Montag, 1. Oktober 2012
Finanzkrise, Schuldenkrise
Vorbemerkung
Dieser Artikel versucht die ökonomische Seite der derzeitigen Krise zu untersuchen und die tieferen Ursachen herauszuarbeiten. Die Untersuchung bewegt sich dabei weitgehend innerhalb der herrschenden Logik, nämlich der Logik des Kapitals. Das ist unvermeidlich, denn die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten bestimmen Ursache und Verlauf, und nur mit Bezug auf sie kann die Situation beschrieben und erklärt werden.
Die politischen Folgen der Krise stehen nicht im Mittelpunkt. Leider kann praktisch gar nicht auf die politische Situation in Griechenland eingegangen werden. Hauptsächlich weil die Informationen fehlen, um die Kämpfe in Griechenland adäquat beurteilen zu können. Aber auch was hierzulande geeignete Forderungen wären (und was weniger) und wer solche aufgreifen könnte, kann im Rahmen dieses Artikel nur am Rande behandelt werden.
Es sind turbulente Zeiten. Ein „Rettungsprogramm“ jagt das andere, kaum ist eines verabschiedet, wird schon über neue und weitergehende Maßnahmen spekuliert. Dabei ist es offensichtlich, dass diese „Rettungspakete“ im besten Fall einen Zeitgewinn verschaffen, aber die Krise nicht ursächlich lösen.
Über die Rolle, die die EZB bei der Krisenbekämpfung einnehmen kann/sollte, gibt es heftige Auseinandersetzungen.
Die Regierungen von (angeblich) souveränen Staaten werden durch Kontrollgremien (Troika) praktisch entmachtet, bzw. es wird gleich ein Auswechseln der Regierungen erzwungen.
Wie kam es dazu?
Eine kurze Vorgeschichte
Hier nur einige Stichworte um die Vorgeschichte ins Gedächtnis zu rufen. Grundsätzlich gilt: wir blicken auf Jahrzehnte der Deregulierung, des Shareholder-Value, der Umverteilung von Unten nach Oben, des Sozialabbaus, kurz auf Jahrzehnte einer mehr oder weniger neoliberalen Politik zurück.
Von Ende der 90er Jahre an gab es allgemein eine gute Konjunktur (Internet-Boom bzw. -Blase), besonders in den USA. Die USA hatten für drei Jahre (1998, 1999 und 2000) sogar Haushaltsüberschüsse.
2001 kam das Ende des Booms, die Blase platzte mit großen Kursverlusten an den Aktienbörsen. Kriegskosten (Afghanistan, Irak) und Steuersenkungen für die Wohlhabenden beendeten in den USA das kurze Intermezzo der Haushaltsüberschüsse. Die Notenbanken, allen voran die US-Notenbank, leiteten drastische Leitzinssenkungen zur Rezessionsbekämpfung ein.
Ab 2002 zog die Konjunktur wieder an, aber es war großenteils ein Aufschwung auf Pump. In der Folge bildete sich die Immobilienblase in den USA, später auch in Spanien und Irland. In vielen Ländern stieg die Staatsverschuldung kontinuierlich an, teilweise gab es auch eine hohe Verschuldung der Privathaushalte.
2007 gab es die ersten Anzeichen der Immobilienkrise (Subprime-Krise), die die Finanzkrise auslöste (Herbst 2008 Pleite von Lehman Brothers). Diverse Rettungsprogramme für Banken und Konjunkturprogramme zur Überwindung der Krise schraubten die Staatsverschuldung weiter nach oben.
2009 kam es weltweit zu einer heftigen Rezession aufgrund von Steuerausfällen was wiederum allgemein zu einer weiteren Erhöhung der Staatsverschuldung führte.
2010 begann die sogenannte Euro-Krise (Griechenland) und der erste „Rettungsschirm wurde aufgespannt“. Gleichzeitig endete die Rezession und Deutschland profitierte überdurchschnittlich vom Aufschwung. Dagegen erholte sich die USA 2011 nur schwach (Arbeitslosigkeit bleibt über 9%), auch in anderen Ländern gab es nur ein geringes Wirtschaftswachstum. Die Euro/Schuldenkrise verschärfte sich, die Bonität der USA wurde herabgestuft, die „Märkte“ befürchteten eine weitere Rezession.
Der Charakter der aktuellen Krise
Die aktuellen Krisenerscheinungen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Finanzkrise 2008/2009. Der Aufschwung nach 2001 war zum großen Teil ein Aufschwung auf Pump. Es wurde versucht, die nachlassenden Wachstumskräfte in den hochentwickelten Industrieländern durch Ausdehnung des Kredits auszugleichen. Die Notenbanken sorgten durch niedrige Zinsen und durch eine entsprechend lockere Geldpolitik für die Möglichkeit, die Kreditaufnahme stark auszuweiten. Ansonsten erfolgte die Ausdehnung des Kredits nicht nach einem großen Plan, sondern gemäß den partikulären Interessen der Beteiligten. Die Kreditausdehnung betraf praktisch alle Sektoren der Wirtschaft, die privaten Haushalte, die Unternehmen und den öffentlichen Sektor. Die Verteilung auf die Sektoren kann sich in den einzelnen Ländern erheblich unterscheiden, aber im Großen und Ganzen ist eine Konzentration der Verschuldung im Immobiliensektor und bei den Staaten zu erkennen. Die Verschuldung von Staaten ist selbstverständlich kein neues Phänomen, eigentlich seit den 70er Jahren ist vielerorts ein allmähliches Ansteigen der Staatsschulden zu beobachten.
Als erstes zeigte sich die Grenze der Kreditausdehnung bei den Hypotheken der Privathaushalte, vor allem in den USA. Der dortige Boom konnte nur funktionieren, solange die Immobilienpreise im Steigen waren. Das Ende dieses Preisanstiegs löste die sogenannte Subprime-Krise aus, die durch die Praxis der Verbriefung und durch den Handel mit strukturierten Wertpapieren, die sich letztlich auf verbriefte Hypotheken bezogen, weltweit ausstrahlte.
Seit 2010 erscheint die Krise vor allem als Schuldenkrise von Staaten, während die private Verschuldung in der öffentlichen Aufmerksamkeit kaum mehr eine Rolle spielt.
Zuerst standen die Euro-Länder Portugal, Irland und insbesondere Griechenland im Fokus. Damit sind die besonderen Verhältnisse in der Euro-Zone unmittelbar in das Krisengeschehen einbezogen. Aber es ist festzuhalten: die starke Verschuldung betrifft keineswegs nur die genannten Länder oder nur die Euro-Zone, sie ist vielmehr ein allgemeines Phänomen in der entwickelten kapitalistischen Welt (siehe Tabelle). Es ist nur eine Frage der Zeit bis die Widersprüche auch in anderen Ländern krisenhaft aufbrechen.
Die Schuldenkrise ist nur zu verstehen durch einen zweiten Aspekt, nämlich einer Wachstumsschwäche bzw. Rezession in den entwickelten kapitalistischen Staaten. Dieser zweite Aspekt ist der Auslöser der aktuellen Krisensituation. Durch das Ausbleiben des erhofften und für Neoliberale quasi naturgesetzlich vorausgesetzten Wirtschaftswachstums wurde die in Jahrzehnten allmählich aufgebaute Verschuldung als Überschuldung aufgedeckt.
Am Beispiel Griechenlands lässt sich das gut zeigen. Die relativ hohen Wachstumsraten vor 2008 (regelmäßig über 3% manchmal über 4%) sanken im Zuge der Finanzkrise im Jahr 2008 auf 1,3% und 2009 ging die Wirtschaftsleistung um 2,3% zurück. Die Folge war, was immer die Folge von Rezessionen ist, ein Rückgang der Steuereinnahmen bei tendenziell steigenden Staatsausgaben. Durch diese Effekte stieg die Neuverschuldung in den beiden Jahren stark an, 2008 betrug sie 9,4%, 2009 15%, 2010 10,3% des Brutto Inland Produkts (BIP).
Das Finanzkapital wertete diesen Anstieg der Verschuldung auch als Anstieg seines Risikos und reagierte mit erhöhten Zinsforderungen. Während sich nach der Einführung des Euro die Zinsen für die einzelnen Staaten rasch angenähert hatten, und etwa ab 2001 praktisch für alle Euro-Länder gleich (um ca. 4%) waren, haben sie sich mit Beginn der Finanzkrise wieder stark auseinanderentwickelt. Für Deutschland sind die Zinsen auf Staatsanleihen gesunken, für Spanien und Italien gestiegen, für Portugal und Irland stark gestiegen und für Griechenland geradezu explodiert. Der Auslöser war die objektive Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation Griechenlands. Dagegen hat das Eingeständnis der früheren Schummeleien bei den statistischen Meldungen und das Kleinrechnen der Verschuldung (bei dem das Bankhaus Goldman Sachs aktiv mitgewirkt hat) nur am Rande zur Verschärfung der Situation beigetragen. Denn die Schummeleien waren schon vorher ein offenes Geheimnis und die geringe Konkurrenzfähigkeit der griechischen Wirtschaft und die Ineffizienz des griechischen Staatsapparates kamen auch nicht plötzlich zustande. In den Jahren davor hat das die „Märkte“ nicht daran gehindert, dem griechischen Staat zu international gesehen günstigen Konditionen Kredit zu geben. Das entsprechende Lamento muss man wohl eher als Versuch werten, eine Propagandaposition aufzubauen.
Mit Zinsen am Kapitalmarkt von deutlich über 10% und einer Gesamtverschuldung von inzwischen 150% des BIP wären die Zinsaufwendungen für die Neuverschuldung und die jährlich anfallende Refinanzierung der Altschulden im Laufe der Zeit (alte Anleihen sind ja nicht sofort betroffen) in unerträgliche Höhen gestiegen.
Es war und ist klar, dass Griechenland solche Zinsen auf Dauer nicht aus eigener Kraft aufbringen kann (ebensowenig Portugal und Irland). Es musste sich vom Kapitalmarkt verabschieden und um Hilfe nachsuchen (erster „Rettungsschirm“ im April 2010). Der europäische „Rettungsschirm“ verschaffte vorerst günstigere Zinsen (zuerst 5%, später reduziert auf 3,5%), unterwarf aber die „begünstigten“ Staaten auch der Kontrolle durch EU, EZB und IWF (Troika), die ein hartes Konsolidierungsprogramm diktierten.
In Irland ist die Vorgeschichte anders. Irland erlebte in den 80er und 90er Jahren einen langanhaltenden Wirtschaftsaufschwung, getragen hauptsächlich durch Investitionen von großen Konzernen, die in Irland Produktionsstätten aufbauten. Der Lebensstandard wurde für breite Schichten verbessert und Irland konnte gegenüber den reicheren europäischen Ländern viel Boden gut machen. Irland hatte von 1996 bis 2007 Haushaltsüberschüsse und war damit eine der wenigen Ausnahmen, nicht nur in Europa. Aber der Aufschwung wurde im Laufe der Jahre immer stärker von einem kreditfinanzierten Immobilienboom bestimmt. Es bildete sich eine eigene, im Verhältnis zur irischen Wirtschaftsleistung, gigantische Immobilienblase. Nach dem Platzen dieser Blase erlebte Irland eine tiefe Bankenkrise und stürzte in die Rezession. In dieser Situation hat der irische Staat für alle Forderungen an irische Banken eine Garantieerklärung abgegeben und alle Verluste übernommen. Irland hat dafür bis jetzt (Herbst 2011) insgesamt 64 Mrd. Euro aufgewendet und zusätzlich verschiedene Garantien für Bankverbindlichkeiten, Liquiditätshilfen, etc. und für die inzwischen gegründete Bad Bank zu insgesamt 265 Mrd. übernommen (zum Vergleich Zahlen von 2010: BIP ca. 160 Mrd. und Gesamteinnahmen des Staates 36 Mrd.). Durch diese „Sozialisierung“ der privaten Verluste explodierte in Irland das Staatsdefizit im Jahr 2010 auf 32% des BIP.
In Irland ist also definitiv nicht eine staatliche Misswirtschaft (wie das von Griechenland behauptet wird) die Ursache der Überschuldung, sondern die Übernahme der Verluste der Finanz- und Immobilienwirtschaft nach deren Exzessen durch den Staat. Er rettete damit weniger die irische Banken (von den sechs größeren irischen Banken existieren drei nicht mehr), sondern eigentlich ausländische Banken und Finanzinstitutionen, die in Irland engagiert waren. Viele kontinentale Banken haben über Niederlassungen und spezielle Zweckgesellschaften die lockeren Aufsichtsbestimmungen in Irland für alle möglichen Spekulationsgeschäfte genutzt. Wie man hört, sind auch deutsche Banken, wie IKB, HRE und Deutsche Bank, letztere angeblich mit einem Engagement von 40 Mrd., dabei.
Irland betreibt also eine extrem kapitalfreundliche Politik. Der wirtschaftliche Erfolg in Irland beruhte darauf, Kapital durch günstige Bedingungen, z.B. niedrige Steuern, anzulocken. Diese Strategie wollten die irischen Regierungen (auch durch den Regierungswechsel nach den Wahlen hat sich da nichts geändert) offensichtlich nicht aufgeben. Man will weiterhin ein „zuverlässiger“ Partner für das Kapital sein. Die irische Regierung hat dabei lieber die Beamtengehälter massiv gekürzt, als die Unternehmenssteuern erhöht, obwohl es dementsprechenden Druck von anderen europäischen Ländern, wie z.B. Frankreich, gab.
Die Lage in Portugal wird hier nicht näher untersucht, prinzipiell ist sie ähnlich wie in Griechenland, nur nicht ganz so dramatisch. Zu Spanien siehe den speziellen Artikel am Ende diesen Artikels. Hier nur der kurze Hinweis, dass auch in Spanien die Probleme nicht vom Staat ausgingen, sondern vom Zusammenbruch der spanischen Immobilienblase, die im Wesentlichen von Privathaushalten und Immobilienunternehmen getragen wurde.
Die Krise hat gefährliche Ausmaße
Wie bereits erwähnt, sind die drei Länder, die bis jetzt die Hilfen des Rettungsschirms in Anspruch nehmen mussten, nur die Spitze des Eisbergs. Hohe Staatsschulden (ebenso hohe Verschuldung der privaten Haushalte und der Unternehmen) gibt es auch anderswo.
Spanien steht auf der Kippe, inzwischen auch Italien und sogar Frankreich gilt als gefährdet. Sollte das Finanzkapital nur noch zu wesentlich höheren Zinsen als in der Vergangenheit Geld zur Verfügung stellen, könnten auch andere Länder die Last bald nicht mehr tragen. Wenn für Spanien und Italien ein Zinsanstieg auf über 10% stattfinden sollte, könnten sie das nicht durchhalten. Vermutlich wäre dann auch der europäische Rettungsschirm kein Ausweg mehr. Die beteiligte Kapitalmasse wäre einfach zu groß und umgekehrt würde die Basis, auf die sich Garantien stützen könnten, immer kleiner. Sollte Italien von der aktuellen Krise unmittelbar erfasst werden (also wegen zu hoher Zinsen praktisch zahlungsunfähig werden), könnte alles ins Rutschen kommen. Die Schuldenkrise könnte der Auslöser einer großen Bankenkrise sein, diese würde eine allgemeine Kreditklemme verursachen, diese Firmenzusammenbrüche, massive Arbeitslosigkeit, Depression und so weiter. Wegen der Verflechtungen in Europa und weltweit ließe sich eine solche Krisenverschärfung praktisch nicht örtlich begrenzen. Die kapitalistische Großkrise, die alles Krisengeschehen der letzten Jahre in den Schatten stellen würde, ist eine reale Gefahr.
EU, Euro und die Krise
Die Eigenheiten der Währungsunion haben Auswirkungen auf die Lage und Handlungsmöglichkeiten der Krisenländer, andererseits ist die Euro-Zone und die EU auch als Ganzes betroffen. Dennoch ist die aktuelle Krise eigentlich keine Krise des Euro und keine Währungskrise. Währungskrisen sind charakterisiert durch größere Abwertungen und Kapitalabflüsse. Beides ist nicht zu beobachten. Auch bei anderen Indikatoren, wie öffentlicher und privater Verschuldung und Zahlungsbilanzen, steht der Euro-Raum nicht schlechter da als andere Währungsgebiete wie Dollar, Pfund und Yen. Wohlgemerkt der Euro-Raum als Ganzes. Das Problem liegt in den starken Unterschieden zwischen den einzelnen Euro-Ländern.
Die Mitgliedschaft in der Euro-Zone bedeutet für die Länder, dass sie keine eigene Geldpolitik betreiben können. Über den Leitzins, das Geldmengenwachstum etc. wird in Frankfurt durch die EZB entschieden. Diese Entscheidungen erfolgen nicht gemäß den speziellen Interessen eines einzelnen (kleinen) Mitgliedslandes. Die Währung eines Euro-Mitglieds kann nicht gegenüber anderen Euro-Ländern abgewertet werden, und für den Kurs gegenüber Außenwährungen, wie etwa Dollar oder Yen, ist die gesamte Euro-Zone ausschlaggebend. Der einheitlichen Geldpolitik und dem einheitlichen Wirtschaftsraum steht aber jeweils eine nationale Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gegenüber. Die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit der Volkswirtschaften ist nach wie vor deutlich unterschiedlich. Die Hoffnungen auf eine quasi automatische Angleichung im einheitlichen Wirtschaftsraum haben sich nicht erfüllt. Im Gegenteil, die Unterschiede haben sich eher verschärft. Insbesondere die deutsche Industrie hat von der einheitlichen Währung stark profitiert (kein Ausgleich der sinkenden Lohnstückkosten durch Abwertungen mehr). In der aktuellen Krise sind die in der Vergangenheit latenten Widersprüche aufgebrochen. Es gibt eine Polarisierung zwischen Ländern mit Exportüberschüssen innerhalb der EU (angeführt von Deutschland plus Österreich, Niederlande, Finnland) und Ländern mit chronischen Außenhandels-Defiziten (z.B. Griechenland, Portugal, Spanien). Frankreich ist ein Beispiel für eine Zwischenposition. Dadurch werden scharfe Interessengegensätze aufgeworfen und es drängen sich neue Fragen über die Weiterentwicklung von EU und Euro-Raum auf. Unter welchen Bedingungen gibt es gegenseitige Hilfe? Soll versucht werden, das unterschiedliche Niveau durch Transfers auszugleichen und wer entscheidet darüber und legt die Bedingungen fest? Soll die europäische Integration mit Kompetenzübertragungen weiter vorangetrieben werden (Wirtschaftsregierung, EU-Finanzminister). Was ist die Rolle der EZB bei der Krisenbekämpfung? Sollte sich die Krise weiter verschärfen, stehen wahrscheinlich grundsätzliche Entscheidungen über die Art der Weiterexistenz der Euro-Zone an.
Die Auseinandersetzungen sind bei weitem noch nicht beendet, aber es zeichnet sich ein deutliches Übergewicht der deutschen Position ab, die den anderen Ländern aufgedrängt wird. Aber eine Verallgemeinerung des deutschen Weges ist gar nicht möglich. Denn es können logischerweise nicht alle Länder Export-überschüsse erzielen. Was fehlt ist ein realistische Konzept, das über eine rigide Sparpolitik hinausgeht und Ländern wie Griechenland eine Perspektive gibt, statt durch Abwürgen der Binnenwirtschaft die Krise noch weiter zu vertiefen. Gelegentlich ist zwar, auch in EU-Regierungskreisen, von der Notwendigkeit eines „Marshallplans“ für die Problemländer die Rede, aber konkrete Taten in diese Richtung sind praktisch keine zu sehen.
Die EU war in der Vergangenheit in gewisser Weise eine Schönwetterveranstaltung. Jetzt nagt die Krise auch am Kern, der die EU bisher stabilisiert und deren Attraktivität ausgemacht hat, dem ökonomischen Nutzen für alle Mitglieder.
(Diese Bemerkungen können die Problematik nur kurz anreißen. EU und Euro wären eigentlich Stoff für einen eigenen ausführlichen Artikel.)
Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals als tiefere Ursache
Der Hauptgrund für die Krise ist, wie für alle kapitalistischen Krisen, die Überakkumulation an Kapital (für Marxisten keine überraschende Feststellung) und die Schwierigkeiten das angehäufte Kapital weiterhin zu verwerten. Der Teil der Profite, der sofort wieder in die Produktion investiert wird, wurde tendenziell kleiner. Der andere Teil der Profite verblieb in der Finanzsphäre. Ausdruck dafür ist der stark anwachsende Anteil der Finanzbranche in den letzten beiden Jahrzehnten.
Durch die neoliberale Offensive wurde, nicht ohne einen gewissen Erfolg, versucht, die Ausbeutung zu verschärfen und mehr Mehrwert pro Arbeitszeiteinheit herauszupressen. So sollte dem tendenziellen Fall der Profitrate etwas entgegengesetzt werden. Aber der Kapitalismus erstickt dabei an seinem eigenen Erfolg. Je mehr Kapital akkumuliert wird, desto mehr muss dann in der darauffolgenden Periode einer Verwertung zugeführt werden.
Eine Lösung innerhalb des Kapitalismus kann deshalb letztlich nur darin bestehen, dass das gleichsam überschüssige Kapital vernichtet wird und sich ein neues Gleichgewicht zwischen der vorhandenen Kapitalmasse und der möglichen Mehrwertproduktion herausbildet. Der Schuldenschnitt für Griechenland, der in den EU-Beschlüssen vom 26.10. angekündigt wurde, bedeutet zwar eine Kapitalvernichtung, bzw. die Bilanzierung der real schon stattgefundenen Kapitalvernichtung, ist aber von der Größenordnung bei weitem nicht ausreichend, um das oben erwähnte Gleichgewicht wieder herzustellen.
Die Kreditausdehnung ist und war der Versuch dieser Problematik zu entkommen. Hohe und gelegentlich auch zu hohe (Staats-)Schulden sind nicht einfach ein Versagen, sondern auch eine gewisse Notwendigkeit in der jetzigen Phase der kapitalistischen Entwicklung.
Notwendigkeit und Grenzen der Staatsverschuldung
Dafür gibt es zwei Gründe. Für das Finanzkapital beutet die Staatsverschuldung zuerst einmal, dass riesige Massen an Geld-Kapital hier eine Anlagemöglichkeit und Verzinsung finden. (Siehe Tabelle S. 3) Man muss sich immer bewusst sein, dass diesen Schulden die gleiche Menge an Vermögen, großenteils in privater Hand, gegenübersteht. Die verschuldeten Staaten haben aus der Sicht der Vermögensbesitzer dafür zu sorgen, dass pünktlich die Zinsen bezahlt werden und das Vermögen als solches nicht entwertet wird. Wenn das Geld für die Zahlung der Zinsen knapp wird, muss der Staat eben bei anderen Ausgaben kürzen. Die Zinsen auf Staatstitel sind zwar außerhalb von Krisen nicht besonders hoch, aber die Kapitalmassen finden einfach nicht genügend profitablere Anlagemöglichkeiten.
Der zweite Grund besteht in der Erzeugung von Nachfrage. Was immer die Staaten mit dem geliehenen Geld im Einzelnen machen, sie geben es aus und schaffen direkt und indirekt Nachfrage und drehen damit am Schwungrad der wirtschaftlichen Entwicklung. Durch die Staatsverschuldung wird Finanzkapital wieder in den realen Wirtschaftskreislauf der Produkte und Dienstleistungen eingeschleust. Aufgabe der Staatsverschuldung ist es damit, die Pros-perität des Kapitalismus aufrechtzuerhalten, wenn die Wachstumskräfte erlahmen.
Diese Spielart des Keynesianismus muss an eine Grenze stoßen, wenn die beiden für das Kapital elementaren und unerlässlichen Bedingungen nämlich erstens durch immer weitere Ausdehnung die Wirtschaft anzukurbeln und zweitens verlässlich Zinsen zu zahlen gleichzeitig nicht mehr erfüllt werden können. Es ist nicht möglich exakt zu bestimmen wo genau diese Grenze liegt. Das Überschreiten der Grenze wird erst im Auf und Ab von Konjunktur und Rezession erkennbar. Ähnlich wie bei der Industrie erst im kapitalistischen Abschwung die Überkapazitäten sichtbar werden, wird die Überschuldung von Staaten sichtbar, wenn sich die Wachstumshoffnungen und damit die Basis auf „normale“ Weise, durch mit dem Wirtschaftswachstum ansteigende Steuereinnahmen, die Zinsen zu bedienen, zerschlagen haben.
Ist diese Situation eingetreten, entbrennt der Verteilungskampf wer letztlich bezahlen muss. Die typische Lösungsvorstellung der Kapitalisten ist Sparen – im Allgemeinen, aber besonders bei den Löhnen, Sozialausgaben, etc. Aber dieser Weg ist sogar aus kapitalistischer Sicht widersprüchlich. Denn ein harter Sparkurs wird, wie das Beispiel Griechenland zeigt, die Konjunktur noch weiter abwürgen und damit die Krise weiter verschärfen.
Für den Kapitalismus wäre in der jetzigen Situation eigentlich beides gleichzeitig notwendig, hartes Sparen und expansive Staatsausgaben. Selbstverständlich ist beides gleichzeitig unmöglich und eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung unvermeidlich. Die USA scheinen zur Zeit mehr auf die Expansion zu setzen, Deutschland mehr auf das Sparen.
Eine Lösung der Schuldenkrise bedeutet für das Finanzkapital nicht ein Ende der staatlichen Schuldenaufnahme oder die Rückzahlung der Schulden. Wie schon gesagt, aus Sicht des Kapitals muss vor allem die Zinszahlung gewährleistet werden. Um dieses Ziel langfristig abzusichern, darf die Verschuldung die Zahlungsfähigkeit nicht übersteigen. Deshalb die Forderung die Dynamik der Verschuldung zu brechen. Das heißt die Verschuldung gemessen in Prozent des BIP sollte nicht mehr weiter zunehmen. Noch besser wäre es, wenn sie tendenziell sinken würde. Die Schulden brauchen dabei aber nicht absolut zurückgehen. Der Idealfall wäre ein kräftiges Wirtschaftswachstum mit einer jährlichen Neuverschuldung geringer als dieses Wachstum. Diese Konstellation ließe die Prozentzahl der Schulden (und damit auch der Zinszahlungen) am Anteil des BIP allmählich sinken und böte doch steigende Anlagemöglichkeiten für das Finanzkapital. Der Haken dabei, die Krise gibt es ja gerade deshalb weil diese Konstellation in der Realität nicht aufrecht erhalten werden konnte.
Die Zahlungsfähigkeit ließe sich auch durch Erhöhung der Einnahmen, sprich Steuern, verbessern. Hier gäbe es, sogar aus der Sicht einiger bürgerlicher Ökonomen, Spielraum bei den Vermögenden. Dieser Spielraum ist nicht nur darin begründet, dass dort viel Geld vorhanden ist, sondern auch durch die Tatsache, dass damit (Anlage suchendes) Geld-Kapital über den Staat in den Konsum eingeschleust würde, also etwas gegen die Ursache der Krise unternommen würde. Selbstverständlich müssten die diversen Möglichkeiten der Steuervermeidung und Steuerflucht dann energisch bekämpft werden. Diesem Weg stehen (bis jetzt) die Machtverhältnisse entgegen, er wäre eine totale Kehrtwende gegenüber Praxis der letzten Jahrzehnte.
Ein Schuldenschnitt ist aus Sicht des Kapitals eine Art Enteignung. Deshalb kann/darf er im Kapitalismus nur das letzte Mittel sein. Er kommt dann in Frage, wenn das Geld bereits offensichtlich verloren ist, und die Hoffnung auf eine ordentliche Zinsbedienung und Rückzahlung allgemein als Illusion eingeschätzt wird. Für Griechenland war dieser Punkt erreicht und deshalb haben die Regierungen, die Banken und auch der IWF den „freiwilligen“ Schuldenschnitt von (angestrebt) 50% akzeptiert.
Die Gegenkräfte sind noch schwach
Der politische Stärke von Linken und besonders von Marxisten hierzulande und in vielen anderen Ländern ist gering. Es gelingt nicht wirklichen Einfluss auf die Art der Krisenbekämpfung zu nehmen. Die diversen Maßnahmen, die in der Öffentlichkeit zum Teil heftig diskutiert werden, wie Euro-Bonds, die Rolle der EZB, das „Hebeln“ des EFSF oder der von den fünf „Wirtschaftsweisen“ vorgeschlagene Schuldentilgungsfond, werden fast allein aus der Sicht der herrschenden Klasse und ihren in Einzelfragen durchaus divergierenden Interessen beurteilt. Es gibt zur Zeit keine oppositionelle Bewegung oder Kraft, die sich wirksam einmischen könnte. Das macht die Diskussion über Vor- und Nachteile konkreter Schritte schwer bis unmöglich. Erfolg oder Misserfolg, Wirkungen und Nebenwirkungen sind immer wesentlich von den konkreten Umständen ihrer Durchführung abhängig. So ist es eben ein Unterschied, ob die Möglichkeiten der EZB bei der Krisenbekämpfung im Sinne des Kapitals bzw. einer Kapitalfraktion eingesetzt werden, oder ob dabei die Interessen der Bevölkerung ausschlaggebend sind. Eine gewisse Inflation könnte z.B. durch Lohn und Rentenanpassungen abgefedert werden. Aber eben nur könnte. Zur Zeit sieht es nicht danach aus, als ob die Bereitschaft für ein solches Vorgehen vorhanden wäre. Sogar bei einem Schuldenschnitt besteht die Gefahr, dass unter den herrschenden Bedingungen die konkrete Ausgestaltung durch das Kapital bestimmt wird und eine Entlastung der Bevölkerung von den Krisenfolgen gerade nicht das Ziel der Übung ist.
Natürlich unterstützen Marxisten alles was der Abwehr der Krisenlasten dient. In Deutschland beinhaltet das auch Forderungen nach höherer Kaufkraft, mehr Orientierung auf den Binnenkonsum und Kritik am Export-Fetischismus. Selbstverständlich treten Marxisten für eine höhere Besteuerung der Vermögenden ein und unterstützen eine stärkere Regulierung der Finanzbranche. Sie sind solidarisch mit den Kämpfen in anderen Ländern und treten der Spaltung der arbeitenden Klassen nach Nationalismen entgegen.
Gleichzeitig müssen Marxisten auch immer auf die Begrenztheit und eventuell auch Widersprüchlichkeit solcher Forderungen hinweisen. Das ist sicher eine Gratwanderung, aber es ist die gegenwärtige Aufgabe von Marxisten. Es gibt keinen einfachen Ausweg aus der Krise. Es muss früher oder später zur Kapitalvernichtung in gigantischem Ausmaß kommen. Die Unlösbarkeit der Krise im Kapitalismus muss von Marxisten klar herausgestellt werden und alle Illusionen müssen vermieden bzw. kritisiert werden.
Endet die neoliberale Epoche in der großen Krise?
Zum Zeitpunkt der Endredaktion dieses Artikels ist noch nicht erkennbar, wie sich die Situation nach dem „Rettungspaket“ vom 26.10.2011, der Auswechslung der griechischen und italienischen Regierungen und der neugewählten spanischen Regierung weiterentwickeln wird. Steht in nächster Zukunft eine, wenigstens vorübergehende, Beruhigung oder eine weitere Verschärfung der Krise bevor?
Trotzdem der Versuch
eines Fazit:
Nach Jahrzehnten neoliberaler Politik ist festzustellen, dass genau das eingetroffen ist, was die Kritiker des Neoliberalismus erwartet haben. Der entfesselte Kapitalismus hat nicht den Wohlstand der Mehrheit, oder gar aller, erhöht, er hat nur den Reichtum der Reichen vermehrt. Laut der amerikanischen Behörde für Volkszählung war z.B. das letzte Jahrzehnt für die Entwicklung des Wohlstands ein verlorenes. Die Quote der Armut ist gestiegen und auch der Mittelstand, die sogenannten „Leistungsträger der Gesellschaft“, die den Neoliberalen angeblich am Herzen liegen, hat Einkommensverluste hinnehmen müssen. Ähnliche Studien gibt es auch für andere Länder einschließlich Deutschland.
Aber sogar aus der Sicht des Kapitals ist die Entwicklung keine reine Erfolgsstory. Die Kapitalakkumulation, sprich die Wachstumsraten der Wirtschaft, entwickelt sich weitgehend nicht im gewünschten Bereich. Vermeintliche Wachstumsfelder stellen sich nach einiger Zeit als Blasenbildungen heraus und verursachen Verluste statt Wertzuwachs. Versuche auszuweichen stellen sich als Sackgassen heraus. Insbesondere zeigt sich, dass der Versuch über eine starke Ausweitung des Kredits, sei es nun an staatliche oder private Schuldner, die Prosperität des Kapitalismus aufrecht zu erhalten an eine immer offensichtlichere Grenze stößt.
Die völlig deregulierten Kapitalmärkte leisten nicht mehr, was nach Lehrbuch ihre Stärke sein sollte, nämlich die effiziente Allokation von Kapital. Offensichtliches Marktversagen, sei es durch Mitschwimmen bei Blasenbildungen oder durch Verdrängen von Risiken, wird immer häufiger und betrifft vor allem immer riesigere Kapitalmassen.
Das neoliberale Zeitalter hat keinen ständig prosperierenden Kapitalismus hervorgebracht. Im Gegenteil, die Krisen nähern sich immer mehr den Zentren des Kapitalismus. Trotz ideologischer Auflockerung in einigen Medien, die herrschenden Klassen setzen noch immer auf den Neoliberalismus. Die Spar- und „Reformprogramme“, die jetzt freiwillig oder aufgezwungen von den Regierungen durchgezogen werden, entspringen genau dem neoliberalen Geist, der schon seit Jahren propagiert wird und offensichtlich nicht geeignet ist, Krisen zu verhindern. Das Krisenmanagement wird immer hektischer und am Horizont zeichnet sich als realistische Gefahr eine Superkrise ab. Die Möglichkeit einer alles erschütternde Großkrise kann auch von den Apologeten des Kapitalismus nicht mehr geleugnet werden.
Fazit: Der Kapitalismus in seiner jetzigen Verfassung ist angeschlagen, die Folgen sind noch offen.
Japan und/oder USA als kommende Krisenherde?
Griechenland steht im Brennpunkt der Aufmerksamkeit. Aber es ist ein kleines und für die Entwicklung des Kapitalismus letztlich nicht entscheidendes Land. Japan ist mit über 200% des BIP deutlich höher verschuldet und die Verschuldung schreitet ungebrochen voran. Bei den USA wären als Negativpunkte dazu noch die chronischen Handelsbilanzdefizite, die hohen Militärausgaben und die starke Verschuldung der Privathaushalte zu nennen. Trotzdem hat auch die jüngste Herabstufung der Bonität durch die Ratingagentur Standard&Poor’s keine Flucht aus dem Dollar ausgelöst. Die US-Staatspapiere erfreuen sich weiterhin einer großen Nachfrage, die Renditen sind sogar nach der Herabstufung noch gesunken.
Bis zu einem gewissen Grad ist die Situation nicht rational, aber es gibt schon eine Reihe von Fakten die zur Erklärung herangezogen werden können.
Japan hat eine leistungsfähige Industrie, die in jeder Hinsicht konkurrenzfähig ist, es ist also eine starke wirtschaftliche Basis vorhanden. Die japanische Wirtschaft erzielt seit langem Leistungsbilanzüberschüsse und tätigt dementsprechend Nettokapitalexporte. Es ist also in Japan selbst genügend Geld-Kapital vorhanden, um das Staatsdefizit zu finanzieren. Folglich ist Japan zum ganz überwiegenden Teil im eigenen Lande verschuldet (nur 7% der japanischen Staatsschuld werden von Ausländern gehalten). Ein großer Anleger ist z.B. die Postbank, die die vielen bei ihr angelegten Guthaben von Klein- und Mittelsparern in Staatspapieren (75% ihrer Aktiva) investiert. Auch bei anderen Anlegern in Japan scheint noch eine gewisse „patriotische Zurückhaltung“ vorzuliegen und man begnügt sich mit den niedrigen japanischen Zinsen und zeigt Langmut mit der weiter steigenden Staatsverschuldung.
Die USA sind nach wie vor die größte Volkswirtschaft, haben eine hohe Produktivität und Innovationsfähigkeit. Sie sind politisch und militärisch die Führungsmacht im kapitalistischen Lager. Auch die simple Tatsache der mit Abstand größte Markt für Staats-Papiere zu sein, spielt eine Rolle. Der Markt an US-Schuldverschreibungen gilt als sehr liquide, d.h. es sind jederzeit auch große und sehr große Summen handelbar. Es gibt keine Alternative. Das Kapital weiß einfach nicht wohin, wenn es sich von den USA abwenden wollte. Deshalb wird man bis zuletzt die Hoffnung hochhalten, dass das dort investierte Kapital sicher ist. Auch haben Politik und Notenbank immer signalisiert, dass sie Schocks mit allen Mitteln vermeiden wollen und gewillt sind unter allen Bedingungen genügend Liquidität als Schmiermittel für den Kapitalismus bereitzustellen. Das können sie auch, weil die USA ausschließlich in Dollar verschuldet sind und die amerikanische Notenbank für den Nachschub an Dollars sorgen kann. Formal könnte der Nachschub sogar unbegrenzt sein, aber der Dollar würde dadurch auch erheblich entwertet, was selbstverständlich Folgen hätte. Wenn die Entwertung des Dollars stärker ist, als die gezahlten Zinsen, wird das Finanzkapital reagieren. Entweder durch höhere Zinsforderungen und/oder durch eine Absetzbewegung aus dem Dollar. Kommt dann noch ein Ereignis dazu, das die Situation zuspitzt, etwa eine Rezession oder steigende Defizite wegen eines neuen Kriegsabenteuers, könnte plötzlich auch eine Massenflucht aus dem Dollar einsetzten.
Notenbanken drucken Geld
Die Notenbanken haben im Prinzip die Möglichkeit durch schiere Geldvermehrung die Staaten zu finanzieren. Im Allgemeinen wird das als Gelddrucken bezeichnet.
Im Normalfall versuchen die Notenbanken die Geldmenge im Gleichschritt mit dem Wirtschaftswachstum wachsen zu lassen. Erfolgt die Geldvermehrung schneller als die wirtschaftliche Entwicklung, wird das auf Dauer unweigerlich zu einer höheren Inflationsrate führen. Während der Finanzkrise sind viele Notenbanken zu Maßnahmen übergegangen, die diesen Schritt bedeuten oder zumindest sehr nahe kommen. Die US-Notenbank hat mit ihren Programmen des „Quantitative Easing“ und dem massiven Aufkauf von US-Staatsanleihen eindeutig diese Grenze überschritten. Die EZB behauptet bei ihrem Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen durch Gegenmaßnahmen die gleiche Geldmenge wieder zu neutralisieren. Wie dem auch sei, solche Instrumente erlauben den Notenbanken zwar eine sehr flexible und schnelle Reaktion bei Marktturbulenzen und ermöglichen es ihnen auch Spekulationsgeschäften etwas entgegenzusetzen. Aber wenn sie nicht die Ausnahme bleiben und ihre Wirkung nicht später wieder zurückgenommen wird, folgt ein Anstieg der Inflation.
Inflation könnte auch eine Strategie im Umgang mit dem Verschuldungsproblem sein. Die Befürworter eines solchen Weges denken an eine „gemäßigte“ Rate von etwa 5 %. Da für Schulden das Nominalprinzip gilt, würden Altschulden von Jahr zu Jahr ca. 5 % entwertet. Dieser Weg hätte den „Vorteil“ graduell und ohne Schocks abzulaufen, wenn es denn gelänge die Inflationsrate entsprechend zu steuern. Außerdem müsste sie nicht durch Parlamente etc. und nach einer offenen Diskussion beschlossen werden. Die Notenbanken können durch wenig transparente Aktionen die Weichen entsprechend stellen.
Eine inflationäre Entwicklung vermindert aber nicht nur den relativen Wert von Schulden sondern hat auch andere Folgen.
In Wirklichkeit sind die genauen Folgen sehr schwer abzuschätzen. Wer letztlich davon profitiert, wer sich einigermaßen dagegen immunisieren kann und wer dabei Verluste hinnehmen muss ist nicht durch die Höhe der (durchschnittlichen) Inflationsrate festgelegt. Viel ist vom konkreten Kräfteverhältnis abhängig (z.B. welche Lohnerhöhungen zum Inflationsausgleich durchgesetzt werden können) und auch vom Kräfteverhältnis zwischen verschiedenen Kapitalfraktionen. Denn nicht zuletzt sind auch die Geld-Kapital-Besitzer durch eine Inflation bedroht. Deshalb gibt es (nicht nur, aber speziell in Deutschland) erheblichen Widerstand von Bürgertum und Kapital gegen eine offensichtliche Inflationspolitik.
Der Inflationsfurcht ist auch die Variante des Rettungspakets zum Opfer gefallen, die für den EFSF-Mechanismus die Möglichkeit vorgesehen hatte, direkt von der EZB mit Notenbankgeld versorgt zu werden. Diese Möglichkeit hätte dem EFSF ohne Zweifel wesentlich mehr Schlagkraft verliehen und ihn in die Lage versetzt auch massive Spekulationen z.B. gegen Italien abzuwehren. Allerdings mit der Gefahr einer Inflationserhöhung, wenn die „Abschreckung“ allein nicht ausreicht sondern die Mittel wirklich in großen Maßstab eingesetzt werden müssen.
Spekulation
Die Instrumente der „modernen“ Finanzwelt, wie etwa Leerverkäufe* oder die berühmt-berüchtigten CDS**, erlauben es, auch bei sinkenden Kursen Gewinne zu machen. Die Anleger schließen dabei in gewissem Sinne Wetten auf das Eintreten bestimmter Ereignisse ab – also z.B. fallender Kurse egal ob von Währungen, Aktien, Anleihen, Rohstoffen etc. – und gewinnen beim Eintreten dieses Ereignisses. Allerdings muss man dabei jeweils einen Kontrahenten finden, der auf das genaue Gegenteil, also bei diesem Beispiel auf steigende Kurse wettet. Beim Nicht-Eintreten des Ereignisses können heftige Verluste entstehen. Gegen solche Verluste kann man sich dann wieder mit anderen Geschäften absichern. Auch mit einem drohenden bzw. realen Zahlungsausfall kann man mittels CDS Profite machen. CDS werden keineswegs nur für eine direkte Absicherung von Krediten und Anleihen abgeschlossen. Es gibt einen ausgeprägten Sekundärmarkt mit langen und verzweigten Handelsketten. Da die CDS praktisch nur außerbörslich gehandelt werden, weiß letztlich niemand genau, vermutlich auch die Aufsichtsbehörden nicht, wer im Ernstfall wirklich an wen bezahlen muss. Dieser Umstand stellt ein erhebliches Risiko für das Finanzsystem dar, denn die komplizierten finanziellen Vernetzungen mit Absicherungen nach allen Seiten, könnten in der Krise zusammenbrechen wie Kartenhäuser.
Es gibt Mitspieler im Finanz-Casino, die sich auf Baisse-Spekulationen spezialisieren und durch entsprechende Finanzoperationen bewusst austesten auf welchem Niveau die niedrigsten Kurse, die höchsten Zinsen etc. liegen könnten. Bei der aktuellen Schuldenkrise kann das z.B. bedeuten, die Spekulation testest aus, ab welchem Zinsniveau für Staatsanleihen die anderen Euro-Staaten mit Rettungspaketen eingreifen. Die sprunghaften Veränderungen vieler Kurse in Zeiten der Krise werden durch solche spekulativen Wetten mitverursacht. Durch Spekulation ausgelöste Kurseinbrüche beeinflussen wiederum andere Marktteilnehmer und es tritt ein sich selbst verstärkender Effekt ein. Spekulationen schaffen Fakten und „zwingen“ Staaten und Regierungen zum Handeln.
Allerdings ist in der Öffentlichkeit normalerweise im Einzelnen nicht bekannt, wer, in welchen Größenordnungen, sich an solchen Geschäften beteiligt (und wer auf was wettet). Die wahren Auswirkungen der Spekulation sind deshalb schwer einzuschätzen.
*Leerverkauf
Verkauf eines Wertpapiers, das der Verkäufer zum Zeitpunkt des Verkaufs nicht besitzt. Der Verkäufer spekuliert darauf, es erst zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Kurse unter den Verkaufspreis gefallen sind, zu erwerben und an den Käufer weiterzugeben. Dieser spätere Zeitpunkt muss nicht, kann aber sehr kurz bemessen sein z.B. nur Stunden bis Minuten.
Bei einem gedeckten Leerverkauf hat der Verkäufer das Wertpapier geliehen oder zumindest Vorsorge getroffen, es jederzeit leihen zu können. In diesem Fall muss er das Wertpapier spätestens dann erwerben, wenn die Leihgabe zurückgegeben werden muss.
Bei einem ungedeckten Leerverkauf hat der Verkäufer das Wertpapier auch nicht geliehen. Wenn Leerverkäufe massiv eingesetzt werden, bewirken sie durch das erhöhte (Pseudo-) Angebot erst die Kursverluste, die die Profite der Leerverkäufer ermöglichen.
**CDS, Credit Default Swap, Kreditausfallversicherung
Derivat zur Absicherung der Ausfallrisiken von Krediten, Anleihen etc. Der Käufer eines CDS zahlt dem Verkäufer eine Prämie. Wird der dem Derivat unterlegte Wert (Kredit oder Anleihe) von einem Zahlungsausfall betroffen, erhält der Käufer des CDS vom Verkäufer die im CDS vereinbarte Entschädigung. Die Höhe der Prämie bemisst sich nach dem Risiko, mit dem ein Zahlungsausfall zu erwarten ist.
Charakteristisch für CDS ist, dass sie sich weitgehend von diesem ursprünglichen Modell gelöst haben. Der Käufer muss gar keinen Kredit oder eine Anleihe halten für die er CDS erwirbt (ungedeckte CDS). Es gibt einen ausgeprägten Sekundärmarkt auf dem CDS ähnlich wie Aktien, also mit ständigen Kursbewegungen, gehandelt werden. Die Teilnehmer an diesen Märkten spekulieren auf diese Kurse. CDS sind zu einer eigenen Anlageklasse geworden.
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