Montag, 29. März 2021

Rote Post #35

 


Die gesamte Ausgabe als Download

HAMBURG

 

Bismarck und sein Denkmal

 

Aktuell wird in Hamburg das Bismarckdenkmal restauriert. Daran entbrannte ein Streit darüber, ob man denn noch so ein militaristisches und heroisches Denkmal für einen Politiker wie Bismarck haben wolle. In dieser Debatte werden zwei Dinge verhandelt: Einerseits die Bewertung der historischen Figur Bismarck, andererseits das aktuelle Selbstverständnis deutscher Chauvinisten.

 

Wer war Bismarck?

In einer Zeit, in der die deutsche Bourgeoisie das Proletariat schon mehr fürchtete, als sie den Adel hasste, als sie begann, nicht mehr Freiheit, sondern Herrschaft zu wollen, war Bismarck der Mann, der das Bündnis aus deutschem Militäradel und Bourgeoisie schmiedete. Mit diesem Bündnis gründete er Deutschland durch Kriege und zerstörte die Hoffnungen auf ein demokratisches Deutschland. Er verstand, dass es die Gewalt ist, die Klasseninteressen, also auch die seiner Klasse, durchsetzt. Selbst formulierte er es so:

Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut.“

Hochgehalten wird an ihm, dass er sich gegen die Kolonialinteressen der deutschen Bourgeoisie gewehrt habe. Oft wird dafür folgendes Zitat angeführt:

Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön, aber meine Karte von Afrika liegt hier in Europa. Hier liegt Russland, und hier liegt Frankreich, und wir sind in der Mitte; das ist meine Karte von Afrika.“

Dieses Zitat ist aber in keinster Weise irgendeine Kritik an den Interessen der deutschen Bourgeoisie, sondern schlicht die Behauptung, dass die Priorität die Durchsetzung deutscher Interessen gegen die beiden konkurrierenden Mächte Russland und Frankreich sein müsse. Dies hielt ihn aber nicht davon ab, 1884 die Westafrika-Konferenz in Berlin abzuhalten und mit den anderen Kolonialmächten die Aufteilung Afrikas zu besprechen.

In Bezug auf die europäische Diplomatie Bismarcks wird gerne hervorgehoben, dass alles so friedlich abgelaufen sei unter ihm (wenn man von den ganzen Kriegen für die Reichsgründung absieht). Diese Stilisierung Bismarcks zum Quasi-Pazifisten ist nicht nur lächerlich wegen der Kriege unter seiner Führung, sondern auch wegen der Gründe seiner Bündnispolitik:

Wenn ich arbeitsfähig wäre, könnte ich das Bild vervollständigen und feiner ausarbeiten, welches mir vorschwebt: nicht das irgendeines Ländererwerbs, sondern das einer politischen Gesamtsituation, in welcher alle Mächte außer Frankreich unser bedürfen und von Coalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zu einander nach Möglichkeit abgehalten werden.“

Es ging ihm nicht um das hohe Gut des Friedens, sondern er sah in einem Frieden die deutschen Interessen besser bedient als in einem Krieg, in dem das Deutsche Reich hätte verlieren können, was es zuvor durch Krieg gewonnen hatte. Er wollte eine Situation, in der alle außer Frankreich von Deutschland abhängig sind, und somit zu Zugeständnissen an Deutschland gezwungen sind, und die Widersprüche zwischen den anderen Mächten so zugespitzt werden, dass sie sich nicht gegen Deutschland verschwören können.

Ein Loblied, das gerne auf ihn gesungen wird, ist, dass er den deutschen Sozialstaat geschaffen habe. Aber das war bloß das Zuckerbrot zu seiner Peitsche. Bismarck führte den Sozialstaat als Mittel zur Herstellung eines relativen sozialen Friedens ein, um die Massen zu beruhigen, während er mit den Sozialistengesetzen versuchte, die damalige Vorhut der Arbeiterklasse in Deutschland organisatorisch zu zerschlagen. Der sogenannte Sozialstaat ist ein Mittel der Bourgeoisie im Klassenkampf und keine Arbeiterbeglückungsmaschine. Jeder, der schon mal auf einem Arbeitsamt war, weiß das auch – aber bürgerliche Historiker und Journalisten offenbar nicht.

Ein unwürdiges Gedenken für das beste Deutschland aller Zeiten?

Diejenigen, die Bismarck kritisieren, tun dies gerne in dem Gestus, dass es unzeitgemäß sei, ihm zu huldigen. Bismarck der Arbeiterfeind, Bismarck der Kriegstreiber, Bismarck der Junkerfreund, Bismarck der Kolonialpolitiker, Bismarck der Kaisertreue. Das passt doch gar nicht zu unserem demokratisch-liberalen, sozial-marktwirtschaftlichem Deutschland, oder?

Bismarck war kaisertreu und Junkerfreund. Deutschland, wie es von Bismarck mit Eisen und Blut geschmiedet wurde, schuf die soziale Grundlage für den deutschen Nationalcharakter, das heißt für preußischen Untertanengeist und Beamtentum. Eine Nation, für die das Militär die Schule der Nation war, in der die Beamten und Vorarbeiter in den Fabriken meist ehemalige Offiziere waren. Eine Nation, die nicht durch eine demokratische Revolution konstituiert wurde, sondern durch einen Angriffskrieg unter der Führung von Militäradel und Bourgeoisie, die sich miteinander verschworen haben, weil sie das Proletariat mehr fürchteten als sie einander hassten. Dieser Nationalcharakter hat sich durch zwei Weltkriege, Faschismus, Befreiung, Revisionismus an der Macht, und den Klassenkampf selbstverständlich gewandelt, aber der Kern wurde damals gelegt, und der deutsche Spießer, der nach oben buckelt und nach unten tritt, ist uns erhalten geblieben. Und unsere regierenden Bourgeois sind heute vielleicht nicht mehr kaisertreu, aber reaktionär alle mal. Und im Jobcenter hat sich der preußische Tonfall auch erhalten.

Bismarck war ein Arbeiterfeind. Er hat den Sozialstaat geschaffen und die Sozialistengesetze eingeführt. Und die heutige Bourgeoisie? Sie schikaniert das Volk mit Hartz IV. Sie prügelt linke Demonstrationen nieder. Sie verbietet die Organisationen der revolutionären Bewegung mit dem 129er Paragrafen. Sie terrorisiert die Massen mit der Hexenjagd nach G20 und der willkürlichen Anwendung des Landfriedensbruches, sodass schon das Demonstrieren an sich zur Straftat wird, wie im Rondenbarg-Prozess.

Bismarck war Kolonialpolitiker und hat Kriege geführt, um deutsche Interessen durchzusetzen. Was tat die Bundeswehr in Jugoslawien? Was tut sie in Afghanistan? Was tut sie in Mali? Was tut sie in Syrien? Was tut sie im Irak? Was tut sie im Libanon? Was tut sie am Horn von Afrika? Krieg ist auch heute ein notwendiger Weg für die deutsche Bourgeoisie, um ihre Interessen gegen andere Imperialisten und die Völker der Welt durchzusetzen. Und ganz Europa wird vom deutschen Kapital unterjocht und schwitzt für die Profite deutscher Banken und Konzerne; auch wenn es in den Medien keine große Rolle mehr spielt, sollte man die für deutsche Profite leidenden Massen in Griechenland nicht vergessen.

Wer vom Imperialismus nicht reden will, soll vom Kolonialismus schweigen. Denn ansonsten dient die Kritik an der Vergangenheit nur der Heiligsprechung der aktuellen deutschen Zustände. Und das ist nicht kritisch, das ist chauvinistisch.

Bismarck wird fallen, genauso wie der deutsche Imperialismus.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen