem Bürger- und Kleinbürgertum rekrutieren. Auch viele Familien, die der Arbeiterklasse zugerechnet werden müssen, sind Immobilienbesitzer; eine Entwicklung, die bereits unter Franco begann, wo bewusst das kleine Eigentum gefördert wurde, um die Arbeiterklasse an das kapitalistische System zu binden. Die Kehrseite der Entwicklung und damit auch ein aktuelles soziales Problem, das auch die Entstehung der Bewegung der Empörten förderte, ist die private Verschuldung der Familien. Bereits im Jahr 2005, vor dem Platzen der Blase, lag die durchschnittliche private Verschuldung pro Person bei 125 Prozent eines Jahreseinkommens. Das war dreimal so viel wie eine Dekade zuvor. Als Problem wurde das nicht gesehen, da der „Wert“ der Immobilie und deren Preise stiegen und stiegen. Zum Häuschen auf Pump wurde noch ein Auto oder die Inneneinrichtung gekauft. Auch die Finanzierung war kein Problem. Selbst Familien ohne geregeltes Einkommen wurden bedenkenlos von den Banken und Sparkassen Hypothekendarlehen und großzügige Baufinanzierung gewährt. Das sieht inzwischen natürlich anders aus. Mehr als fünf Millionen Menschen, oder 21 Prozent, sind inzwischen arbeitslos. Zwei Millionen Arbeitsplätze wurden im Verlauf der Krise vernichtet. Die Arbeitslosenquote stieg binnen dreier Jahre von 8,3 auf aktuell 21,3 Prozent. Bei den Jugendlichen unter 25 Jahren ist sie mehr als doppelt so hoch und damit innerhalb Europas mit Abstand die höchste Quote. Das Platzen der Immobilienblase ist allerdings nur ein Grund für die Heftigkeit der Krise in Spanien. Eine weitere Ursache liegt in den großen strukturellen Problemen der spanischen Ökonomie. Unter Franco war Spanien in den 1950er und 1960er Jahren eines der Armenhäuser Europas mit einem weitgehend abgeschotteten Binnenmarkt. Es gab zwar eine staatliche Industriepolitik, doch war diese alleine auf den Binnenmarkt ausgerichtet. Mit dem Übergang zur bürgerlichen Demokratie überließen die herrschenden Kreise, entsprechend dem neoliberalen Dogma, die Wirtschaft dem freien Spiel der Märkte, was dazu führte, dass nur ein kleiner Teil der unter Franco geförderten Industrie überlebte. Dieser ist heute durchaus produktiv, bietet aber nur wenige Arbeitsplätze. Parallel dazu entwickelte sich an den Küsten der Massentourismus, der zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor wurde. Das Land ist weltweit das zweitbeliebteste Urlaubsziel. Der Tourismusboom war es auch, der zum Bau einer Unzahl von Hotels und Ferienwohnungen führte und damit zum Bauboom, der in eine Blase mündete. Und die Blase ist weiterhin akut. Die Preise für Immobilien sind zwar von 2008 bis 2010 durchschnittlich um 20 Prozent gesunken, doch gehen die Banken davon aus, dass sich der im Herbst 2007 erreichte Höchststand halbieren muss, um die Nachfrage wieder zu beleben. Somit steht ein weiterer Preisverfall von 30 Prozent bevor. Tatsächlich standen Ende des vergangenen Jahres noch immer mehr als eine Million Wohnungen leer. Die meisten wurden nie bezogen, da die Baufirmen im Baurausch 800.000 Wohnungen im Jahr fertigstellten – mehr als Deutschland, Frankreich und England zusammen. Jetzt, wo die Spekulationsblase geplatzt ist, zahlen die, die immer bezahlen. Für viele Familien sind die Folgen äußerst drastisch. Die Arbeitslosigkeit führte und führt in den meisten Fällen zur Zahlungsunfähigkeit. Die Familien sind nicht mehr in der Lage, die Kredite zu bedienen. Da es in Spanien keine Sozialhilfe gibt, stehen viele vor dem Abgrund und einem riesigen Schuldenberg, der dafür sorgt, dass sie sich meist nicht einmal mehr eine Wohnung mieten können. Aber auch für die Banken und Sparkassen führt das zu Konsequenzen. Sie sitzen heute auf faulen Krediten in Höhe von 180 Milliarden Euro. Aus diesem Grund stufte die US-Rating-Agentur Moodys die Bonität des Landes Mitte März auf bescheidene „Aa2“ zurück. Das Rezept der Regierung besteht in der Zusammenlegung und Privatisierung der Sparkassen (Cajas), wobei die Verluste, wie üblich, vergesellschaftet und die marodesten Institute vorübergehend vom Staat übernommen werden. Zwar gelang es, die Zahl der Cajas durch Zusammenlegung von 45 auf 17 zu reduzieren, doch die ersehnten Privatanleger warten ab, bis die regierenden „Sozialisten“ das ökonomische und soziale Massaker für sie erledigt haben. Bis jetzt wurden fünf Prozent der Filialen geschlossen, auch der Abbau von 15.000 Arbeitsplätzen, durch den knapp fünf Milliarden Euro eingespart werden sollen, hat kaum begonnen. Die ökonomischen Probleme Spaniens sind offensichtlich. Als im Mai/Juni diesen Jahres die ersten Gerüchte auftauchten, dass Spanien Hilfe aus dem Euro-Rettungspaket benötigen würde, rief das, wie im Falle von Griechenland, Irland und Portugal, die Finanzspekulanten auf den Plan. Dadurch wurde die Finanzmisere Spaniens übermächtig. Um ihren Haushalt refinanzieren zu können, muss die spanische Regierung für Kredite am Kapitalmarkt immer höhere Zinslasten tragen, was die Schuldenproblematik zusätzlich verschärft. Problematisch ist auch die Lage der Großbanken, nicht nur alleine wegen fauler Kredite. Es fällt ihnen immer schwerer, sich zu refinanzieren, da sie zum einen für Einlagen von Privatkunden sehr hohe Zinsen bezahlen müssen und zum andern sich gegenseitig fast nichts mehr leihen. Nicht wenige dieser Geldinstitute beginnen deshalb jetzt zu wackeln. Bei den Bankenstresstests im vergangenen Jahr fielen alleine in Spanien fünf Sparkassen durch. Bereits im März 2009 musste die regionale Sparkasse Caja Castilla la Mancha mit neun Milliarden Euro von der Zentralbank gestützt werden, für die jetzt der spanische Staat garantiert. Spanien gilt deshalb heute, ebenso wie Italien, als weiterer Kandidat, der womöglich unter den EU-Rettungsschirm schlüpfen muss. An der Misere des Landes ist allerdings nicht alleine die seit sieben Jahren regierende PSOE schuld. Auch die PP unter Aznar, der alles für die unkontrollierte Entwicklung der Bauindustrie und damit für die Immobilienblase tat, hat einen wesentlichen Teil dazu beigetragen. Die PSOE-Regierung unter Zapatero steht aktuell unter einem riesigen Druck. Auf keinen Fall will man unter die Fuchtel der Brüsseler Bürokraten und sich deren Diktat aussetzen. Was deren rigide Finanzauflagen bedeuten, ist am Nachbarland Portugal und noch deutlicher am Beispiel Griechenland zu sehen. Deshalb will man die Probleme mit eigener Kraft lösen. Wer allerdings grundsätzlich nicht mit dem Neoliberalismus, bzw. mit dem Kapitalismus, brechen will, hat nur den einen Weg, der überall in Europa und weltweit begangen wird. Der führt über eine harte Austeritätspolitik. Das macht aktuell die POSE unter Zapatero in Spanien. Die Ausgaben sollen drastisch sinken. Ob im öffentlichen Dienst oder bei den Renten, ob bei der Deregulierung des Arbeitsmarktes oder der Verlängerung der Lebensarbeitszeit, überall wird gekürzt und „reformiert“. So hat die Regierung die Zahl der Neueinstellungen um zwei Drittel gekürzt. Ebenfalls gekürzt wurden die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst. Die Renten wurden eingefroren und das Kindergeld gestrichen. Die Unternehmer haben künftig das Recht, das Lohnniveau frei zu bestimmen Massenarbeitslosigkeit und prekäre Arbeit Und hinter allen Maßnahmen ist die Handschrift der EU-Bürokraten und der die EU dominierenden Länder Deutschland und Frankreich erkennbar. Entsprechend trist sieht die gesellschaftliche Lage dann auch insgesamt aus. Wer überhaupt einen Arbeitsplatz findet, verdient oft nur einen Hungerlohn von unter 1.000 Euro, bei einem Preisniveau, das nur geringfügig von dem in Deutschland abweicht. Neu entstandene Arbeitsplätze sind in der Regel prekär. In keinem anderen europäischen Land gibt es so viele prekäre und zeitlich befristete Jobs wie in Spanien. Alle Lasten werden auf die lohnabhängige Bevölkerung abgewälzt, während gleichzeitig mit vielen Milliarden marode Banken gesponsert werden. Es kann deshalb nicht verwundern, dass es zur Bewegung der „Empörten“ kam. Im Gegenteil, es wäre verwunderlicher gewesen, wenn die Unzufriedenheit keinen Ausdruck gefunden hätte. Die Quote der Jugendarbeitslosigkeit in Spanien ist, wie schon beschrieben, mit mehr als 40 Prozent die höchste in Europa. In manchen Regionen des Landes liegt sie sogar bei 50 Prozent und darüber. Das besondere dabei ist, dass aufgrund der Wirtschaftsstruktur Spaniens besonders die akademisch ausgebildete Jugend betroffen ist. Die Masters, Bachelors und anderen Besserqualifizierten hängen in „beruflichen Warteschleifen namens Praktika“, dort sind sie der Erpressungsmacht des Kapitals mit Taschengeldentlohnung ausgesetzt oder sie schlagen sich mit Tagelöhnerarbeiten oder mit Zeitarbeitsverträgen mit nach oben offenen Arbeitszeiten und nach unten offenen Löhnen durch. Geisteswissenschaftler haben auf dem Arbeitsmarkt in der Regel gar keine Chance, Naturwissenschaftler und Ingenieure nur bedingt. Auf eine freie Stelle kommen durchschnittlich hundert BewerberInnen. Kurz gesagt: Die spanische Jugend hat kaum eine Zukunftsperspektive. Zwar fehlt eine solche im ganzen EU-Raum mehr oder weniger, doch ist sie in Spanien am wenigsten vorhanden. Aufkeimender Widerstand mit diffusem Standpunkt Auf den besetzten Plätzen und bei Demos stellt diese gut ausgebildete Jugend ihre Situation, aber auch den aufkeimenden Widerstandswillen, dar. Auf Transparenten ist da zu lesen: „Jugend ohne Job, ohne Wohnung, ohne Rente, ohne Angst“. Es soll sich etwas grundsätzlich ändern in Spanien. Doch das „Was“ und das „Wie“ sind noch äußerst nebulös und unkonkret. Auf den Plätzen mit unzähligen Info-Ständen und Wandzeitungen wird man informiert, welchen Standpunkt die Empörten und ihre Bewegung M-15 vertreten: „Wir sind keine Vereinigung, wir folgen keiner Partei oder Gewerkschaft, wir sind einfach als Personen dabei“. Damit machen sie eine klare Absage an die etablierte Politik und politische Organisationen. „Die nennen es Demokratie, aber es ist keine. Die vertreten uns nicht!“. Und tatsächlich finden sich auf den Plätzen keine Fahnen und Parolen der politischen Linken und der beiden großen Gewerkschaften. Auch die Kommunisten, die IU sowie die CCOO und die UGT werden als etabliert angesehen. Lediglich die Embleme der Anarchisten sind relativ häufig zu sehen. Zu Aktionen wird über die sozialen Netzwerke Facebook, Twitter oder den spanischen Dienst Tuenti mobilisiert. An den Forderungen, die die Empörten stellen, wird deutlich, dass es sich noch nicht um eine klare antikapitalistische Opposition handelt. Ihre Misere sehen sie in erster Linie in den handelnden politischen Akteuren. Deshalb steht ganz weit oben auf dem Forderungskatalog die „wirkliche Demokratie“. Dazu sehen sie die Erfordernis „einer Wahlrechtsreform, um die Demokratie repräsentativer zu machen, und ein wirkliches Verhältniswahlrecht; (…) den Kampf gegen die Korruption und totale politische Transparenz (…) effektive Gewaltenteilung (…) und die Schaffung von Kontrollmechanismen für die Bürger; die Politiker müssen zur Verantwortung gezogen werden. Auf einem Plakat in Valencia war zu lesen: „Wir sind keine Systemfeinde – das System ist uns gegenüber feindlich“. Das ist natürlich ein fundamentaler Irrtum der Empörten. Selbst wenn die Demokratie repräsentativer wäre, selbst wenn die Politiker nicht korrupt wären und durch effektive Kontrollmechanismen zur Verantwortung gezogen würden, selbst dann würde sich an der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus nichts ändern. Ihre Forderungen nach Arbeit und einem auskömmlichen Leben lassen sich auf Dauer eben nur erfüllen, wenn man den Kapitalismus grundsätzlich infrage stellt und überwindet. Soweit ist, wie man sieht, die Bewegung noch nicht. Da aber inzwischen die Bewegung M-15 mehr ist als alleine eine Bewegung der intellektuellen Jugend, wurden und werden auf den täglichen Versammlungen vereinzelt auch Forderungen gestellt, die sich gegen das Kapital und seine Verfügungsmacht richten. So konnte man auf einem Flugblatt in Valencia lesen: • Verbot von Entlassungen in Unternehmen, die Gewinne machen; • Aussetzung der Reform des Arbeitsgesetzes und der Rentenreform und Volksabstimmung über diese Reformen; • stärker progressive Besteuerung und massive Kontrolle der Steuerhinterziehung, Schließung der Steuerparadiese; • Schaffung einer öffentlichen Bank zur Finanzierung der sozialen Ausgaben, Verstaatlichung der geretteten Banken; • Streichung der Mietschulden für Menschen, die deswegen ihre Wohnung verloren haben, garantierte Sozialmieten; • Offenlegung der Schulden und Volksentscheide über finanzielle Rettungsaktionen für die spanische Wirtschaft; • tägliche Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich, Umverteilung der Hausarbeit; drastische Umverteilung des Reichtums, ein Steuersystem, das auch eine internationale Umverteilung ermöglicht, usw. Das hört sich alles sehr schön an, doch an die Umsetzung dieser Forderungen ist zurzeit nicht zu denken. Auf der Puerta del Sol haben sich die Aktivisten der Bewegung über Wochen hinweg versammelt und in Ausschüssen und Arbeitsgruppen darüber diskutiert, wie sie ihre soziale Basis verbreitern könnten. Ein Schritt dazu war, dass man in die einzelnen Stadtteile geht und dort ebenfalls Platzbesetzungen und Volksversammlungen organisiert. Außerdem versuchten die Aktivisten, zum Teil erfolgreich, Zwangsräumungen zusammen mit den Hypothekenopfern zu verhindern. Auch in den Stadtteilen war die Resonanz von Seiten der Bevölkerung auf die Aktivitäten von M-15 sehr groß. Ende Juni lösten sich die Protestlager auf den Plätzen weitgehend auf, nicht jedoch die Bewegung. Zu einem Sternmarsch, der das ganze Land umfassen sollte, wurde aufgerufen, quasi als einer Verlängerung der Protestlager, wie es die Teilnehmer erklärten. Der Auftakt dazu waren landesweite Demos der M-15. Insgesamt mobilisierte die Bewegung dazu rund 400.000 Menschen. Die massenhafte Teilnahme ging quer durch das Land. Viele, auch kleinere Städte, erlebten damit die größten Demonstrationen seit je. Zu Tausenden machten in allen Landesteilen sich Empörte zu Fuß auf den Weg nach Madrid. An den Wochenenden wurde der Marsch durch ebenfalls Tausende Demonstranten verstärkt, die ihnen in Bussen nachreisten. Am 24. Juli schließlich kamen die Sternmärsche in der Hauptstadt an und wurden von 20.000 Madridern entsprechend begrüßt. Die Demonstranten stießen auf ihrem Marsch überall auf große Sympathie, was nicht verwundern kann, denn nach Umfragen stehen zwischen 60 und 80 Prozent der Spanier hinter M-15 und finden diese gut. Inzwischen ist die M-15 nicht mehr so sichtbar, wie das in den Mai- und Junitagen der Fall war. Trotzdem ist sie natürlich nicht verschwunden. Der Schwerpunkt der Aktivitäten hat sich in die Stadtteile verlagert. In entsprechenden Foren werden zurzeit die Herbstaktivitäten diskutiert. Im Gespräch ist ein Generalstreik, den man am 15. Oktober ausrufen will und ein Sternmarsch nach Brüssel ist bereits auf dem Weg. Wenig politische Weitsicht Aber trotz der Größe und Breite der Bewegung M-15 gibt es einen außerordentlich deutlichen Schwachpunkt, der verhindert, dass der entscheidende Druck entsteht, der die Herrschenden zu Zugeständnissen zwingt. Der liegt in der Haltung der Bewegung zu den beiden großen Gewerkschaften UGT und CCOO. „Wir folgen keiner Partei oder Gewerkschaft, wir sind einfach als Personen dabei.“. Das ist eine der Kernaussagen der Bewegung M-15. Von politischer Weitsicht, strategischem und taktischem Denken zeugt sie allerdings nicht. Für die Empörten sind die beiden großen Gewerkschaften „Verräter“. Natürlich ist das eine sehr undifferenzierte Betrachtung. Verstehen kann man deshalb die Haltung der Empörten nur, wenn man zum einen deren politische Unerfahrenheit berücksichtigt und zum anderen die Politik der UGT und CCOO betrachtet. Beide Gewerkschaften hatten im vergangenen Jahr am 29. September zu einem 24stündigen Generalstreik gegen die Kürzungspolitik der Regierung Zapatero und insbesondere gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre aufgerufen. Die Gewerkschaften bezeichneten den Streik als vollen Erfolg. In Wirklichkeit jedoch war die Teilnahme der Werktätigen an der Aktion aber wohl nicht so überwältigend. Die spanische bürgerliche Presse berichtete voller Häme, dass in der Öffentlichkeit der Generalstreik fast nicht bemerkbar gewesen sei und dass nicht einmal die Hälfte der Arbeiter und Angestellten daran teilgenommen hätten. Aber wie dem auch sei, Tatsache ist, dass Zapatero von dem Generalstreik wenig beeindruckt war. Seine „Arbeitsmarktreform“ nahm er nicht zurück. Ob die mangelhafte Teilnahme an dem Streik an der gebremsten Mobilisierung lag, wie Gewerkschaftslinke behaupten, oder an der Angst der Beschäftigten vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, lässt sich aus der Ferne schlecht beurteilen. Das Verhalten der Gewerkschaftsführungen lässt jedoch den Rückschluss zu, dass man in deren Gremien die PSOE-Regierung als das kleinere Übel betrachtet und diese nicht in existenzielle Bedrängnis bringen will. Um noch „Schlimmeres“ zu verhindern, schlossen dann die Gewerkschaften mit der Regierung im Februar dieses Jahres einen Wirtschafts- und Sozial„pakt“ ab und stoppten damit die Mobilisierung gegen den Sozialabbau. Diesen „Burgfrieden“ hat allerdings die Bewegung vom 15. Mai beendet. Der Protest gegen Massenarbeitslosigkeit, Einschnitte in Löhne und Sozialleistungen, prekäre Arbeit und gegen die ungerechtfertigte Rettung der Banken wurde damit öffentlich sichtbar. Entsprechend groß ist der Erklärungsnotstand der Gewerkschaftsführungen. Trotzdem schließen sie sich dem Massenprotest in vollem Umfang noch nicht an. Die Antwort auf den von der M-15 geplanten Generalstreik am 15. Oktober gaben die jeweiligen Aktionssekretäre der CCOO und UGT, Anderes und Temprano. Sie wiesen einen Generalstreik zum jetzigen Zeitpunkt, trotz der Übereinstimmung in vielen Forderungen der Empörten, zurück, weil dieser den Dialog zur Lösung der Krisensituation verspielen würde. Jetzt sei „Verhandeln angesagt“ und außerdem könne ein Generalstreik nur von den Gewerkschaften ausgerufen werden. Das kommt einem irgendwie bekannt vor. Und ohne die konkrete Stimmungslage der Beschäftigten in den spanischen Betrieben zu kennen, die Aussagen zulassen, inwieweit große Widerstandsaktionen aktuell tatsächlich möglich sind, wird man an die Haltung des DGB zur seinerzeitigen Bundesregierung Schröder erinnert. Die weitere Entwicklung in Spanien ist kaum vorherzusagen. Es ist aber schwer vorstellbar, dass die Bewegung M-15 plötzlich wieder in der Versenkung verschwindet. Immer wieder wird sie öffentlich sichtbar und produziert Schlagzeilen. So zuletzt, als die Polizei die Reste des Camps der Empörten auf der Puerta del Sol anlässlich des Papstbesuches räumte. Plötzlich demonstrierten wieder Zehntausende. Oder als Anfang September eine große Koalition aus POSE und PP, fast in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, die Verfassung änderte und eine Schuldenbremse einführte, waren wieder Zehntausende auf der Straße. Die Änderung kam entsprechend den „Empfehlungen“ aus Frankreich und Deutschland zustande. Zur Beruhigung der Märkte soll die staatliche Kreditaufnahme in Zukunft begrenzt werden. Wieder war auf den Straßen und Plätzen der zentrale Slogan zu hören: „Sie nennen es Demokratie, aber es ist keine!“. Gewerkschaften, die politische Linke und die Empörten sehen in der Maßnahme eine weitere Verschärfung der sozialen Krise in Spanien und fordern ein Referendum über die Verfassungsänderung. Dass es dazu kommt, ist allerdings wenig wahrscheinlich. Dafür fehlen der Linken die entsprechenden parlamentarischen Mehrheiten. Die Krise in Spanien wird sich weiter verschärfen. Mit dem weiteren Abbau des Sozialstaats ist zu rechnen. Das könnte schon sehr bald sein. Schließlich wurde nicht ohne Grund die Verfassung geändert. Zapatero wollte ursprünglich bis zum Ende der Legislaturperiode im März 2012 im Amt bleiben. Jetzt hat er für den 20. November Neuwahlen angekündigt. Das kommt der freiwilligen Regierungsübgabe an die PP gleich, denn ohne Zweifel weiß man in der PSOE, was Neuwahlen für die Partei bedeuten. Sie werden wahrscheinlich noch desaströser ausgehen als die Regionalwahlen im Mai. Offensichtlich will man in der PSOE nicht die Verantwortung für noch tiefere Einschnitte übernehmen und sich damit endgültig von seiner Stamm-Wählerklientel verabschieden. Vielleicht ist ihr die deutsche Sozialdemokratie ein warnendes Beispiel. Auf jeden Fall wird die Eurokrise und damit der Sparterror weitergehen, vielleicht, wie in Griechenland, über die Schmerzgrenze hinaus. Und deshalb ist gerade in Spanien mit großen Widerstandsaktionen der Empörten und auch der Gewerkschaften zu rechnen. Die Gewerkschaften werden sich dem nicht entziehen können. Zum einen brauchen sie nicht mehr auf die PSOE Rücksicht nehmen und zum anderen sind sie in ihren eigenen Reihen mit einer Opposition linker Gewerkschafter konfrontiert, die mit dem Kurs der Führung nicht einverstanden sind. So hat der Madrider Regionalverband der CCOO von Beginn der Bewegung M-15 zu deren Unterstützung aufgerufen und ihren Mitgliedern empfohlen, an den Demos teilzunehmen. Der Druck auf die Gewerkschaftsführung wird unter einer PP-Regierung zunehmen und sie zum Handeln zwingen. Wohl ist den Herrschenden bei dieser Entwicklung allerdings nicht. Aber sie können sich weltweit nichts anderes vorstellen, als die Krisenlasten auf die lohnabhängige Bevölkerung abzuwälzen. Damit drohen mitten in der EU plötzlich „arabische Verhältnisse“. Wie dort, ist auch hier die soziale Misere der eigentliche Grund für die Empörung. Die Bourgeoise hat allerdings in solchen Situationen immer eine Lösung parat. Der EU-Kommissionspräsident Barroso warnte Mitte Juni des Jahres vor weit reichenden Folgen sozialer Proteste in Griechenland, Spanien und Portugal. Barroso hält Umstürze im Süden Europas für möglich. Dass er das ausgerechnet vor Gewerkschaftsführern tat, spricht für sich. Bei der Zusammenkunft „habe der ehemalige portugiesische Ministerpräsident die Gewerkschaftsvertreter davor gewarnt, ‚dass diese Länder in ihrer demokratischen Gestaltung, wie wir sie derzeit kennen, verschwinden könnten‘“(jW). Es spricht auch für sich, dass in den bundesdeutschen Medien darüber nichts zu lesen war. Aber die Drohungen Barrosos zeigen, dass sich die herrschenden Klassen auf weitere soziale Verwerfungen und auf Aufruhr vorbereiten. Es ist aber nicht anzunehmen, dass sich die Protestbewegungen in Griechenland, Spanien oder sonstwo von solchen Drohungen beeindrucken lassen. Die politische Entwicklung wird spannend in den vor uns liegenden Monaten.

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