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Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1.) Neue Texte auf der Homepage;
2.) IMI-Analyse: Frontex-Files & Cyber Valley.
1.) Neue Texte auf der IMI-Homepage
Seit der letzten IMI-List sind wieder eine Reihe neuer Texte erschienen.
U.a. zur Tornado-Nachfolge und der Nuklearen Teilhabe, einem
„NATO-Manifest“ aus den Reihen der Böll-Stiftung, der SPD-Positionierung
dem Bau einer Eurokampfdrohne zuzustimmen, über rechtsradikale
Reservisten, erfolgreiche Auseinandersetzungen mit Rheinmetall in
Italien sowie staatliche Klimmzüge, um Aburteilungen wegen
Kriegsverbrechen ihrer SoldatInnen zu verhindern.
IMI-Analyse 2021/05
Gesetzeslose Soldaten
Wie Regierungen Kriegsverbrecher vor Bestrafung schützen
http://www.imi-online.de/2021/02/10/gesetzeslose-soldaten/
Pablo Flock (10. Februar 2021)
IMI-Standpunkt 2021/005
Ein Etappensieg gegen Rheinmetall?
Italien stoppt Rüstungsexporte an Saudi Arabien und die VAE
http://www.imi-online.de/2021/02/08/ein-etappensieg-gegen-rheinmetall/
Jacqueline Andres (8. Februar 2021)
IMI-Analyse 2021/04
Reservisten mit Terrorplänen
Der Reservistenverband als Wehrsportgruppe für Neonazis?
http://www.imi-online.de/2021/02/04/reservisten-mit-terrorplaenen-2/
Luca Heyer (4. Februar 2021)
IMI-Standpunkt 2021/004
Erster Schritt zu bewaffneten Drohnen
http://www.imi-online.de/2021/02/04/erster-schritt-zu-bewaffneten-drohnen/
Tobias Pflüger (4. Februar 2021)
IMI-Analyse 2021/03
Glutkern des Westens
NATO-Manifest aus der Böll-Stiftung
http://www.imi-online.de/2021/01/27/glutkern-des-westens/
Jürgen Wagner (27. Januar 2021)
IMI-Analyse 2021/02
Berlin: Atomwaffen-Jet im Hauruck-Verfahren vor der Bundestagswahl?
Atomwaffenverbotsvertrag, Nukleare Teilhabe und der Tornado-Nachfolger
http://www.imi-online.de/2021/01/25/berlin-atomwaffen-jet-im-hauruck-verfahren-vor-der-bundestagswahl/
Jürgen Wagner (25. Januar 2021)
2.) IMI-Analyse: Frontexfiles & Cyber Valley
IMI-Analyse 2021/06
Die Frontex-Files und das Cyber Valley
http://www.imi-online.de/2021/02/10/die-frontex-files-und-das-cyber-valley/
Christoph Marischka (10. Februar 2021)
Am 5. Februar gab Jan Böhmermann im ZDF Magazin Royale öffentlich den
Startschuss zur Veröffentlichung der „Frontexfiles“, einer Sammlung von
Dokumenten der EU-Agentur für den Grenzschutz, deren Herausgabe auf der
Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes erzwungen wurde.[1]
Dabei handelt es sich im Kern um Listen von Behörden- und
Industrievertreter*innen, die in den vergangenen drei Jahren an
Veranstaltungen von Frontex teilgenommen haben sowie um einige der dort
vorgestellten Präsentationen. Als Hintergrund verwiesen sowohl das ZDF
Magazin Royal als auch die NGO Corporate Europe Observatory auf das
massiv anwachsende Budget der Behörde wie auch das Vorhaben, eigene
Einheiten für den Grenzschutz mit insgesamt 10.000 Kräften aufzubauen
und auszurüsten. Die Autor*innen und auch erste Kommentator*innen
sprechen vor diesem Hintergrund von der Herausbildung eines
„grenz-industriellen“ bzw. „militärisch-grenzpolizeilichen Komplexes“.[2]
Jenen Firmen, die gleich bei mehreren Treffen anwesend waren, bilden
weitgehend das Who-is-Who der europäischen Rüstungsindustrie ab,
darunter neben Airbus und Thales u.a. Safran (Frankreich), Leonardo
(Italien) und Indra (Spanien). Auch Kleinwaffenhersteller wie Heckler &
Koch und Glock waren eingeladen. Unter denjenigen Firmen, die nicht
primär in der Rüstungsindustrie tätig sind, hier ihre Aktivitäten im
Zuge der Digitalisierung jedoch aktuell ausweiten, finden sich ATOS und
der japanische Elektronikkonzern NEC wiederholt in den Listen. In der
Auswertung des Corporate Europe Observatory wird NEC auch als eines der
relativ wenigen Unternehmen außerhalb Europas hervorgehoben, das in den
Frontex-Dateien auftaucht. Neben NEC sind dies ein kanadisches
Unternehmen für Gesichtserkennung (Face4Systems) sowie drei israelische
Firmen, die im Bereich der Bilderkennung (Shilat Optronics und Seraphim
Optronics) und der Drohnentechnologie (Elbit Systems) aktiv sind.[3]
Die insgesamt 108 Unternehmen, die auf den betreffenden Frontex-Treffen
vertreten waren, bieten zusammengenommen eine durchaus brauchbare
Stichprobe einer sich modernisierenden europäischen Rüstungsindustrie,
welche verstärkt auch neue Technologien und mehr oder weniger zivile
Anwendungsfelder wie den Grenzschutz in den Blick nehmen. Diese
Stichprobe eignet sich damit auch, um die Relevanz einiger Industrie-
und Technologie-Cluster hervorzuheben: In diesem Falle das grünschwarz
regierte Baden-Württemberg und das von der entsprechenden
Landesregierung vorangetriebene „Cyber Valley“.
Unternehmen aus BaWü
Der wesentlich unter dem Dach von Daimler aufgebaute, größte europäische
Luftfahrt- und Rüstungskonzern Airbus hat seinen Hauptsitz zwar in
Frankreich und zentrale Produktionsstätten u.a. in Spanien. Die
(inoffizielle) Zentrale seiner Rüstungssparte jedoch befindet sich in
München-Ottobrunn (auf dem Gelände der im Nationalsozialismus
aufgebauten Luftfahrtforschungsanstalt München). Hauptsitz der
Satelliten- und Weltraumtechnik ist Immenstaad am Bodensee – quasi in
Sichtweite zum Lenkwaffenhersteller Diehl Defence, dem v.a. auch auf
militärische Antriebssysteme spezialisierten Unternehmen MTU und seinem
historischen Zulieferer ZF Friedrichshafen. Tatsächlich in Wurfweite
liegt direkt gegenüber dem Airbus-Weltraumzentrum in Immenstaad der
explizit für militärische Aufträge zuständige Airbus/Daimler-Ableger ND
Satcom GmbH. Ein weiterer zentraler Standort von Airbus befindet sich in
Ulm. Hier wird v.a. Sensorik und Radartechnologie entwickelt und
produziert. Diese Sparte wurde 2017 von Airbus weitgehend in die
Hensoldt AG überführt, die ebenfalls in den Frontexfiles auftaucht -
aber nicht als außereuropäisches Unternehmen hervorgehoben wird, obwohl
es sich überwiegend im Besitz einer US-amerikanischen Holding, der KKR &
Co. Inc. befindet.
Neben dem Bodensee und Ulm deutet sich v.a. mit Thales ein weiterer
Cluster in Baden-Württemberg an, dessen Relevanz auch angesichts der
Frontexfiles unterstrichen wird. Thales ist Bahnfahrer*innen von
Fahrkartenautomaten bekannt, wo es die Terminals für bargeldloses
Bezahlen verantwortet. Thales ist zugleich eines der größten
Rüstungsunternehmen weltweit, das Produkte von der
Satellitenkommunikation über vollautonome Waffen bis hin zu
Nachtsichtgeräten und „head-mounted displays“ – also Cyber-Brillen für
den militärischen Einsatz – anbietet. Seine breit aufgestellte Position
in der modernen Rüstung hat das Unternehmen unter der Führung von
Thierry Breton eingenommen – ehemaliger Wirtschaftsminister Frankreichs
und heutiger EU-Kommissar für Industrie, Digitalisierung und Rüstung.[4]
Der deutsche Hauptsitz von Thales befindet sich nur wenige Kilometer
nördlich von Stuttgart, in einem Industriegebiet direkt an der A81
nördlich des Engelbergtunnels. Wiederum in Sichtweite befindet sich im
gegenüber liegenden Industriegebiet von Weilimdorf eine Niederlassung
von ATOS, an der noch heute erkennbar ist, dass sie einst zum
Siemens-Konzern gehört hat. Auch ATOS wurde unter dem heutigen
Industriekommissar Breton zu einem relevanten Player der
Rüstungsindustrie zusammenfusioniert. 2011 hatte der Konzern die
Siemens-Tochter „IT Solutions and Services“ übernommen, die explizit auf
Dienstleistungen für die Bundeswehr zugeschnitten war. Kurz darauf
übernahm ATOS auch den (ehemaligen) IT-Hersteller Bull, der sich
zwischenzeitlich auf Cloud-Dienstleistungen für das Militär
spezialisiert hatte. Heute hat ATOS gemeinsam mit Thales eine zentrale
Rolle in der informationstechnischen Vernetzung der französischen Luft-
und Bodenstreitkräfte und leitet das Unternehmen die Studie „Gläsernes
Gefechtsfeld“ für die Bundeswehr, bei der KI einzelne Soldat*innen und
autonome Systeme auf Grundlage ihrer jeweiligen Position, ihres
Munitionsbestandes und ihrer körperlichen Verfassung anleiten soll.[5]
Thales wiederum hatte im Februar 2020 feierlich bekannt gegeben, dass es
gemeinsam mit Airbus die „Combat Cloud“ für das „Future Combat Air
System (FCAS)“ bereitstellen würde.[6] Bei dem deutsch-französischen
Großprojekt soll nicht nur ein (bemanntes) Kampfflugzeug der nächsten
Generation entwickelt werden, sondern dieses von Anfang an in ein
Gesamtsystem eingebettet sein, bei denen eine Vielzahl von autonomen
Systemen zusätzliche Waffen, Sensorik und Mittel zur elektronischen
Kampfführung tragen und im Verbund mit dem bemannten Flugzeug zum
Einsatz bringen können.
In seiner Zusammenfassung über die Frontexfiles[7] weist Matthias Monroy
noch auf ein weniger bekanntes Unternehmen hin, welches offenbar den
Rüstungsriesen Airbus bei der Vergabe eines Auftrags zur
Grenzüberwachung mit sog. „Aerostats“ – Zeppelinen oder Ballons –
ausstechen konnte. Der Auftrag umfasst den Einsatz eines solchen
Aerostats für vier bis sechs Monate an der griechischen Außengrenze. Das
Luftfahrzeug selbst stammt vom französischen Hersteller CNIM, den
Betrieb der Aufklärungstechnologie übernimmt die deutsche Firma
innovative navigation GmbH, die in Kornwestheim, etwa 10km von Thales
und Atos entfernt, ihren Sitz hat. Zumindest in der Vergangenheit haben
innovative navigation und Thales auch schon bei Grenzschutzaufträgen
kooperiert. So findet sich auf der Homepage des Unternehmens eine
Pressemitteilung aus dem Jahr 2013, die von der Installation eines
„lokale[n] Überwachungssystem[s] zur Sicherung der EU-Außengrenzen in
Kroatien“ berichtet: „Die Firma in-innovative navigation GmbH lieferte dafür
im Auftrag des Joint Ventures der Firmen THALES und PCE (Pomorski Centar
Elektroniku) die gesamte Technik der Radarüberwachung (Sensoren,
Signalverarbeitung) und die Software für modernste und effiziente
Verarbeitung der Sensorsignale: Signalintegration, Tracking, sowie die
Darstellung der Daten in der Zentrale mit inDTS, einem leistungsfähigen
Displaymodul der Firma in-innovative navigation GmbH“.[8]
Frontex-Partner und das Cyber Valley
Beim Cyber Valley handelt es sich nach eigenen Angaben um „Europas
größtes Forschungskonsortium im Bereich der künstlichen Intelligenz mit
Partnern aus Wissenschaft und Industrie“.[9] Es wurde im Dezember 2016
vom Land Baden-Württemberg, der Max-Planck-Gesellschaft, den
Universitäten Stuttgart und Tübingen sowie den Industriepartnern,
darunter Daimler, Bosch und ZF Friedrichshafen auf den Weg gebracht –
später stieg auch das US-Plattformunternehmen Amazon ein. Im Kern
besteht das Cyber Valley bislang aus einem Technologiepark in Tübingen
und einem „Ökosystem“ – einem Netzwerk von Programmen und Institutionen,
die Unternehmensgründungen anregen und fördern sollen, indem sie
Know-How, Räumlichkeiten, Kontakte zu Industrie und Risikokapital usw.
bereitstellen. Ziel ist die schnelle Kommerzialisierung neuer
Forschungsergebnisse und damit auch die Generierung privater Gewinne aus
öffentlich finanzierter Forschung. Inhaltlicher Schwerpunkt ist das
Maschinelle Lernen und insbesondere das Maschinelle Sehen. Angesichts
der starken Beteiligung der Automobilindustrie sind Anwendungen v.a. im
Bereich des autonomen Fahrens naheliegend. Die damit verbundenen
Fragestellungen der Fusion und Interpretation von Sensordaten liegen
nahe an jener Forschung, die andernorts im Auftrag des Militärs, der
Rüstungsindustrie, Grenzschutz- und anderer Überwachungsbehörden
durchgeführt wird. Die Grundlagenforschung einiger am Cyber Valley
beteiligter Wissenschaftler*innen zur Bilderkennung durch Künstliche
Neuronale Netze wurde in den vergangenen Jahren u.a. durch ein Projekt
(MICrONs) der gemeinsamen Forschungsbehörde der US-Geheimdienste (IARPA)
finanziert.[10] Eingebunden in das Projekt war auch das Unternehmen
Amazon, das aktuell im Tübinger Technologiepark ein Forschungszentrum
für Maschinelles Lernen erbaut und in den USA für verschiedene Militär-
und Geheimdienstbehörden Cloud-Anwendungen zur Verfügung stellt.
Auch wenn Technologien explizit für Militär und Grenzschutz aktuell
keinen Schwerpunkt im Cyber Valley bilden, ist es doch auf verschiedene
Arten an die auf Grundlage der Frontexfiles skizzierten
Technologiecluster angebunden. So wurde z.B. eine frühere Ausgründung
der aus der Universität Tübingen, das Tübinger Startup
„Science&Computing“ zunächst von Bull und kurz vor der Gründung des
Cyber Valleys von Atos unternommen. 2018 eröffnete die European Space
Agency (ESA) gemeinsam mit Bosch und der Rüstungssparte von Airbus im
Technologiepark Tübingen-Reutlingen (TTR) sowie am Partnerstandort in
Immenstaad einen Business Incubation Centre (BIC): „60 Startups erhalten
bis Ende 2021 an den drei Standorten die Möglichkeit zur Inkubation und
durchlaufen die Förderphase von bis zu 2 Jahren. Für die technische
Unterstützung stehen die Unternehmen Airbus Defence and Space in
Friedrichshafen und Bosch Automotive Electronics in Reutlingen zur
Verfügung“, so berichtete damals die ESA.[11] Die ebenfalls beteiligte
IHK ergänzt: „Als Anschubförderung erhalten die Gründungen 50.000 Euro
sowie umfassende Service-Angebote durch Firmenbetreuer vor Ort und das
Partner-Netzwerk. Dazu gehören zehn Beratungs- oder Labortage bei Bosch
oder Airbus. Im Anschluss an die Phase im ESA-BIC sollen die Unternehmen
im örtlichen Technologiepark angesiedelt werden“.[12] Aktuell laufen im
Cyber Valley Verhandlungen über die konkrete Zusammenarbeit mit dem
japanischen Elektronikkonzern NEC, die im November 2020 durch ein
Memorandum of Understanding auf den Weg gebracht wurde. Laut
Pressemitteilung des Cyber Valleys handelt es sich bei NEC um ein
„weltweit führende[s] Unternehmen für Technologie- und
Kommunikationsinfrastrukturen und -lösungen. Zu den Stärken von NEC
gehören die originäre Forschung im Bereich der KI und deren angewandter
Einsatz“.[13] Dass NEC in den vergangenen Jahren mehrfach in der Liste
der 100 größten Rüstungsunternehmen weltweit (ohne China) aufgetaucht
ist, verschweigt die Pressemitteilung dabei. Neben den Aktivitäten von
NEC in der Rüstung und im Grenzschutz versucht NEC vergleichbare
Technologien unter den Schlagwörtern „öffentliche Sicherheit“ und „Smart
Cities“ auch in einem rein zivilen Umfeld zu etablieren. Broschüren des
Unternehmens zu diesen Schlagwörtern offenbaren Visionen eines Alltags,
der durch die Allgegenwärtigkeit autonomer Systeme, biometrischer
Erfassung und Zugangskontrollen geprägt ist.[14]
Damit ist NEC in einem ähnlichen Segment aktiv, wie Atos und in das auch
Bosch mit seiner Sparte „Security and Safety Systems“ verstärkt
einsteigen will. In einer Broschüre zum Produkt „Intelligente Video
Analyse“ nennt Bosch selbst den Grenzschutz als mögliche Anwendung:
„Diese Lösung auf dem aktuellen Stand der Technik ist ideal für
erfolgskritische Anwendungen wie dem Perimeterschutz von Flughäfen,
kritischen Infrastrukturen und Regierungsgebäuden, Grenzpatrouillen und
die Verkehrsüberwachung“. Das System kann demnach selbstständig u.a. das
Eindringen unautorisierter Personen, das Abstellen von Gegenständen oder
das unerlaubte Parken von Kraftfahrzeugen erkennen und bewegte Objekte
verfolgen. Die meisten der dargestellten Beispiele beziehen sich jedoch
auf die intelligente Überwachung von Lagerhallen bzw. Fabriken und damit
auch der dort Arbeitenden.[15] Auch Bosch plant aktuell den Bau eines
KI-Campus auf bzw. neben dem Technologiepark in Tübingen.
Der Vollständigkeit halber sei hier noch erwähnt, dass noch ein weiterer
Industrie-Partner des Cyber Valleys in den Frontexfiles auftaucht:
Daimler. Es handelt sich dabei um eine eher kleine – man könnte auch
sagen: exklusive – Veranstaltung am 8. Februar 2018. Frontex hatte zu
einem Industry Day zum Thema „Fahrzeuge zur Unterstützung des
Migrationsmanagements“ eingeladen. Neben Daimler (Mercedes-Benz Defence
Project Vans) waren nur zwei weitere, kleinere Unternehmen vertreten,
die auf die Umrüstung von Fahrzeugen für Spezialaufgaben wie
Geldtransporte spezialisiert sind. Die Frontexfiles enthalten auch ein
kurzes Dokument mit den wesentlichen Ergebnissen. Dieses enthält u.a.
sichtbar die voraussichtlichen Lieferzeiten und geschwärzt die
Preisspanne für die nicht näher spezifizierten Nutzfahrzeuge. Während
die kleineren Unternehmen offenbar Aussagen dazu gemacht haben, welche
Sicherheitsbehörden sie bereits beliefert haben – die allerdings
geschwärzt wurden – hat Daimler demnach lediglich angegeben, bereits
„viele Aufträge für Grenzschutz und -überwachung“ erhalten zu haben,
dass man aber keine Angaben „zu Kunden, Ländern oder Modellen“
mache.[16] Einen Hinweis gibt allerdings das EU-Forschungsprojekt
„ROBORDER“, das nicht zufällig Assoziationen einer von Robotern
überwachten Grenze weckt: Tatsächlich wird der Einsatz unbemannter
Luft-, Land- und (Unter-)Wasserfahrzeugen für den Grenzschutz erprobt.
Matthias Monroy schreibt hierzu auf Telepolis: „Die Tests erfolgen unter
anderem auf der griechischen Insel Kos in der Ägäis. Die Aufnahmen
laufen dort in einem mobilen Lagezentrum zusammen. Das Fahrzeug stammt
von dem deutschen Hersteller Elettronica aus Meckenheim in
Nordrhein-Westfalen und basiert auf einem Mercedes Sprinter. Unter der
Produktlinie 'Öffentliche Sicherheit' wird es als 'Multirole operations
support vehicle' (MUROS) verkauft“. Solche Fahrzeuge kommen demnach auch
in Deutschland bereits bei Demonstrationen zum Einsatz: „Als
'Beweissicherungs- und Dokumentationskraftwagen' (BeDoKw) mit
ausfahrbaren, vier Meter langen Masten mit Videokameras und Mikrofonen
fahren die MUROS unter anderem auf Demonstrationen und übermitteln die
Bilder in hoher Auflösung an die zuständige Einsatzleitung oder an
mobile Greiftrupps [...] Eines der Mikrofone verfügt über
Richtcharakteristik, auf diese Weise werden beispielsweise Redebeiträge
in das polizeiliche Hauptquartier übertragen“.[17]
Innovationspark Baden-Württemberg
Das Land Baden-Württemberg hat bereits einen dreistelligen
Millionenbetrag in das Cyber Valley investiert. Hinzu kommen Gelder des
Bundes, u.a. für das ebenfalls auf dem Technologiepark ansässige
„Tübinger AI Center“. Im Dezember 2020 wurde bei einer Videokonferenz
mit Kanzlerin Merkel, dem Ministerpräsidenten des Landes, der
EU-Vizekommissarin für Digitalisierung und mehreren Vertretern des Cyber
Valley (davon zwei nebenberuflich bei Amazon beschäftigt) ein „AI
Breakthrough Hub“ ins Leben gerufen, in den ein weiterer dreistelliger
Millionenbetrag von Bund, Land und privaten Investor*innen fließen
soll.[18] Außerdem hatte das Land angekündigt, den Aufbau eines
„KI-Innovationsparks Baden-Württemberg“ mit 50 Mio. Euro zu unterstützen
– falls sich die beteiligten Kommunen mit Eigenmittel in derselben Höhe
einbringen. Eine entsprechende Machbarkeitsstudie war im Dezember 2019
in Auftrag gegeben worden, ist aber noch nicht abgeschlossen. Trotzdem
wurde Ende November 2020 das Wettbewerbsverfahren unter den
interessierten Kommunen eröffnet. Die Frist für die Bewerbung endete
bereits zwei Monate später, nämlich am 29.1.2021. Das war natürlich ein
knapper Zeitrahmen, um innerhalb der Kommunen zu diskutieren, ob und wie
ein solcher Innovationspark überhaupt wünschenswert wäre. Dabei hat es
die eilig doch noch veröffentlichte vorläufige Fassung der
Machbarkeitsstudie durchaus in sich: Darin werden u.a. „Testgelände mit
regulatorischen Freiräumen zur Erprobung neuer KI-Technologien ('Large
Scale') und Reallaboren (insb. Biolabor, Robotiklabor, Fahrlabor,
Fluglabor) für die Datengewinnung bzw. Validierung sowie die Etablierung
eines KI-Lifestyles“ angestrebt. An anderer Stelle ist von
„Testfelder[n] mit integrierter Sensorik, Flugfelder[n] für Drohnen,
Start- und Landeplätze für autonome Flugtaxis“ die Rede.[19]
Dass das Cyber Valley in diesem „Wettbewerbsverfahren“ eine gute
Startposition einnimmt, war von Anfang an klar. Letztlich entschieden
sich die Verwaltungen in Tübingen, Reutlingen, Stuttgart und Karlsruhe
für eine gemeinsame Bewerbung, wobei Reutlingen die größte Fläche auf
dem Gelände einer ehemaligen Spedition bereitstellt. Tübingen will sich
mit den verbliebenen kleinen Flächen im Technologiepark beteiligen und
die restlichen Eigenanteile finanziell erbringen. Auch Stuttgart und
Karlsruhe werden im Zuge des Bewerbungsverfahrens weitere Flächen für
die KI-Forschung reservieren. Letztlich wird es also nicht den einen
KI-Innovationspark geben, sondern mehrere kleine, die an bestehende
Cluster andocken. Das von den drei Regionen gemeinsam vorgelegte
Eckpunkte-Papier zur Bewerbung sieht demnach vor, „dass ein
branchenübergreifender, integrierter Experimentier- und Datenraum für
KI-Innovationen der neuen Generation entsteht. In vernetzten Testfeldern
und Labs werden Entwicklung und Erprobung innovativer KI-Lösungen in
realen Umgebungen möglich gemacht“.[20]
Durch die großräumige Verteilung des „Innovationsparks“ wird letztlich
ein weiterer Cluster öffentlicher Förderung und
wissenschaftlich-unternehmerischer Vernetzung entstehen, der an
bestehende Cluster und damit auch die in den Frontexfiles zum Vorschein
gekommene militärisch-grenzpolizeiliche Industrie anknüpfen kann.
Besonders spannend wird dabei die Rolle des Fraunhofer-Institut für
Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB), das beispielsweise
Teil des wiederum aus Bundesmitteln geförderten „Digital Hub Karlsruhe
für angewandte Künstliche Intelligenz“ ist. Das Fraunhofer IOSB führt
zahlreiche Forschungsprojekte für das Verteidigungsministerium durch,
darunter die verbesserte Bildauswertung von Bundeswehrdrohnen und
Darstellungen multisensorieller Aufklärungssysteme an einem „digitalen
Lagetisch“. Es war an mehreren Forschungsprojekten des Bundes und der EU
beteiligt, die darauf abzielten, illegale Migration mithilfe von
Satelliten, Drohnen und Sensorbojen zu detektieren und hat sich u.a.
darum bemüht, von der Bundeswehr u.a. in Afghanistan eingesetzte
Drohnenmodelle für den Schweizer Grenzschutz umzurüsten.[21] Zuletzt
führt das Fraunhofer IOSB auch das Pilotprojekt zur „intelligenten
Videoüberwachung“ am Mannheimer Hauptbahnhof durch. Auch hierbei handelt
es sich gewissermaßen um einen „regulatorischen Freiraum zur Erprobung
neuer KI-Technologien“ bzw. „Reallabor für die Datengewinnung bzw.
Validierung“.
Anmerkungen
[1] https://frontexfiles.eu/.
[2] Matthias Monroy: Frontex Files - Der militärisch-grenzpolizeiliche
Komplex, netzpolitik.org (05.02.2021).
[3] https://corporateeurope.org/en/lobbying-fortress-europe
[4] Christoph Marischka: EU-Kommission - (Diese) Industriepolitik ist
Rüstungspolitik, Telepolis (12.11.2019).
[5] Thomas Wiegold: Studie fürs „gläserne Gefechtsfeld“,
augengeradeaus.net (16.04.2019).
[6] „Airbus and Thales join forces to develop the Air Combat Cloud for
Future Combat Air System“, Pressemitteilung der Thales Group (20.02.2020).
[7] Matthias Monroy: Frontex Files - Der militärisch-grenzpolizeiliche
Komplex, netzpolitik.org (05.02.2021).
[8] „in-innovative navigation GmbH installiert ein lokales
Überwachungssystem zur Sicherung der EU-Außengrenzen in Kroatien“,
Pressemitteilung der in Gmbh (29.10.2013).
[9] https://cyber-valley.de/.
[10] Christoph Marischka: Cyber Valley, MPG und US-Geheimdienste,
IMI-Studie 3/2020.
[11] https://www.esa-bic-bw.de/de/.
[12] „Reutlingen ist Start-up-Standort der ESA“, IHK Reutlingen
(13.04.2018).
[13] „NEC Laboratories Europe und Cyber Valley Forschungseinrichtungen
unterzeichnen MoU“, Pressemitteilung des Cyber Valley (19.11.2020).
[14] NEC: Behaviour Detection Solution, Safer Cities.
[15] Bosch: Creating a more secure world and new value for businesses
with Video analytics.
[16] Forontexfiles.eu: Main outcomes - Industry day VMM_redacted.pdf.
[17] Matthias Monroy: Für jede Repression zu haben - Das MUROS aus
Meckenheim, Telepolis (28.08.2019).
[18] Rede von Bundeskanzlerin Merkel zum Startschuss für das "AI
Breakthrough Hub" am 17. Dezember 2020 (Videokonferenz), bundeskanzlerin.de.
[19] CBRE GmbH: Machbarkeitsstudie zum Innovationspark KI (Vorgezogener
Ergebnisbericht für das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und
Wohnungsbau Baden-Württemberg, wirtschaft-digital-bw.de.
[20] „Zusammen für den Erfolg der Künstlichen Intelligenz im Land“,
Pressemitteilung auf stuttgart.de (29.01.2021).
[21] Christoph Marischka: Fraunhofer IOSB - Dual Use als Strategie,
IMI-Studie 2017/02.
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Donnerstag, 25. März 2021
Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0584 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
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