Montag, 24. Juni 2019

»nd« begleitet zwei »Ende Gelände«-Aktivisten beim Aufbau des Camps und der Planung der Protestaktionen

Vorbereitet in die Grube

»What do we want?« (zu Deutsch: »Was wollen wir?«) schreien etwa 20 Menschen zwischen 16 und 40 Jahren in einem Waggon eines Flixtrains, auf dem Weg von Berlin ins Rheinland. Kurz darauf antworten sie sich selbst: »Climate justice!« (zu Deutsch: »Klimagerechtigkeit«) Es ist Mittwochnachmittag, etwa 200 Menschen haben sich am Hauptbahnhof getroffen und gemeinsam die Reise zum Protestcamp des Klimabündnisses »Ende Gelände« in Viersen, in der Nähe von Mönchengladbach, angetreten.
Eine von ihnen ist Nike Malhaus. Sie ist dieses Jahr zum ersten Mal eine Pressesprecherin von »Ende Gelände«. Im Gegensatz zu den anderen Anwesenden, sieht man ihr nicht an, dass sie zu einem Klimaprotest will. Sie trägt Nullachtfünfzehn-Kleidung, hat keine Tatoos. Ihre Haare gehen ihr bis zu den Ohren, sie hat keinen Undercut. Auch trägt sie keinen großen Rucksack, sondern einen Rollkoffer und einen kleinen rosa Rucksack. Die 25-Jährige würde ohne Probleme als eine Besucherin des Kirchentages in Dortmund durchgehen, zu welchem ein Großteil der anderen Reisenden im Zug will.
Nike Mahlhaus, eine Pressesprecherin des Bündnisses
Nike Mahlhaus, eine Pressesprecherin des Bündnisses "Ende Gelände"
»Ich habe mich bewusst so gekleidet, denn natürlich spielt das Äußere auch eine Rolle dabei, wie man wirkt«, sagt Nike. Und wie will sie wirken? »Möglichst zugänglich, nicht abschreckend.« Nike Malhaus heißt eigentlich anders. Ihren echten Namen verrät sie aber nicht. »Mir hilft der Name, meine Rolle als Pressesprecherin von meinem persönlichen Leben zu trennen«, sagt sie. Außerdem sei es ein Schutz vor dem Energiekonzern RWE. Die Klimaaktivist*innen sind ihm ein Dorn im Auge, denn der Konzern ist der größte Akteur im Rheinland.
In den Tagebauen im Rheinischen Revier – Garzweiler, Hambach, Iden – fördert RWE jedes Jahr 100 Millionen Tonnen Braunkohle. Wenngleich der Konzern im April bekannt gegeben hat, keine Investitionen mehr in den Bau neuer Kohlekraftwerke tätigen zu wollen, will er bis auf weiteres am Abbau der bereits existierenden Tagebaue festhalten. Riesige Landschaften und ein Dutzend Ortschaften mussten der Braunkohle bereits weichen. Das kann jede*r sehen, der oder die einmal ins Rheinland fährt, auch gibt es im Internet viele Fotos vom Kohleabbau.
Was man nicht sehen kann ist das Kohlendioxid, das beim Abbau der Kohle ausgestoßen wird. Allein das Kraftwerk Neurath mit einer Kapazität von 4.400 Megawatt stößt jährlich 31,3 Millionen Tonnen CO2 aus und ist damit der Klimakiller Nummer 1 in Deutschland. Insgesamt gehen jedes Jahr etwa 80 Millionen Tonnen CO2-Austoß auf das Konto von RWE.
Nach Berechnungen des Weltklimarates dürfte Deutschland mit Beginn des Jahres 2019 insgesamt noch 7,3 Gigatonnen CO2 ausstoßen, damit das Klima weltweit nicht mehr als 1,5 Grad wärmer wird. Demnach könnte RWE noch 90 Jahre Kohle abbauen, wenn es da nicht noch die anderen Emissionen durch den Flugverkehr, die Automobilbranche und die Industrie gäbe.
2017 wurden in Deutschland insgesamt 907 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen. So könnte die Bundesrepublik nur noch acht Jahre weitermachen, danach müssten die Emissionen auf Null reduziert werden.
Kathrin Henneberger, ebenfalls Pressesprecherin von »Ende Gelände« reichen solche Ausblicke nicht. Seit ihrem 15. Lebensjahr setzt sie sich für einen sofortigen Ausstieg aus der Kohle ein. Sie ist in Köln aufgewachsen, in ihrer Familie engagieren sich viele gegen den Kohleabbau. Auf dem Protestcamp im Rheinland erzählt sie, dass sie von Anfang an wusste, dass sie mit ihrem Namen und ihrem Gesicht für den Protest stehen will. Daher verwende sie für die Aktionen keinen anderen Namen. »Über die Repressionen, die damit einhergehen können, war ich mir früh bewusst«, sagt Henneberger.
Ende Gelände: Wir lassen uns nicht einschüchtern by neues deutschland
Mitte Mai hat Henneberger eine Unterlassungserklärung von RWE erhalten. Darin wurde ihr vom Konzern ein Hausverbot auf allen Tagebauen ausgesprochen. »Ich werde diese Erklärung nicht unterschreiben«, sagt Henneberger. Sie freut sich auf die Protestaktion. »Von RWE lasse ich mich nicht einschüchtern.« Auch sie ist eher unauffällig gekleidet. Ihr schulterlanges Haar ist rot gefärbt, doch auf der Straße würde sie nicht als »linksradikal« auffallen.
Am Donnerstagmittag sind bereits mehr als 1.000 Menschen auf dem Protestcamp von »Ende Gelände« bei Viersen eingetroffen. Henneberger und Malhaus sind besonders gefragt. Ein Dutzend Journalist*innen bildet eine Traube um die beiden. Es scheint, als gäbe es keine Frage, auf die sie nicht vorbereitet wären.
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